Visionen aus dem Inferno

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NS-Dokumentationszentrum Muenchen - Adolf Frankl - Kunst gegen das Vergessen

Aus der Ferne betrachtet, bestechen die Gemälde, die das Münchner NS-Dokumentationszentrum jetzt im Rahmen seiner Reihe „Kunst gegen das Vergessen“ zeigt, durch ihre starke  Farbigkeit, eine Farbigkeit, die alle Blicke auf sich lenkt. Man denkt an Blumenkompositionen oder an ein Feuerwerk, das seine explosive Energie freigibt. Oder auch an Figuren in einem Tanzrausch begriffen…

Von Anna Zanco-Prestel
Bild oben: Blick in die Ausstellung (Foto: Orla Connolly)

Die Illusion ist aber nur von kurzer Dauer und verflüchtigt abrupt, wenn man – wie erschlagen – vor dem Bild steht.  Stummes Entsetzen macht sich breit. Denn die farbenprächtigen Kompositionen  sagen unvermittelt aus, was die Bildunterschriften und die begleitenden ausführlichen Beschreibungen näher erklären. Sie zeigen in aller Deutlichkeit, was Menschen, Millionen von Menschen, am eigenen Körper erleiden mussten, wenn sie in jene Vernichtungsmaschinerie gerieten, die man „Holocaust“, oder  –  treffender – nach dem gleichnamigen Film von Claude Lanzmann – „Shoah“ nennt.

Der 1903 in Bratislava geborene Maler Adolf Frankl war einer von ihnen, eine Nummer unter vielen, die plötzlich und ohne jeglichen rationalen Grund von allem Hab und Gut, vor allem aber seiner Identität beraubt wurden, um Teil einer amorphen Gruppe zu werden.

Das Schicksal wollte, dass ein begabter Künstler die grausame Erfahrung des perfekt organisierten Massenmordes teilen musste und dass er überlebte. Um später zum unerbittlichen Augenzeugen der Geschehnisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zu werden. Um Zeugnis abzulegen für all diejenigen, die dessen Existenz immer noch in Frage stellen oder gar verneinen.

Die Farbigkeit ist – wie Zentrumsdirektor Prof. Winfried Nerdinger im Vorwort des reich bebilderten 94seitigen Katalogs schreibt –„Ausdruck der Authentizität und psychischen Wirkkraft des Erlebten“. Brennende Farben, die die Erregung des Künstlers an den Betrachter weitergeben. Die Werke sind selbstverständlich nicht im Lager entstanden, sondern erst nach Frankls Rückkehr in das heimatliche Bratislava und später nach seiner Übersiedlung nach Wien. Beinah akribisch rekonstruiert er mit Pinsel und Spachtel die Phasen seiner Höllenfahrt: Von der Deportation im Jahre 1944 zur Tätowierung, von den plastisch dargestellten medizinischen Versuchen bis hin zu den Augenblicken unmittelbar vor der Vergasung und in Anbetracht der Verbrennungsöfen.

Szenen eines apokalyptischen Alltags, die sich in seinem Gehirn „eingemeißelt“ haben und nicht aufhören, ihn Tag und Nacht zu verfolgen: „Frauenbad“, „Essensverteilung“, „Appelle“, „Hunger“ nennen sich seine Bilder oder auch „Köpfe ohne Ende“. Wirbeln von Köpfen, die noch ein Gesicht haben, und einzelne Schädel dazwischen, in die er sich selbst immer wieder abbildet. Phantastische Visionen wie „Der Wirbelturm“, ein Gemälde,  in dem das „tierhaft Unmenschliche“ in einer beinah psychedelischen „Eruption des Bösen“ heraufbeschworen wird. Die Qualen verdingen sich auf der Leinwand.  Der Ur-Schrei materialisiert sich in einem Kopf, der schon zum Skelett mutiert. Die physischen Leiden werden offen gelegt. Die seelischen sind die stummen Begleiter einer fast unerträglichen Existenz. Der Künstler malt sie sich aus der Seele ab. Er versucht die fürchterlichen Gedanken, die ihn überfallen, die Gespenster , die ihn belagern, aufs Blatt zu bringen.  Nicht die Erinnerung. Die Erinnerung bleibt. Er malt, um sie wach zu halten.

Er malt für alle, die es nicht tun können.

„Gesichter, die mich verfolgen“ ist eines der Bilder, in denen er das immer währende Trauma vom erlittenen Grauen zu verarbeiten versucht. Es spricht mit seinen vielen Antlitzen in einer vom  Grün bis ins Blau und Violett hinreichender Farbpalette von einem unendlichen stillen Schmerz, der den Atem verschlägt. Hoffnungslosigkeit ist das Gefühl, das Frankls Figuren beherrscht.  Leidende, gleichgültige Gestalten, die leblos vor sich hin blicken, mit herunter hängenden Armen und aus den Höhlen heraustretenden Augen.  Geschlagene Wesen, deren transparente Leiber sie schon als Teil  einer überirdischen Dimension in einem undefinierbaren  Jenseits der Verdammten auszeichnen.

Adolf Frankl „Gesichter die mich verfolgen“, Öl auf Leinwand, 46,5x60, um 1954 (© VG-Bild-Kunst, Bonn / bildrecht.at)
Adolf Frankl „Gesichter die mich verfolgen“, Öl auf Leinwand, 46,5×60, um 1954 (© VG-Bild-Kunst, Bonn / bildrecht.at)

Mit Frankls Augen, durch seine  expressive und schonungslose Malweise, wird der Betrachter erstmalig in die Lage versetzt, Auschwitz zu „sehen“, denn er dokumentiert das „Unfassbare“, das was der normale, rationale Mensch nicht versteht. Die Frage der Darstellbarkeit von Auschwitz stellt sich – wie Prof. Nerdinger betont – bei Frankl nicht. Denn er hat das Unfassbare selbst persönlich experimentiert, er ist schlicht und einfach sein Chronist, wie auch Primo Levi es gewesen war.

Adolf Frankl reiht sich mit seinem beachtlichen Werk in die Spur des Wiener Expressionismus, des frühen Oskar Kokoschka und von Egon Schiele mit einer Malerei,  die sich  um einen ins Chaotische abgleitenden Zug bereichert, der sich ideal dazu eignet, die „Auflösung aller Humanität und Sitte in der Welt des Lagers“ auszudrücken. Es sind Darstellungen, denen – wie Willibald Sauerländer in seinem einleuchtenden Begleittext vermerkt – „die Kraft zum Pathos“ fehlt, jenes sublimierte Element, das die Kunst seit der Antike immer wieder beflügelt hat. Einzige Ausnahme bildet das furchterregende Bildnis des „Spediteurs der Endlösung“ Adolf Eichmann. Ein „Betongesicht“, – definiert es Sauerländer – die „einzige Visage scheinbar heroischer Entschlossenheit“.  Ein gnadenloses,  hassverzerrtes  Gesicht, in dem – wie in einem verwesten Schädel – die geschundenen Leichenteile seiner Opfer auftauchen. Leichenteile, die in einer Art  „Danse Macabre“ um  Ohren und Augen, um Nase und Mund des SS- Obersturmbannführers herumkreisen und schreiend nach Gerechtigkeit rufen.  Man denkt gewiss an Arcimboldo – wie Sauerländer suggeriert -, aber auch an Hieronymus Bosch.  Am linken Revers der Uniform ist ein Gaswagen abgebildet: Der erste rudimentale Gasofen, der in Auschwitz eingesetzt wurde.

Eröffnet wurde die aufwühlende Ausstellung mit 29 Gemälden und einer Reihe von Grafiken des slowakisch-österreichischen Künstlers von der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Frau Dr. h.c. Charlotte Knobloch, vom Kulturreferenten der LHS München Dr. Hans-Georg Küppert sowie vom Stadtrat Marian Offmann, der vor dem erneuten Entflammen  eines menschenverachtenden xenophobischen Gedankengutes eindringlich warnte.

Thomas Frankl, Inge Ruth Frankl, Winfried Nerdinger, v.l. (Foto: Orla Connolly)
Thomas Frankl, Inge Ruth Frankl, Winfried Nerdinger, v.l. (Foto: Orla Connolly)

Aus Wien extra angereist waren Thomas Frankl, Sohn des Künstlers und seine Frau Ruth, die die Initiatorin der Schau ist. Beide betreuen den Nachlass von Adolf Frankl in der „Galerie Art Forum“ am Judenplatz in Wien. Tief bewegt und humorvoll zugleich ging Thomas Frankl auf seine persönliche Geschichte ein, insbesondere auf die Geschichte seiner Rettung vor der Deportation, während der Großteil seiner Familie in der Shoah umkam. Von seinem Vater sagte er, dass er überlebt hatte, aber nie wirklich wieder ins reale Leben zurückfinden konnte. Das Malen betrachtete er – anders als andere Überlebende –  nicht als Therapie. Seine Gemälde entstanden vielmehr  aus dem Bedürfnis heraus, das Inferno zu erzählen. „Mit seinen Werken“ – so der Sohn – habe er „allen Völkern dieser Welt ein Mahnmal gesetzt.“

Adolf Frankl – Kunst gegen das Vergessen
21. Juli– 25. September 2016
NS-Dokumentationszentrum München

Mehr zu Adolf Frankls Werk

Eröffnungsrede von Thomas Frankl:

„Gerne möchte ich im Namen meiner Familie herzlich begrüßen:

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Frau
Dr. Charlotte Knobloch

Herrn Stadtrat Marian Offman, in Vertretung des Oberbürgermeisters

Herrn Gründungsdirektor, Prof. Dr. Winfried Nerdinger

Herrn Kulturreferent Dr. Hans Georg Küppers

Herrn Altoberbürgermeister Dr. Hans Jochen Vogel, stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums, mit Gattin

Herrn Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma,
Direktor des Dokumentationszentrums Heidelberg und Mitglied im Kuratorium

wie auch alle anwesenden Gäste, Freunde und meine Familie!

Gestatten sie mir ganz zu Beginn bei dieser Gelegenheit zuerst, im Namen meiner Familie, der Präsidentin Frau Dr. Charlotte Knobloch, die ich seit unserer Jugend her kenne, zu ihrer Wiederwahl als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, herzlich zu gratulieren und mich für ihr stetes-langjähriges-Engagement und für Ihre Bemühungen um alle Belange der Gemeinde, vielmals zu danken.

Dieser unser Dank gilt auch für Ihre Worte zur Ausstellungseröffnung.

Sehr geehrte Anwesende, liebe Gäste, Freunde und meine Familie!

Am heutigen Tag ist es für mich und für uns ein außergewöhnliches Erlebnis, hier an diesem besonderen Ort zu stehen und die Werke unseres sel. Vaters, Adolf Frankl, für die Öffentlichkeit ausgestellt zu sehen.

Seine Kunstwerke werden heute hier gezeigt und sie sind das Ergebnis dessen, was vor 72 Jahren an diesem und anderen Orten, in der „Hauptstadt der Bewegung“ seinen Anfang nahm und zu einer großen Katastrophe in der deutschen Geschichte, mit Millionen Toten im Holocaust und im Krieg, geführt hat.

Diese Ausstellung ist ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur der heutigen Zeit.

Ebenso wie man sich am heutigen Tag an Graf von Stauffenberg erinnert, ist die Ausstellung unverzichtbar damit verbunden einem Vergessen entgegen zu wirken und sie zeigt dramatisch und unverblümt wozu Menschen im Stande sind um anderen Menschen Leid, Demütigung und vieles mehr zuzufügen, ja sogar um sie zu töten.

Der Inhalt der Ausstellung „Adolf Frankl – Kunst gegen das Vergessen“ ist, so wie es sich unser Vater wünschte und in seinem Zitat hinterließ, die Menschen dazu aufzurufen, eine Wiederholung zu verhindern und dies vor allem der jungen Generation zu vermitteln versuchen.

Dass ein Großteil der eigenen Familie die Zeit der Verfolgung und Vernichtung nicht überlebt hat, überschattete lange die Erinnerung an seine persönliche Errettung.

Adolf Frankl hat G´tt sei Dank überlebt, aber -danach nie mehr wirklich ins reale Leben zurückgefunden. Das ist wie man weiß, vielen anderen Überlebenden auch so ergangen.

Obwohl bereits mehr als 70 Jahre vergangen sind und sich viel in der Welt verändert hat, finden bedauerlicher Weise, kriegerische Ereignisse immer wieder statt und Hass und Gewalt haben an viel Orten der Welt wieder breite Fronten gebildet.

Man muss leider erkennen, dass aus der Geschichte und der Vergangenheit Lehren zu ziehen, offenbar der menschlichen Natur nicht gegeben ist.

Unser Vater war ein grundgütiger Mensch! Er kannte keinen Hass und hat immer denen ver-geben, die ihm Leid zugefügt haben. Er vergab sogar seinem damaligen Hausmeister im eigenen Haus, der zum Verräter wurde und unsere Familie den Soldaten, die die Verhaftungen durchführten, ausgeliefert hat.

Aber als Vater den Krieg und alle seine Peiniger überlebte, malte er aus innerer Wut sein eigenes erlebtes Schicksal, als Mahnung an die Menschheit damit es nie und von niemandem vergessen werden soll.

Herr Prof. Gstettner, unser guter Freund und ein sehr Engagierter in der Aufarbeitung der Kriegsgeschehnisse, speziell am österreichisch-slowenischen Grenzort am Loiblpass sagte, ich zitiere:
„Es wird immer behauptet, künstlerisch tätige Holocaustüberlebende malen sich die Schreckenbilder der Konzentrationslager von der Seele – so als wäre für sie die Malerei eine Art Selbsttherapie-Adolf Frankl aber, malte die Bilder für uns ALLE als Hilfe für unsere Erinnerung und als Maßstab für unsere Humanität“. Zitatende!

Wir sind sehr dankbar und sehr froh, dass sich das NS-Dokumentationszentrum unter der Leitung von Prof Dr. Nerdinger, und die Stadt München dazu entschlossen haben die Werke Adolf Frankl `s in der Sonderausstellung der Öffentlichkeit zu zeigen und sich somit der Kreis schließen kann, vom euphorischen Anfang der NS-Zeit, so wie sie hier im Haus zu sehen ist, bis zum bitteren Ende des Holocaust und des Zweiten Weltkrieges.

Wir danken nochmals dem Gründungsdirektor Prof. Nerdinger, Stadtrat Marian Offman, der Stadt München für die Befürwortung der Ausstellung, den geschätzten Rednern, ebenso allen Mitarbeitern dieses Hauses, im Besonderen Sonja Eschenbach, Kirstin Frieden, den Kuratorinen Mirjana Grdanjski und Dr. Brigitte Pontesegger sowie allen weiteren Mitarbeitern des Dokumentationszentzentrums.

Ebenso danken wir unserer Assistentin Nesika Kostic und den ehrenamtlichen Helfern des Art-Forums in Wien, Viktoria Kostic und DI Zoltan Galos, den Filmern und Fotografen Harald und Dorina-Tatiana, der Familie Wanne und allen heutigen Gästen für ihre Anwesenheit am heutigen Abend.

Bevor wir jetzt zur Besichtigung der Ausstellung gehen bitte ich Sie um eine Gedenkminute für alle unschuldigen Opfer des Holocaust und der Kriege.

Wir danken Ihnen!

Shalom“

(Es gilt nur das gesprochene Wort)