Iran Deal: Herdentrieb und Konjunktur

0
101

Das Iran-Abkommen vom 14. Juli 2015 hat den US-Kongress passiert. Trotz aller vorheriger Aufregung verlief die parlamentarische Entscheidung am Ende profan. Zwar stimmten beide Häuser mit ihren republikanischen Mehrheiten gegen die Wiener Vereinbarung. Doch das Ergebnis im Senat – 58 : 42 Stimmen – reichte nicht, um den Präsidenten zu einem Veto zu nötigen…

Von Detlef zum Winkel

So stellen es die Nachrichtenagenturen und die repräsentativen Medien dar: dazu wären 60 SenatorInnen erforderlich gewesen, berichten sie. Warum eigentlich, fragt sich der/die unbedarfte Leser/in, insgeheim die eigenen Rechenfähigkeiten überprüfend. Warum braucht man in einem Gremium von hundert Personen sechzig Stimmen für eine Mehrheit? Die braucht man natürlich nicht. Vielmehr wandte die demokratische Senatsminderheit die Taktik des Filibusterns an, d.h. der Beschlussverhinderung durch eine Endlosdebatte. Zum Abbruch der Debatte wären laut Geschäftsordnung des Senats 60 Stimmen erforderlich gewesen; es fanden sich aber nur 58.

Eher schlicht dürften am Ende auch die Briefings gewesen sein, mit denen das Weiße Haus die eigenen Truppen auf die Abstimmungen vorbereitete. Ist jemand unter den Anwesenden, der Donald Trump unterstützen möchte? – Nein? Dann können wir ja das Buffet eröffnen. So waren es nur vier demokratische Senatoren, die es wagten aus der Phalanx auszuscheren. Der Herdentrieb setzt sich durch. Das politische Überleben der Demokraten und ihres derzeitigen Präsidenten wiegt dann doch schwerer als die Sorge um die Zukunft des Nahen und Mittleren Ostens.

Trotzdem ist dieses unrühmliche Schauspiel immer noch besser als das politische Prozedere in den am Iran-Abkommen beteiligten europäischen Demokratien. In Frankreich, Deutschland, England und der EU denkt bisher buchstäblich kein/e Politiker/in daran, den JCPOA zum Gegenstand parlamentarischer Arbeit zu machen. Debatten? Abstimmungen? Anfragen? Oh nein. Andererseits ließen sich Hollande, Merkel und Cameron nicht zweimal bitten, um sich rechtzeitig in die Debatte des US-Kongresses einzuschalten. In der Washington Post (10.9.) plädierten sie pathetisch für eine Annahme des Deals. Denn die Vereinbarung versperre Teheran die Wege zu einer iranischen Atomwaffe. ((http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Namensbeitrag/2015/09/2015-09-10-atomprogramm-iran.html)) Wie leichthin diese fundamentale Behauptung aufgestellt wird, zeigt sich wenige Sätze später, wo es heißt, der JCPOA „verbaut den Weg zu einer Plutoniumwaffe durch Veränderungen am Reaktor in Arak, nach denen dort kein waffenfähiges Plutonium hergestellt werden kann“. Das ist, mit Verlaub, Stuss. Drei Staatschefs von Ländern, die jeweils ein umfangreiches Atomprogramm unterhalten und reichliche Erfahrungen mit dem Reaktortyp besitzen, der in Arak errichtet wird, demonstrieren ihre Ahnungslosigkeit in Nukleartechnologie. Schlimm ist, dass niemand sie daran hindert, kein Experte, kein Professor, kein pensionierter Atomwissenschaftler.

Es ist leicht vorauszusagen, dass der Iran in Arak Waffenplutonium produzieren wird: das ist der Daseinszweck von Schwerwasserreaktoren. Deshalb unterliegt das Thema peinlicher Geheimhaltung. Wir erfahren nichts über die sensationelle Weltneuheit eines Reaktors, in dem kein Waffenplutonium hergestellt werden kann. Wir erfahren nichts über die Umbaupläne, die in Wien verhandelt wurden, nichts über die Zerstörung des alten Reaktordruckbehälters, die unter Aufsicht der IAEA stattfinden soll, nichts über die Tätigkeit von „Experten des Forschungsreaktors in Garching bei München“, die das Auswärtige Amt zu diesem Thema nach Wien bestellte (Süddeutsche Zeitung vom 20.3.2015). Wir erfahren nichts über die Brennelemente, die der Iran für diesen Reaktor bereits in Isfahan produziert und die, wie auf Fotos zu erkennen ist, so konstruiert sind, dass sie während des laufenden Betriebs ausgetauscht werden können. Das bedeutet, dass man ihren Plutoniumgehalt optimieren kann. Ein Mantel des Schweigens bedeckt auch die Tatsache, dass iranische und sükoreanische Nuklearexperten das Strömungsverhalten dieser Brennelemente bereits detailliert untersucht und darüber im deutschen Zentralorgan für Kernenergie „atw“ berichtet haben. ((http://www.kernenergie.de/kernenergie/service/fachzeitschrift-atw/hefte-themen/2012/aug-sep/03_rechnerische_analyse_fuer_ein_stabbuendel.php)) (Damit es sich, vielleicht, bis Pjöngjang herumspricht: iranische Wissenschaftler haben für diese Studie mit Südkoreanern zusammengearbeitet.) Welches Interesse hat denn „atw“ am Reaktor in Arak?? Schließlich erfahren wir natürlich auch nichts darüber, ob es vielleicht gerade Deutschland, Frankreich und England sind, die dem Iran bei der Fertigstellung seines Schwerwasserreaktors gern helfen würden.

Auch in anderer Hinsicht lehnen sich Merkel, Hollande und Cameron in ihrem Beitrag weit aus dem Fenster: „Darüber hinaus wird durch die Vereinbarung sichergestellt, dass die IAEO verbesserten Zugang nicht nur zu den Nuklearanlagen Irans und dem gesamten Brennstoffkreislauf erhält, sondern auch zu etwaigen nicht gemeldeten Anlagen“.  In beschwörendem Ton folgt ein von Obamas Rhetorik abgeschriebener Absatz:

„Der ‚Gemeinsame Umfassende Aktionsplan’ beruht nicht auf Vertrauen oder einer Vermutung, wie Iran in zehn oder fünfzehn Jahren aussehen könnte. Er beruht vielmehr auf detaillierten und strengen Kontrollen, die überprüfbar und auf Dauer angelegt sind. Iran hat starke Anreize, nicht falsch zu spielen – ertappt zu werden wäre nahezu unausweichlich, und Iran wäre dann der Verlierer.“

Eine schnöde Wirklichkeit hat die feierlichen Versprechen längst eingeholt. Bekanntermaßen gibt es eine nicht gemeldete Anlage, zu der die Internationale Atomenergieagentur IAEA seit Jahren Zugang begehrt, um Aufschluss über mögliche militärische Aspekte („Possible Military Dimensions“) des iranischen Atomprogramms zu erhalten. Es handelt sich um das südlich von Teheran gelegene Rüstungszentrum Parchin. Dort soll es Experimente mit Schockwellen und Neutronengeneratoren gegeben haben, die für die Zündtechnik von Atombomben bedeutsam sind, mit anderen Worten: Arbeiten an einem Atomwaffendesign. ((siehe z.B. https://www.iaea.org/sites/default/files/gov2011-65.pdf)) Eine Klärung des Sachverhalts ist im JCPOA vereinbart; die IAEA soll noch in diesem Jahr einen abschließenden Bericht darüber vorlegen.

Irans „Supreme Leader“ Ayatollah Khamenei hat jedoch nicht nur einen „verbesserten“, sondern überhaupt jeden Zugang ausländischer Inspektoren zu Parchin kategorisch ausgeschlossen. Hinter der IAEA stecke der Große Satan und dessen Spione lasse man nicht die eigenen Militäranlagen ausspähen. Hier stößt die siegreiche Diplomatie Kerrys und Steinmeiers an ihre Grenzen – Ende der Fahnenstange, Punkt. Um das Abkommen nicht an diesem eklatanten Verstoß scheitern zu lassen, hat man eine diskrete Absprache zwischen der IAEA und dem Nationalen Sicherheitsrat des Irans lanciert, nach der die Iraner gewissermaßen im Auftrag der IAEA Parchin selber „inspizieren“ sollen. So sieht also der Präzedenzfall für die detaillierten, strengen, überprüfbaren und nachhaltigen Kontrollen des iranischen Atomprogramms aus. Der Iran kann falsch spielen und dabei ertappt werden, ohne Schaden befürchten zu müssen – ein starker Anreiz, genau so weiter zu machen, genau so wie übrigens schon in den letzten 20 Jahren, und dabei mitnichten als Verlierer dazustehen.

Haben die Kanzlerin, der Präsident und der Premierminister die Öffentlichkeit und den Kongress der USA falsch unterrichtet? Es spielt keine Rolle, dass die Unwahrheiten die gleichen sind, die auch vom Weißen Haus verbreitet werden. Hier werden falsche Tatsachen vorgespiegelt: mal ist die Rede von wasserdichten Kontrollen der IAEA – mal werden Schein-Inspektionen vereinbart, an denen die IAEA gar nicht beteiligt ist. Von solcher Diplomatie werden keine Konflikte bewältigt; sie werden konserviert und verschärft. Einem Magazin ist es gelungen, die Motive der europäischen Politik auf den Punkt zu bringen: die Meldungen über den Iran Deal erscheinen unter der Rubrik „Konjunktur“ (FOCUS – MONEY Online, 18.9.).