Anknüpfung an die deutsch-jüdische Geschichte Ostpreußens

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Die alte zerstörte Synagoge von Königsberg

Interview zum neuen jüdischen Leben in Kaliningrad/Königsberg…

Von Björn Akstinat
Zuerst erschienen in „Jüdische Rundschau
Foto oben: Mitglieder der jüdischen Gemeinde Kaliningrad/Königsberg bei einer Feierlichkeit (der interviewte Viktor Schapiro steht rechts neben den Blumen)

Um 1700 wurde die jüdische Gemeinde zu Königsberg gegründet. Ihre Blütezeit erreichte sie im deutschen Kaiserreich mit etwa 4.000 Mitgliedern. Anschließend ging es bergab. Nach dem Zweiten Weltkrieg, wo etliche ihr Leben verloren, war ihre Religion im nun kommunistisch gewordenen Königsberg/Kaliningrad ebenso verpönt wie die christliche Religion. Die Stadt trägt heute noch den Namen von Michail Kalinin, einem Helfer Stalins, der u.a. den Erschießungsbefehl gegen die polnischen Offiziere von Katyn unterzeichnete. Andere Städte in Russland, die nach ihm benannt wurden, sind längst wieder umbenannt. Umgangssprachlich wird die Stadt heute selbst von Russen meist „Kenigsberg“ oder kurz „Kenig“ genannt.

Björn Akstinat traf in Königsberg/Kaliningrad, der Stadt mit der bewegten Geschichte, Herrn Viktor Schapiro, den örtlichen Gemeindevorsteher, zum Gespräch und besuchte einen jüdischen Gottesdienst in einem typisch osteuropäischen Plattenbau.

Björn Akstinat: Herr Schapiro, wie viele Juden leben momentan etwa in Kaliningrad?

Schapiro: In der Stadt Kaliningrad wohnen etwa 2.000 Menschen jüdischen Glaubens.

Björn Akstinat: Gibt es heute außer in der Stadt Kaliningrad noch andere jüdische Gemeinden in der Oblast?

Schapiro: Es gibt keine andere Gemeinden in Tilsit, Insterburg oder Cranz, aber es gibt kleine Gruppen, die mit der jüdischen Gemeinde von Kaliningrad in Kontakt stehen.

Björn Akstinat: Leben in der Oblast Kaliningrad heute noch einige wenige alte jüdisch-deutsche Ostpreußen, die dort schon vor 1945 geboren wurden?

Schapiro: Nein, aber wir haben Kontakt mit jüdischen Ostpreußen, die jetzt im Ausland leben. Michael Wieck und Nechamah Drober besuchten viele Male Kaliningrad.

(Anm. d Red.: Nechama Drober (geb. Hella Markowsky) und Michael Wieck sind die einzigen noch lebenden ostpreußischen Juden, die die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in der Nazi-Zeit überlebt haben. Frau Drober war 1942 Augenzeugin der Deportationen von Königsberger Juden. Sie verlor engste Freunde, Verwandte und Schulkameraden. Keine drei Jahre später erlebte sie die Schlacht um Königsberg und die Eroberung von Ostpreußens Provinzhauptstadt durch die Rote Armee. Im April 1945 wurde ihr Vater von den Russen nach Sibirien verschleppt. Ihre Mutter Martha und ihr fünfjähriger Bruder Denny verhungerten. Als „deutsche Faschistin“ geschmäht, floh Frau Drober über Litauen nach Kischinew in Moldawien. 1990, im Alter von 63 Jahren, emigrierte sie von dort nach Israel. Sie setzte sich zusammen mit Hern Wieck für die Anbringung einer jüdischen Gedenktafel am Kaliningrader Nordbahnhof in Russisch und Deutsch ein. Russische Politiker wollten diese Anbringung zunächst verhindern.)

Björn Akstinat: Welche berühmten Juden stammen aus dem alten deutschen Ostpreußen oder aus der heutigen Oblast Kaliningrad?

Schapiro: Der Komponist Werner Richard Heymann und die Frau des israelischen Premierministers Jitzak Rabin, Lea Rabin (geb. Schloßberg), kamen hier zur Welt. Die Philosophin Hanna Arendt und der Mathematiker Hermann Minkowski wuchsen hier auf.

Björn Akstinat: Woher stammen die neuen jüdischen Zuwanderer? Warum sind sie nach Kaliningrad gekommen?

Schapiro: Sie stammen aus der ganzen Sowjetunion. Die meisten Juden sind als Fachleute von der sowjetischen Regierung in dieses Gebiet geschickt worden, um Wirtschaft, Kultur, Erziehung und Wissenschaft wieder neu aufzubauen.

Björn Akstinat: Viele Juden haben sich während der Sowjetzeit nicht mit ihrer Religion beschäftigt oder beschäftigen dürfen. Wie begeistert man junge Juden wieder neu für die Religion?

Schapiro: Da gibt es ganz verschiedene Programme für Jugendliche, um das Judentum neu zu „erlernen“.

Björn Akstinat: Unterstützt der russische Staat Ihre jüdische Gemeinde?

Schapiro: Nein, keine regelmäßige Unterstützung! Es gibt nur unregelmäßige Zuschüsse. Aber wir werden auch durch die Bereitstellung oder Rückerstattung von Grundstücken und Kultusgebäuden unterstützt.

Björn Akstinat: Gibt es viele Juden in Ihrer Gemeinde, die Deutsch oder Jiddisch beherrschen? Und woher haben diese Gemeindemitglieder ihre Sprachkenntnisse?

Schapiro: Einige unserer Leute haben Deutsch in die Schule gelernt (Anm. d. Red.: Deutsch war selbst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die meistgelernte Fremdsprache in der Sowjetunion). Jiddisch können aber nur noch wenige alte Leute.

Björn Akstinat: Wie ist die Altersstruktur Ihrer Gemeinde?

Schapiro: Es gibt sehr viele ältere Mitglieder. Etwa 400 sind Kinder und Jugendliche.

Björn Akstinat: Wollen Sie mit Ihrer Gemeinde in Kaliningrad an das deutsch-jüdische Leben vor 1945 anknüpfen oder möchten Sie eine ganz neue russisch-jüdische Gemeinde sein?

Schapiro: Die deutsch-jüdische Geschichte ist sehr wichtig für uns. Wir fühlen die Beziehungen zur alten Gemeinde von Königsberg und sehen uns in ihrer Tradition.

Björn Akstinat: Sie planen ein jüdisches Museum in Kaliningrad. Was soll dort gezeigt werden?

Schapiro: Die Bilder und Dokumente, die wir gesammelt haben! Auch haben wir eine kleine Version der Ausstellung „Juden in Ostpreußen“, die uns das Ostpreußische Landesmuseum Lüneburg geschenkt hat.

Die alte zerstörte Synagoge von Königsberg
Die alte zerstörte Synagoge von Königsberg

Björn Akstinat: Sie planen ein riesiges Projekt, Sie bauen nämlich eine neue Synagoge. Wie soll die aussehen? Und wer finanziert den Neubau?

Schapiro: Die neue Synagoge soll genauso wie die alte Königsberger Synagoge aussehen. Den Bau führt eine besondere Stiftung durch, die vom Kaliningrader Geschäftsmann Wladimir Katzmann gegründet wurde. Er bezahlt auch den Bau, zu dem 2011 bereits der Grundstein gelegt wurde.

Björn Akstinat: Welche Räume oder Häuser hat Ihre Gemeinde momentan?

Schapiro: Es gibt eine Chabad-Betstube, und auch ein Zentrum der Wohlfahrtsstiftung „Hesed“ („Sorge“). Jeder Raum ist etwa 100 Quadratmeter groß.

Björn Akstinat: Wer macht in Ihrer Gemeinde momentan die Gottesdienste? Wer ist Rabbi?

Schapiro: Der Rabbi ist David Schwedik, der 1998 nach Kaliningrad gekommen ist. Er macht den ganzen Gottesdienst. Ich als Gemeindevorsteher führe das Schabbat-Gebet am Freitagabend.

Björn Akstinat: Wie ist die Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen in Kaliningrad?

Schapiro: Wir haben sehr gute Kontakte zur evangelischen Kirche und zum Deutsch-Russischen Haus. Von Zeit zu Zeit machen wir sogar im DRH unsere Veranstaltungen.

Fotoquellen: Jüdische Rundschau und Jüdische Gemeinde Kaliningrad