Kurs auf Schwarz-Blau nach dem Vorbild Österreichs?

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Horst Seehofer verfolgt mit seinem Stab, in dem der ehemalige VS-Präsident eine zentrale Rolle spielt, eine politische Agenda…

Ein Kommentar von Detlef zum Winkel
Zuerst erschienen bei: Telepolis v. 26.09.2018

Glaubt man der veröffentlichten Meinung, so herrschen in Deutschland ausnahmsweise mal nicht Ruhe und Ordnung, auch nicht die Angst vor einer ungewissen Zukunft, das Fußballfieber oder der Bierdurst. Sondern es herrscht das Unverständnis.

Die höchsten Zustimmungsraten von Ost bis West und Nord bis Süd erzielt zur Zeit der schlichte Satz: Dafür habe ich kein Verständnis mehr. Auch von links bis rechts: „Dieses Postengeschacher versteht kein Mensch“, twitterte beispielsweise Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei. Das Verständnis des Juso-Chefs Kevin Kühnert für die Berliner Politik ist „unter Null“. Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, hat „bei allem Verständnis für die Notwendigkeit von Kompromissen“ keines mehr für diese Regierung. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Carsten Linnemann, versteht die Welt nicht mehr: „Die Bürger fragen zu Recht, ob wir in Berlin alle verrückt geworden sind.“ Längst hat die allgemeine Verständnislosigkeit auf die Medien übergegriffen, die sich mit Äußerungen des Unverständnisses gegenseitig überbieten.

Worum es geht, ist klar: die Ablösung des Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen und seine Versetzung ins Innenministerium, anfangs sogar auf die Stelle eines Staatssekretärs. Die SPD-Linke kochte vor Wut, die AfD aber auch. Die einen sahen die Amtsenthebung Maaßens durch eine Beförderung konterkariert; die anderen empörten sich darüber, dass „ein verdienter Beamter“ bestraft werden sollte: „Kippt jetzt der Mann, der uns vor Terror schützt?“

Die beiden Lager standen sich im Prinzip diametral gegenüber. Außer dem Anlass hatte der Zorn der einen mit dem Zorn der anderen nichts gemein. Anstatt diesen Konflikt zu klären und zu entscheiden, fanden die Stammtische und ihre Boulevardblätter zu einer Querfront des Zorns zusammen: Wenn schon versetzen, dann doch nicht befördern! Wo gibt’s denn sowas? Hier rächt sich Merkels Versuch, den Konflikt zur Personalfrage in einer nachgeordneten Behörde herunterzuspielen.

An die Spitze des Hysterie-Wettbewerbs hat sich vorerst Jakob Augstein gesetzt. Die Regierung sei nur noch „ein Haufen der Lächerlichkeit“, schreibt er, die Kanzlerin ohnmächtig, die SPD-Vorsitzende, die dem Kabinett allerdings nicht angehört, überfordert und Seehofer außer Rand und Band. „Also Neuwahlen“, fordert Augstein und zwar „jetzt!“ Gleichzeitig fürchtet er, dass die AfD davon profitieren werde. Angst könne jedoch kein Argument sein, denn „Demokratie ist nicht nur, was einem gefällt“.

Es ist dieser abschließende Satz, der als Resümee des Kommentars womöglich etwas zu bedeuten hat. Denn er ließe sich ja ebenso gut auf die gegenwärtige politische Konstellation anwenden, die Augstein offensichtlich nicht gefällt. Man könnte argumentieren, dass ungelöste Konflikte, faule Kompromisse, Parteipolitik und maßlose Selbstinszenierungen extrem ärgerlich sind, aber leider das Ergebnis der letzten Wahl und der anschließenden Koalitionsverhandlungen, in denen keine bessere Lösung gefunden wurde. Augstein freilich möchte uns auf etwas Anderes vorbereiten, das uns noch weniger gefallen dürfte und das wir nach Neuwahlen gleichwohl als Volkswillen zu akzeptieren hätten.

Der Kontext zu seiner Prophezeiung eines Erstarkens der AfD lässt nur eine Interpretation zu. Augstein rechnet mit einer künftigen Regierungsmehrheit unter Einbeziehung der AfD: Schwarz-Blau wie das Modell Österreich. Da müssten wir durch, meint Augstein, weil man nicht weitermachen dürfe wie bisher.

Ironischerweise ist es gerade die Perspektive desjenigen, von dem der Spiegel-Kommentator behauptet, dass er außer Rand und Band geraten sei. Solche Leute kann es geben, wie ein Blick über den Atlantik lehrt. Unterschätzen sollte man sie trotzdem nicht. Seehofer ist kein Vollhorst. Vielmehr verfolgt der Innenminister mit seinem Stab, in dem der ehemalige VS-Präsident eine zentrale Rolle spielt, eine politische Agenda, die es zu entschlüsseln gilt.

Seehofer und Maaßen sind in ihren jeweiligen Parteien, CSU und CDU, umstritten, genießen aber die volle Unterstützung der AfD. Gewöhnlich würde man erwarten, dass sie auf ihre innerparteilichen Kritiker zugehen, sich ihnen erklären, Zweideutigkeiten geraderücken und Zweifel ausräumen. Doch das tun sie nicht; die neuen Übereinstimmungen scheinen wichtiger zu sein.

Als Maaßen am 12.9. dem Innenausschuss des Bundestags Rede und Antwort stehen musste, wies er den Vorwurf, der AfD nahezustehen, mit Verweis auf seine langjährige CDU-Mitgliedschaft zurück. Zu einer möglichen Überwachung der Partei durch den VS gab er einige unverfängliche Sätze von sich. Ansonsten findet sich in dem Wortprotokoll, das inzwischen an die Öffentlichkeit gelangt ist, kein böses Wort über die AfD. Maaßen bestand darauf, dass es bei den rechtsradikalen Aufmärschen von Chemnitz keine Hetzjagden gegeben habe und unterstrich seinen Verdacht gegen gezielte linke Falschinformationen. Seehofer stellte sich demonstrativ hinter ihn.

Das ist der fast schon verzweifelte Versuch, die Ereignisse von Chemnitz doch noch so umzuschreiben, dass sie in die Strategie der Rechtsradikalen passen. Diese waren in die Stadt gereist, um dort ein rassistisch-nationalistisches Fanal zu setzen. Sie wollten zeigen, wem die Straße gehört, wem die Stadt gehört, wer in diesem Land das Sagen hat. Sie wollten die Stimmung in Deutschland zum Kippen bringen und träumten von einem bevorstehenden Aufstand der Massen. Die AfD setzte sich an die Spitze der Aufmärsche in der Hoffnung, die Welle der Empörung würde sie nach oben treiben.

Doch das Signal, das von Chemnitz ausging, war ein anderes. Die kühne Behauptung, auf den Demonstrationsbildern seien bloß besorgte Einwohner zu sehen und nicht die bundesweit mobilisierte Nazi-Szene mit ihren Hitlergrüßen und martialischen Parolen, hielt der reich dokumentierten Wirklichkeit nicht stand. Die Botschaft, die im In- und Ausland vernommen wurde, lautete: Hier marschiert die AfD mit Pegida, der NPD, dem III. Weg, mit den Identitären, Reichsbürgern und Kameradschaften. Hier wird das Entsetzen über ein Verbrechen für niedere Beweggründe missbraucht.

Das ging der bürgerlichen Mitte zu weit und war selbst für rechtskonservative Merkel-Kritiker zu viel. Beispielhaft lässt sich der Meinungsumschwung an der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ablesen. Noch im Frühsommer, als der Innenminister mit seinem Masterplan Migration, damals schon ganz im Sinne der AfD, die erste Koalitionskrise provozierte, hatte er die FAZ deutlich an seiner Seite. Mehrere Herausgeber bedienten persönlich die Tastaturen, um Partei für Seehofer zu ergreifen und Abrechnungen mit Merkel zu präsentieren.

Es ist nicht auszuschließen, dass sie konsterniert waren, als ihre eigenen Korrespondenten von einer Menschenjagd im Chemnitz am 26.8. berichteten – noch bevor Maaßen den Streit um Antifa Zeckenbiss und das Hase-Video vom Zaum brach. Sie fanden ihre Sprache wieder, als AfD-Chef Gauland ein „Ausrasten“ für normal erklärte und Aufrufe zur Selbstjustiz aus den Reihen seiner Partei als „Selbstverteidigung“ rechtfertigte.

„Inwiefern man sich gegen Delikte, die durch Migranten begangen werden, durch Hatz auf unschuldige Ausländer, Grölen und Hitlergrüße selbstverteidigen kann, bleibt unerklärt, weil es dafür auch keine Erklärung gibt“, schrieb Jürgen Kaube und nahm es als eine „Lektion“, die ihm die AfD erteilt habe.

Wenig später bot die FAZ dem eigentlich von ihr geschätzten Gauland die Gelegenheit eines Interviews. Da hätte er es noch geradebiegen können. Doch der AfD-Chef ließ sich nicht darauf ein, die von ihm deklarierte „friedliche Revolution gegen das politische System“ als einen Regierungswechsel oder eine Reform zu erklären. Er beharrte auf einem Systemwechsel. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse konnte diese weitere Lektion nur so verstanden werden, dass man in Deutschland Alt-Right mit Alt-Rechts zu übersetzen hat. Pikiert ging die FAZ auf Abstand. Gauland hat es vermasselt, jedenfalls dieses Mal.

Ist es so schwer zu verstehen, welchen Weg Seehofer zurückgelegt hat und wohin dieser Weg führen soll? Nur wenn man nicht hinsehen will. Am 12.6. traf er sich mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, um eine „Achse der Willigen“ im „Kampf gegen illegale Migration“ auszurufen. Einen Monat später demonstrierten Seehofer (CSU), Kickl (FPÖ) und Salvini (Lega Nord) ihre neue Achse Berlin-Wien-Rom, die einen „Paradigmenwechsel in der Asylpolitik“ erreichen wolle. Der Innenminister bietet sich innen- und außenpolitisch den Rechtspopulisten als Partner an. Maaßen assistiert ihm auf Schritt und Tritt.

Der Konfrontationskurs gegen die Regierung, der er selbst angehört, wird meist mit der bevorstehenden bayrischen Landtagswahl erklärt und entschuldigt. Seehofer präsentiere sich als Hardliner, um der AfD bayrische Protestwähler abspenstig machen. Nichts spricht für einen Erfolg dieses Unternehmens.

Die permanent erhobenen Meinungsumfragen und Stimmungsbarometer sagen der CSU ein Abschneiden unter 40 % voraus. Jetzt müsste Söder allmählich die Frage beantworten, mit wem die CSU nach dem 14.10. regieren will. Ginge es nach inhaltlichen Überschneidungen, so wäre die AfD der Partner, der ihm am nächsten kommt. So kannte CSU-Generalsekretär Markus Blume, zuständig für den Wahlkampf seiner Partei, im Grunde nur ein Thema: die „Asylwende“ mit dem „Masterplan von Horst Seehofer und dem eigenen bayrischen Asylplan von Markus Söder“. Doch inzwischen ist es stiller geworden um den schneidigen General und den eigenen Asylplan des Freistaats. Auch sein Ministerpräsident versucht, aus der Ecke des obersten Grenzschützers der Nation wieder herauszukommen.

Denn es ist ja Bayern gewesen, vor allem Bayern, das im Jahr 2015 ein unerwartet freundliches Gesicht gezeigt hat. Die überraschende Hilfsbereitschaft gegenüber den eintreffenden Flüchtlingen und der Versuch, eine Willkommenskultur zu praktizieren, waren eher bayrisch als preußisch geprägt. Das mag vielen nicht gepasst haben, besonders in der Münchner Staatskanzlei. Dennoch scheint ein Großteil der bayrischen Bevölkerung nicht einverstanden damit zu sein, dass diese Leistungen jetzt komplett widerrufen werden und alles falsch gewesen sein soll. Diese Menschen sind eben auch das Volk, welches es letztlich vorzieht, in einem Biergarten zu rasten, statt auf der Straße auszurasten. Die Österreichisierung, vor der Heribert Prantl direkt nach der Wahl im südlichen Nachbarland warnte, hat im Moment keine guten Karten.

Trotzdem hat es den Plan gegeben und er liegt immer noch auf dem Tisch, zumindest auf dem von Seehofer. Anstatt also – sei es aus Dummheit oder aus purer Lust am Populismus – an allen Fronten zu kapitulieren, wie es Augstein in seiner wieder einmal missratenen Kolumne vormacht, gilt es, die europäische, vielleicht sogar historische Bedeutung der Bayernwahl zu erkennen und dafür zu sorgen, dass Schwarz-Blau keine Mehrheit erhält.