Eine kämpferische Persönlichkeit

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Die Zeitzeugin und Autorin Gerda Zorn…

Von Heide Kramer, September 2012

Gerda Hesse wird am 11. Januar 1920 in Berlin-Nord geboren und erlebt während der Weimarer Zeit Kindheit-, Schul- und Jugendzeit in einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus. 1934 beginnt ihr beruflicher Werdegang als Bürokraft bei der Tobis-Filmgesellschaft in Johannisthal bei Berlin. Gerda muss ihren Arbeitsplatz verlassen, weil sie sich weigert, dem Bund Deutscher Mädel (BDM) beizutreten. Sie findet sofort Anschluss beim Reichsverband der deutschen Zeitungsverleger, wo sie als Sekretärin arbeitet. Die Vereinnahmung des Pressemediums durch die Faschisten wird auch hier deutlich spürbar. Es gelingt der selbstbewussten Gerda zu kündigen und sich dadurch den ungewollten Einflüssen zu entziehen.

Sie ist bis zum Kriegsende 1945 bei der deutschen Propaganda Nachrichtenagentur Transocean in Berlin beschäftigt. Der Zusammenbruch der faschistischen Schreckensherrschaft bleibt zwar auch für sie, ihre Familie und viele enge Freunde oft nicht ohne lebensgefährliche Auswirkungen, aber sie überstehen das Chaos. Nach dem Einmarsch der Roten Armee arbeitet Gerda bei der Presse der russischen Alliierten und wird 1950 Redakteurin im Amt für Information in Berlin/DDR. Sie heiratet, studiert und lässt sich scheiden. Gerda denkt und handelt als überzeugte Sozialistin. Obgleich sie der Mitgliedschaft im Kulturverein zunächst kritisch gegenüber steht, weil sie „die bürgerliche Aura als zu neutral und zu unpolitisch“ empfindet, ändert sie ihre Einstellung: Sie sieht den Kulturbund schließlich doch als journalistische Herausforderung und übt dort Lektorenarbeit für populär-wissenschaftliche Schriften aus. Ein unbedachter Kinobesuch in West-Berlin wirkt sich verhängnisvoll aus: Zur Strafe muss Gerda „Bewährungsarbeit“ in einer Fabrik ableisten. Weil sie sich weigert, erhält sie Berufsverbot und erfährt zunehmend gravierende Nachteile.

1956 verlässt Gerda die Deutsche Demokratische Republik. Sie siedelt in die Bundesrepublik Deutschland nach Kassel über und trifft dort ihren langjährigen, aus Rudolstadt in Thüringen stammenden Freund Hans Zorn („Eule“) wieder. Sie heiraten noch im selben Jahr.

Hans Zorn hat vor seiner Einberufung zur Wehrmacht in Süddeutschland Maschinenbau studiert. Ihm bleiben wegen seiner jüdischen Mutter als „Halbjude“ Repressalien durch die Faschisten nicht erspart. Er wird 1944 von der Gestapo abgeholt und in ein Zwangsarbeiterlager bei Wesel am Rhein überstellt unter dem fadenscheinigen Vorwand, bei der Sammlung für das Winterhilfswerk nur zehn Pfennige abgegeben zu haben. Kurz vor dem Einmarsch der amerikanischen Alliierten gelingt Hans Zorn die Flucht aus dem Lager. Seine Mutter wird nach Theresienstadt deportiert, der „arische“ Vater bleibt ebenfalls nicht verschont: Weil er nicht gewillt ist, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen, verschleppen ihn die Faschisten in ein Arbeitslager. Hans Zorn macht sich 1945 auf den Weg nach Theresienstadt, um nach seiner Mutter zu forschen. Sie überlebt, wird 1945 von der Roten Armee befreit und kehrt nach Rudolstadt zurück.

Die Wege führen Gerda und Hans Zorn von Kassel nach Frankfurt am Main und Ende der fünfziger Jahre nach Hannover. In Hannover entstehen bald eingehende Kontakte sowie gemeinsame politische Aktivitäten mit überlebenden Widerstandskämpfern und ihren Familien. So z. B. mit August Baumgarte, der unter den Faschisten 12 Jahre im Konzentrationslager zu leiden hatte und nun in der Bundesrepublik Deutschland von Adenauers Justiz zu zwei Jahren Haft verurteilt worden ist. Der Grund: Er ist Kommunist geblieben. Es gibt noch weitere Schicksale.

Frieden –

ein Wort nur?
ein Traum?
Frieden –
ist machbar
ist Teilbar?
wohl kaum.
Wer macht ihn?
Wer teilt ihn?
Wir – Ihr –Sie?
Wer – sind – Sie?
Wer sind die ihn machen?
Wir alle
Du – Ich- Sie?
Wer sind die ihn machen?
Wir alle
Du – Ich – Sie
Wann?
Jetzt
Wo?
Hier.

©Gerda Zorn „Frieden“. 1981 ro ro ro Deutsche Dichter Bibliothek. Goethe Gesellschaft, Frankfurt/M.

Zur Zeit des Kalten Krieges engagieren sich Gerda und Hans Zorn in Niedersachsen intensiv linkspolitisch. In Hannover erforschen und veröffentlichen sie vorrangig Lebensgeschichten von Widerstandskämpfern, Gerda arbeitet nun als freie Journalistin. Sie engagiert sich in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und der Friedensbewegung. Sie publiziert kritische Beiträge zur Aufarbeitung der deutschen Vor- und Nachkriegsgeschichte.

Anfang der sechziger Jahre ziehen Gerda und Hans Zorn nach Hamburg-Winterhude. Auch hier entwickelt sich schnell ein reger politischer Dialog mit Zeitzeugen und Betroffenen aus den Jahren der faschistischen Herrschaft.


Autorenlesung am 26. März 2010 im Freizeitheim Hannover-Linden: Gerda Zorn stellt ihr aktuelles Buch vor: „Wiederkehr des Verdrängten. Autobiographische Erinnerungen“.

Die jahrzehntelangen journalistischen Recherchen von Gerda und Hans Zorn haben Früchte getragen und werden künftigen Generationen erhalten bleiben.

Hans Zorn stirbt 1990 in Hamburg. Gerda Zorn lebt unverändert in Hamburg.

Text-/Fotobeitrag: ©Heide Kramer, Hannover, September 2012.
Fotos: ©Heide Kramer, Hannover, März 2010.

Publikationen

Gerda Zorn:

1965: Stadt im Widerstand (Röderberg-Verlag).

1974: Widerstand in Hannover. Gegen Reaktion und Faschismus, 2. Auflage (Bibliothek des Widerstands/Röderberg-Verlag).

1974: Frauen gegen Hitler, 1. Auflage (Röderberg-Verlag).
1974: Frauen gegen Hitler, 2. Auflage (Röderberg-Verlag).
1974: Frauen gegen Hitler, Nachauflage (Elefantenpress Berlin).

1979: Brot und Rosen. Hrsg.: Florence Herve, Marxistische Blätter, Frankfurt/M.,
Gerda Zorn: Frauen im Widerstand, S. 136 – 144, Marie Priess, S. 145 –147.

1980: Nach Ostland geht unser Ritt (Dietz-Verlag, Nachf., Bonn), Deutsche Eroberungspolitik zwischen Germanisierung und Völkermord (Vorwort von Herbert Wehner), Karten S. 15 – 18, 20, 22 wurden vom Verlag entnommen und über fasch. KZ 1933 – 1945. Aus Atlas zur Geschichte, Bd. 2 DD, ebda.

1985: Bombenalltag (Knauer-Verlag München): 20.9. NDR Hamburg Welle (Annemarie Stoltenberg).

1988: Nach Ostland geht unser Ritt. Deutsche Eroberungspolitik und die Folgen. Das Beispiel Lodz. Zweite erweiterte Auflage des 1980 im Dietz-Verlag Erschienenen, bebildert. (Vorwort von Egon Bahr und Herbert Wehner), Röderberg-Verlag.

1988: Der alltägliche Faschismus – Frauen im Dritten Reich, Charles Schuddekopf (Dietz, Nachf., Bonn), Hrsg.:Gerda Zorn: Mein alltäglicher Faschismus.

1988: Menschen wie Schiffe. Gerda Zorn: Als Berlinerin nach Hamburg, S. 228 – 233 (Uckert, Christians-Verlag).

1989: Rote Großmutter gestern und heute (Röderberg-Verlag, Köln).

2001: Wiederkehr des Verdrängten, Autobiografische Erinnerungen, Teil 1 (Edition Ost), Berlin.

2008: Wiederkehr des Verdrängten, bebildert, 1. und 2. Buch (trafo Verlagsgruppe Dr. Wolfgang Weist, Berlin, 2008).

Hans Zorn:

1986: France Bloch-Sérazin. Lebensstationen einer französichen Widerstandskämpferin. Konkret LiteraturVerlag. Hrgs./Drehbuch: Hans und Gerda Zorn. Film von Loretta Walz.

1979: Eule an Jenny. Gedichte.
Hans Zorn: Begegnung mit Heine,
Hans Zorn in POLITIK (Juli 1979).

Nachruf zum Tod von Hans Zorn:
Abschiedsrede von Herbert Bade zur Bestattung am 29. Juni 1990.

Wir nehmen heute Abschied von Hans Zorn und trauern gemeinsam mit den Angehörigen um einen guten Freund und Kameraden. Über 20 Jahre hat er unsere Arbeit in Hamburg mit kritischem Verstand und unermüdlicher Aktivität begleitet. Sein Einsatz für Frieden, gegen Rassenhass und Nazismus hat er nicht nur in Hamburg tiefe Spuren hinterlassen.

Sein Lebensweg führte auch durch Höhen und Tiefen, die ihn prägten, was er tat, beruhte immer auf eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen, die er daraus gewann.

Geboren in einer Zeit revolutionären Umbruchs mit Ende des ersten Weltkrieges und damit des Kaiserreiches wuchs er im Odenwald auf. Sein Vater, Lehrer in einer Einklassenschule in Fürth im Odenwald, setzte sich bereits damals für Schulreformen und Verwirklichung sozialer Ziele der Republik ein. Die Folgen des Krieges hat er gesundheitlich nicht überstanden. Als Hans ein Jahr alt war, starb der Vater. Die Mutter zog mit ihren beiden kleinen Söhnen in das liberale jüdische Elternhaus nach Michelstadt. Später heirate sie zum zweiten Mal einen sogenannten Arier. Ihm verdankte sie das Überleben. Trotz mehrfacher Mahnung der Gestapo, sich von der Jüdin scheiden zu lassen, hielt er zu ihr und den Kindern. Trotzdem wurde sie noch im Herbst 1944 in ein Ghetto verschleppt, während ihr Mann in ein Arbeitslager kam.

Während Hans Zorn in der Schule diffamiert und als sogenannter Halbjude nicht weiter studieren durfte, war sein älterer Bruder bereits nach USA emigriert. Hans musste zum Arbeitsdienst und anschließend zum Militär. Nachdem die Nazis neue Gesetze herausbrachten, wurde er als „wehrunwürdig“ entlassen und dienstverpflichtet nach Zingst. Er fand überall gute Freunde, mit denen er offen sprechen konnte, aber er fand auch Menschen, die dafür sorgten, dass er in ein Zwangsarbeiterlager kam. Kurz vor Kriegsende gelang ihm bei einem Arbeitseinsatz am Rhein die Flucht gemeinsam mit einem französischen Kriegsgefangenen, der ihm ein treuer Freund wurde.

Zu Fuß schlug sich Hans durch das zerstörte Land nach Thüringen durch, wo seine Eltern zuletzt wohnten. 300 km ist er gelaufen, um zu erfahren, wohin man die Mutter verschleppt hat. Als er erfuhr, dass sie im Ghetto Theresienstadt ist, begann für ihn eine abenteuerliche Odyssee, die ihn durch diverse Besatzungszonen in das Ghetto führte, das aus gesundheitlichen Gründen unter russischer Quarantäne stand. Es gelang ihm, die Mutter und einige andere Frauen herauszuholen. Inzwischen war auch sein Vater aus dem Lager nach Hause gekommen.

Jetzt machte sich Hans Zorn auf den Weg, seine Freundin aus dem inzwischen besetzten Pommern zu befreien. Eine Ausreise war nur durch die Heirat möglich. Er landete mit seiner Frau schließlich in Stuttgart, wo auch seine Tochter geboren wurde.

Wie viele Menschen waren auch sie überzeugt davon, dass jetzt die Zeit eines echten revolutionären Umbruchs angebrochen sei. Alles Unrecht der Jahre des Faschismus und des Krieges sollte untersucht werden, die Schuldigen bestraft. Nie wieder der Faschismus – nie wieder Krieg – dafür setzte er sich ein. Nach Beendigung eines Studiums der Volkswirtschaft arbeitete Hans in Stuttgart. Sehr bald musste er erleben, dass sein politisches Engagement in der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) sowie sein Eintreten für eine Aussöhnung mit der Sowjetunion auf Unverständnis, auf Ablehnung traf. Der Kalte Krieg hatte begonnen. Mehrfach verlor er die Arbeit. Ein Chef fragte ihn offen: „Warum machen Sie auch sowas?“ Seine Antwort: „Sie müssen sich mal vorstellen, dass die Rote Armee erst kommen musste, um meine Mutter aus den Klauen ihrer Landsleute zu befreien“.

Manch´ alte Freundschaften zerbrachen, andere wurden fester. So auch die Freundschaft zu Gerda, die seit ihrem 15. Lebensjahr über alle Jahre der Nazizeit bestand. Sie hatte inzwischen Journalistik studiert, war verheiratet und wieder geschieden. Auch die Ehe von Hans zerbrach. Aus Freundschaft wurde Liebe. Gemeinsam überstanden sie erneute Bespitzelung und Verfolgung in Hannover. Hans hatte inzwischen seine berufliche Heimat bei einer Versicherung gefunden, die ihn nach Hamburg holte, wo er bis zu seiner Pensionierung arbeitete. Hier fand er gute Kollegen und genoss überall großes Ansehen. Seine Kontakte reichten weit über Hamburg hinaus. Nach der Pensionierung fand er neue Aufgaben, die an das anknüpften, was er sein Leben lang verfolgte: Aufarbeitung der Vergangenheit, Aufklärung über Ursachen für Krieg und Frieden und aktive Teilnahme am Geschehen der Zeit. Er war Mitglied des Bundesvorstandes wie des Landesvorstandes Hamburg der VVN. 1985 hatte er als ihr Vertreter an einer Veranstaltung in Marseille teilgenommen. Französiche Kameraden gaben ihm Berichte von Lebens- und Haftgefahren der französichen Widerstandskämpferin France Bloch-Sérazin. Diese berührten ihn so, dass er sie übersetzte und als Buch herausgab.

France stammte aus einer jüdischen Familie des berühmten Schriftstellers Jean Richard Bloch. Sie hatte eine große Zukunft als Chemikerin, als die deutschen Truppen Frankreich besetzten. Als Jüdin und Kommunistin war sie doppelt gefährdet. Ihre Eltern und Schwestern mussten emigrieren. Sie und ihr Mann schlossen sich der Résistance  an. Als die Repressalien und Geiselerschießungen in Frankreich immer schlimmer wurden, hat France ihre Kenntnisse als Chemikerin zur Verfügung gestellt und Bomben für die Résistance gebaut. Sie wurde zum Tode verurteilt, nach Hamburg überführt und hier am 12. Februar 1943 enthauptet. Kaum 30 Jahre alt, hinterließ sie einen dreijährigen Sohn in Paris. Hans wollte, dass solche Schicksale nicht vergessen werden. Er recherchierte, fand den inzwischen erwachsenen Sohn Roland in Marseille, die in Paris lebenden Schwestern und Freundinnen. So entstand sein Buch „France Bloch-Sérazin – Lebensstationen einer französischen Widerstandskämpferin“.

Durch ständige Überzeugungsarbeit erreichte er, dass 1988 in Hamburg eine Gedenktafel errichtet wurde, die an France Bloch-Sérazin und Suzanne Masson, eine weitere in Hamburg hingerichtete Französin, erinnert.

Die Freundschaft zur Familie der France dauerte bis zu seinem Tode. Für Roland wurde sie zur Befreiung einer seelischen Last, die ihm gegenüber Deutschland und den schrecklichen Untaten, die man seiner Familie und seinem Land angetan hat jahrzehntelang bedrückt hatten. Er folgte der Einladung des Hamburger Kultursenators von Münch noch mit gemischten Gefühlen. Die Enthüllung der Gedenktafel und die Ehre, die seiner Mutter jetzt zuteil wurde, ermöglichten ihm die Aussöhnung mit Deutschland.

Gemeinsam mit seiner Frau Gerda schrieb Hans im vergangenen Jahr ein Drehbuch zu einem Dokumentarfilm über France, für den sie vom Filmbüro eine Filmforderung erhielten.

Trotz schwerer Krankheit hatte Hans Zorn noch viele Pläne. Sein starker Wille, seine Tapferkeit überwanden den Tod, der von den Ärzten schon Jahre vorher prophezeit worden war. In all den Jahren stand seine Frau ihm zur Seite. Gemeinsam arbeiteten sie, gemeinsam verstanden sie es zu leben, viele schöne Reisen waren ihnen noch in den letzten Jahren vergönnt.

©Die Publikation erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Frau Gerda Zorn, Hamburg. 2013.

Quellen
©Gedenkstätten Forum (Gedenkstättenbrief von 2010).
©Gerda Zorn: „Wiederkehr des Verdrängten (Autobiographische Erinnerungen)“. Trafo-Verlagsgruppe/Literaturverlag Berlin. 2008.
Aktualisiert: Februar 2013

3 Kommentare

  1. jim

    Herr Feingold erzählt von seiner Deportation aus einem Prager Gefängniss nach Auschwitz,Neuengamme,Dachau und nach Buchenwald.Nur zur Vollständigkeit.

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