Angesichts der schweren Turbulenzen im „Likud“, der Machtspiele in der Arbeitspartei und des endgültigen Stillstands der Verhandlungen mit den Palästinensern nehmen sich die Berichte über die diesjährige Jahreskonferenz des israelischen Bildungszentrums Giv’at Haviva wie ein Hoffnungsschimmer aus…
Von Reiner Bernstein
Die Veranstalter hatten sich die Suche nach einer partnerschaftlich ausgerichteten Gesellschaft vorgenommen und dazu mit Staatspräsident Reuven Rivlin an der Spitze Abgeordnete, Vertreter der Wirtschaft und der Finanzwelt, Regionalpolitiker und Mitarbeiter vieler NGO’s gebeten.
Auch der deutsche Botschafter Andreas Michaelis war der Einladung gefolgt – und bezog nachdrücklich Stellung. Nachdem er der Arbeit des Instituts seinen persönlichen Respekt und den Dank der Bundesregierung ausgesprochen hatte, tat der Botschafter nicht mehr und nicht weniger, als die israelische Gesellschaft auf die Dringlichkeit der Rechtsstaatsidee, den Schutz individueller Rechte, die Rechte der Minderheiten und die zentrale Bedeutung eines
unabhängigen Justizapparats einzuschwören.
Denn seinem Aufruf zu „einem positiven Klima in der Gesellschaft“, in dem „Juden und arabische Palästinenser in Israel echte Partner werden und Israel zu einer gemeinsamen Heimat machen können“, steht eine beängstigende Entfremdung gegenüber. Nicht erst die Untersuchungskommission nach der zweiten „Intifada“ hatte in ihrem 781 Seiten langen Bericht den Umgang mit dem arabischen Bevölkerungsteil als „die wichtigste und sensibelste Angelegenheit im Innern auf die Tagesordnung des Staates“ setzen wollen.
Rivlins Absagen an die internationale Diplomatie
Dazu kam es nicht. Zwar sah sich Rivlin, diesjähriger Preisträger der „Internationalen Freunde von Giv’at Haviva“, zu der Beanstandung veranlasst, dass seit der Gründung Israels keine einzige arabische Ortschaft errichtet wurde und den arabischen Staatsbürgern das Mitsingen der Nationalhymne nicht zuzumuten sei. Aber dem Bekenntnis folgten die Ermahnungen auf dem Fuße: Die jüdische Öffentlichkeit werde nicht nachlassen, von ihnen die Achtung der Regeln der Demokratie und ein klares Bekenntnis zur Existenz Israels einzufordern – als ob die Anhänger des „Yeshiva-Nationalismus“ mit ihrer „immensen politischen Macht“, die ihnen die Tel Aviver Historikerin Anita Shapira bescheinigt hat, hierbei keinen exorbitanten Nachholbedarf hätten.
Als „Liebender des Landes Israel in seiner Vollkommenheit“ bezog der Präsident überdies – wie schon während seines Staatsbesuchs Mitte Mai in Berlin – den Ort seiner Ansprache ebenso ein wie die jüdischen Niederlassungen Ariel und in Hebron. Nicht klarer konnte er den politischen Souveränitätsanspruch Israels über alle Teile zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan ausdrücken und die internationale Diplomatie düpieren. Wie sehr sich die politischen Differenzen eingeebnet haben, hat Yitzhak Herzog als Führer des Zionistischen Lagers mit der Warnung dokumentiert, er wolle nicht eines Tages 61 arabische Abgeordnete im Parlament sehen.
Jüngste Berechnungen der „RAND Corporation“, wonach die israelische und die palästinensische Wirtschaft im Falle eines Staates Palästina in den nächsten zehn Jahren einen Aufschwung im Gesamtwert von 173 Milliarden US-Dollar erleben würden – auf Israel allein könnten 120 Milliarden entfallen –, interessieren Ideologen gemeinhin wenig oder gar nicht.
Müßige Rufe nach der Intervention Gottes
Nachdem ein Staat Palästina mittlerweile eine göttliche Intervention voraussetzen würde, wie die „International New York Times“ ironisch vermerkte, sollte die internationale Diplomatie dafür sorgen, dass Benjamin Netanjahu den eigenen Staat nicht an den Rand seiner Existenz manövriert. Ansonsten müsste sie sich auf dem Weg in die Realpolitik mit gesellschaftspolitischen Verfassungsmodellen vertraut machen, welche die Prinzipien eines auf ethnische und kulturellreligiöse Homogenität angelegten Nationalstaates hinter sich lassen.
Dass in Israel eine dramatische Diskussion um seine bislang international verbürgte Legitimität stattfindet, zeigt an, dass der Staat an einem strategischen Scheideweg steht. Und dass der Palästinensischen Autonomiebehörde aus berufenem Munde „ein kritischer Fall von Schizophrenie“ vorgehalten worden ist,
komplettiert die Perspektivlosigkeit des Status quo.
Schon deshalb sind die Bemühungen in Giv’at Haviva zu würdigen, mit Hilfe auswärtiger Unterstützung – Michaelis hob die FriedrichEbert-Stiftung
hervor – das gegenseitige Verständnis, die bürgerliche Gleichbehandlung und die Zusammenarbeit zu fördern. Aus einer nationalen könnte eine multinationale Bildungseinrichtung werden.
Das israelische Bildungszentrum Giv’at Haviva ist mir bis dato kein Begriff. Aber schön, wenn sich damit, wie von R. Bernstein behauptet, ein neuer Hoffnungsschimmer auftut – davon kann es schließlich nicht genug geben.
Nur: Warum muss der deutsche Botschafter „die israelische Gesellschaft auf die Dringlichkeit der Rechtsstaatsidee, den Schutz individueller Rechte, die Rechte der Minderheiten und die zentrale Bedeutung eines unabhängigen Justizapparats einzuschwören“? Brauchen die da wirklich Nachhilfe durch einen deutschen Botschafter?
Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass Israel eine parlamentarische Demokratie ist, die solche grundsätzlichen „Belehrungen“ nicht nötig hat. Anscheinend ist der Herr Michaelis anderer Meinung. Meines Erachtens ist das eine ziemlich arrogante Einlassung vom Herrn Botschafter, die von dem Autor für einen reichlich irritierenden Beitrag verwendet wird.
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