Kabale auf dem Spielfeld

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Nur ein einziges Mal in seiner Geschichte nahm Israel an einer Fussballweltmeisterschaft teil. Das war 1970. Trotzdem ist der jüdische Staat immer wieder Thema bei der FIFA…

Von Ralf Balke

Fußball ist ein reiner Ballsport und hat nichts mit Politik zu tun. Wer diesen Satz noch für bare Münze nimmt, der glaubt gewiss auch an den Weihnachtsmann oder die Zahnfee. Denn gerade jetzt, mit Anpfiff der FIFA Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland, wird der Zusammenhang zwischen dem runden Leder und handfesten politischen Interessen wieder einmal besonders deutlich. Aufgrund der Annexion der Krim hatten vor einigen Jahren nicht wenige westliche Staaten Sanktionen gegen Moskau verhängt, schicken jetzt aber trotzdem ihre Nationalmannschaften nach Russland, was allein schon für reichlich Diskussionsstoff sorgt. Für Präsident Wladimir Putin ist das ganze Spektakel zudem eine wunderbare Gelegenheit, sein Image aufzupolieren und das Land von seiner besten Seite zu präsentieren. Und Israel nimmt – wieder einmal – nicht an den Fußballweltmeisterschaft teil.

Schuld daran war diesmal die lausige Performance in den Qualifikationsspielen im Vorfeld. Eigentlich konnte man sich bereits nach der 0 zu 3 Niederlage gegen Albanien im Juni vergangenen Jahres von dem Traum einer Teilnahme verabschieden. Dann verlor die blau-weiße Elf auch noch im September bei einem Heimspiel in Haifa 0 zu 1 gegen Mazedonien, woraufhin die israelischen Fans Mannschaftskapitän Eran Zahavi gnadenlos auspfiffen, was dieser wiederum mit einem Wutanfall quittierte, seine Kapitänsarmbinde abriss und auf den Rasen warf. Damit handelte sich der 39-fache Nationalspieler eine Suspendierung durch den israelischen Fußballverband ein und durfte beim wenige Tage danach stattfindenden Spiel gegen Italien nicht mit von der Partie sein. „Ich ertrage das nicht mehr“, erklärte er der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth. „Unser Land weiß wirklich nicht, wie man seine besten Spieler behandelt, daher trete ich lieber zurück. Ich finde es skandalös, dass die Fans die eigene Mannschaft ausbuhen. Ich wollte auf dem Platz nicht so heftig darauf reagieren. Nun ist es aber geschehen.“ Und weil Miri Regev, Ministerin für Sport und Kultur, ebenfalls den Ball nicht flach halten konnte, warf sie Zahavi vor, auf den „Werten, die wir unserer Jugend beibringen wollen, herumzutrampeln“. Der Nationalspieler, immerhin zweimal „Fußballer des Jahres“ in Israel sowie mit 29 Treffern Torschützenkönig der nationalen Liga in der Spielsaison 2013/14, hatte daraufhin die Nase endgültig gestrichen voll. Heute spielt er beim chinesischen Verein Guangzhou R&F.

Und trotz der Tatsache, dass Israel fern davon ist, eine Fußball-Supermacht zu sein, steht das Land bei der FIFA aktuell wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Auch diesmal geht es wenig um sportliche Höchstleistungen oder Organisatorisches, sondern ausschließlich um Politik. Denn nicht nur die Boykott, Desinvestition und Sanktionen-Bewegung, kurz BDS, hat den Israelis auf dem Rasen den Kampf angesagt, sondern auch der palästinensische Fußballverband – jedoch nicht im Trikot oder nach den Regeln der sportlichen Fairness. Gemeinsam hatten beide dafür gesorgt, dass vor wenigen Tagen Argentinien sein in Jerusalem geplantes Freundschaftsspiel gegen Israel absagte. Zuvor waren die Südamerikaner massivst unter Druck gesetzt und bedroht worden. Medienwirksam hatten BDS-Aktivisten mit blutverschmierten Trikots in den argentinischen Farben tagelang vor dem Trainingsgelände der Spieler in Barcelona herumgefuchtelt. Zudem fahren zahlreiche BDS-Gruppen in aller Welt, darunter auch BDS-Berlin, schon länger unter dem Slogan „Kick out Israel from FIFA“ und „Rote Karte für die Apartheid“ eine breitangelegte Kampagne gegen Israel und seine Sportler. Des öfteren demonstrierten sie bereits lauthals vor dem Gebäude des Weltfußballverbandes.

Jibril Rajoub, seines Zeichens Vorsitzender des palästinensischen Fußballverbandes, hatte insbesondere den argentinischen Superstar Lionel Messi persönlich aufgefordert, nicht in Israel zu spielen. „Messi ist ein Symbol für Frieden und Liebe“, sprach er zu Journalisten. „Wir bitten ihn, nicht an der Reinwaschung der Verbrechen der Besatzung teilzunehmen.“ Wenn man weiß, dass Jibril Rajoub mehr als nur ein harmloser Sportfunktionär ist, sondern unter Jassir Arafat Sicherheitschef in den palästinensischen Autonomiegebieten war und damit der Mann für’s Grobe, dem zudem Ambitionen nachgesagt werden, den greisen Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas politisch zu beerben, dann erkennt man die wahren Absichten hinter diesem Aktionismus.

Auch ist es nicht das erste Mal, dass Jibril Israel in Sachen Fußball im Abseits sehen möchte. Mehrfach bereits wurde bei der FIFA von den Palästinensern der Antrag gestellt, Israel aus dem Weltfußballverband zu verbannen. Ihr Argument: Sechs unterklassige Vereine aus israelischen Siedlungen im Westjordanland sollen aus dem Liga-System des jüdischen Staates verschwinden. Anderenfalls liege ein Verletzung der FIFA-Statuten vor, nach denen nationale Clubs nicht auf dem Territorium eines anderen Verbandmitglieds beheimatet sein dürfen – bis dato ist diese Forderung aber noch nicht in die Tat umgesetzt worden. Viel zu gerne würde sich die FIFA, die in der Vergangenheit vor allem mit Korruptionsfällen in den eigenen Reihen für Schlagzeilen sorgte, viel medial als Brückenbauer inszenieren. Groß war daher auch die Freude, als Ofer Eini, Israels Fußballverbandspräsident und sein palästinensischer Kollegen vor drei Jahren in der Schweiz nach einem Disput einmal die Hände schüttelten. Doch die Harmonie sollte nicht wirklich lange währen.

Nach dem Desaster mit dem geplatzten Freundschaftsspiel mit Argentinien, das eindeutig auf das Konto von BDS und Jibril Rajoub ging, sprach Rotem Kamer, Vizepräsident von Israels Fußballverband von einem „Fußballterrorismus“ der Palästinenser. Man ergriff von israelischer Seite daher sofort die Initiative und reichte eine Beschwerde an. Offensichtlich mit Erfolg. Schon am Mittwoch verkündete die FIFA ein Disziplinarverfahren gegen den Jibril Rajoub einzuleiten. Zugleich wurde ein Gesuch der Palästinenser mit 156 zu 35 Stimmen abgelehnt, in den Statuten der FIFA das Thema Menschenrechte – zumindest, was sie darunter verstehen – stärker zu verankern. „Jedes Jahr wiederholt sich dieses Ritual“, so ein sichtlich genervter Ofer Eini. „Jibril Rajoub versucht immer wieder, die FIFA gegen unseren Fußball sowie den Staat Israel aufzubringen.“

Das erste und zugleich letzte Mal, dass Israel an einer Weltmeisterschaft teilgenommen hatte, war in Mexiko 1970. Auch das war bereits mit einem Politikum verbunden. Denn in einer der beiden Qualifikationsrunden hätte es zu einer Begegnung mit Nordkorea kommen sollen. Aber weil die Machthaber in Pjöngjang schon immer feindselig gegenüber dem jüdischen Staat eingestellt waren, hatten sie das Spiel einfach abgesagt und sich damit selbst erfolgreich disqualifiziert. Auch wurde darauf geachtet, dass es keinesfalls zu einer Spiel zwischen Israel mit dem gleichfalls verfeindeten Marokko kommen könnte. In drei Spielen schossen Israels Nationalspieler damals genau ein einziges Tor, und zwar gegen Schweden. Danach war Feierabend. Dennoch konnte die israelische Bilanz sich sehen lassen – schließlich ging man nach dem Match gegen den späteren Weltmeister Italien mit einem respektablen 0 zu 0 vom Platz. Geschossen hatte den einzigen Treffer für Israel Mordechai „Motale“ Spiegler von Maccabi Netanja.

Zur Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland hatte man es beinahe wieder geschafft. In der Gruppe 4 sollten sich 2005 in der Vorrunde Frankreich, Israel und die Schweiz einen spannenden Dreikampf liefern, der erst im letzten Moment von den Franzosen zu ihren Gunsten entschieden wurde. Insgeheim atmete die FIFA damals auf – schließlich wäre eine Teilnahme Israels für sie der Alptraum par excellence gewesen: zum einen wegen der erhöhten Sicherheitsmaßnahmen, die man hätte umsetzen müssen, zum anderen aufgrund der Teilnahme des Irans. Denn anders als die israelische Elf hatte die Nationalmannschaft des Mullah-Regimes in den vergangenen Jahren mehr Glück sowie eine deutlich bessere Leistungsbilanz. Dieses Jahr ist sie in Russland deshalb bereits das fünfte Mal mit von der Partie Auch fahren die Iraner in Sachen Fußball seit vielen Jahren eine radikale Boykottpolitik gegen den jüdischen Staat. So schmiss der iranische Fußballverband vergangenes Jahr mit Kapitän Massoud Schojaei und seinem Vertreter Ehsan Hajsafi gleich zwei hochkarätige Kicker aus dem Team, weil diese als Spieler des griechischen Vereins Panionios Athen im Rahmen der Europa-League-Qualifikation gegen eine israelische Mannschaft angetreten waren. Zudem forderte das Außenministerium in Teheran, dass iranische Profi-Fußballer bei Vertragsabschlüssen mit europäischen Clubs darauf insistieren sollen, niemals gegen einen Gegner aus Israel anzutreten. Wieder einmal ist damit der Fußball zum Schauplatz einer politischen Machtprobe geworden. Und die Reaktionen der FIFA in Zürich auf diese Intervention der Iraner, die eindeutig gegen ihre Statuten verstößt? Keine – schließlich hat Fußball ja nichts mit Politik zu tun, wie manche immer noch behaupten.