Kosova – Justiz, Kriminalität, soziale Not und ethnische Teilung

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Studenten aus Freiburg wandten sich an Max Brym, den Herausgeber von Kosova Aktuell, mit Fragen zur aktuellen Lage in Kosova. Zur Sprache kommen ethnische Teilung, organisierte Kriminalität und das Massenelend in Kosova…

Wie würden Sie den Kosovo in einem Satz beschreiben?

Max Brym: Ein wunderschönes Land in dem die Menschen in sozialer Not und Elend dahinvegetieren.

Was geschieht momentan im Kosovo? Wie sieht die aktuelle Situation aus?

Max Brym: Im August letzten Jahres schloss die kosovarische Regierung ein Abkommen mit dem serbischen Staat ab. Das Abkommen teilt Kosova ethnisch. Der so genannte „Verband serbischer Kommunen“ erhält einen eigenen Etat, eigene Beamte ein eigenes Gesundheitssystem und darf ganz legal 500 Beamte aus Belgrad einstellen. Damit wird Kosova zum zweiten Bosnien auf dem Balkan. Das Hoheitsgebiet Belgrads wird auf mehr als 24% Kosovas installiert. Dagegen gibt es natürlich Widerstand. Dieser Widerstand existiert innerhalb und außerhalb des Parlaments. Der Widerstand ist nicht nationalistisch, sondern er versucht die Einheit der Menschen in Kosova unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft zu erreichen. Gleichzeitig demonstrieren immer mehr Menschen gegen den neoliberalen Privatisierungsprozess, welcher bis dato 77.000 Arbeitsplätze kostete. Bei den Massenprotesten wurden massiv soziale Rechte, soziale Grundsicherungsmechanismen und Arbeiterrechte eingefordert.

Nehmen Sie Stellung zu den gegenwärtigen Aktionen (Proteste gegen die Regierung, Tränengas im Parlament, Verhaftung von Politikern, etc.)

Max Brym: Die Regierung in Kosova nimmt immer mehr faschistoid bonapartistische Züge an. Es wurden Parlamentsabgeordnete wegen dem Einsatz von Tränengas im Parlament verhaftet. Außerhalb des Parlaments wendet die Polizei massiv Gewalt gegen friedliche Demonstranten an. Am 28. November 2015 stürmten „Antiterroreinheiten“ mit Gewehren und scharfer Munition ausgerüstet, das Büro der „Bewegung für Selbstbestimmung“ ( VV) in Prishtina. Dabei wurden sogar Tote in Kauf genommen. Es gibt gegenwärtig in Kosova viele politische Gefangene, die allein wegen ihrer Teilnahme an Protesten inhaftiert wurden. Die Regierung verweigert eine Abstimmung über das Abkommen mit Serbien im Parlament. Dies deshalb weil sie im Parlament keine Mehrheit für das Abkommen bekommen würde. Das Urteil des Verfassungsgerichtes bezeichnete das Abkommen „ Zajdnica“ in weiten Teilen als verfassungswidrig.Das Urteil des „ Verfassungsgerichtes“ wird einfach ignoriert.

In welchen Bereichen sehen Sie im Kosovo Schwächen und Probleme?

Max Brym: Rund 17 % der Bevölkerung leben von weniger als einem Euro pro Tag. Knapp 37 % der Bevölkerung müssen mit weniger als zwei Euro am Tag auskommen. Der Euro ist in Kosova Landeswährung und die Preise lassen sich in weiten Teilen mit den Preisen in Deutschland vergleichen. Es gibt keine Krankenversicherung und keine Arbeitslosenversicherung. Gleichzeitig ist Kosova das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit in ganz Europa. Bis dato wurden 600 Firmen privatisiert. 500 Firmen erwarben örtliche Mafioso, die sich Politiker nennen. In den privatisierten Betrieben wurden im Schnitt 50 % der Beschäftigten entlassen. Eine Abfindung welche den Entlassenen gesetzlich zusteht wird ihnen meist vorenthalten. Der Lohn im privatisierten Bereich der Wirtschaft liegt zwischen 150 und 250 € im Monat. Arbeitsverträge, Kündigungsschutz usw. existieren nicht. Viele Betriebsleiter versuchen die Gründung von gewerkschaftlichen Organisationen in den privatisierten Betrieben zu unterbinden. Im staatlichen Sektor bekommen die Beschäftigten zwischen 300 und 500 Euro im Monat. Der Privatisierungsprozess hat Kosova massiv geschadet, aber er geht permanent weiter. Gegenwärtig geht es im Rahmen der Privatisierung um die Filetstücke der kosovarischen Wirtschaft. Der Rohstoffgigant Trepca in Mitrovica, genauso wie die komplette Energieversorgung des Landes sind zur Privatisierung ausgeschrieben. Dadurch wird Kosova die Möglichkeit genommen Mittel zu generieren, um Sozialprogramme und Grundsicherungsmechanismen zu finanzieren. Das Problem ist, dass es in Kosova keine wirklich organisierte und bewusste Arbeiterbewegung gibt. Die Reaktivierung der Arbeiterbewegung ist eine entscheidende Aufgabe.

In welchen Bereichen sehen Sie Chancen und Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation?

Max Brym: Die gegenwärtige Regierung bestehend aus PDK-LDK, sowie der Liste Serbska muss gestürzt werden. Die Regierung verliert zunehmend jegliche Verankerung in der Bevölkerung. Sie verweigert allerdings Neuwahlen, weil die Bosse genau wissen, dass dadurch ihre Pfründe gefährdet werden könnten.

Welche Rolle spielen Korruption und organisierte Kriminalität im Kosovo?

Max Brym: Die Korruption sowie die damit verbundene organisierte Kriminalität ist in den Kosova ein Massenphänomen. Erst am 27. April wurde eine Gruppe um Azem Syla, verhaftet. Azem Syla ist ein hoher PDK Funktionär, sowie Parlamentsabgeordneter der Regierungspartei PDK. Vorgeworfen wird der Gruppe- in dieser Gruppe waren auch Funktionäre des serbischen Geheimdienstes eingebunden- Betrug und Diebstahl in Höhe von 30 Millionen €. Es wurden Grundbücher gefälscht, Personen erpresst sowie illegale Enteignungen durchgeführt. Diese Aktion der EULEX ( Rechtsstaatsmission der EU) gegen die Syla Gruppe erweckt den Eindruck als ob die EU etwas gegen die organisierte Kriminalität im Kosova hätte. Letzteres ist aber nur bedingt der Fall. Grundsätzlich wünschen sich die imperialen Staaten welche in Kosova aktiv sind korrupte Politiker. Mit diesen Leuten ist es leicht im internationalen Rahmen zu arbeiten. Ein korrupter Politiker kann es sich nicht leisten bestimmte Verträge, welche von der EU gewünscht werden abzulehnen. Er läuft sonst Gefahr sofort ins Gefängnis zu gehen. Dennoch gehen bestimmten internationalen Investoren, die organisierte kriminellen Banden in Kosova zu weit. Nicht jeder Investor hat ein Interesse daran ,Banditen im Rahmen des Ausschreibungsprozesses für wichtige Sektoren der Wirtschaft mit hohen Schmiergeldzahlungen zu bedienen.

Wie bewerten Sie die momentane Regierung/Politik/Wahl des Präsidenten?

Max Brym: Dieser Regierung fehlt jegliche Massenverankerung im Volk. Die Politiker Kosovas sind eine Ansammlung von politisch maskierten Kriminellen. Dennoch versucht sich diese Regierung demokratisch zu maskieren. Die Wahl des Präsidenten Thaci fand in Abwesenheit der Opposition im Parlament statt. Schon allein dadurch ist die Wahl ein illegaler Akt gewesen. Thaci wurde erst im dritten Wahlgang zum Präsidenten gewählt. Es gelang der PDK Mafia abweichende Abgeordnete in den Pausen unter Druck zu setzen. Anderen wurden wurden lukrative Geschäfte versprochen. Aus diesen und anderen Gründen ist die Wahl von Thaci nichts anderes als ein illegaler Akt.

Kosovo nach dem Krieg: stabil oder fragil?

Max Brym: Das Paradigma der „Internationalen“ ist der Begriff Stabilität. Solange in Kosova nicht geschossen wird solange es keine Massaker gibt wie in Syrien, scheint für die „Internationalen“ und die EU Bürokratie, die Lage in Ordnung zu sein. Es gibt eine fragile grausame Lage in Kosova verbunden mit Massenarmut und Verzweiflung. Kosova kann jederzeit explodieren.

Würden Sie der Annahme, dass der Kosovo ein sicherer Herkunftsstaat ist, zustimmen? Bitte begründen Sie. (Eventuell: Bezug zu der Tatsache, dass diese Einstufung erfolgte, obwohl die Bundeswehr noch vor Ort ist.)

Max Brym: Kosova ist kein sicheres Herkunftsland. Hunger und Kälte stellen Formen massiver Unterdrückung und Verfolgung dar. Neben der sozialen Unterdrückung die eine politisch herbeigeführte Unterdrückung ist gibt es die permanent steigende offene politische Unterdrückung jeglicher sozialer und demokratische Opposition in Kosova. Daneben werden Roma zb. in Fushe Kosova zusätzlich rassistisch von jeder Teilhabe ausgeschlossen. Die Roma in dieser Region sind zu 99% ohne Arbeit. Internationale Polizeibeamte erhalten in Kosova für ihre Arbeit Risikozuschläge, aber der Öffentlichkeit in Deutschland wird erzählt Kosova sei sicher. Das ist ein Widerspruch in sich.

Gibt es Fälle von politischer Verfolgung?

Max Brym: Immer wieder, wie schon oben ausgeführt werden Parlamentsabgeordnete für 30 Tage ins Gefängnis geworfen. Massiver noch werden meist jugendliche Aktivisten der „Bewegung für Selbstbestimmung“ verfolgt. Ich könnte ihnen eine ellenlange Liste von politisch Verfolgten in Kosova aufzählen. Betroffen sind Studenten, Arbeiter aber auch Stadträte, wie der kürzlich verhaftete Stadtrat aus Prizren, Aziz Abrashi von VV.

Wie bewerten Sie die Justiz im Kosovo?

Max Brym: Die Justiz in Kosovo verfolgt die Korruption im Lande nicht. In weiten Teilen ist die Justiz eine politische Justiz, welche Anhänger und Anhängerinnen der Opposition in die Gefängnisse des Landes wirft. Eine unabhängige Justiz gibt es in Kosova nicht. Auch die internationalen Staatsanwälte und Richter verfolgen nur am Rande die kriminellen Banden in Kosova. Es ist eine entscheidende Aufgabe den Justizapparat Kosovas zu verändern und eine unabhängige, den sozialen und demokratischen Rechten des Volkes entsprechende Gerichtsbarkeit zu schaffen.

Von Max Brym erschien zuletzt „Politisch Inkorrekt 2015 Die Fakten“.