Masada liegt in Darmstadt

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Die jüdische Berufsfachschule „Masada“ bereitete nach der Schoa jüdische Überlebende auf ein Leben in Palästina vor…

Im zerstörten Nachkriegsdeutschland versuchte ein Mann, jungen Holocaustüberlebenden einen Sinn für das Weiterleben zu geben und sie auf ein neues Leben in Israel vorzubereiten. Mit diesem Ziel gründete Samuel Milek Batalion 1947 die Berufsfachschule „Masada“. Der Name der Schule knüpfte dabei bewusst an die Geschehnisse in Judäa im Jahre 70 n. Chr. an. Nachdem die Römer bereits den Tempel in Jerusalem zerstört hatten, leistete nur noch eine Festung Widerstand: Die Burg Masada. Am Totenmeer gelegen, bot sie knapp 1.000 jüdischen Widerstandskämpfern Schutz. Kurz bevor die römischen Besatzer die Bergfestung Masada einnahmen, begangen die Widerstandskämpfer kollektiv Selbstmord. Sie zogen die Freiheit im Tod der Gefangenschaft vor. Masada steht seitdem als Symbol für den jüdischen Freiheitswillen und ist aus diesem Grund Namensgeberin für die jüdische Berufsfachschule in Darmstadt gewesen.

Die Schule begann ihre Tätigkeit im September 1947 mit dem Ziel, jungen Holocaustüberlebenden eine Ausbildung zu bieten und neuen Lebensmut zu schenken, sowie sie auf ein Leben in Israel vorzubereiten. Die Lehrer bildeten etwa 45-60 Überlebende, die aus verschiedenen Displaced Persons-Lagern kamen oder von Betar aus Bayern geschickt wurden, als Tischler, Schlosser, Schreiner und in anderen handwerklichen Berufen aus. Dies waren Berufe, die im jungen Staat Israel gebraucht werden würden.

Initiiert und geleitet wurde die Schule von Samuel Milek Batalion (Bild rechts). Er war Mitglied der Betar-Bewegung. Die Betar-Bewegung, entstand in den 1920er Jahren aus einer zionistischen Jugendpartei, die die Staatsgründung des Staates Israel um jeden Preis erlangen wollten. Sie gehörte zum rechten revisionistischen Flügel der zionistischen Strömungen. Ein Symbol der Organisation war Masada. Einige Schulen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Betar gegründet wurden nannten sich Masada. Auch Samuel Batalion wählte diesen Namen bewusst, um den Schülern ein neues Selbstbewusstsein zu vermitteln und sie daran zu erinnern, dass sie niemals aufgeben dürften.

Der ehemalige Jurastudent Samuel Batalion verhandelte mit der amerikanischen Militärregierung und der Stadt Darmstadt, sodass die Schule anstatt in einem DP-Lager, in einem Gebäude der Stadt untergebracht werden konnte. Da Samuel Milek Batalion selber Mitglied und Offizier in der Betar-Bewegung war, konnte er vermutlich mit Hilfe der Betar Organisation, der Militärregierung, der Stadt Darmstadt und der United Nation Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) die Räumlichkeiten, Verpflegung, Lehrpersonal, Finanzierung und Ausstattung der Schule bereitstellen.

Die Tatsachen, dass die Schule sich der Betar-Bewegung verpflichtet fühlte und dass die Unterrichtsräume nicht einem DP-Lager, sondern in einem Stadtgebäude untergebracht werden konnte, macht sie zu einer außergewöhnlichen Schule in der Nachkriegszeit.

Die Unterrichtssprachen waren Jiddisch – die einzige Sprache, die alle Schüler sprachen – und Deutsch. Neben dem praktischen Unterricht in Werkstätten und Tischlereien wurden Hebräisch, jüdische Geschichte und Religion unterrichtet. Daneben gab es tägliche Appelle, die die Schüler im Sinne der Betar-Bewegung schulen sollten.

Um die Schüler auf das Land Israel vorzubereiten, wurden die Mitarbeiter oft mit hebräischen Namen angesprochen. Der Madrich (Jugendführer) Moshe Mordchelewitz war zuständig für die nichttechnischen Fächer und die Betar-Ausbildung. Nach der Gründung des Staates Israel wanderte er nach Israel aus und kam später nach Kanada, wo er im August 2011 starb.Die Schule existierte lediglich bis zur Gründung des Staates Israel 1948. Ein Großteil der Schüler wanderte danach nach Israel aus.


Praktischer Unterricht in Masada

Obwohl die jüdische Berufsfachschule Masada nur zehn Monate existierte, ist sie ein wichtiger Teil der hessischen Nachkriegsgeschichte und Ausdruck für den Wiederbeginn jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland. Über Jahrzehnte war die Einrichtung völlig in Vergessenheit geraten. Mehr als 60 Jahre nach Schließung der Schule begann Lea Dror-Batalion, die Tochter des ehemaligen Schuldirektors, mit Archivrecherchen, spürte ehemalige Lehrer und Schüler auf und sprach mit Zeitzeugen. Lea Dror-Batalion ist Geschäftsführerin des Bucerius Institute for Research of Contemporary German History and Society an der Universität Haifa. Erst durch ihre umfangreichen Recherchen kam diese Episode der deutsch-israelischen Geschichte zurück ans Licht.

Im Stadtarchiv Darmstadt befinden sich noch heute die Registrierkarten aller Displaced Persons, die nach Darmstadt kamen. Die auf ihnen festgehaltenen Daten gaben somit auch Aufschluss über die Masada-Schüler. Mit Hilfe der Schülerkartei ermittelte Lea Dror-Batalion einige der noch heute in Israel, Amerika und Kanada lebenden Schüler und auch einen Teil deren Familienangehörigen. Nach umfangreichen Recherchen in den Akten des Internationalen Suchdienstes konnte sie einige Biografien bis zur Ankunft in Darmstadt nachvollziehen. Es handelt sich dabei um Schicksale sehr junger Menschen, die meist ihre gesamte Familie verloren hatten. Ein Großteil von ihnen hatte in ihrem bisherigen Leben kaum anderes als Krieg, Verfolgung und ein Leben im Lager erfahren. Es ist deshalb verständlich, dass sie sich danach sehnten, endlich ein normales Leben zu führen. Viele Schüler waren schon seit der Kindheit der zionistischen Bewegung verbunden und waren der Überzeugung, dass Juden nur in einem eigenen Staat in Frieden leben könnten, daher  wanderte sie nach Israel aus und die Mehrheit der Schüler wurde unmittelbar nach ihrer Ankunft in die Armee eingezogen.

Lea Dror-Batalion hat eine umfangreiche Internetseite eingerichtet. Auf www.batalion.net/BetarSchool informiert sie dreisprachig – auf Hebräisch, Englisch und Deutsch – über die Entstehung und Geschichte der Schule. Zu den online abrufbaren Dokumenten und Quellen zählt eine Liste der ehemaligen Schüler und Lehrer ebenso wie zahlreiches authentisches Bildmaterial.

Zusammen mit Renate Dreesen von der Heinrich-Emanuel-Merck-Schule in Darmstadt hat Lea Dror-Batalion eine Ausstellung über die Berufsfachschule erarbeitet und in Darmstadt erstmalig eröffnet. Nachdem sie an der Universität Jena gezeigt wurde, ist sie ab dem 6. Mai 2012 im Aktiven Museum Spiegelgasse in Wiesbaden zu sehen.


Lea Dror-Batalion mit Schülern in der Ausstellung

Weitere Ausstellungstermine für Düsseldorf, München, Heidelberg und Frankfurt sind in Planung. 2013 soll sie auch im Archiv des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen präsentiert werden.

Eine weitere Ausstellung in Israel war vom 19. bis  21. März 2012 auf die Konferenz „Future of Holocaust Testimonies“ am Western Galilee College in Akko zu sehen. Im April 2012 fand ein Schüleraustasuch zwischen der Bosmatschule in Haifa und Schülern der Darmstädter Merck Schule statt. Zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung im Madatech Museum in Haifa kamen die deutschen Schüler nach Israel. Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert und darf ausgeliehen werden, damit sie an vielen verschiedenen Orten gezeigt werden kann.

Die Geschichte der Berufsfachschule Masada ist noch nicht zu Ende erzählt. Lea Dror-Batalion sucht weiter nach Zeitzeugen, die sich an die Schule erinnern. Sollten Sie Informationen zur Schule haben, kontaktieren Sie bitte Lea Dror-Batalion in Israel (ldror(at)batalion.net) oder Renate Dreesen in Deutschland (rdreesen(at)gmx.net). Liste der Gesuchten als pdf