Vor 75 Jahren wurden jüdische Zwangsarbeiter aus Luxemburg deportiert

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Am 17. Oktober 1941 verließ gegen ein Uhr nachts ein Zug den Hauptbahnhof in Luxemburg. Darin waren 518 jüdische Menschen, die die Nazis ins Ghetto Litzmannstadt im polnischen Łódź deportieren. Nur 15 von ihnen überlebten. 192 kamen aus dem Regierungsbezirk Trier. Unter den 326 Juden aus Luxemburg befanden sich viele, die in den Wochen vorher als Zwangsarbeiter in einem Autobahn-Arbeitslager bei Wittlich interniert waren…

Von Wolfgang Schmitt-Kölzer

Anfang Oktober 1939 erklärten die Autobahn-Behörden den Bauabschnitt in der Eifel zur dringlichsten Strecke im Bereich der obersten regionalen Bauleitung in Frankfurt/Main.  Es entstanden 18 Reichsautobahn (RAB)-Lager, in denen im Oktober 1940 etwa 5000 Dienstverpflichtete und Zwangsarbeiter interniert waren, darunter mehr als 2000 Kriegsgefangene, überwiegend aus Frankreich. Im Frühjahr 1941 kam das Projekt ins Stocken, als der „Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen“, Fritz Todt, der gleichzeitig Rüstungsminister war, fast  alle Zwangsarbeiter in die Rüstungsindustrie, aber auch in die Landwirtschaft und zu Bauprojekten in den Osten abzog. Auf Drängen von Gauleiter Gustav Simon, für den die Autobahn zwischen Montabaur und Trier/Luxemburg ein Prestigeobjekt war, erfolgte die Weiterarbeit, allerdings nur noch auf einzelnen Streckenabschnitten. Dazu internierten die Nazis verstärkt Zwangsarbeiter aus Luxemburg in die Autobahn-Lager, darunter auch Juden.

Die jüdischen Zwangsarbeiter in Greimerath

Im Sommer 1941 lebten in Luxemburg nur noch etwa 800 Juden. Es waren vor allem Familien, die sich eine Auswanderung nicht hatten leisten können oder aus Rücksicht auf kleine Kinder sowie ältere und kranke Familienmitglieder nicht hatten auswandern oder fliehen können. Durch Entlassung aus ihren Arbeitsstellen, zwangsweise Auflösung ihrer Kleinbetriebe oder durch Berufsverbot herrschte in den jüdischen Familien große Armut.

Im August begannen die Nazis, die Luxemburger Juden in einem ehemaligen Kloster im Norden des Landes in Cinqfontaines/Fünfbrunnen in einer Art Ghetto zu isolieren, zunächst die alten und kranken. Parallel dazu erfolgte die Erfassung aller arbeitsfähigen Männer bis zum Alter von 60 Jahren zur Zwangsarbeit. Acht von ihnen wurden vom Arbeitsamt der Firma Paul Würth in Luxemburg zugewiesen, 32 in die Steinbrüche bei Nennig und 54 ins RAB-Lager in Greimerath bei Wittlich geschickt und der Firma Krutwig zugewiesen. Durch die Internierung der Männer ins Reichsautobahnlager wuchs die Angst in den Familien. Zudem fehlten jetzt die Einnahmen aus Gelegenheitsjobs oder aus der Heimarbeit bei den Schneidern.

Die Nazis brachten die jüdischen Zwangsarbeiter in drei Transporten nach Greimerath. Dreizehn von ihnen hatten die luxemburgische Staatsangehörigkeit, die anderen waren nach Luxemburg ausgewanderte bzw. vor den Nazis geflohene Menschen.

Das Lager in Greimerath bestand aus zwei Mannschafts-Baracken und war für 200 Personen ausgelegt  und gehörte damit zu den kleineren. Dies kam der Absicht der Nazis entgegen, die jüdischen Zwangsarbeiter „im geschlossenen Arbeitseinsatz“, also allein arbeitenden Arbeitskolonnen einzusetzen. Zu ihrer Bewachung auf den Baustellen bei Greimerath war die SS eingesetzt.

Unmenschliche Arbeits- und Lebensbedingungen

Die Arbeitsverhältnisse und Lebensbedingungen für die  jüdischen Zwangsarbeiter waren unmenschlich. Sie mussten schwerste Arbeiten verrichten und erhielten nur den niedrigsten Tariflohn. Vom Lohn gingen Steuern, Sozialversicherung, die Kosten für Verpflegung, Unterkunft und Lagerunterhaltung ab, sodass fast nichts mehr übrig blieb.

Wie die Nazis die jüdischen Zwangsarbeiter in Greimerath behandelten und quälten, können wir einem Brief von Kurt Heumann an die Israelitische Gemeinde in Luxemburg vom 16. September 1941 entnehmen. Zu diesem Zeitpunkt war er erst fünf Tage in Greimerath und durch die Knochenarbeit bereits zerschunden. „Die Arbeiten hier sind furchtbar hart, noch härter die Bedingungen, unter denen wir sie verrichten müssen. Dieses schwere Los wird ja jetzt von vielen gemeinsam getragen. Aber für mich kommt noch ein Weiteres hinzu: Die Voraussetzungen und Grundlagen meines Berufes als Musiker, die Ausbildung der Hände, an der ich mein ganzes bisheriges Leben gearbeitet habe und von der mein zukünftiges Leben abhängt, werden durch die hier von mir geforderten Arbeiten völlig ruiniert und zunichte gemacht.“

Auch Kranke waren nach Greimerath geschickt worden. Josef Cahen war trotz eines schweren Bruchleidens vom Arbeitsamt Luxemburg bei der Reichsautobahn in Greimerath eingesetzt worden. Durch die dortige schwere Arbeit hatte sich sein Gesundheitszustand so stark verschlimmert, dass der Arzt, der nach ihm sah, erklärte, dass die Operation sehr schwer würde und Cahen anschließend nicht mehr in der Lage sein würde, „schwere physische Arbeit zu verrichten“.

Trotz mehrerer Schreiben der Israelitischen Kultusgemeinde  an den „Chef der Zivilverwaltung“ und das „Wirtschaftsamt“ bekamen die jüdischen Zwangsarbeiter in Greimerath weder Arbeitskleidung noch Arbeitsschuhe. Als sich bis Ende September in dieser Hinsicht nichts getan hatte, schrieben vier von ihnen (Jakob Hirschkorn, Karl Juda, Walter Kallmann und Berthold Kaufmann) einen gemeinsamen Brief an das israelitische Konsistorium bezüglich der Zusendung von Bezugsscheinen für Arbeitskleidung und Arbeitsschuhe. Auch diese Aktion blieb ohne Erfolg.

Flucht und Fluchtversuche

Da die Arbeits- und Lebenssituation immer unerträglich wurde, versuchten einige Luxemburger Juden aus dem Lager Greimerath zu entkommen. Während  Karl Juda die Flucht gelang, war ein weiterer Fluchtversuch leider nicht erfolgreich. Im Tagesrapport Nr. 66 der Staatspolizeistelle Trier (Stapo) ist vermerkt, dass am 03. Oktober 1941 fünf der jüdischen Zwangsarbeiter einen Fluchtversuch von der „Reichsautobahn“ unternommen hatten – Paul Hirsch, Max Hirsch, Michel Levy, Walter Michel und Edmund Marx. Sie wollten nach Luxemburg zurück, wurden aber bei diesem Fluchtversuch festgenommen.

Die weiteren Leidenswege der Greimerather Zwangsarbeiter

Im September 1941, also in der Zeit, in der die jüdischen Zwangsarbeiter aus Luxemburg in Greimerath waren, entschieden die Nazis, die Auswanderung der Juden zu stoppen und mit den Deportationen in den Osten zu beginnen.

Gauleiter Simon setzte alles daran, diese Regelung auch in Luxemburg schnell umzusetzen. Das Einsatzkommando der Sicherheitspolizei erstellte „Durchführungsbestimmungen“ für den ersten Transport nach Litzmannstadt, die die Israelitische Kultusgemeinde am 07. Oktober 1941 an ihre Mitglieder weitergeben musste  und eine Liste mit den Namen von 374 Luxemburger Juden, die deportiert werden sollten.

Dass letztlich etwa 50 Luxemburger Juden weniger als von den Nazis geplant in diesem Transport des 17. Oktobers waren, hängt damit zusammen, dass sich viele buchstäblich in letzter Sekunde retten konnten. Wie durch ein Wunder konnte ein letzter Auswandererkonvoi Luxemburg am 15. Oktober in Richtung Lissabon verlassen. Mit dabei waren sechs Juden, die vorher im Lager Greimerath waren: Karl Abraham, genannt Charles Brahms, Josef Cahen, Fritz Erich Hanau, Heinrich Kuliasko, Bernhard Levy, Leo Levy. Der überwiegende Teil der in Greimerath Internierten stand auf den Listen der Nazis des Transportes nach Litzmannstadt. Aus Quellen des Nationalarchivs in Luxemburg ergibt sich, dass die meisten zwischen dem 04. und 11. Oktober 1941 nach Luxemburg zurückgebracht wurden, die letzten am 21. Oktober.

Die Bilanz des Terrors

Auch wenn Zahlen das Leid der 54 jüdischen Zwangsarbeiter, die in Greimerath interniert waren, nicht wiedergeben können, seien sie dennoch genannt:

Deportation nach Litzmannstadt (29), Deportation nach Auschwitz (2), Deportation nach Theresienstadt (2), Deportation nach Buchenwald (1), Deportation nach Mauthausen (1), Deportation nach Hinzert (1), an bisher nicht bekannten Ort deportiert (1), nach Belgien geflüchtet (4), nach Amerika emigriert (6), durch Flucht aus Greimerath gerettet (1), durch „Mischehe“ verschont (4), durch Krankheit der Deportation ‚entgangen’ (1), Leidensweg nicht bekannt (1).

Zum Abschluss sollen die Lebenswege von drei Zwangsarbeitern aus Greimerath nachgezeichnet werden:

Jakob Finkelstein Foto: Archives Communales Differdange
Jakob Finkelstein Foto: Archives Communales Differdange

Jakob Finkelstein

Geboren am 03. April 1904 in Lublin/Polen, ermordet 1942 in Chelmno.

Jakob Finkelstein war von Beruf Friseur-Meister, meldete sich am 04. Juli 1928 in Differdingen an und heiratete dort am 17. Dezember 1928 Perla Langwajz.

Er übernahm den Friseursalon seines Bruders, der sein Geschäft nach Esch/Alzette verlegte. Beim Einmarsch der Nazis im Mai 1940 wurde die Familie, die inzwischen zwei Kinder hatte – Rachel Roma (geb. 1932) und Julius Isidor (geb. 1935) –  in die Gegend von Wiltz evakuiert und kehrte im Juni zurück. Ab 17. September 1941 war Jakob Finkelstein an der Reichsautobahn interniert.

Am 17. Oktober 1941 deportierten die Nazis die gesamte Familie Finkelstein und auch Esther, die Mutter von Jakob, ins Ghetto Litzmannstadt. Esther starb am 16. April 1942 im Ghetto, Jakob kam vermutlich mit  den anderen Mitgliedern der Familie im Frühjahr 1942 in die Gaskammern des Vernichtungslagers Chelmno. Möglicherweise ist Tochter Rachel 1944 in Theresienstadt ermordet worden.

Kurt Heumann
Bild oben: Familie Heumann 1941 Foto: Léonore Schütz-Heumann (Luxemburg)

Geb. 17. Mai 1902 in Aachen, ermordet am 07. August 1942 in Mauthausen

Kurt Heumann kam in Aachen als Sohn des in Fürth geborenen Kaufmanns Salomon Heumann und Thekla Heumann geb. Rosenthal zur Welt. Er studierte in Köln Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie sowie am dortigen Konservatorium „Klavierspiel und Direktion“. Anfang 1932 war er als Chordirigent am Stadttheater Meißen tätig. Nach einem Engagement in Bad Orb emigrierte er im Oktober 1933 von Deutschland nach Luxemburg und war zunächst am Stadttheater als zweiter Kapellmeister tätig. Am 02. Dezember 1933 heiratete er in Luxemburg Maria Tünsmeyer aus Köln, geboren am 17. Januar 1907 in Koblenz, von Beruf Sozialpädagogin. Sie war katholisch. Auch Maria war sehr musikalisch, sie lernten sich kennen, als Kurt ihr Klavierunterricht gab. Das Ehepaar bekam zwei Kinder – am 12. Januar 1936 Johann Sebastian Günter und am 18. April 1940 Tochter Léonore, die beide katholisch getauft wurden. Als der Vertrag von Kurt Heumann am 28. Februar 1934 auslief, war er als Korepetitor tätig, gab Klavierunterricht und schrieb musikwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften. Als Glückfall erwies sich später sein Engagement beim Düdelinger Arbeiter-Gesangsverein. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges stellten die Gesangvereine ihre Aktivität ein. Kurt Heumann fand eine Anstellung im Café Cirelli in Düdelingen und hatte einige Privatschüler.

Vom 11. September bis 11. Oktober 1941 war er im Reichsautobahn-Lager in Greimerath bei Wittlich interniert. Zurück in Luxemburg wurde Kurt Heumann nach einer Denunziation am 18. Juni 1942 verhaftet, weil er sich neun Jahre zuvor in einer deutschen Behörde angeblich „ungebührlich“ verhalten hatte. Nach seiner Inhaftierung im Gefängnis Luxemburg-Grund vom 21. Juni 1942 bis 04. Juli 1942 wurde er nach Hinzert gebracht und am 01. August 1942 ins KZ-Mauthausen deportiert, dort nach wenigen Tagen am 07. August angeblich auf der Flucht erschossen.

Maximilian Gold

Geboren am 02. Februar 1900 in Wien, gestorben am 27. November 1961 in Teheran.

Max Gold war von Beruf Sportlehrer. In den 1920er Jahren war er in Wien ein bekannter Fußball-Profi, spielte in der Nationalmannschaft und errang in der Saison 1924/25 mit der Mannschaft Hakoah Wien, einem jüdischen Sportverein, die österreichische Meisterschaft der Profiliga und erzielte in dieser Saison elf Treffer.

Im Frühjahr 1926 wurde das Meisterteam in die USA eingeladen und absolvierte in New York zwei Spiele, eines vor 46 000 Zuschauern. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre spiele Max Gold in verschiedenen New Yorker Mannschaften. Nach dem verletzungsbedingten Ende seiner Karriere war er u.a. Manager von Maccabi Chicago  und Betreuer der Nationalmannschaft Litauens und Lettlands. In dieser Zeit lernte er vermutlich seine spätere Frau kennen. Im Jahre 1938 emigrierte er mit ihr nach Luxemburg  und trainierte ab September desselben Jahres die Mannschaft von Jeunesse Esch.

Die Mannschaft von Jeunesse Esch und ihr neuer Trainer Max Gold (stehend, ganz rechts) im September 1938. Foto aus A-Z, Luxemburger illustrierte Wochenschrift, 25. September 1938
Die Mannschaft von Jeunesse Esch und ihr neuer Trainer Max Gold (stehend, ganz rechts) im September 1938. Foto aus A-Z, Luxemburger illustrierte Wochenschrift, 25. September 1938

Am 17. August 1940 kam Tochter Erika in Luxemburg zur Welt. Maximilian Gold war vom 04. September bis 11. Oktober 1941 im RAB-Lager Greimerath. Nach seiner Rückkehr nach Luxemburg erhielt er am 17. November 1941 eine Anordnung der Gestapo zu zweimonatiger Zwangsarbeit in Cinqfontaines/Fünfbrunnen – Fundamentarbeiten für Baracken – „zur Konzentrierung aller Juden“. Danach sollte die Familie Gold in Cinqfontaines/Fünfbrunnen interniert werden. Am 23. April 1942 vermerkte die Gestapo in ihrer Kartei, dass es Max Gold und seiner Familie gelungen war, unterzutauchen. Die Bemerkung auf der Kartei-Karte der Luxemburger Gestapo „fort, unbekannt wohin“ zeigt, dass  ihr die Familie spurlos ‚entwischt’ war. Zum Hintergrund:

Die luxemburgischen Widerständler Eugène Thomé und René Künsch hatten der Familie Gold geholfen, bei Rodange-Athus, über die belgische Grenze zu kommen.

foto4Maximilian Gold überlebte, wohnte nach dem Zweiten Weltkrieg für kurze Zeit wieder in Luxemburg und ging nach Wien zurück. Am 06. Dezember 1961 fand die Beerdigung von Max Gold auf dem Wiener Zentralfriedhof statt. Vorausgegangen war ein tragischer Unfall in Teheran – als Manager der schwedischen Meisterelf Malmö begleitete er diese auf einer Reise, auf der sie in Teheran, Bagdad und anderen Städten spielen wollten. Im Hotel öffnete Max Gold die Tür zum Aufzugsschacht – die Kabine hielt in einem höheren Stockwerk – und er stürzte in die Tiefe und starb.

Seit Mai ist die reich bebilderte Publikation: Bau der „Reichsautobahn“ in der Eifel (1939-1941/42) – eine Regionalstudie zur Zwangsarbeit im Buchhandel. Ein umfangreiches Kapitel ist den jüdischen Zwangsarbeitern aus Luxemburg gewidmet. Zum Buch steht eine Leseprobe zur Verfügung, sowie eine Facebook-Seite