Front National gegen Jean-Marie Le Pen

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Leicht verpatzter 1. Mai-Aufmarsch und Durchgreifen gegen den Altpatriarchen Jean-Marie Le Pen…

Von Bernard Schmid, Paris

Dies hätte er wohl nicht erwartet: Am Montag, den 04. Mai 15 entschied der engere Parteivorstand – das Bureau exécutif – des Front National, den Altvorsitzenden Jean-Marie Le Pen mit dem Aussetzen (der „Suspendierung“) seiner Mitgliedsrechte zu sanktionieren. Dies kommt einem vorläufigen Ausschluss gleich, der kürzer- oder mittelfristig in einen definitiven Ausschluss umgewandelt oder aber nach einiger Zeit beendet werden kann.

Der demnächst (im kommenden Monat) 87jährige Jean-Marie Le Pen hatte die neofaschistische Partei, zusammen mit einigen Mitkämpfern, am 05. Oktober 1972 in Paris offiziell gegründet. Der harte Kern der rechtsextremen Aktivisten, die die „Nationale Front“ aus der Taufe hoben und überwiegend aus der gewalttätigen Studierendengruppe unter dem Namen „Occident“ kamen, hatten ihm den Vorsitz angetragen und dabei gedacht, sie könnten ihn als Gallionsfigur benutzen. Zuvor hatte der faschistische Ideologie Dominique Venner – der Mann, der am 21. Mai 2013 auf spektakuläre Weise Selbstmord begehen würde, indem er sich in der Pariser Kathedrale Notre-Dame eine Kugel in den Kopf schoss – das Angebot auf Übernahme des Vorsitzes ausgeschlagen. Doch statt sich zur Gallionsfigur der überwiegend deutlich jüngeren Truppe der „Occident“-Leute machen zu lassen, drehte Jean-Marie Le Pen in der Folgezeit den Spieß um, und nahm innerparteilich die Sache voll in die Hand. Schon 1973 verließ die „Occident“-Riege, die als die eigentliche Gründertruppe des FN gelten durfte, die Partei enttäuscht oder in Rage und gründete später einen eigenen Verein, die „Partei der neuen Kräfte“ (den PFN, Parti des forces nouvelles). Letztere Formation sollte sich auf Dauer als Rohrkrepierer erweisen.

Jean-Marie Le Pen hat also schon einigen Widrigkeiten in seinem politischen Leben widerstanden und glaubte, auch dieses Mal als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorzugehen. Eröffnet worden war diese besonders dadurch, dass Jean-Marie Le Pen in Interviews mit dem bürgerlichen Privatsender BFM TV (eine Fernsehstation für Sensationsmacherei und Dauerberieselung) am 02. April d.J. sowie in der Ausgabe der altfaschistischen Hardcore-Wochenzeitung ,Rivarol‘ vom 09. April 15 kein Blatt vor den Mund genommen hatte. In ersterem Interview bekannte er sich u.a. zu seinen seit September 1987 mehrfach getätigten Aussprüchen über die Gaskammern, die als Softcore-Version der „Auschwitzlüge“ gelten müssen. Im zweitgenannten ließ er sich unter anderem über den Marschall Philippe Pétain – den Chef des mit NS-Deutschland zusammenarbeitenden Kollaborationsregimes im Zweiten Weltkrieg – mit den Worten aus, der Oberkollaborateur sei „in (s)einen Augen nie ein Verräter“ gewesen.

Seiner Tochter Marine Le Pen (46), die offiziell am 16. Januar 2011 – während eines im westfranzösischen Tours abgehaltenen Parteitags – den Vorsitz beim FN von ihm übernommen hatte, platzte nunmehr der Kragen. Ihr und ihrer Umgebung liegt aus strategischen Gründen viel daran, nur nicht in den Geruch einer Komplizenschaft mit dem Nazismus und dem historischen Faschismus zu kommen. Denn die aktuelle Führungsriege ist davon überzeugt, die Schlacht um eine Rehabilitierung dieser historischen Verbrecherregimes sei bereits geschlagen und verloren – man möge sich deshalb lieber auf „Zukunftsfragen“ konzentrieren. Marine Le Pens Lebensgefährte und Vizevorsitzender, Louis Aliot (45), goss seine Auffassung dazu in folgende Theorie: „Unsere Diabolisierung/Verteufelung (diabolisation) hängt ausschließlich am uns unterstellten Antisemitismus. Diesen Riegel müssen wir aufsprengen“, um nicht auf Dauer von wirklichem politischen Einfluss und politischer Macht(teilhabe) ferngehalten zu werden.

Dass seine Mitgliedschaft bei der von ihm begründeten Partei infrage gestellt werden könnte – dies hatte Jean-Marie Le Pen wohl nicht ernsthaft einkalkuliert. Vielmehr rechnete er sicherlich mit einer andersartigen Sanktion: dem Entzug des „Ehrenvorsitzes“, welcher ihm auf dem Parteitag vom Januar 2011 angetragen worden war. Laut Jean-Marie Le Pens eigener Sicht handelte es sich bei diesem „Ehrenvorsitz“ (présidence d’honneur) um eine Präsidentschaft auf Lebenszeit – also ein Amt, das ihn also bis an sein Lebensende dazu berechtige, der aktuell bestehenden Parteiführung in die Parade zu fahren und ins Geschäft hinein zu pfuschen. Er rechnete wohl mehr oder minder fest damit, dass dieser (ursprünglich als symbolisch konzipierte) Posten ihm entzogen werden könnte. Deswegen hatte die letzte Garde seiner nicht von Zweifeln behafteten Verteidiger, unter ihnen sein Ewiger Zweiter, der Ex-Juraprofessor Bruno Gollnisch, in den letzten Tagen eigens eine Argumentation dafür aufgebaut: Da ein Parteikongress ihm dieses Amt verliehen habe, könne auch nur ein Kongress es ihm wieder entziehen.

Zweifellos hat diese Verteidigungslinie die amtierende Parteiführung dazu gebracht, stattdessen gleich auch die Mitgliedsrechte des Altmitglieds mit zu kassieren – eine Entscheidung, die laut Statuten durch eine Kommission aus Vorstandsmitgliedern getroffen werden kann.

Jean-Marie Le Pen zürnt nun darüber heftig und klagte öffentlich an, er „schäme“ sich dafür, dass die derzeitige Parteivorsitzende „meinen Namen trägt“. Eine eigene leibliche Tochter in der Öffentlichkeit zu verstoßen, und/oder jedenfalls geistig und politisch zu enterben, ist für den alternden Jean-Marie Le Pen freilich nichts Neues: Bereits im Winter 1998/99, anlässlich der damals durch die Krise zwischen Jean-Marie Le Pen und seinem früheren Chefideologen Bruno Mégret ausgelösten Spaltung, verfuhr er ähnlich. Damals entzog er der ältesten seiner drei Töchter, Marie-Caroline Le Pen (die mit einem der Herolde Bruno Mégrets, mit Namen Philippe Olivier, liiert war), vor laufenden Mikrophonen und Kameras das familiäre Dach. Heute kappt er nun auf ähnliche Weise symbolisch die Abstammungslinie mit der jetzigen Parteivorsitzenden. Er malte laut seinen Gedanken aus, dass Marine Le Pen doch gefälligst ihren Familiennamen ändern könne, indem die (bereits doppelt geschiedene) Tochter heirate. Entweder ihren tatsächlichen Lebensgefährten Louis Aliot oder aber ihren anderen Vizevorsitzenden, den jungen Florian Philippot – dessen Homosexualität der französischen Öffentlichkeit längst bekannt ist.

Auch seinen „Ehrenvorsitz“ wird Jean-Marie Le Pen wohl in naher Zukunft verliehen. Die aktuell amtierende Parteiführung kündigte jedenfalls an, innerhalb von „drei Monaten“ formal eine außerordentliche „Generalversammlung der Mitglieder“ – die einen (Delegierten-)Kongress noch toppen kann – einzuberufen, um darüber abstimmen zu lassen. In Wirklichkeit jedoch wird allerdings an eine Urabstimmung auf postalischem (oder elektronischem?) Wege gedacht.

Dem aktuellen innerparteilichen Ärger voraus ging ein 1. Mai, der aus Sicht des Front National in buchstäblicher Hinsicht wie im übertragenen Sinne verregnet ausfiel. Aufgrund der Witterung nahmen in diesem Jahr nur rund 2.000 Anhänger an der jährlich stattfindenden rechtsextremen 1. Mai-Kundgebung teil, das ist eine erheblich geringere Anzahl als in den Vorjahren. (Durch Witterung plus Schulferien im Pariser Raum war allerdings auch die nachmittägliche „klassische“ 1. Mai-Demonstration der Gewerkschaften in ihrer Teilnehmer/innen/zahl in diesem Jahr beeinträchtigt.)

Ferner störte auch Jean-Marie Le Pen mit seiner unerbetenen Anwesenheit auf der Bühne – obwohl ihm dort ein Redeverbot auferlegt worden war – die aktuelle Parteichefin. Der Alte kreuzte kurzzeitig in einem leuchtend roten Parka auf, legte einen Kranz für die „Nationalheilige“ Jeanne d’Arc (die „Jungfrau von Orléans“ aus dem Dreißigjährigen Krieg) nieder und rief dazu provokatorisch aus: „Zu Hilfe, Jeanne!“ Zusätzlich aber störten unmittelbar darauf drei Aktivistinnen der ursprünglich aus der Ukraine stammenden, doch in Frankreich in jüngerer Zeit sehr aktiven Frauenbewegung ,Femen‘ die Rede der Vorsitzenden. Sie entrollten – wie üblich barbusig auftretend – ein Protesttransparent von einem Hotelbalkon herunter, auf dem der Front National mit Nazisymbolen assoziiert und mit Hitler in Verbindung gebracht wurde. Am selben Ort hatte bereits am 1. Mai 1995 ein antifaschistischer Protest des damaligen Anti-FN-Netzwerks ,Ras L’Front‘ (RLF) stattgefunden. Minutenlang sorgte in diesem Jahr der Auftritt der ,Fémen‘ die Szenerie. Auf dem Platz vor der Pariser Oper, wo die Kundgebung stattfand – unter Anwesenheit des Verfassers dieser Zeilen – liefen der paramilitärische Ordnerdienst der Partei, das DPS (,Départements protection et sécurité‘, also „Abteilung Schutz & Sicherheit“) und einige Aktivisten wild durcheinander und in Richtung des Hoteleingangs. Schlussendlich wurden die drei ,Femen‘ nicht etwa durch die Polizei, sondern durch den eigenmächtig handelnden DPS der Partei aus ihrem Hotelzimmer befördert. Sowohl die drei Frauen als auch die rechtsextreme Partei, deren Kundgebung sie beeinträchtigt hatten, erstatteten wechselseitig Strafanzeige.

Mitarbeiter/innen von zwei verschiedenen TV-Sendeanstalten wurden körperlich angegriffen. Der stärkste Hass galt dabei der auf Enthüllungsjournalismus und Satire spezialisierten Sendung ,Le petit journal‘ des Privatfernsehsenders ,Canal +‘. Ein Stabmikrophon der TV-Anstalt wurde vom (noch immer amtierenden) Europaparlaments-Abgeordneten und früheren hochrangigen Parteifunktionär Bruno Gollnisch – auch „Gogol“ genannt – persönlich zerstört: Er schlug mit einem Regenschirm zu. ((Vgl. dazu die Aufnahmen unter: http://bigbrowser.blog.lemonde.fr/2015/05/05/les-coups-de-parapluie-du-fn-sur-la-liberte-de-la-presse/))