Toro nagashi – Lichter fließen lassen

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In Köln wurde an den ersten Atombombenabwurf in Hiroshima und Nagasaki erinnert…

Von Roland Kaufhold

In einigen Städten ist es eine lange Tradition, an die ersten Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki zu erinnern, so auch in Köln. In Köln gibt es seit 2004 sogar einen eigenen Park, der an diese mahnende Atomträgodie erinnert, durch die in Japan weit über 200.000 Menschen starben: Der unweit der Universität und dem Aachener Weiher gelegene Hiroshima-Nagasaki-Park.

Vorbereitungen

In einem gemütlichen Kölner Garten haben sich sechs Frauen getroffen, um schwimmfähige Behältnisse für Kerzen zu basteln. Zwei von ihnen kommen ursprünglich aus Japan, alle sind schon eher älter: „Wir treffen uns schon seit mehreren Jahren regelmäßig im Sommer in meinem Garten, um gemeinsam an den Hiroshima-Tag zu erinnern“, erzählt Angelika Rösrath.

Am 6. August 1945 fiel die erste Atombombe, die japanische Stadt Hiroshima war das Kriegsziel. Drei Tage später traf eine weitere Atombombe die japanische Stadt Nagasaki. Deutschland hatte kapituliert, der deutsche Kriegsverbündete Japan noch nicht. Es hatte Warnungen an Japan durch die USA gegeben. Sie blieben ohne Wirkung. Niemand hatte Erfahrungen mit den grausamen, verheerenden Auswirkungen der Atombomben. Der militärische „Sinn“ der Aktion war höchst umstritten. Die Transportwege hin zum Konzentrationslager Auschwitz waren beispielsweise nicht bombardiert worden, obwohl die Alliierten durchaus gesichert wussten, welche Verbrechen die Deutschen in Auschwitz organisiert durchführten.

In Köln wird seit dem Jahr 2004 auf den hügeligen, beliebten Uniwiesen an den 73 Jahre zurückliegenden Atombombenabwurf erinnert. Aber der Reihe nach: Die Uniwiesen haben eine lange Geschichte: In der Nazizeit fanden dort, grün und zentral gelegen, regelmäßig große Naziaufmärsche statt. Damals war das gesamte Gelände noch eine ebenerdige Wiese. Nach dem Krieg war Köln weitgehend zerstört. Eine eigens hierfür gelegte Straßenbahnstrecke wurde genutzt, um den Kriegs- und Häuserschutt zu entsorgen: Die Trümmer wurden auf Teile der Uniwiesen gebracht, auf das Gelände des heutigen Herkulesberges wie auch in den Sülzer Beethovenpark. Hieraus entstanden drei markante Hügel, in Köln durchaus auffallend. Heute freut man sich darüber: Richtige „Berge“ sind entstanden, im Winter ist insbesondere der Beethovenpark als Rodelstrecke beliebt – so es denn einmal Schnee gibt.

Bereits in den 1960er Jahren, als Homosexuelle noch staatlich verfolgt und kriminalisiert wurden, traf man sich nachts auf den nur schwer einsehbaren Grünanlagen neben der Eisenbahnstrecke, vermutlich aber schon Jahrzehnte früher. Heute ist er ein beliebter Treffpunkt als Liegewiese und Grillplatz, zusammen mit dem Biergarten des Aachner Weihers und dem Cafe des Ostasiatischen Museums.

Hiroshima-Nagasaki Park

Seit 2004 hat der Park einen neuen Namen, den eher Wenige Kölner bewusst kennen: Eigentlich heißt er Hiroshima-Nagasaki Park. Selbst ein schwer zu entdeckendes Schild weist hierauf hin. Hoch oben auf einem Hügel liegt ein wuchtiger Findling, der an den Atombombenabwurf des Jahres 1945 erinnern soll. Dahinter stehen drei Bäume: „Die haben wir gemeinsam mit dem Grünflächenamt gepflanzt“, erinnern sich Ursula Forner und ihre Freundin Angelika Roesrath. Auch der Leiter des am Aachener Weiher gelegenen Ostasiatischen Museums – der gerade bei jungen Leuten beliebte Ausläufer des Parks – war bei der Einweihung dabei. „Und im gleichen Jahr wurde dort eine Ausstellung zum Atombombenabwurf gezeigt“, erzählt Angelika Roesrath. Eine eigene Dokumentation zur Vorgeschichte der Namensgebung wurde erstellt.

Vor 14 Jahren, am 7. August 2004, erfolgte die feierliche Einweihung des Hiroshima-Nagasaki-Parks. 400 Leute sollen gekommen sein, auch Repräsentanten der Stadt Köln vor allem von den Grünen und der SPD. Aber auch der gerade ins Amt gewählte Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) hatte sich für die symbolträchtige Namensgebung ausgesprochen. Und selbstredend waren auch die üblichen „linken“, antisemitischen sektiererischen Grüppchen um Walter Herrmann und seinem Umfeld da.  Schweigen wir lieber über dieses antisemitische deutsche Elend… Immerhin: Der Beschluss der Bezirksvertretung Innenstadt erfolgte einstimmig.

Nachfolgend gab es weitere Initiativen, manche waren erfolgreich: Die Millionenstadt Köln erklärte sich, wie auch weitere Städte, zur „atomwaffenfreien Zone“. Diese Städte schlossen sich auf Initiative des Bürgermeisters von Hiroshima zum internationalen Städtebündnis „Mayors for Peace“ zusammen. Einmal jährlich trifft man sich.

Kazuo Soda bei einer früheren Gedenkveranstaltung in Köln

Eine Pilgerreise von Kazuo Soda

Entstanden war die Idee bereits vier Jahre zuvor, im Jahr 2000: Kazuo Soda, 1930 geborener Überlebender aus Hiroshima, war im Rahmen einer Pilgerreise nach Köln gekommen, um an den Atombombenabwurf zu erinnern. So entstand die Idee mit dem Denkmal und dem Namen. In den folgenden Jahren kam er regelmäßig nach Köln, um am 6. August am Denkmal auf den Uniwiesen sowie anschließend am Aachener Weiher an den Atombombenabwurf zu erinnern. Heute ist Soda zu betagt hierfür.

Die Zeremonie

Selbst im Hiroshima-Nagasaki Park ist es heiß, als man sich am 6.8. ab 19 Uhr trifft. Wohl 60 Leute sind gekommen, überwiegend ältere Menschen, einige japanische Frauen, einige auch mit Rollstuhl. „Früher waren es viel mehr“, erzählt mir Angelika. Es sind auffallend viele Frauen da, eine trägt ein völkisches, friedliebendes palästinensisches Kopftuch. Schweigen wir lieber…

Die Tradition der Friedensbewegung möchte man bewahren. Viele sind mit dem Fahrrad gekommen, ein paar Friedensfahnen mit Taube sind zu sehen. Es gibt Ansprachen, auch von Andreas Hupke, dem Grünen Bezirksbürgermeister der Innenstadt. „Ich bin ein 68er“, sagt er schmunzelnd. „Ich bin 68 Jahre alt“. An dieser jährlichen Tradition nehme er immer wieder und sehr gerne teil, versichert der rührige Andreas Hupke. Bei einem Marsch zur Legalisierung von Haschisch hat er auch schon gesprochen. Das an der innerstädtischen Luxemburger Straße gelegene, von Abriss bedrohte Autonome Zentrum – Ort auch von israelsolidarischen Gruppen in Köln – ruft auf seiner Stirn hingegen Zornesfalten hervor. Dann eine etwas lang geratene Ansprache von Michimase Hirata, Überlebender aus Hiroshima, auf japanisch und deutsch. Er ist extra aus Japan gekommen, wie bereits sein Vorgänger Kazuo Soda. 1936 geboren erlebte er den Atombombenabwurf. Es war die Hölle. Die von der unerträglichen Hitze gequälten Menschen tranken das verseuchte Wasser. In den Jahrzehnten danach starben Tausende an den Spätfolgen. Auch er sei erkrankt, erzählt er, Krebs ist ihm jedoch erspart geblieben.

Es folgen Lieder, intoniert von Blue Flower, musikalisch durchaus gelungen. Einige singen mit, Liedertexte werden verteilt. Ein japanischer Musiker, Yoshiro Shimizu, spielt auf einem traditionellen japanischen Instrument. Parallel dazu wird entsprechend einer buddhistischen Tradition von vielen Teilnehmern der Getöteten erinnert: Nacheinander tritt man einzeln an den Gedenkstein heran und streicht Wasser mit einem Blatt auf den städtischen Gedenkstein.

Anschließend gehen alle zum 150 Meter entfernt gelegenen Aachener Weiher, es wird dunkel. Die Frauengruppe hatte kleine „Schiffchen“ gebaut. Diese werden nun mit einer Kerze ins Wasser gelassen, alles ist vorbereitet. Geordnet wird das Kerzenmeer durch das Wasser gezogen, in kleinen Grüppchen wandert man um den Aachener Weiher herum. Irgendwann werden die Kerzen wieder eingesammelt, da ist es schon richtig dunkel. Zwei junge Frauen haben auf den Stufen des Aachener Weihers die Kerzenzeremonie „Toro nagashi – Lichter fließen lassen“ erlebt. Irritiert fragt eine: „Und das soll den Frieden bringen?“

Bild oben: Die aufsteigende Wolke kurz nach der Explosion, fotografiert von Madsuda Hiromichi in einem Außenbezirk der Stadt, wikicommons
Bilder im Beitrag: (c) Roland Kaufhold