Das Haus nebenan

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Ein Film von Marcel Ophüls…

Das Haus nebenanBesprechung von Karl Pfeifer

Ich denke es war 1971 oder 1972 als ich diesen Film, dessen Original „Le chagrin et la pitié“ heißt, in einem Pariser Kino im Quartier Latin zum ersten Mal sah. Es war ein Samstag und ich musste mehr als eine Stunde in einer langen Schlange warten bis ich eine Karte kaufen konnte, denn der Film lief nur in einem einzigen Kino. Damals gab es zwei staatliche Fernsehkanäle, die diesen Film nicht zeigen wollten.

Ophüls schildert die Geschichte der französischen Stadt Clermont-Ferrand während des Zweiten Weltkriegs. Sein vier Stunden dauernden Film zeigt den Zuschauern deutlich, welche Lebenslüge Frankreich noch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs beherrschte: dass mit Ausnahme der wenigen Kollaborateuren, die Franzosen Widerstand geleistet hätten. Ich dachte damals an die österreichische Lebenslüge.

Ophüls stellt seine Fragen an die Zeitzeugen und entlarvt Schurkereien, zeigt aber auch Patrioten, die wirklich Widerstand leisteten, als noch die meisten Franzosen Marschall Pétain zujubelten. Ein besonders gelungenes Interview führte Ophüls mit dem Bauern Alexis Grave, der von einem Nachbarn denunziert, daraufhin verhaftet und in ein deutsches KZ deportiert wurde. Er überlebte, kehrte zurück, kannte seinen Verräter, rächte sich aber nie. Er wollte nicht auf einer Stufe mit dem Kollaborateur stehen. Am meisten beeindruckt hat mich das Interview mit dem ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Pierre Mendès France, der über den schändlichen Antisemitismus in Petains Frankreich sprach. Ihm gelang die Flucht aus einem Gefängnis des Vichyregimes und er wurde in England Kampfpilot bei der Armee des freien Frankreichs. Pathetisch sind deutsche Zeitzeugen, die den verlorenen Krieg beklagen.

Dieser Film ist ein hervorragendes Geschenk für die kommende Festsaison.

Marcel Ophüls: Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege (2 DVDs), erschienen bei absolut medien/arte edition, 19,99 Euro, Bestellen?