Wie die AfD mit einem Antisemitismus-Skandal umgeht…
Von Armin Pfahl-Traughber
Wie reagiert die „Alternative für Deutschland“ (AfD) auf einen Antisemitismus-Skandal in ihrer Partei? Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem aktuellen Fall Wolfgang Gedeon: Der pensionierte Arzt hatte vor seiner Kandidatur mehrere Bücher veröffentlicht. Im zweiten Band seiner Triologie „Christlich-europäische Leitkultur“ schrieb er unter dem Pseudonym „W. G. Meister“ über „Die Protokolle der Weisen von Zion“, dass sie „mutmaßlich keine Fälschung“ seien. Er meinte weiter: „Ich halte die Beurteilung Fleischhauers … für plausibel. Danach handelt es sich um die Mitschrift einer Geheimtagung …“ Ulrich Fleischhauer war in den 1930er und 1940er Jahren Leiter des antisemitischen „Weltdienstes“. In dem Buch „Der grüne Kommunismus“ meinte das heutige AfD-MdL: Es gebe Gemeinsamkeiten zwischen den Ausführungen in den „Protokollen“ zu „Strategie und Taktik und zum Beispiel den politischen Methoden der Brüsseler EU“. Damit propagierte Gedeon antisemitische Verschwörungsauffassungen in klassischer Weise.
Nachdem dies öffentlich bekannt geworden war, bekundete der Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen in einer Landtagsrede: „… auch der neueste Versuch der politischen Verunglimpfung seitens unserer politischen Gegner, nämlich der Versuch uns nun mit der Antisemitismuskeule zu beschädigen, wird scheitern und in sich zusammenbrechen.“ Nachdem er sich dann aber offenbar näher informiert hatte, formulierte Meuthen ganz anders: „Einige Äußerungen von Wolfgang Gedeon sind nach meiner Überzeugung antisemitisch.“ Auch andere AfD-Führungsspitzen äußerten sich so, der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Gauland meinte etwa zu Gedeons Positionen: „… wenn das kein Antisemitismus ist, dann weiß ich gar nicht, was denn überhaupt Antisemitismus sein soll“. Die AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg wollte nun am 22. Juni 2016 über einen Ausschluss von Gedeon beraten und entscheiden. Dieser erklärte in den Sitzung dann aber selbst, er werde seine Fraktionsmitgliedschaft bis zur endgültigen Klärung im September ruhen lassen.
Damit wurde eine Entscheidung in der Frage, ob ein Abgeordneter mit antisemitischen Positionen in der Fraktion verbleiben soll, nicht getroffen, sondern vertagt. Für den Ausschluss hatte Meuthen offenbar keine Mehrheit bekommen. Bei Probeabstimmungen votierten einmal nur 13, einmal nur 15 und einmal nur zehn Mandatsträger dafür. Der Fraktionsvorsitzende hätte indessen 16 Abgeordnete auf seiner Seite haben müssen. Er hatte dafür enormen Druck ausgeübt: So erklärte Meuthen, er werde von seinem Amt zurücktreten und aus der Fraktion ausscheiden, sollte Gedeon weiterhin in ihr verbleiben. Dabei warb Meuthen für seine Position auch mit einem Videooappell. Daraufhin warf ihm die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry vor, die Fraktion mit seiner öffentlichen Rücktrittsdrohung spalten zu wollen. Vor dem Ausschluss Gedeons müsse es „geordnete und seriöse Formen der Aufklärung“ geben. Der als zweiter Bundesvorsitzender ihr gleichrangige Meuthen warf Petry daraufhin ein „bizarres Hineinregieren“ in die Landtagsfraktion vor.
Beachtenswert ist auch, welche Gründe von Meuthen für den Fraktionsausschluss von Gedeon vorrangig genannt wurden. Zwar hatte er Antisemitismus als „rote Linie“ und den Fall Gedeon als Lackmustest für die Partei bezeichnet. Gegenüber den Abgeordneten wies Meuthen aber mehr auf Folgewirkungen hin: Wenn die Fraktion nicht adäquat entscheide, sei „praktisch sicher“, dass die AfD unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestellt werde. Der dadurch entstehende politische Schaden sei „immens und von Dauer“. Am Beispiel von anderen europäischen Ländern könne man sehen, dass die dortigen „neuen konservativ-fortschrittlichen Kräfte“ erfolgreich seien, die sich glaubhaft von jedwedem Antisemitismus distanziert hätten. „Darum geht es hier um alles“. Diese Ausführungen stehen aber nicht für eine inhaltliche, sondern für eine strategische Motivation. Auch wenn Meuthen ein Gegner des Antisemitismus sein sollte, stellt er mit solchen Formulierungen weniger auf die Gefahren für Juden und mehr auf die Folgen für seine Partei ab.
In der Gesamtschau konnte Meuthen für den Ausschluss von Gedeon aus der Fraktion keine Mehrheit mobilisieren. Der Betroffene hatte selbst den „Kompromissvorschlag“ gemacht, bis zur endgültigen Klärung der Frage seine Fraktionsmitgliedschaft ruhen zu lassen. Im September sollen nun wissenschaftliche Gutachten zum Antisemitismus-Gehalt von Gedeons Büchern vorliegen. Dafür sucht die AfD einschlägige Fachleute. Hierbei soll mindestens einer der Gutachter jüdischen Glaubens sein. Eine derartige Prüfung hatte zuvor auch Petry angeregt. Angesichts der Deutlichkeit von Gedeons Aussagen, die sich auch gegen die jüdische Religion richten und mit den „Protokollen“ auf verschwörungsideologische Phantasien setzen, stellt sich die Frage nach einer inhaltlichen Notwendigkeit dafür. Dadurch mag das Thema bis September aus den Medien sein. Im Ergebnis bedeutet dies aber, dass entgegen vieler Bekundungen gegenwärtig eine klare Entscheidung gegen einen Anhänger antisemitische Vorstellungen in der AfD nicht möglich ist.
Prof. Dr. phil. Armin Pfahl-Traughber ist hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und gibt ebendort das „Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung“ heraus. Er gehört auch dem Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages an.