100 Jahre Novemberrevolution 1918

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Das Schöneberger Museum in Berlin präsentiert regelmäßig spannende Aspekte der Stadt- und Kulturgeschichte des Bezirks. „Das Jahr 1918 war eine der großen Weichenstellungen der Deutschen Geschichte, die das Land vorangebracht hat“ so erläutert die Museumsleiterin Dr. Irene von Götz. Es ist jedoch ein Kapitel der Bezirksgeschichte, welches bislang noch nicht wirklich bearbeitet wurde…

Von Yvonne de Andrés

Am 9. November trat der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Philipp Scheidemann auf den Balkon des Reichstages und rief der wartenden Menge zu. „Arbeiter und Soldaten! Furchtbar waren die vier Kriegsjahre. Grauenhaft waren die Opfer, die das Volk an Gut und Blut hat bringen müssen. Der unglückselige Krieg ist zu Ende, das Morden ist vorbei! Die Folgen des Krieges, Not und Elend, werden noch viele Jahre lang auf uns lasten. Die Niederlage, die wir unter allen Umständen verhüten wollten, ist uns nicht erspart geblieben. Der Kaiser hat abgedankt, er und seine Freunde sind verschwunden. Über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt.“ Mit diesem Worten gründet Philipp Scheidemann die Weimarer Republik. Das deutsche Kaiserreich war damit faktisch zu Ende. Kaiser Wilhelm II. musste abdanken und an seine Stelle tratt Friedrich Ebert als Reichspräsident.

Noch am selbigen Nachmittag rief der USPD Reichstagsabgeordneter Karl Liebknecht im Lustgarten vor dem Berliner Stadtschloss die „freie sozialistische Republik Deutschland“ aus: „Der Tag der Revolution ist gekommen. Wir haben den Frieden erzwungen. Der Friede ist in diesem Augenblick geschlossen. Das Alte ist nicht mehr. Die Herrschaft der Hohenzollern, die in diesem Schloss jahrhundertelang gewohnt haben, ist vorüber. In dieser Stunde proklamieren wir die freie sozialistische Republik Deutschland.“ Die Nachricht der Revolution breitet sich rasant wie ein Lauffeuer aus.Die Berliner Zeitungen mussten mehrfach nachgedruckt werden, da sich die Nachrichten immer wieder überschlugen. Dem Ende der Monarchie und dem Beginn der Revolution im November 1918 folgten heftige Auseinandersetzungen, die zum Teil blutig verliefen im Ringen um die erste demokratische Republik.

Revolution 1918/19 – Schöneberg ringt um Demokratie

Anlässlich von 100 Jahren Novemberrevolution 1918 wird dies nun in einer neuen Sonderausstellung nachgeholt. In drei gelungen komponierten Räumen wird sowohl der Zeitrahmen von Beginn der Revolution bis zu ihrem Ende, dem Kapp-Putsch in verschiedenen Stationen gezeigt. Zentral im ersten Raum befindet sich ein Stadtplan auf dem kleine Bilder von sieben Personen, die 1918 hier gelebt haben, angebracht sind. Sie zeigen unterschiedliche politische Perspektiven und Positionen auf und  verdeutlichen das Ringen um die Republik. Das Spektrum bewegt sich von Gertrud Alexander, der Journalistin, Spartakistin und Anhängerin von Rosa Luxemburgs, über Joseph Ekwe Bilé, der zusammen mit anderen Kolonialmigranten mehr politische Teilhabe für Schwarze Menschen forderte; Elly Heuss-Knapp, Lehrerin und Volkswirtin, die aktiv für das neue Frauenwahrecht warb oder Otto Dibelius, konservativer Pfarrer und späterer Bischoff von Berlin, der die neue Republik bekämpfte. Spannend sind dabei die Beziehungen zu einander, so zwischen Elly Heuss-Knapp und Otto Dibelius, die aufzeigen, dass dieGeschichte durchaus komplex ist.

Der Krieg ist vorbei, die Revolution ist da

Im Jahr 1918 war Schöneberg noch eine eigenständige Stadt und Friedenau war eine Landgemeinde. Beide gehörten noch nicht zu Berlin. Es waren überwiegend bürgerliche Wohngegenden. Seit dem Jahrhundertbeginn wohnten August Bebel, Eduard Bernstein, Karl Kautzky, Rosa Luxemburg und Hermann Molkenbuhr in diesen späteren Bezirken Berlins.Arbeiterinnen und Arbeiter wohnten auf der „Roten Insel“ und viele arbeiteten in den Goerz Werken in der Rheinstrasse.

In Schöneberg und Friedenau kam die Revolution am 10. November 1918 an. Die kriegsmüde Bevölkerung hatte den Kaiser in die Flucht geschlagen und kämpfte jetzt um politische Mitsprache. Menschen versammelten sich vor den beiden Rathäusern, um sie zu stürmen. In Friedenau zogen Arbeiter und Arbeiterinnenaus der Rüstungsindustrie, Soldatenräte und Zivilisten vor das Rathaus und forderten das Ende des Krieges und die Absetzung der verantwortlichen Politiker.  Das Rathaus wurdeeingenommen. Vom Dach weht die rote Fahneund am Abend wurde ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet.

Anders und untypisch verlief die Entwicklung in Schöneberg. Auch hier zogen Menschenmengen vor dasRathaus Schöneberg. Der Überlieferung nach wurde zwar die Büste von Reichskanzler Otto von Bismarck, als Insigne des alten Regimes,im Eingangsbereich vom Sockel gestürzt und die Rote Fahne gehisst, doch es kam nicht zur Besetzung des Rathauses. Der liberale Oberbürgermeister Alexander Dominicus verhinderte dies. In der Ausstellung finden wir sein Tagebuch, in dem er die Ereignisse am 10. November beschreibt. „Das war also gestern die große Revolution. Unheimlich schnell siegte sie hier und gleichzeitig im ganzen Reich. Völlig morsch brach der jetzige Bau zusammen.“

Seit  April 1918 wohnte Elly Heuss-Knapp mit ihrem Mann Theodor Heuss, dem späteren Bundespräsidenten und ihrem Sohn in der Fregestraße. Als Lehrerin war sie an zwei progressiven Orten beschäftigt: beim Lette-Verein und am  Pestalozzi-Fröbel-Haus. Sie gehörte nicht zu den die die Revolution begrüßten, doch sie war eine überzeugte Demokratin. Die Kuratorin der Ausstellung Johanna Strungeerläutert: „In ihren Augen war die Revolution zunächst einmal so etwas wie eine Katastrophe.“ Gemeinsam mit anderen Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung nutze sie die neuen Chancen zur Einführung des Frauenwahlrechts. Sie beteiligt sich aktiv am Wahlkampf, kandidierte selbst für die Nationalversammlung und forderte Frauen auf, von ihrem neuen Recht Gebrauch zu machen. Ihr Slogan lautete: „Frauen werbt und wählt, jede Stimme zählt, jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt!“

Wahllokal in der Barbarossastraße, Januar 1919, Foto-Archiv der Museen Tempelhof Schöneberg

Eine sehr kompakte Ausstellung. Die die unterschiedlichen Facetten das Leben und den Aufbruch nach 1918 darstellt. Die visuellen fotografischen Lücken, wie die die Menschenmengen mit roten Fahnen vor den Rathäusern sind durch große Zeichnungen überbrückt worden. Schlaglichter wirft die Ausstellung noch auf  das bis in die 1920er Jahren entwickelt neue Frauenbild. Durch die Aufhebung der  Reglementierungen von 1914 entstand besonders im Schöneberger Norden eine ausgelassene  Vergnügungskultur mit Bars, kleinen Lokalen und Tanztreffs. Es entstanden zahlreiche Homosexuellen-  und Transvestiten-Lokale. Das bekannteste war „Eldorado“ in der Motzstrasse.  Swing und Jazz lagen in der Luft. In der neuen Freiheit wurde ausgelassen gefeiert. Auch wird die Alltagsgeschichte in derKolonialmetropole Berlin beleuchtet. Darüber hinaus bietet die Ausstellung Raum für eigene Gedanken wie die Revolution bis heute nachwirkt. 

Die Ausstellung endet mit dem Kapitel „Bedrohung und Rettung der Republik“.  Zwar werden die rechtsradikalen und antidemokratischen Kräfte erwähnt, doch scheint mit dass der Ausstellung am Ende des Krieges aufflammenden Antisemitismus zu wenig beleuchtet. Im Laufe der kurzen Dauer der Weimarer Republik fielen ihm viele demokratische und linke Politiker sowie Repräsentanten der jüdischen Gemeinde zum Opfer. Die Militärführer der kaiserlichen Armee beförderten diesen gegen Juden,  die Linke und die Republik gerichteten Antisemitismus. Eigentlich, so ihre Parole, hätte die deutsche Armee den Krieg gewonnen, nur Juden und Kommunisten hätten durch eine Revolution im Rücken der deutschen Armee den Sieg vereitelt. Das erste Opfer dieser antisemitischen Parolen wurde die als „blutige Rosa“, als „Jüdin Luxemburg“, als „Flintenweib“ und „Galizierin“ sowie „vaterlandslose Hure“  geschmähte Rosa Luxemburg, die wegen ihrer Aufrufe an die deutschen Arbeiter, den Waffendienst zu verweigern, fast die ganze Dauer des Krieges im Gefängnis gesessen hatte.[1] Von diesem sich seit dem Ende des Krieges immer weiter ausbreitenden Antisemitismus, den die Führer der kaiserlichen Armee aber auch viele andere verfochten, geht die Ausstellung über zu der Situation heute und lädt zur Reflexion ein. [2]

Auf einen Blick

Was: Revolution 1918/19 – Schöneberg ringt um Demokratie
Wann:  07. Juni bis 11. November 2018
Öffnungszeiten: Samstag bis Donnerstag zwischen 14:00 und 18:00 Uhr sowie freitags zwischen 09:00 und 14:00 Uhr.

Wo: Schöneberg Museum
Eintritt:  kostenfrei

Adresse: Schöneberg Museum, Hauptstraße 40 /42, 10827 Berlin  Tel. 030 – 90277 6163

Weitere Informationen zur Ausstellung und zum Begleitprogramm

Fotos: Yvonne de Andrés

[1] Siehe zu Rosa Luxemburgs Beziehung zur jüdischen Religion den Artikel von Ludger Heid in der Jüdischen Allgemein: https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/244
[2] Siehe zum Antisemitismus während des 1. Weltkrieges und danach: Léon Poliakov, Geschichte des Antisemitismus, Band VIII, Frankfurt 1988, S. 7ff.