Rosch haSchana 2014

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Rosch haSchana ist in diesem Jahr für uns ein besonderer Neubeginn…

Wir müssen in das neue Jahr ohne David Gall gehen. Wir versuchen, sein Lebenswerk fortzusetzen und müssen Vieles lernen und uns geduldig bemühen, in seine Fußstapfen zu treten. Zum letzten Rosch haSchana, als er bereits krank war, schrieb David:

„Ein Jahreswechsel bringt den Menschen zwangsläufig aus der Gegenwart. Das ist beunruhigend, ist doch die Gegenwart die einzige Zeit, in der wir handlungsfähig sind, in der wir spüren können was ist, und fühlen, wie wir dazu stehen.
Wir blicken in die Zukunft, die wir nicht kennen und können uns darauf freuen oder uns fürchten. Wir blicken zurück und können nichts festhalten und nichts ändern.
Die Zeit, in der wir leben, ist die Gegenwart. Der Augenblick, der gerade Zukunft war und jetzt schon Vergangenheit ist. Wenn wir nicht aufpassen, haben wir ihn gar nicht bemerkt. Dabei ist dies unser Leben. Eines von Milliarden und doch einzigartig.
Es gibt Gefühle, die man kaum benennen, die man aber auch nicht verschweigen kann. In manchen Jahren geschehen Dinge, die so erschreckend sind, dass man erstarren könnte. Wenn etwas eintritt, das man schon lange und nicht nur am Jahreswechsel fürchtet, stellen sich Fragen, die ein Mensch nicht ertragen und bestimmt nicht beantworten kann.
Aber wenn ich nicht wissen kann, was ist, bleibt mir doch nur zu vertrauen. Doch in wen? Was kann ich wissen und was kann ich glauben? Was will ich glauben?
Die Torah spricht von einer Kraft, die keinen Namen hat und von der wir uns keine Vorstellung machen sollen. Diese Kraft hat die Welt erschaffen und alles was in ihr ist. Auch die Menschen, jeden Einzelnen, jeden einzeln.
Diese Kraft hat kein Ende und keinen Anfang, nicht in der Zeit, nicht im Raum.
Es erscheint mir noch immer so wunderbar, dass ich immer wieder von neuem überrascht bin, wenn ich diese Kraft fühlen kann. Trotz Zweifel und Verzweiflung kann ich dann spüren, wie mich etwas direkt mit dem Leben verbindet und berührt. Viele Menschen kennen ein Gefühl für die Quelle eines Lichts, das sie als Grund für Hoffnung und Freude ansehen.“

Max Dienemann, der vor 1938 Rabbiner in Offenbach war, sprach in einer seiner Neujahrs-Predigten vom Gefühl der Freiheit, wenn wir unser Schicksal besiegen und die Kraft der inneren Erhebung wahrnehmen:

„Nicht, was wir erleben, macht den Sinn des Lebens, sondern, was wir aus unserem Erleben machen. Es kommt nicht darauf an, die rätselhafte Tragik des Lebens auszuheben, sondern darauf, sie in Kraft umzubiegen. Es kommt darauf an, zu zeigen, wie man imstande ist, aus jedem Niederbruch heraus ein neues Leben anzufangen. Es kommt nicht darauf an, die Stunden des Glücks und des Gedeihens festzuhalten, sondern aus ihnen Weichheit und Zartheit zu ziehen, Wille zur liebevollen Tat, Wille teilnehmen zu lassen, Wille zum Mitmenschen. Das ist die Freiheit, die hohe und erhabene, da sprengen wir die Fesseln, da wird der Mensch zum Ebenbild Gottes, zum Mitschöpfer der Welt, da steht er neben Gott.“

In diesem Sinne wünschen wir für uns alle zu Rosch haSchanah 5775
Schanah towah umetukah!

Seien wir für das neue Jahr zum Guten eingeschrieben, zu Gesundheit und Frieden. Zum Leben!