Die Juden in Laa an der Thaya – Eine Spurensuche

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Laa an der Thaya ist eine Kleinstadt in Niederösterreich. Etwa 4500 Einwohner hat die Schulstadt, die direkt an der Grenze zu Tschechien gelegen ist. Hier bin ich geboren und habe mehr als die Hälfte meines Lebens verbracht. Doch nicht nur ich bin in Laa a. d. Th. aufgewachsen, sondern auch viele Menschen, die heute auf der ganzen Welt verstreut leben und viele, deren Existenz von zu vielen heutigen Einwohnern der Stadt totgeschwiegen wurde…

Von Magdalena Nagel

Es begann alles durch einen Zufall – oder vielleicht sollte ich es besser einen Glücksfall nennen. Ich war gerade 16 Jahre alt geworden, als ich eines nebligen Septembernachmittags vor dem Fernseher saß. Plötzlich wurde in ORF2 ein wenige Minuten dauernder Pausenfüller mit dem Titel „Synagogen in Niederösterreich“ gesendet. Der Titel machte mich neugierig. Plötzlich stand da jener Satz, der wie ein Blitz einschlug und mein Leben verändern sollte wie nichts vorher oder später. Ich las „Synagoge von Laa an der Thaya“. Es war kaum zu glauben! Ich fragte meine Mutter und Großmutter (beide 1937 und 1955 in Laa a. d. Th. geboren) doch auch sie hatten noch nie vorher von einer Synagoge oder einer jüdischen Gemeinde – die doch einmal ein Teil von Laa gewesen war – gehört. Dies mag merkwürdig erscheinen, doch es ist eine Tatsache, daß in Laa a. d. Th. verbreitet wurde, daß es hier niemals eine jüdische Gemeinde gegeben hätte. Jene, die sich nicht mit dem nationalsozialistischen Gedankengut identifiziert haben, hatten (zu) lange Zeit Angst, über die Vertriebenen, in alle Winde Zerstreuten und Ermordeten zu sprechen. Wieso sollten sie auch – niemand schien sich dafür zu interessieren.

Von diesem Tag an begann ich Fragen zu stellen und ich habe bis zum heutigen Tag nicht damit aufgehört.

In den 64 Jahren die zwischen der Vertreibung des jüdischen Teils der Laaer Bevölkerung und dem Beginn meiner Recherchen vergangen waren, hatte niemand versucht irgendwas über die jüdische Gemeinde herauszufinden. Das bedeutet, daß ich mich nicht auf publizierte Abhandlungen stützen kann. So mache ich mit Leuten Interviews, die als Mitglied der Laaer jüdischen Gemeinde aufgewachsen sind, sowie heutigen Laaern, die bereit – oder sollte ich sagen mutig genug – sind mir zu erzählen an was sie sich erinnern.

Dokumente über die Laaer jüdische Gemeinde sind leider kaum vorhanden, doch ich konnte in 3 Büchern wenige Zeilen zu diesem Thema finden. Eines davon möchte ich zitieren, denn es versetzt uns ins Mittelalter. Am „8. Juli 1277 bestätigte König Rudolf der Stadt L. alle Rechte und Freiheiten, die sie von den Herzogen Leopold und Friedrich erhalten hatte, darunter … viertens: Darüber verleihen wir und geloben, daz ein jud in der stat gesessen, mit anderen juden nicht dien, sundern daz er nach der vordern gewohnheit in unserer burger dinst beslossen sei.“[1]

Die anderen Ereignisse, die von der Existenz einer jüdischen Gemeinde berichten, sind allerdings alles andere als gut: es handelt sich hierbei um „Judenverfolgungen 1294 und 1337″[1].

1337 verbreiteten sich Judenverfolgungen wie ein Lauffeuer. „In Deggendorf, Bayern, wurden die örtlichen Juden 1337 der Hostienschändung beschuldigt. Die ganze Gemeinde wurde niedergemetzelt. Die Leichen der toten Juden wurden verbrannt und ihr Habe wurde unter den Mördern verteilt. Nach dem Gemetzel in Deggendorf verbreiteten sich die Judenverfolgungen über ganz Bayern, Böhmen, Mähren und Österreich.“[2]

So verschwand die Anzahl der Mitglieder der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde von Laa an der Thaya, die Namen und alle anderen Informationen über das Leben der Menschen im Dunkeln des Vergessenseins.

Es scheint als hätte es in den nächsten 500 Jahren keine jüdische Gemeinde in Laa a. d. Th. gegeben. Zumindest ist sie in keinen Dokument erwähnt, das mir bekannt ist.

Einer der ersten Juden, der sich in Laa a. d. Th. wieder ansiedelten war Bernhard Drill. Er wurde am 14. Juni 1838 in Nikolsburg (heute Mikulov – Tschechien) geboren. Am 8. Februar 1863 heiratete er die um 4 Jahre jüngere Hanni Toch in seiner Geburtsstadt und nicht lange nach der Hochzeit übersiedelte das junge Paar nach Laa a. d. Thaya. Wahrscheinlich hat vor ihnen schon eine jüdische Familie mit dem Namen Schweinburg in Laa a. d. Th. gelebt, doch es war mir unmöglich genauere Lebensdaten dieser Familie zu finden.

Geboren und aufgewachsen in Nikolsburg, seine Heirat in der alten Heimat und dann die Übersiedlung in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – das macht Bernhard Drill zu einem typischen Beispiel für die ersten Juden, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts nach Laa a. d. Th. kamen. „Erst nach 1830 setzte sich der auch schon vorher in Einzelfällen nachweisbare Geist des Liberalismus in der Bürokratie … durch … Zum Durchbruch verhalf ihm zunächst des Revolution von 1848.“[3] Somit war die gesetzliche Verbesserung der Lage der Juden in Niederösterreich eingeleitet, was man als Voraussetzung für die ersten Übersiedelungen nach Laa ansehen kann. Mähren hatte einen hohen Anteil jüdischer Bevölkerung, doch dort zu leben bedeutete sehr oft das Leben in der Enge eines Gettos. Laa a. d. Th. ist nur 30 km von Nikolsburg entfernt, doch Laa bedeutete mehr Freiheit und eine bessere wirtschaftliche Lage für Juden.

Die Anzahl von jüdischen Familien, die sich in Laa a. d. Th. niederließen wuchs schnell. Im Jahre 1900 lebten mehr als 30 jüdische Familien in der Stadt mit 4500 Einwohnern. Im Jahre 1938 konnte die jüdische Gemeinde etwa die selbe Anzahl von Familien zählen.

Doch bevor ich mich diesem dunkelsten Teil der österreichischen Geschichte zuwenden will, möchte ich ein Bild vom Leben vor der Machtübernahme durch die Nazis zeichnen.

Die meisten der Laaer Juden waren Kaufleute. Sie hatten kleine Geschäfte für Kleidung, landwirtschaftliche Produkte und alles was die Menschen fürs alltägliche Leben benötigten. Die meisten Rechtsanwälte waren jüdisch. Es gab auch eine jüdische Frau, Karolina Broda, die Klavier und Zither unterrichtete und bei der viele Laaer Kinder eines der Instrumente erlernt haben. Weiters gab es 3 Fabriken, die Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gehörten. Ebenso waren viele der beliebtesten Pferde- und Viehhändler Juden. Laa a. d. Th. wurde in dieser Zeit zu einer wirtschaftlich wichtigen Stadt und die Mitglieder der jüdischen Gemeinde haben ohne Zweifel einen großen Teil zu dieser Tendenz beigetragen.

Es war eine Zeit der kleinen Freuden. Hilda Drill, die als Mitglied der Laaer jüdischen Gemeinde aufgewachsen ist, schrieb: „Wir hatten ein schönes Familienleben. Wir wohnten bescheiden, meine Eltern waren nicht reich, aber versuchten uns viel zu bieten. Wir lernten Klavier, durften öfters unsere Verwandten in Wien besuchen. Wir waren jeden Freitag abends bei unserem Onkel und unsere Tante. So ein fröhliches Familienbeisammensein!“

Viele der jüdischen Männer waren im 1. Weltkrieg als Soldaten an der Front. Einige von ihnen wurden auch mit Orden wie dem Goldenen Verdienstkreuz am Bande der Tapferkeitsmedailie oder der Militärverdienstmedailie am Bande des Militärverdienstkreuzes ausgezeichnet. Sie waren voll Patriotismus dazu bereit für ihr Land zu kämpfen und Verwundungen davonzutragen. Doch auch die jüdischen Frauen dienten ihrem Vaterland. Es gab in Laa ein Lazarett für verwundete Soldaten. Die meisten der Krankenschwestern waren Freiwillige und viele der Frauen gehörten der jüdischen Gemeinde an.

Rabbi Kohen und später Rabbi Fischhof betreuten die Gemeinde in seelsorglichen Belangen. Sie leiteten die Gottesdienste; weiters unterrichteten sie die Kinder Sonntag morgens jüdische Geschichte, führten sie in die Religion ein und lehrten sie Hebräisch; außerdem wirkten sie als Schächter.

Die meisten Familien führten einen koscheren Haushalt. Doch die Zeit des ersten Weltkrieges war hart und viele waren froh irgendein Fleisch kaufen zu können. Allerdings muß festgehalten werden, daß das Aufgeben der Speisegesetze – oder Teilen davon – nicht als eine Abwendung vom Judentum in kultureller Hinsicht gewertet werden kann.

Nun einige Worte zur Synagoge: Es ist nicht völlig richtig von einer Synagoge zu sprechen, da nicht das ganze Haus diese Funktion inne hatte, doch sie wurde von der Gemeinde so genannt und so will auch ich diesen Begriff verwenden.

Das Haus steht auch heute noch, jedoch ist es völlig vernachlässigt. (Anm.: Dies hat sich seit den 90ern geändert, da das Haus renoviert wurde.) Es ist direkt gegenüber der katholischen Kirche gelegen. Im Erdgeschoß war ein Gasthaus, die Synagoge war im 1. Stock. Dieser Teil des Hauses gehörte nicht der jüdischen Gemeinde, er war gemietet. Höchstwahrscheinlich hat es schon bevor dieses Haus erbaut wurde eine Synagoge in Laa gegeben, doch das betreffende Gebäude wurde durch den Neubau eines Wohnhauses ersetzt.

Der einzige Gegenstand der Einrichtung der Synagoge, der heute noch existiert, ist eine Sammelbüchse mit der Aufschrift „Matan Beseter“, was „eine Gabe im Geheimen“ bedeutet. Meine kleine Schwester hat die ockerfarbene Büchse am – sonst völlig leeren – Dachboden des Hauses gefunden. Der Besitzer war nicht daran interessiert und so steht sie heute in meinem Zimmer.

Ich weiß nicht was mit dem Rest der synagogalen Einrichtung geschehen ist. Vielleicht wurde sie nach Prag gebracht, wo die Nazis ein „Museum einer ausgestorbenen Rasse“ errichten wollten.

So weit man mir bis jetzt in Interviews erzählt hat, hat es keinen jüdischen Friedhof gegeben. Allerdings fand ich (im bereits 1935 erschienen) Buch von Dr. Moses die Notiz: „Auch in Laa a. d. Th. wurden – jetzt allerdings nicht mehr eruierbare – hebräische Grabsteinfunde gemacht…“[5]

Auffällig ist, daß es in Laa den alten Flurnamen „Auf der Judenweide“ für ein – damals sehr sumpfiges – Gebiet in der Nähe des heutigen Gymnasiums gab. Ältere Leute aus dem bäuerlichen Milieu können sich an diesen Namen erinnern ohne jedoch einen Grund für diese außergewöhnlich Bezeichnung angeben zu können. Es ist zwar im Moment noch nichts anderes als Spekulation, doch ich wäre nicht verwundert, zu hören, daß sich an dieser Stelle einmal ein jüdischer Friedhof befunden hätte.

In Mistelbach, einer Stadt die 25 km entfernt ist, gab es einen jüdischen Friedhof, wo viele Leute aus Laa begraben wurden. Leider ist jedoch auch der Friedhof – der heute noch besteht – in keinem guten Zustand.

Nun möchte ich zur Schilderung der letzten Jahre, in der eine jüdische Gemeinde in Laa existiert hat, übergehen.

Seit Anfang der 30-er Jahre begann auch in Laa a. d. Th. die Anzahl von Nationalsozialisten zuzunehmen. Einige der Nazis versuchten die jüdischen Kaufleute vom Handel auszuschließen. Allerdings handelte es sich dabei um eine Minderheit und jene Menschen, die weiterhin in jüdischen Geschäften einkauften, und keinen Unterschied zwischen jüdischen und christlichen Freunden und Nachbarn machten, waren die Mehrheit.

Ein Beispiel für Antisemitismus in diesen frühen Jahren möchte ich zur Illustration einfügen. Hilda Drill schrieb mir:“ Auch wir hatten einen Abschlußball in 1935 und ich erinnere mich daran ganz lebhaft. Die politische Situation war schon damals sehr gegen die Juden orientiert. Wir hatten kleine Feiern in privaten Häusern schon vorher. Eine war bei uns zu Hause und eine die mir ewig in Erinnerung bleibt war in Frättingsdorf, wo eine meiner Mitschülerinnen mit Namen Gisela wohnte. Dort gab es eine Ziegelfabrik mit einem Damm wo wir zum Schwimmen eingeladen wurden. Als wir im Wasser waren wollten mich einige der Mitschüler – nachdem sie mich als Jüdin beschimpft hatten – ertränken. Die Gisela hat mich davor beschützt.“

Ebenso möchte ich aber auch anmerken, daß eine der 2 jüdisch-christlichen Hochzeiten im selben Jahr stattgefunden hat.

Der Anschluß kam für viele Menschen unerwartet. Die meisten der Laaer Juden waren in Laa geboren, hier aufgewachsen, hatten eine gute ökonomische Situation und schließlich war Laa ihre Heimatstadt. So dachten fast alle, daß es nicht so schlimm werden würde. Leider war diese Einschätzung falsch, doch wer konnte auch ahnen was folgen sollte. Nazis verbarrikadierten jüdische Geschäfte und markierten sie durch Plakate mit der Aufschrift „Kauft nicht bei Juden“. Karola Österreicher schreibt: „Karl Breiner arisierte das Geschäft. Vermögen mußte abgegeben werden an Herrn Albert, der unser Warenlager ausräumte. Er bekam den Schlüssel der Eisenkasse vom Geschäft, wo sich auch der Schmuck befand. Das Geschäft räumte Familie Anton aus, tagelang. Sie hatten auch ein Kleidergeschäft.“[6]

„Meldung der „Laaer Nachrichten“ betreffend Arisierungen in Laa a. d. Thaya, 26. 8. 1938

Laa. (Arisierungen.) Donnerstag wurde das Haus des Juden Bloch an Herrn Welzmüller und das Haus der Juden Heinrich Blau an die Molkereigenossenschaft verkauft. Das Haus des Juden Blau in der Erich Wohlrab-Straße erwarb Frl. Theresia Lester und das des Juden Österreicher Herr Karl Breiner, Friseur.“[7]

Es wurde mir erzählt, daß in diesen Tagen eine Frau von einem abgelegenen Gut bei Laa, wie sie es gewohnt war, in einem jüdischen Geschäft einkaufen wollte. Die Nazis hängten ihr ein Schild um und trieben sie durch Laa. Die Frau, die mir davon erzählte, fürchtet sich auch heute noch zu sehr um zu erzählen, was auf diesem Schild geschrieben war.

Die jüdischen Familien mußten ihre Läden zu lächerlichen Preisen verkaufen. Das machte es nach dem Krieg auch für jene, die sich retten konnten, schwer – um es nicht unmöglich zu nennen – ihre Häuser zurückerstattet zu bekommen oder zumindest in einem Prozeß einen fairen Kaufpreis zu erzielen. Es wurde ihnen gesagt, daß sie ja ihre Häuser verkauft hätten und somit das Recht auf ihren Besitz verloren hätten.

Auch in Laa wurden die jüdischen Bürger gezwungen die Straßen mit Zahnbürsten zu reinigen. (Anm: in der Lebensgeschichte von Dr. Felix Yokel können Sie darüber lesen)Wie es scheint waren sogar Chemikalien dem Wasser beigesetzt, daß ihre Hände verätzt werden sollten. Natürlich wurden auch Photos von diesem „Ereignis“ gemacht. Ich habe gehört, daß mach dem Krieg ein einflußreicher Mann der Stadt viele Abzüge davon aufgekauft hat, weil er befürchtete auf einem der Bilder gesehen werden zu können. Ich selbst hatte 2 solche Photos (allerdings ist der Eigentümer jemand anderer) in Händen. Der Eigentümer erlaubte mir nicht Abzüge davon anfertigen zu lassen. War es wirklich weil er Photos sammelt?

Nicht zuletzt die soziale Isolation erschwerte die Lebensumstände der Opfer des grausamen Regimes. Die meisten Nachbarn und früheren besten Freunde behandelten sie, als ob sie sie niemals gekannt hätten. Es gab auch Menschen, die ihren jüdischen Nachbarn Essenspakete über die Gartenmauer warfen als die Familie das Haus nicht verlassen durfte, allerdings sind das sehr rare Beispiele für ein wenig Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit.

Nach kurzer Zeit schon fanden sich in der lokalen Zeitung genaue Anweisungen über alltägliche Beziehungen wie den Schrift- und Geschäftsverkehr mit den jüdischen Mitbürgern.

In den „Laaer Nachrichten“ vom 13. Mai kann man folgendes lesen:

„Der Verkehr mit Juden. Es ist vielfach in bäuerlichen Kreisen noch unklar, wie sie sich gegenüber den jüdischen Beziehungen aller Art zu verhalten haben. Dazu ist folgendes zu sagen: Im Schriftverkehr mit Juden, der sich aus irgendwelchen Gründen vielleicht noch als notwendig erweist, ist blos die Anschrift zu setzen, aber keine Höflichkeitsanrede, wie z. B.: Sehr geehrter Herr Kollege, oder gar: Sehr geehrter Geschäftsfreund. Sofort nach der Adresse und dem Namen hat daher der sachliche Briefteil zu beginnen. Am Schluß des Briefes entfällt jede Höflichkeitsform, wie z.B. „hochachtungsvoll“ oder „mit deutschem Gruß“ usw. Nach Beendigung der sachlichen Briefteils als solchen ist blos die Unterschrift oder firmenmäßige Zeichnung ohne „hochachtungsvoll“ u. dgl. zu setzen. – Allerdings soll man auch nicht schreiben: „Sehr geehrter Herr Saujud!“, wie es kürzlich jemand machte. Was den Geschäftsverkehr mit Juden betrifft, so gilt folgendes: Parteigenossen ist es grundsätzlich verboten, mit Juden einen Geschäftsverkehr irgendwelcher Art zu pflegen, das heißt, der jüdische Lieferant ist mit allen zu Gebote stehenden Mitteln auszuschließen.“

Schon nach wenigen Wochen mußten die meisten der jüdischen Familien Laa verlassen. Viele gingen nach Wien oder glaubten sich in Tschechien gerettet, wo sie aber nur allzuoft von den Nazis eingeholt wurden und ihre Spur für immer verschwand.

Ignaz Drill – ein Sohn von Bernhard Drill – verließ als Letzter der jüdischen Gemeinde Laa an der Thaya. Er konnte ein wenig länger als die anderen bleiben, denn er schenkte sein großes neues Haus den Nazis unter der Bedingung, daß er in Laa bleiben könne. Es war der schlechteste Handel, den er jemals abgeschlossen hat. Er wurde im achten Transport unter der Transportnummer 559 von Österreich nach Theresienstadt deportiert. Am 26. 9. 1942 wurde er wie 2003 weitere seiner Leidensgenossen unter der Transportnummer 1807 wahrscheinlich nach Maly Trostinec [8] weitertransportiert. Der Ort und die Umstände seines Todes hat er mit in sein unbekanntes Grab – fern des Ortes, der für ihn so sehr Heimat war – genommen.

Am 23. September 1938 meldeten die „Laaer Nachrichten“:

„Laa. Judenrein! Dieser Tage sind die letzten Reste der Juden von Laa weggewandert und befindet sich nun in Laa kein Jude mehr. Laa ist somit hundertprozentig judenrein!“

Die meisten der Laaer Juden versuchten eine Einreisegenehmigung in ein anderes Land zu bekommen, doch es war schwer eine solche zu bekommen. Oft nahmen Länder nur wenige Menschen auf und Familien bevorzugten die Kinder in die sichere Fremde zu schicken oder gar in Österreich zu bleiben um nicht getrennt zu werden. Selbst die wenigen, die Verwandte in Übersee hatten konnten oft nicht auswandern, da die größere Geldsummen notwendig waren um zu garantieren, daß die Einwanderer dem amerikanischen Staat nicht zur Last fallen würden – nur wenige hatten diese Ressourcen in einer Zeit der Weltwirtschaftskriese zur Verfügung. Einige junge Burschen versuchten alleine zu fliehen. Es ist kaum zu glauben wie viel Energie diese jungen Menschen aufbrachten und wie viel Glück sie brauchen um unter den wenigen zu sein, denen es vergönnt war aus dem besetzten Gebiet zu flüchten, das jeden Tag größer wurde.

So weit es mir bekannt ist gab es in Laa nur eine einzige Frau, die jüdischen Menschen auch auf der Flucht geholfen hat. Martha Mader war von 1934 bis 1936 Erzieherin von Gerda, Erika und Kurt Maneles – drei jüdischen Kindern.

Sie hatte die Kinder sehr gern und noch wenige Monate vor ihrem Tod nannte sie die Kinder „meine Kinder“. Während des Krieges arbeitete Frau Mader als Erzieherin in England als sie ein verzweifelter Brief von Gerda Maneles und ihrer Mutter erreichte. Beide waren zu dieser Zeit auf der Flucht irgendwo in Tschechien. Wie Frau Mader in einem späteren Brief erfuhr, hatte das Geld, das sie den beiden Frauen geschickt hatte, sie gerade erreicht als sie nichts mehr zu essen hatten.

Sehr viele Mitglieder der Laaer jüdischen Gemeinde wurden deportiert und in Ausschwitz ermordet. So weit ich weiß hat von allen Verschlepten nur ein einziges Mädchen die Nazizeit überlebt. Jede dieser Geschichten ist zu tragisch um sie in Wort zu fassen und die meisten sind auch wohl in den Lagern verschwunden.

Ich möchte eine erwähnen, von der ich gehört habe. Gerda Maneles, eine junge Frau von ungefähr 20 Jahren verliebte sich während ihrer Flucht in einen tschechischen jüdischen Burschen. Sie heirateten unter den denkbar schwierigsten Umständen. Sie wurde von den Nazis gefangen genommen und in ein Lager gebracht. Sie wurde ermordet, weil sie ein Kind erwartete.

Das Jahr 1938 war das letzte, in dem eine jüdische Gemeinde in Laa existierte. Das bedeutet aber nicht, daß später nicht eine größere Anzahl jüdischer Menschen in Laa gewesen wäre. Das mag im ersten Moment merkwürdig erscheinen. Wieso nenne ich sie dann nicht eine Gemeinde und schreibe „gewesen wäre“ und nicht „sich angesiedelt hat“?

Jene Menschen kamen nicht freiwillig nach Laa a. d. Th. und die Art wie sie hier lebten war alles andere als angenehm. Um das Jahr 1934 wurden polnische und ukrainische Juden nach Laa gebracht. Wie der damalige Pfarrer Dr. Jungbauer in der Kirchenchronik notierte wurden 110 Menschen in einem kleinen Teil des Pfarrhofes einquartiert. Er selbst schreibt niemals, daß sie Juden waren, aber alle Leute, die mir davon erzählt haben, sagten, daß es sich hierbei um polnische Juden gehandelt habe. Warum sollten sie alle den selben Fehler machen, besonders da sich einige der Leute sogar an Einzelheiten oder persönliche kurze Begegungen mit diesen Menschen erinnern konnten?

Es ist unglaublich unter welchen Bedingungen die Menschen dort gelebt haben müssen. Ich kenne die Örtlichkeit und muß sagen, daß es für so viele Menschen beinahe unmöglich gewesen sein muß dort zu leben. Es gab sicherlich nicht einmal genug Platz für alle um sich auf einem Nachtlager auszustrecken. Eine meiner Interviewpartnerinnen, die zu diesem Zeitpunkt etwa 6 Jahre alt gewesen ist, erinnerte sich vor dem Pfarrhof eine der Frauen gesehen zu haben die ein neugeborenes Baby bei sich hatte, das in Zeitungspapier eingewickelt war.

Eine andere Frau sagte: “ Es stimmt, daß im Laaer Pfarrhof Juden eingesperrt waren. Es waren nicht die Laaer Juden, es waren polnische Juden. Sie trugen Davidssterne am Gewand und es waren sowohl Männer als auch Frauen und Kinder. Zu essen haben die gekochte Futterrüben bekommen. Da haben unsere Schweine fast besseres bekommen. Sie blieben hier über ein Jahr. Ich denke, als sie kamen war es Sommer. Sie haben im Ziegelwerk gearbeitet und sind als Trupp jeden Tag dort hin und zurück gegangen. Sie waren dort wo der kleine ebenerdige Pfarrhofsaal ist. Zwischen dem Gang, der in den Garten führt, und dem Pfarrhofsaal war mit Brettern ein Zaun gemacht und dahinter waren die polnischen Juden eingesperrt. Als der Krieg näher kam wurden sie weg gebracht.“

Der Pfarrer schreibt hierzu: „… wurde der Südtrakt des Pfarrhofes mit 110 Umsiedlern aus der Ukraine und Polen besetzt. Es ist schwer zu schildern was diese Maßnahmen für das ganze Haus und Personal bedeutete. Dieser Schmutz und Unrat, diese Kulturlosigkeit und die Verwüstungen im Haus lassen sich nicht wiedergeben. Endlich wurde ein Teil des alten Pferdestalles als Wasch- und Badezimmer für diese Leute eingerichtet. 800 RM die als Miete gezahlt worden sind, sind nicht so halb ausreichend für den in Haus und Garten von den Leuten angerichteten Schaden. Der Pfarrer hat die Miete zur Gänze der Kirche überwiesen. Man ist machtlos über diese Verfügungen und muß sich alle Vergewaltigungen gefallen lassen. Die 800 RM die der Pfarrer als Ersatz für den Schaden überwiesen bekam wurden ihm in die Einkommenssteuer mit einem 3 Jahre wirkenden Steuernachtrag von 1400 RM vergolten. so wurde diese Guttat dem Pfarrer von der Steuerbehörde gelohnt.“[9]

Ich denke es ist nicht notwendig den Egoismus und die Unmenschlichkeit dieses Mannes zu kommentieren, der sich sicherlich für einen frommen und guten Menschen gehalten hat.

Ich weiß nicht genau, wann diese armen, gequälten Menschen von Laa weggebracht wurden, wohin sie transportiert wurden und ob einer von ihnen überlebt hat.

Nur eine jüdische Familie kehrte nach dem Krieg nach Laa zurück. Die zwei Brüder lebten während der Woche in Laa, wo sie mit Pferden handelten. Jedoch gaben sie in den 60-er Jahren das Geschäft auf und zogen endgültig zu ihren Kindern nach Wien. Seit diesem Tag lebt im ganzen Bezirk keine Juden mehr.

Im September werden es 4 Jahre sein, seit ich meine Recherchen begonnen habe.

Ich kann mich nur allzu gut erinnern wie stolz ich nach meinem ersten Interview mit etwa 5 Namen jüdischer Familien nach Hause wanderte.

Nach nicht einmal einem ganzen Jahr war ich in Kontakt mit Karola Österreicher – einer Frau, die als Teil der Laaer jüdischen Gemeinde geboren wurde. Heute bin ich mit 14 Leuten auf der ganzen Welt in Kontakt, die in Laa aufgewachsen sind. Zwei von ihnen leben in Wien, einer in Belgien, drei in Israel, eine in Venezuela und vier in drei verschiedenen US-Bundesstaaten.

Wie ich zu jeder der Adressen gekommen bin ist jeweils eine längere und verwirrende Geschichte. Oft führt der unmöglichste Weg zu einem Ergebnis und Erfolg.

Bemerkenswert ist, daß alle ehemaligen Laaer an die ich geschrieben habe geantwortet haben und mit einen Interview einverstanden waren. Ich bin stolz darauf, sagen zu können, daß es nicht Arbeitsverbindungen blieben sondern, daß ich die Freundschaft von allen 14 gewonnen habe, was das größte Geschenk für mich ist.

Die bewegenden und wundervollsten Momente durfte ich erleben, wenn ich alte Freunde wieder zusammenführen konnte. Das geschah mehr als einmal während meiner Recherchen.

Hilda Drill schrieb einmal folgendes, das leider für alle, die flüchten konnten, lange traurige Realität war (und zum Teil natürlich auch ist): „Das ist das Schicksal der Auswanderung. Keiner wußte ob Leute lebten oder gestorben waren und wo sie ihr Leben retten konnten.“

Als ich meine Nachforschungen begann waren bloß 3 der 14 ehemaligen Laaer in Kontakt.

Die erste Verbindung, die mir zu herzustellen vergönnt war, reichte von Israel nach Australien. Karola Österreicher hatte mir die Adresse von Hilda Drill gegeben. Die beiden waren bis vor etwa 7 Jahren in Kontakt gewesen. Dann riß er jedoch ab, denn die Briefe von Karola Österreicher kamen immer wieder zurück. Nach einiger Zeit schien es sicher zu sein: die Freundin in der Ferne war entweder verzogen oder vielleicht sogar verstorben. Ich hatte keine großen Hoffnungen, daß mein Brief erfolgreicher sein würde als jene von Karola Österreicher gewesen waren. Wie groß war meine Überraschung, als ich wenige Wochen später einen Brief von Hilda Drill erhielt. Es stellte sich heraus, daß auch ihre Briefe immer wieder zurück gekommen waren. Letzten Frühling haben sie sich getroffen und ihr nächstes Treffen wird schon bald stattfinden.

Im Sommer 1992 veranstaltete „Das Jüdische Echo“ gemeinsam mit der ORF-Sendung „X-Large“ einen Aufsatzwettbewerb. Alle Jugendlichen zwischen 14 und 28 Jahren waren dazu aufgerufen Artikel zu den Themen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Nationalismus und Minderheiten, Rechtsradikalsimus, Antisemitismus sowie Zukunftsperspektiven für Österreich zu verfassen.

Zuerst wollte ich keinen Aufsatz schreiben, denn das einzige Thema, über das ich gerne geschrieben hätte wäre die jüdische Gemeinde von Laa an der Thaya gewesen und ich dachte, dies wäre eine Themenverfehlung. Letztendlich schrieb ich allerdings doch. 1000 Jugendliche schrieben Artikel, 150 wurden in der Zeitschrift veröffentlicht und von diesen wurden wiederum 20 ausgewählt, die einen einwöchigen Aufenthalt in Israel gewannen. Zu meiner großen Überraschung wurde mein Artikel nicht nur veröffentlicht, ich war auch unter den Glücklichen, die nach Israel geschickt wurden. Diese Woche war sicherlich eine der unvergeßlichsten in meinem Leben. Doch der Grund, wieso ich dies hier erwähne ist folgender: Als wir am Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv ankamen wartete dort Karola Österreicher auf mich um mich zu begrüßen. Zu dieser Zeit kannte ich sie seit etwa 10 Monaten. Seit ungefähr 2 Wochen- das heißt seit einem Brief – war ich mit Ernst Neumann (ebenfalls ein ehemaliger Laaer) in Kontakt. Ich hatte niemals gedacht, daß auch er am Flughafen sein würde. Ich schmunzle immer noch, bin aber gleichzeitig tief berührt, wenn ich mich an diese Situation erinnere. Beide leben seit über 50 Jahren in der Umgebung von Tel Aviv, wußten aber bis zu jenem denkwürdigen Tag nicht, daß bloß wenige Kilometer entfernt noch jemand wohnte, der seine Kindheit in Laa verbracht hatte. Im ersten Moment waren beide dem anderen gegenüber sehr kritisch eingestellt. Sie konnten einfach nicht glauben, daß der andere wirklich aus Laa war. Ich höre sie immer noch sagen, daß sie sich nicht vorstellen können, daß der andere wirklich aus Laa sei. Letztendlich fanden sie den Beweis in einer Cousine von Ernst Neumann, die sie beide gekannt hatten. In Laa haben sie sogar einige Jahre in zwei gegenüber liegenden Häusern gewohnt, aber anscheinend haben sie von einander niemals wirklich Notiz genommen. Das lag wohl daran, daß er um 6 Jahre älter ist als sie, was einen großen Altersunterschied ausmacht, wenn man 10 und 16 Jahre alt ist. Heute sind die beiden sehr befreundet und treffen einander oft.

Etwas möchte ich hierzu anmerken: Im September wurde Karola Österreicher Großmutter eines kleinen Buben. Ernst Neumann wurde nur 3 Tage später Urgroßvater eines Buben. Die Kleinen werden aufwachsen und einander kennen – – und eines Tages werden sie wissen, daß sie beide ihre Wurzeln in einer kleinen Stadt in Österreich haben.

Wenige Tage später war es mir wieder vergönnt alte Freunde zusammenzubringen. Ich traf mich mit Frau Österreicher und Herrn Neumann als wir unter anderem auch über alte Zeiten plauderten und Herr Neumann meinte, er würde nur zu gerne wissen ob seine gute Freundin aus Laa – Hilda Drill – überlebt hätte und wo sie heute wohl wäre. Als er als Militärattache in Singapur gewesen war hatte er gehört, daß sie sich möglicherweise in Australien aufhielt. Er hatte Jahre lang alles versucht um sie ausfindig zu machen – ohne Erfolg.

Heute sind sie wider in Kontakt und dieses Frühjahr haben sich die beiden bereits zum zweiten Mal getroffen.

Einige der ehemaligen Laaer habe ich auch schon persönlich kennenlernen dürfen.

Karola Österreicher und ihr Ehemann kommen seit 1992 jeden Sommer auf einige Tage zu mir zu Besuch. Hilda Drill wird dieses Frühjahr zum zweiten Mal die Reise von Australien nach Laa antreten. Im Herbst war ihr Enkel hier. Ernst Neumann und seine Frau waren letzten Sommer bei mir. Im April des selben Jahres hatte er mir noch geschrieben, daß er es nicht verschmerzen könnte noch einmal nach Laa zu kommen. Im selben Sommer verbrachte ich 2 unvergeßliche Wochen bei Joseph und Lilly Kolb in Kalifornien. Im Februar dieses Jahres verbrachte ich 3 ganz besondere, wundervolle Wochen bei Familie Yokel (ebenfalls in den USA). Im Laufe meines Aufenthalt hielt ich auch einen Vortrag im „United States Holocaust Memorial Museum“ in Washington der zu meiner Freunde sehr erfolgreich war und mir als Vorlage für diesen Artikel diente.

Jedes dieser Ereignisse, die ich in den letzten Zeilen erwähnt habe, würde ich als Höhepunkte meines bisherigen Lebens bezeichnen. Es gibt so viele Dinge für die ich dankbar bin, und die ich niemals vergessen werde. Immer wieder gab und gibt es so viele Ereignisse, die ich als Glanzlicht bezeichnen würde. Jeder Brief, den ich von „meinen“ ehemaligen Laaern bekomme, ist ein kleines Wunder für mich.

Es ist wichtig festzuhalten, daß viele der Vertrieben schon lange bevor ich meine Recherchen begann ihre Heimatstadt wieder aufsuchten. Wie sie behandelt wurden, sollen folgende Beispiele verdeutlichen:

Die erste Frau die ich um ein Interview bat, lehnt dies ab und sagte, daß sie nichts erzählen wolle, da sie keinen der Laaer Juden gekannt hätte und mir deshalb nichts zu sagen hätte. Hilda Drill schrieb über sie: „Meine beste Freundin während meiner ganzen Schulzeit war Marie. Ihr Bruder hieß Ada. Die verloren ihren Vater ziemlich jung und meine Eltern, die nie reich waren, halfen der Witwe mit Lebensmitteln von unserem Geschäft (Mehl, Reis, Bohnen etc.). Ada kam oft zu uns, er spielte Violine und ich Klavier. Auf einmal blieb er weg, circa 1935 und ich fragte Marie – warum ?? – bekam keine Antwort. Blöd wie ich war erkannte ich nicht, daß er ein Nazi-Anhänger geworden war. … Im März 1938 kam dann der Anschluß … Meine geliebte Freundin Marie hat mich nicht mehr gekannt. Ich verstand, daß es für sie gefährlich war, aber ich wartete vergeblich auf einen Brief von ihr oder irgendein Lebenszeichen, einen Ausdruck von Kummer oder Sorge um mich. Als ich in 1980 in Österreich auf Besuch war und Marie das erfuhr sandte sie ihre Tochter zu meinem Hotel in Wien und bat mich so sie zu treffen. Ich habe zugestimmt, aber als ich sie wirklich im Restaurant mit ihren 2 Kindern sah und sie mir als eines der ersten Dinge sagte „Jetzt haben wir endlich so gutes Essen wie ihr“ konnte ich über unsere tragische Vergangenheit nicht hinwegkommen. Es war ein ganz kurzes Wiedersehen, daß ich bis heute nicht vergessen kann.“[10]

Als Karola Österreicher, lange bevor ich geboren wurde, Laa a. d. Th. besuchte traf sie sich mit einer ehemaligen Mitschülerin. Eines der ersten Worte, die sie hören mußte, war: „Ich muß dich etwas fragen: Wieso warst du ein so schlechtes Kind für deine Eltern?“. Frau Österreicher war 1938 nicht älter als 12 Jahre gewesen. Sie verhielt sich ihren Eltern gegenüber nicht anders als es Kinder in diesem Alter zu tun pflegen. Es war sie gewesen, die hinter der Tür stehend zusehen mußte, wie ihre Eltern gezwungen wurden die Straßen in Laa zu waschen – von jenen bewacht mit denen sich die Familie der selben Mitschülerin nur allzugut zu arrangieren wußte. Es wäre Frau Österreichers Recht gewesen zu fragen: „Warum habt ihr es zugelassen, daß man meine Eltern in Ausschwitz ermordet hat?“

Ein anderer Fall: Frau Bloch ist immer sehr interessiert was in Laa vorgeht. Trotzdem findet man in ihren Briefen immer wieder den Satz „Ich könnte es nicht aushalten Laa wiederzusehen“. Welche Geschichte steht hinter diesem Widerspruch? Frau Bloch besuchte Wien etliche Male. Immer wieder wurde sie im Hotel von Laaerinnen besucht. Als sie diese auch einmal in der alten Heimatstadt besuchen wollte, sagten sie zu ihr, daß es ja viel zu hart für sie wäre Laa wiederzusehen. Die Wahrheit: sie hatten sich geschämt, mit ihr in Laa gesehen zu werden.

Wie ich schon vorher erwähnt habe besucht uns Karola Österreicher jedes Jahr. Meiner Mutter wurde von einer Arbeitskollegin darauf hingewiesen, daß sich einige alte Laaerinnen darüber aufgeregt haben, daß „wir es wagen die Juden wieder nach Laa zurückzubringen“. Nett – nicht wahr?

Was sind nun die Gefühle der ehemaligen Laaer gegenüber der Stadt in der sie das Licht der Welt erblickt haben?

Joseph Kolb ist das Beispiel für einen Mann, der seine alte Heimat über alles liebt. Einer der ersten Sätze, die er mir schrieb war: „Ja ich liebe die alte Heimat wo meine Wiege stand!“[11]

Jene, die kurz vor dem Krieg geboren wurden und so niemals erfahren haben, wie es ist, sich in Laa zu Hause zu sein, fühlen sich oft nirgends wirklich daheim und das obwohl sie heute um 60 Jahre alt sind.

Hilda Drill schrieb einmal zu diesem Thema: „Manchmal bin ich voller Sehnsucht und gleichzeitig verbittert, fast voll Haß, was man uns angetan hat.“[12] Später schrieb sie einen Satz, der am besten ausdrückt, was die meisten der ehemaligen Laaer denken:

„Wir alle liebten unsere Heimat aber nicht die Menschen, die zusahen wie man uns zu Opfern machte.“[13]

Zum Abschluß möchte ich noch festhalten, daß diese „Arbeit“ mein Leben vollkommen verändert und geprägt hat. Sie wurde ein großer und sehr wichtiger Teil meines Lebens und auch wenn die Recherchen manchmal Momente der Trauer und des Zorns darüber, wie Menschen sein können, bringt, so ist sie auch meine größte Freude geworden.

Dieser Artikel erschien im September 1996 in der Zeitschrift „David“.

Mehr auf der Webseite: www.juedisches-laa.at

[1] Hugo Gold, „Geschichte der Juden in Österreich – ein Gedenkbuch“, Tel Aviv 1971, S. 107
[2] Max Wurmbrand & Cecil Roth., „Das Volk der Juden“, Fourier Verlag,Wiesbade 1989, S. 161
[3] Erika Weinzierl, „Zu weinig Gerechte – Österreicher und Judenverfolgung 1938 – 1945, Verlag Styria, 3. unveränderte Auflage 1986, S. 16
[4] Dr. Leopold Moses, „Die Juden in Niederösterreich – Mit besonderer Berücksichtigung des XVII. Jahrhunderts“, Verlag Dr. Heinrich Glanz, Wien 1935, S. 114
[5] Brief vom 27. 10. 1992
[6] Dr. Heinz Arnberger, Dr. Christa Mitterrutzner, „Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934 – 1945 – Eine Dokumentation“, Österreichischer Bundesverlag, Wien 1987, S. 376
[7] „Totenbuch Theresienstadt“, Herausgeber: Mary Steinhauser und Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, S. 21, 2. Spalte
[8] „Gedenkbuch der landesfürstlichen Pfarre Laa“, S. 281, Eintragung über das Jahr 1943
[9] Brief vom 29. 8. 1992
[10] Brief vom 28. 11. 1992
[11] Brief vom 13. 1. 1993
[12] Brief vom 17. 10. 1993