„Der Wille wird gestählt und die Tatkraft gestärkt“

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Eine Ausstellung beleuchtet die Geschichte des jüdischen Sports… 

Von Jim G. Tobias

„Im ersten Moment könnte man denken Leibesübungen, Turnen, kurzum der Sport ist was Universelles, da zählt nur die Leistung, da ist jeder gleich.“ Mit diesen Worten leitet die Kuratorin Jutta Fleckenstein ihre Führung durch die neue Ausstellung „Never Walk Alone“ des Jüdischen Museums München ein. Doch schnell macht die Museumsmacherin klar, dass es beim Thema „Juden und Sport“ auch immer um Identitäten, Zugehörigkeiten und Ausgrenzung geht.

Seit Friedrich Ludwig Jahn im 19. Jahrhundert die deutsche Turnerbewegung ins Leben rief, nahm die Sportbegeisterung in Deutschland immer mehr zu. Getreu dem Motto „Mens sana in corpore sano“ sollten die Leibesübungen zur physischen und moralischen Ertüchtigung führen. Der Sport wurzelte aber auch in der deutschen Nationalbewegung und diente der Pflege einer vaterländischen Gesinnung. Das assimilierte deutsche Judentum wollte dabei nicht abseits stehen und die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Integration und dem damit verbundenen sozialen Aufstieg nutzen. Doch schon bald diskutierten die Sportkameraden „germanischer Herkunft“, ob jüdische Mitglieder überhaupt zu akzeptieren seien.

„Durch diese Diskriminierung, aber auch begeistert vom aufkommenden Zionismus, wurden nun jüdische Vereine ins Leben gerufen“, erklärt Jutta Fleckenstein. Der erste Klub, Bar Kochba Berlin, gründet sich schon 1898. Auslöser war Max Nordau, der auf dem zweiten Zionistischen Kongress gefordert hatte: „Wir müssen trachten, wieder ein Muskel-Judentum zu schaffen. Wieder! Denn die Geschichte bezeugt, dass es einst ein solches gegeben hat“, rief er den Delegierten zu. „Bar Kochba war ein Held, der keine Niederlage kennen wollte.“

„Konnten Sportler jüdischer Herkunft nun durch ihr Sichtbarwerden auf dem sportlichen Feld vorhandenen antisemitischen Vorurteilen entgegentreten?“ Diese und die Fragen hinsichtlich Zugehörigkeit und Positionierungen der Sportler in den weit über 100 Jahren jüdischer Sportgeschichte, wirft die Kuratorin im Begleitband und in der Ausstellung „Never Walk Alone“ auf und sie lässt keine unbeantwortet.

Jutta Fleckensteins „historische Bewegungsstudie“ ist eine ungewöhnliche Museums-Installation: Der Besucher betritt ein Fußballfeld, auf dem lebensgroße Figuren an Stangen, ähnlich eines „Kickers“, montiert sind. Zu erkennen sind lustigerweise die deutschen Fußballspieler Jerome Boateng, Manuel Neuer oder der brasilianische Starkicker Neymar. Die teilweise durchsichtigen Stangen dienen auch als röhrenförmige Vitrinen, in denen die Exponate wie Fotoalben, Pokale, Briefe, Fanartikel, Sportgeräte, Filme oder Audiostationen präsentiert werden.

Sportlich: eine Ausstellung auf dem Fußballfeld, Foto: Jüdisches Museum München

So erfolgreich jüdische Sportler in ihren Disziplinen auch waren, so schwierig war es doch, sich auf Dauer zu behaupten und Anerkennung zu finden. Während die Zionisten ihre Zukunft in Erez Israel sahen, fühlten sich doch viele deutsch-jüdische Sportler auch noch im Nationalsozialismus ihrem Heimatland verbunden. „Hierfür steht das Schicksal der Hochspringerin Gretel Bergmann“, erklärt Jutta Fleckenstein. „Obwohl sie die Qualifikation für die Olympiade in Berlin schaffte, wurde sie von den Spielen ausgeschlossen.“ Bergmann konnte sich in die USA retten. Der Fußball-Nationalspieler Julius Hirsch wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Aber auch die Schicksale weniger bekannter Sportler werden beleuchtet. Der Kunstturner Emil Farkas war ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt worden, wo er im „Schuhläuferkommando“ stundenlang auf einer eigens eingerichteten Prüfstrecke neue Materialien für Schuhe testen musste. Das tägliche Pensum betrug bis zu 48 Kilometer, zum Teil mit schwerem Gepäck. Anschließend wurden die Verletzungen an den Füßen der Testpersonen begutachtet, daraus Rückschlüsse für Passformen gezogen und Schuhleisten etwa für Militärstiefel angefertigt. Eines dieser Modelle ist in der Ausstellung zu sehen. Emil Farkas überlebte die Torturen. Er übersiedelte 1949 in den Staat Israel, wo er weiterhin seinen geliebten Sport ausübte und es sogar in die Riege des israelischen Nationalteams schaffte.

Dass der Sport auch für viele Shoa-Überlebende eine wichtige Funktion auf ihrem Weg zurück ins Leben innehatte, wird anhand der Aktivitäten in den Displaced Persons (DP) Camps gezeigt. Dort organisierten sich Leichtathleten, Fußballer und Boxer. Durch die Körperkultur sollte die Jugend „im Geiste von Stärke, Heldenmut, Gesundheit und allgemeiner physischer Vorbereitung“ erzogen werden. Lieblingsport war der Fußball. Über 80 Liga-Mannschaften nahmen an den Wettkämpfen teil. Das Endspiel um die Jüdische Meisterschaft 1947 fand im November 1947 im Grünwalder Stadion vor über 5.000 begeisterten Zuschauern statt. Doch die Zionisten favorisierten das Boxen, weil bei diesem Sport ihrer Ansicht nach „Schnelligkeit, Ausdauer, Kaltblütigkeit, Kampfeslust, Siegeswillen und das Schönste: der Heldenmut“ entwickelt wird. „Nach dem großen Unglück unseres Volkes“, so ihre Forderung, „muss Boxen bei uns zu einem Massensport werden, weil es die Bedeutung von Selbstverteidigung hat.“

Vom 27. bis zum 29. Januar 1947 versammelten sich im Cirkus Krone über 60 Faustkämpfer zur Ersten Jüdischen Boxmeisterschaft. Von diesem sportlichen Großereignis zeugen einzigartige historische Filmaufnahmen. Der Boxer Hertzko Haft aus dem DP-Camp Deggendorf wurde Meister im Schwergewicht und erhielt eine Apollo-Statue mit der Inschrift „ Far dem bestn jidiszn Bokser, Minchen Januar 1947“ überreicht. Haft emigrierte anschließend in die USA, wo er eine vielversprechende, aber kurze Boxerkarriere begann, die mit einer schmachvollen Niederlage gegen Rocky Marciano, den späteren Schwergewichts Champion endete.

Die Ausstellung „Never Walk Alone“ ist eine äußerst interessante, lehrreiche und innovative Schau, beachtenswert in der Umsetzung und vortrefflich hinsichtlich der Exponate. Der grafisch ansprechende, reichbebilderte Katalog ergänzt den Museumsbesuch fachkundig – mit vertiefenden Essays, biografischen Skizzen und einem Verzeichnis aller Exponate.

Die Ausstellung ist noch bis zum 7. Januar 2018 zu sehen, Dienstag – Sonntag von 10-18 Uhr.

Jüdisches Museum München
Sankt-Jakobs-Platz 16, 80331 München

Bild oben: Ernst Emanuel Simon vom Berliner Klub Bar Kochba (August 1919), Foto: Jüdisches Museum München

Jutta Fleckenstein/Lisa-Maria Tillian-Fink (Hg.), Never Walk Alone – Jüdische Identitäten im Sport, Berlin 2017, 240 Seiten, 24,90 €, Bestellen?