Seit dem 1. Januar 2011, als Ungarn den Vorsitz der EU übernommen hat, vergeht keine Woche, in der die Regierung Orbán nicht international für Aufsehen sorgt. Die Schuld dafür sucht sie nicht bei sich selbst, sondern bei den „liberalen Nestbeschmutzern“, die sich „immer wieder im Ausland beschweren“. Freilich berichten seriöse Medien des In- und Auslands regelmäßig über krasse Fälle rassistischer und antisemitischer Hetze oft auch in Verbindung mit einem regelrechten Kulturkampf, gegen alle die es wagen, Fidesz zu kritisieren…
Von Karl Pfeifer
Maria Wittner ist Abgeordnete der Fidesz im ungarischen Parlament. Anlässlich einer Diskussion am 23. März meinte sie, der ehemalige sozialistische Ministerpräsident „Gyula Horn war ein Henker“ und bedauerte, dass sein Spitalaufenthalt „von unseren Steuern“ finanziert wird, „er ringt im Honvédspital seit drei Jahren mit dem Tod, weil er nicht sterben kann“.
Fidesz betont immer wieder „christlichen Werten“ verpflichtet zu sein und deklamiert im vorgeschlagenen Grundgesetz: „Wir sind stolz darauf, dass unser König Stefan der Heilige vor tausend Jahren den ungarischen Staat auf feste Grundlagen gebaut hat und unsere Heimat zu einem Teil des christlichen Europas machte.“ [1]
Inwieweit heute Europa christlich ist, darüber kann man verschiedener Meinung sein, zweifelsohne ist aber die Aussage von Frau Wittner von maßlosem Hass geprägt und kann nicht als christlich gewertet werden.
Fidesz, die Schwesterpartei der CDU/CSU bzw. der ÖVP hat sie nicht gerügt, denn obwohl Fidesz seit fast einem Jahr mit absoluter Mehrheit regiert, glaubt sie noch weiter eine Wahlkampagne gegen die geschlagenen Linken führen zu müssen.
Fidesz findet auch nichts dabei einen „Fäkalien-Antisemiten“ wie Orbáns Freund, den Journalisten Zsolt Bayer mit einer Auszeichnung zu ehren. [2]
István Tarlós, Fidesz-Bürgermeister von Budapest möchte ein seiner Meinung nach dringliches Problem lösen. Er will das sowjetische Denkmal, das nicht weit vom ungarischen Parlament an die Soldaten der Roten Armee erinnert, die dort bei der Befreiung der ungarischen Hauptstadt gefallen sind, entfernen und anderswo aufstellen und es stört ihn auch, dass ein großer Platz nach Franklin Delano Roosevelt benannt ist, ein kleinerer Platz müsste – so Tarlós – es auch tun.[3]
In dem von Fidesz vorgeschlagenen Verfassungsentwurf fand ich folgenden Satz: „Wir rechnen die Wiederherstellung der, am 19. März 1944 verlorenen, staatlichen Selbstbestimmung unserer Heimat, ab den 2. Mai 1990, die Konstituierung der ersten frei gewählten Volksvertretung.“[1 ]
Damit gelingt es Fidesz sich einzureihen in die lange Reihe „revisionistischer“ Geschichtsfälscher, denn damit lehnt sie jede Mitverantwortung für den Mord von mehr als einer halben Million ungarischer Staatsbürger ab. Ungarn wurde zwar am 19. März 1944 von der Wehrmacht besetzt, doch Reichsverweser Miklós Horthy blieb an seinem Platz und bestellte eine neue Regierung. Tatsache ist, dass die ungarische Administration es fertig brachte, in ein paar Wochen Hunderttausende ungarische Staatsbürger, die laut ungarischen Rassengesetzen, die 1938 bis1943 beschlossen wurden als Juden galten, durch die ungarische Gendarmerie und Polizei binnen weniger Wochen nach Auschwitz-Birkenau zu deportieren. Fidesz nahe Historiker heben immer wieder hervor, dass doch Horthy Anfang Juli 1944 die Juden der Hauptstadt vor Deportation rettete. Wenn er dazu in der Lage war, so hätte er auch die Administration bei der Durchführung der Deportation der Juden der Provinz einbremsen können.
All dies weist darauf hin, dass in der Gesellschaft inzwischen ein „revisionistischer“ Normalzustand herrscht. Die Mehrheit ist nicht mehr fähig sich kritisch mit der eigenen Geschichte und Gegenwart auseinanderzusetzen. Die Antwort, warum es so gekommen ist, kann nicht mit ein paar Sätzen gegeben werden. Doch eines ist klar, die vierzig Jahre kommunistischer Herrschaft, die einen von oben verordneten staatlichen „Antifaschismus“ postulierte, der wichtige Themen tabuisierte und sich nicht ehrlich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzte, sind mitverantwortlich an dieser Regression. Und diejenigen, die nach der Wende regierten, haben auch schwere Schuld auf sich geladen.
Während der letzten Jahrzehnte beschäftigten sich einige europäische Länder mit den dunklen Flecken ihrer Geschichte. Im Juni 1991 erklärte Bundeskanzler Franz Vranitzky, dass viele Österreicher sich an den Verfolgungen in den Jahren 1938-1945 beteiligt haben und es deswegen eine „moralische Mitverantwortung für Taten unserer Bürger“ gibt. Diese dunklen Flecken der Vergangenheit lösten öffentliche Debatten in vielen Ländern Europas aus. In Ungarn hingegen konnten wir eine gegensätzliche Entwicklung bemerken, mit „revisionistischen“ Argumenten und Täter-Opfer-Umkehr kam es zu einer teilweisen Täterrehabilitation. All das wird nur noch von einer Minderheit als Skandal gesehen.
[1] Präambel-Entwurf von FIDESZ und KDNP für die neue ungarische Verfassung Andrássy, Universität Budapest – Fakultät für Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften
http://vsr-europa.blogspot.com/2011/03/praambel-entwurf-von-fidesz-und-kdnp.html
[2] http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/627995/Der-geehrte-FaekalAntisemit
[3] http://hetivalasz.hu/itthon/tarlos-lassan-megegyezes-lesz-a-moszkva-ter-ugyeben-36461/
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