Als erste meldete die FAZ am 11.10. die „grundsätzliche Zustimmung“ des iranischen Parlaments zum Atomabkommen. „Trotz großer Bedenken hat…“ Am 13.10. folgten dann alle im Chor…
Detlef zum Winkel
Nochmal die FAZ: „Iranisches Parlament billigt Atomabkommen.“ Tagesschau: „Iranisches Parlament sagt »Ja«… Damit steht der Umsetzung auch in den USA nichts mehr im Wege.“ Die Welt: „Iranisches Parlament stimmt Atomabkommen zu… Eine schier endlose Debatte scheint zu Ende.“ Die Zeit: „Iranisches Parlament stimmt Atomabkommen endgültig zu… Damit ist die erbitterte Debatte im Iran beendet und der Weg zur Umsetzung geebnet.“ Focus: „Iranisches Parlament billigt Atomabkommen mit dem Westen… Nach dem US-Kongress hat nun auch das iranische Parlament das Atomabkommen mit dem Westen ratifiziert.“ Süddeutsche Zeitung: „Iranisches Parlament billigt Atomabkommen mit dem Westen… Das iranische Parlament hat… ratifiziert.“ Deutsche Welle: „Iranisches Parlament stimmt Atomabkommen zu… Das Parlament in Teheran billigte die Einigung endgültig.“ Der österreichische Standard: „Iranisches Parlament segnete Atomdeal ab… Demnach stimmten nach einer Grundsatzeinigung am Sonntag die Abgeordneten dem kompletten Aktionsplan mit 161 zu 59 Stimmen zu, 13 enthielten sich der Stimme.“ Der schweizerische Blick: „Es ist geschafft. Iranisches Parlament billigt…“ Undsoweiter. Die Liste läßt sich beliebig verlängern: im Netz bringt der Suchstring „Iranisches Parlament billigt Atomabkommen“ ungefähr 7.500 Ergebnisse. Die Qualitäts-Nachrichtenagenturen haben also eine Meldung produziert, und die Qualitäts-Medien haben sie übernommen. Schön für John Kerry, Javad Zarif und dessen „dear friend Frank-Walter“ Steinmeier, dass die Geschichtsschreibung für ihren historischen Deal schon begonnen hat. Oder ist es nur eine Geschichtenschreibung?
Im Iran – und nicht nur dort – gibt es nach einer endgültigen Parlamentsentscheidung noch eine letzte Hürde, den Wächterrat, und danach jemanden, der das letzte Wort hat, den „Supreme leader“ Ali Khamenei. Bei denen sei aber auch alles paletti, meldeten die Nachrichtenmacher erfreut. Überall wird zugestimmt, ratifiziert und endgültig gebilligt, was das Zeug hält. Nun muss schnellstens mit der Umsetzung begonnen werden, bevor irgendjemand auf den Gedanken kommt, die geschmeidige Kampagne mit der rauhen Wirklichkeit zu vergleichen.
Denn der iranische Majlis, vom Supreme liebevoll als In-Klammern-Parlament – „Islamische Konsultativ-Versammlung (Parlament)“ – bezeichnet, machte seine Zustimmung von weitreichenden Bedingungen abhängig. „Der (angenommene) Antrag stellt die Bedingung, dass die Regierung ihre freiwilligen Vorleistungen stoppen soll und Gegenmaßnahmen ergreift, um die Rechte Irans wiederherzustellen, falls die andere Seite das Abkommen verletzt, insbesondere bei Aufhebung der westlichen Sanktionen“, berichtete Tehran Times. Auch müsse die Regierung sicherstellen, dass die Internationale Atomenergieagentur militärische Anlagen des Iran nicht inspizieren darf, es sei denn, der Nationale Sicherheitsrat erkläre sich damit einverstanden. Beides steht im Wiener Joint Comprehensive Plan of Action nicht drin noch entspricht es den Safeguards der IAEA. Wie man da von einer Ratifizierung sprechen kann, bleibt das Geheimnis der westlichen Nachrichtenagenturen.
Der Wächterrat, der die Vereinbarkeit der Parlamentsentscheidungen mit der islamischen Lehre überprüft, stellte trocken fest, es habe keinerlei Zustimmung des In-Klammern-Parlaments zu irgendwelchen konkreten Vereinbarungen des Joint Comprehensive Plan of Action gegeben. Im IRNN TV (18.10.) verkündete der Ratssprecher: „Neither the Majlis nor the Guardian Council approved the steps detailed in the JCPOA. This does not mean that they agree or disagree. They have not approved it, because it has not become a legal document. It is merely a political document and cannot be considered a legal binding document for the parties. The Guardian Council has examined the Majlis decision regarding the JCPOA, and not the details of the promises that the government and the negotiating parties planned to implement“ (engl. Übersetzung von memri).
Allzu überraschend ist diese Stellungnahme nicht. Denn die Wiener Vereinbarung wurde, wie der Name „Umfassender Aktionsplan“ besagt, bewußt nicht als völkerrechtlich bindender Vertrag formuliert, sondern als eine Art Absichtserklärung der beteiligten Regierungen, Zug um Zug eine Serie verabredeter Maßnahmen durchzuführen. Dazu bedarf es keiner parlamentarischen Ratifizierung. Nicht einmal eine Beschlußfassung kam in den USA zustande, weil eine Sperrminorität der Demokraten sie durch eine Endlosdebatte im Kongress verhinderte. Im Iran stellte der Wächterrat fest, dass eine Ratifizierung gar nicht erforderlich sei. Was die iranischen Gremien tatsächlich beschlossen haben, ist ein Antrag an die Regierung, der sinngemäß lautet: Macht mal, aber beachtet dabei diese und jene Forderungen. Die Forderungen wiederum höhlen den JCPOA Stück um Stück aus.
Majlis und Wächterrat lieferten freilich nur ein Vorspiel für das Diktum des Diktators, der es mit seinem letzten Wort sehr ernst nimmt. „Gott möge dir Erfolg schenken“, schrieb Ali Khamenei am 21.10. an Präsident Rohani, um ihn anschließend an neun Anweisungen zu „erinnern“, die seine Regierung beizeiten studieren und ernsthaft befolgen möge. Bevor iranischerseits damit begonnen werde, nukleare Kapazitäten zu verringern, müsse es erstens schriftliche Garantien des US-Präsidenten und der EU geben. Diese Erklärungen müssten die Aussage enthalten, dass die Sanktionen vollständig aufgehoben werden. Jede Erwähnung eines snap back-Mechanismus, d.h. der Aufrechterhaltung des Sanktionsrahmens, um sie im Fall von Verstößen gegen die Vereinbarung unverzüglich wieder in Kraft treten zu lassen, werde vom Iran als unvereinbar mit dem JCPOA gewertet – obwohl es dort drinsteht.
Zweitens werde innerhalb der nächsten acht Jahre jede Verhängung irgendeiner Sanktion aus irgendeinem Anlaß durch irgendeines der beteiligten Länder vom Iran als Verletzung des Abkommens angesehen und zur Folge haben, dass man die Erfüllung der übernommenen Pflichten einstellt. Drittens wird Teheran mit der Reduzierung seiner nuklearen Kapazitäten erst dann beginnen, wenn die IAEA erklärt hat, dass die Frage nach möglichen militärischen Aspekten des iranischen Atomprogramms (possible military dimensions) erledigt sei. Viertens dürfe ein Umbau des Schwerwasserreaktors in Arak erst stattfinden, wenn ein verbindliches Alternativkonzept vorliege, das von allen Beteiligten gebilligt wird. Fünftens dürfe eine Verdünnung oder Vermischung der Vorräte an angereichertem Uran nicht auf einen Schlag erfolgen, sondern nur in vielen Teilschritten und bei unterschiedlichen Gelegenheiten.
Sechstens bleibe es bei der mittelfristigen Nuklearplanung, die u.a. eine Verzehnfachung der Kapazitäten zur Urananreicherung vorsieht. Der Nationale Sicherheitsrat müsse sie bloß an die Erfordernisse des JCPOA anpassen, mit anderen Worten: wenn die Beschränkungen nach 15 Jahren wegfallen, müsse das Ziel schnellstmöglich erreicht werden. Dafür habe siebtens die iranische Atomenergieorganisation die erforderlichen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu organisieren. Achtens müsse den angelich irreführenden westlichen Interpretationen des JCPOA immer wieder der Originaltext der Verhandlungen entgegengehalten werden, und neuntens solle der Nationale Sicherheitsrat ein qualifiziertes Gremium zur Überwachung des Fortgangs der ganzen Angelegenheit einsetzen.
Nun darf man gespannt sein, ob Obama und Juncker die geforderten Garantie-Erklärungen abgeben, in denen vom snap back nicht mehr die Rede ist; ob sich die IAEA blamiert, indem sie die possible military dimensions kurzerhand als falschen Verdacht abtut; ob die offen angekündigten Verstöße gegen den JCPOA ebenso achselzuckend hingenommen werden wie der Raketentest, den der Iran zeitgleich zur Abstimmung des In-Klammern-Parlaments durchführte. Oder ob die Aufhebung der Sanktionen dann eben auch in vielen kleinen Teilschritten bei unterschiedlichen Gelegenheiten erfolgt. Das wäre nicht nur eine Antwort, die der Supreme verdient. Es hätte auch eine Reihe wünschenswerter Nebenwirkungen. Die Bezahlung, die die Russen für ihren Militäreinsatz in Syrien sicherlich verlangen, würde sich verzögern. Die Waffenlieferungen an Hisbollah würden jedenfalls nicht zunehmen. Die internationale Iran-Lobby müsste ihre Bonus-Erwartungen zurückschrauben, und die Revolutionsgardisten sich noch etwas gedulden, bevor sie hinter dem Lenkrad der begehrten neuen Daimlerbenz-Geländewagen/Militärversion Platz nehmen können – echt nobler als die billigen Toyota pickups von Da’esch.