Frank-Walter Steinmeier ante portas

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In seinem programmatisch angelegten Parforceritt hat sich Frank-Walter Steinmeier am Tag seiner Rückkehr ins Berliner Auswärtige Amt daran erinnert, dass er manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter während seiner Zeit als SPD-Fraktionsvorsitzender in Kabul, Kairo oder in Tel Aviv wiedergesehen habe und dass er über die Beachtung von Kontinuitäten hinaus manche „Dinge“ bei der Gestaltung einer globalen Friedensordnung weiterentwickeln wolle…

Von Reiner Bernstein

Doch beim Blick auf den Nahen Osten verharrt die von ihm angekündigte Überprüfung auf schwankendem Boden. Ja, Libyen ist auf dem Wege zu einem „failed state“, und Tunesien ringt um seine Zukunft. Auch ist seiner Beobachtung zuzustimmen, dass der Alltag der Menschen in Kairo nicht auf Dauer den Beigeschmack von Hunger und Chaos bekommen dürfe. Dass in Syrien mittlerweile ein Stellvertreterkrieg tobt, lässt sich nicht leugnen. Tatsächlich hätte Russland viel früher einbezogen werden müssen, lässt Steinmeier seinen Amtsvorgänger Guido Westerwelle wissen – wie dies sehr spät auch für die Beteiligung Moskaus an den Verhandlungen mit dem Iran geschah.

Palästina verbaut

Im Blick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt hält Steinmeier daran fest, dass sich durch die „bewundernswert hartnäckigen Bemühungen“ John Kerrys – denen der palästinensische Chefdiplomat Saeb Erakat ausdrücklich zugestimmt hat – „im nächsten Jahr ein einzigartiges Fenster positiver Gelegenheiten für die gesamte Region“ öffne. Bleibe es geschlossen, sei endgültig „ein langsamer strategischer Rückzug Amerikas aus der Region“ zu erwarten – „mit unabsehbaren Folgen für Israel, für die gesamte Region, aber auch für uns“. Welche eigenen Energien die neue Bundesregierung investieren will, um Washingtons Scheitern zu verhindern oder selbst operativ in die Bresche zu springen, findet keine Erwähnung. Auch welche Zukunft den Palästinensern dann bevorstünde, bleibt im Dunkeln.

Immerhin verzichtet Steinmeier explizit auf das Mantra der Zwei-Staaten-Lösung, das in den jüngsten Schlussfolgerungen der EU-Außenminister erneut bemüht wurde. Darin ist Israelis und Palästinensern ein dickes Paket mit politischer, wirtschaftlicher und sicherheitstechnischer Hilfe sowie eine „besondere privilegierte Partnerschaft“ zugesagt worden – allerdings erst nach dem Endstatus-Vertrag. Wie in Berlin überließen die 28 Außenminister in Brüssel den USA den politischen Vortritt.

Bei den leitenden Diplomaten und Beamten am Berliner Werderschen Markt dürfte es keinen Zweifel daran geben, dass die israelische Regierung die Zwei-Staaten-Lösung buchstäblich verbaut hat. Von ihrer Relevanz haben auch zahlreiche israelische Intellektuelle Abschied genommen, während Regierungsmitglieder offen die Annexion der Westbank verlangen, nachdem in Ost-Jerusalem längst vollendete Tatsachen geschaffen worden sind. Bill Clintons Parameter von Ende 2000 „Was jüdisch ist, bleibt jüdisch, was palästinensisch ist, bleibt palästinensisch“ haben ausgedient. Die von Steinmeier kritisierte „Vergipfelung“ der Diplomatie hat es nicht einmal geschafft, für eine ordentliche Kanalisation in der Altstadt und in den arabischen Wohnbezirken zu sorgen. Die schweren Schneefälle der vergangenen Tage haben ganze Straßenzüge mit Abwässern und Kot überschwemmt.

Ohne Jerusalem kein Friedensvertrag

Nach wie vor sträuben sich die westlichen Regierungen mit Macht gegen die Einsicht, dass dem Konflikt tiefe ideologische Komponenten zugrunde liegen, die in Jerusalem allgegenwärtig sind. Ihnen insgesamt ist mit materiellen Wohltaten nicht beizukommen – eine Erkenntnis, die dem Führer des revionistischen Zionismus und Ziehvater der heutigen „Likud“-Partei Zeev Jabotinsky (1880 – 1940), völlig klar war und ihn zur Forderung nach einer „eisernen Mauer“ bewog, die inzwischen erhebliche Teile der Westbank zerteilt. Aus der Regierungszeit Menachem Begins zwischen 1977 und 1983 sind solche Versuche der bürokratischen und materiellen Vergünstigungen ebenfalls aktenkundig, bevor Shimon Peres im Zuge der Osloer Vereinbarungen einen „neuen Nahen Osten“ mit dem Ziel des freien Wirtschaftsaustauschs und der allgemeinem Wohlfahrt beschwor.

Wenn in der frühen zionistischen Literatur vom Aufbau einer „jüdischen Heimstätte“ in Palästina die Rede war, so stand ihren Befürwortern kein Religionsstaat vor Augen, sondern ein Gemeinwesen der geistigen und nationalen – keineswegs durchgängig chauvinistischen – Regeneration nach den Jahrhunderten der Zerstreuung und der Verfolgung. Derweil hat Israels Selbstdefinition als „jüdischer Staat“ eine ganz andere Bedeutung angenommen, nämlich die Berufung auf eine Symbiose aus Religion und Politik. Ihre Durchsetzung hätte unabsehbare Folgen für die knapp 1,7 Millionen Staatsbürger arabischer Volkszugehörigkeit, wobei sich der Staat endgültig zwischen Demokratie und voller Autonomie für jene 20 Prozent seiner Bevölkerung entscheiden müsste. Dennoch drängt Kerry in Ramallah darauf, Israel den Status als jüdischen Staat zuzuerkennen und einer mehrjährigen Präsenz des israelischen Militärs am Jordan zuzustimmen.

Wie soll ein dauerhafter Frieden entstehen?

Benjamin Netanjahus Politik hat die in der internationalen Öffentlichkeit weitverbreitete Isolierung bis hin zum Boykott Israels ermutigt, der längst nicht mehr nur auf die Präsenz in den palästinensischen Gebieten abzielt, sondern an die Grundfesten seiner Existenz rüttelt. Wodurch also sind den Regierungen Europas die Hände des Gegensteuerns gebunden? Dem „State-building“-Prozess, den die EU-Erklärung noch einmal beschworen hat, wird Steinmeier mit dem Vorrang von „soft power“ nicht zu neuem Leben verhelfen können. Sein Rückgriff auf die Arabische Friedensinitiative vom März 2002 ignoriert die schweren Verwerfungen und Umbrüche in der arabischen und islamischen Welt; keiner der 56 Unterzeichner von damals sieht sich aus innenpolitischen Gründen in der Lage, sie weiterzuverfolgen.

Insofern rächt es sich, dass die Regierungen der westlichen Welt der „Genfer Initiative“ als Blaupause für den Frieden zwischen beiden Völkern keine operative Beachtung geschenkt haben. Denn als Vorlage aus den Reihen beider Zivilgesellschaften hätte sie einen Wendepunkt in der internationalen Diplomatie einleiten können. Gespannt sein dürfen wir also auf den Bericht, für den Steinmeier den früheren Leiter der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ Christoph Bertram gewonnen hat: Innerhalb eines Jahres soll sein Team Rahmenvorschläge für eine kohärente und effektive Außenpolitik vorlegen.

6 Kommentare

  1. Die Bevormundung und Gängelung Israels muss aufhören!
    Die UNO müsste eine freie und geheime Volksbefragung unter den Palästinensern durchführen, ob sie unter der Autonomiebehörde oder in einem demokratischen jüdischen Staat leben wollen, dann ergäbe sich mittlerweile sogar eine Mehrheit für Israel.

  2. “ …das Mantra der Zwei(3)-Staaten-Lösung …“ 🙁

    kostet/e vergangenheitlich – sowie heute noch – stets UNschulig geMORDetes MenschenLEBEN – the real result!

  3. Als alter Sozi, traue ich Steinmeier einen Zugang zum kollektiven Gedächtnis zu.

    Daher wird er einer populistischen Meinungsführerschaft Deutschlands widerstehen.

    Glaube ich!

    • Hallo ente,
      „Als alter Sozi, traue ich Steinmeier einen Zugang zum kollektiven Gedächtnis zu. “

      Steinmeier ist auf Grund Agenda 2010 kein Sozi, und was das kollektiv Gedächtnis betrifft: was meinen sie in diesem Zusammenhang damit ???

      Ich sehe es aber würde lieber ihren Gedanken dazu lesen 🙂

      Liebe Grüße
      Kyniker – der nur noch sporadisch wird Antworten können.

      (Das Leben neigt sich nun seinem Herbst zu)

      • Hi Kyniker,
        „Steinmeier ist auf Grund Agenda 2010 kein Sozi, …“
        Sry, trotz jetzt erkennbarer handwerklicher und auch ideologischer Fehler der Agenda, empfinde ich persönlich die Lebensrealität der Arbeitnehmerschaft in Deutschland durchaus positiv. Dies mag an der Sichtweise liegen; ich vergleiche mit real existierenden Staaten, da mir Sonderwege erfahrungsgemäß relativ riskant erscheinen.

        Auch als alter Gutmensch gehe ich (außer natürlich bei mir, als persönlich überlegener Denker) davon aus, daß sich Menschen nicht als individuelle Weltbürger ihrer eigenen Moral verpflichtet sehen, sondern sich durch Gruppen definieren. Die versuchte industrielle Ermordung definierter Teile ist und sollte im kollektiven Gedächtnis der Deutschen bleiben.
        In meinen Augen führt dies zum Stigma, die Überlebenden in deren demokratischen Staat nicht zu bevormunden.

        Meine Meinung!

        (Hoffe noch auf langjährige Besserwisserei! Obwohl eigentlich ich ja immer recht habe 🙂 )

      • Hallo ente,

        besten Dank für Ihre Rückmeldung, durch die Ihre Gedanken mir klarer geworden sind 🙂

        Ein gutes, neues Jahr
        Kyniker.

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