Nachruf auf Erich Jeschajahu Figdor z“l (1934-2016), Religionslehrer der IKG München…
Von Benjamin Rosendahl
In der israelischen Fernsehserie „Shtissel“ fragt Shalom Shtissel, der Lehrer in einem Cheder ist, seinen Sohn Akiva, was auf seinem Grabstein stehen soll. Akiva schaut ihn etwas ungläubig an, und gibt schließlich die Antwort „Aw we-Mechanech“, also „Vater und Erzieher“.
Das sind die Beschreibungen, die ich auch Herrn Figdor geben würde. Erich Jeschajahu Figdor wurde 1934 in Österreich geboren. Die Familie floh 1939 nach Palästina, wurde jedoch von den Briten an der Einreise verhindert und auf einem Schiff nach Mauritius abgeschoben, wo sie fünf Jahre in einem Internierungslager verbrachte. Erst nach 1945 konnte die Familie schließlich nach Palästina einwandern. Herr Figdor diente in Israel als Offizier unter Militäroberrabiner Rav Goren. Von 1973 bis 2003 war Herr Figdor mit seiner Frau Bruria (lehibadel leChaim Tovim ve-aruchim) an seiner Seite Religionslehrer der Israelitischen Kultusgemeinde München. Meine Generation ist mit Herrn Figdor als Vaterfigur und Erzieher aufgewachsen.
Zum ersten Mal traf ich Herrn Figdor 1990, als ich 12 Jahre alt war, und er mich auf die Bar-Mitzwah vorbereite. Für mich war es auch eine Einführung in jüdische Praxis, in das tagtäglich gelebte Judentum, dass ich bis dato kaum kannte: Das gemeinsame Gebet, dass ich von null auf lernte – einschließlich dem hebräischen Alphabet – , mein erstes Paar Tefillin (Gebetsriemen), und die vielen Shabbatot, die ich – wie meine Altersgenossen – in der ersten Reihe mit ihm erlebte. Bei den Figdors war es eine Selbstverständlichkeit, jüdisch zu leben und Mitzwoth zu halten, es war dies eine Einstellung, die ich in Deutschland nie gekannt hatte.
Herr Figdor hat meine ganze Generation begleitet, oft von der Brit-Mila, aber auf jeden Fall von der Bar-Mitzwah, auf die er fast alle vorbereitet hat. Er gehörte zur Kehilla wie der Tschulent zu Shabbat und der Wein zum Kiddush. Als Religionslehrer begleitete er uns die ganze Schulzeit, von der Grundschule bis zum Grund- und Leistungskurs im Gymnasium, wo viele von uns bei ihm Abitur machten. Aber auch außerhalb der Schulbank war er immer für uns da, und man konnte mit jedem Anliegen zu ihm kommen. Als fester Bestandteil der jüdischen Gemeinde traf man ihn jeden Tag in der Reichenbachstrasse-Synagoge (später natürlich auch in der neuen Synagoge am Jakobsplatz), bei allen jüdischen Veranstaltungen und bei Feiern – bei vielen von uns war auch bei der Hochzeit gern gesehener Gast und bei der Brit der Kinder.
An ein Gespräch kann ich mich besonders erinnern: Kurz vor dem Abitur 1997 machte mein ganzer jüdische Jahrgang einen von Herrn Figdor mitorganisierten Shabbat in der jüdischen Gemeinde. Ein Gemeindemitglied sah uns nach dem Gebet alle in der ersten Reihe sitzen und meinte: „Das ist wohl die Ersatzbank des FC Bayerns?“ Herr Figdor antwortete sehr schlagfertig und treffend: „Nein, ist sie nicht. Hier sitzt die erste Aufstellung, die Starspieler der jüdischen Gemeinde!“ Diese Worte kamen aus vollem Herzen – nichts machte Herrn Figdor stolzer, als seine Schüler ihr Judentum leben zu sehen und das Gemeindeleben zu gestalten.
Am 13. August dieses Jahres verstarb Herr Figdor. Es war symbolischerweise der 9. Aw, der Trauertag der zerstörten Tempel. Er hinterlässt seine Frau Bruria, seinen Sohn Moritz-Moishi (der als Arzt in Jerusalem arbeitet) und 4 Enkelkinder. Wenn man sein Leben in zwei Worten zusammenfassen kann, dann sind es dieselben wie bei „Shtissel“: Vater und Erzieher. Das war er für uns alle.
Yihye Zikhro baruch.