Blick auf die Revolution: Kahira aus der Froschperspektive

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Wie nach dem ersehnten regen kommen die Regenwürmer aus der Erde des Nahen Ostens gekrochen, und auch wenn das Ergebnis der Ereignisse in Tunesien, Jordanien und Ägypten noch nicht entschieden ist, so haben die Wurzeln dieser Proteste und Revolutionen einen gemeinsamen Nenner, der von Millionen Menschen in einer bereits turbulenten Region geteilt wird…

Hussein Al-alak

Eine gemeinsame Studie der Arabischen Liga und des United Nations Development Program (UNDP = das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) ergab, dass in den meisten arabischen Ländern junge Leute 50% der Arbeitslosen bilden – die höchste Rate in der Welt; während offizielle Zahlen die Arbeitslosigkeit in der arabischen Welt mit 15% angeben, glauben viele Ökonomen, dass die wirkliche Zahl wesentlich höher ist als die Regierungsstatistiken angeben.

Laut demselben Bericht ist die Armutsrate immer noch hoch – „im Durchschnitt bei 40%, was bedeutet, dass 140 Millionen Araber unter dem Existenzminimum leben“; noch schlimmer ist, dass es in den vergangenen 20 Jahren keine Verringerung der Armutsziffern gegeben hat.

Während manche arabischen Länder wie Jordanian daran arbeiteten, eine reine Markwirtschaft zu schaffen, die einen stärkeren ausländischen Kapitalfluss in das ressourcenarme und bereits von den USA abhängige Land lenken würde, wird die Auslandsschuld auf 15 Mrd. $ geschätzt; und die Wirtschaft hatte in diesem Jahr ein Rekorddefizit von 2 Mrd. $ und eine Inflation, die allein im vergangenen Monat um 6.1% stieg.

Wie in Ägypten und Tunesien wird die ungezügelte Arbeitslosigkeit und Armut in Jordanian auf zwischen 12 und 25% geschätzt, und die Einwohner klagen, dass „die Regierung Autos kauft und üppig Geld für ihre Parties und Reisen ausgibt, aber viele Jordanier keine Arbeit haben und kaum Essen auf den Tisch bringen können, um ihre hungrigen Kinder zu sättigen“, sagte ein Beamter und Vater dreier Kinder, der 395 $ im Monat verdient.

Erst als die globale Wirtschaftskrise begann, bemerkte die arabische Welt eine Erholung der Opposition des Volkes – die zuerst in Ägypten in den Jahren 2007 und 2008 ans Licht trat, wo Streiks und Proteste die ersten Anzeichen einer Rückkehr organisierter Proteste gegen politische Unterdrückung und eine Armut erzeugende Politik waren.

Diese Bewegungen, die in der Vergangenheit entweder manchmal Zugeständnisse erlangten oder erfolglos blieben, legten die Grundlagen, die jene Studenten und Arbeiter zusammenbrachten, um Apathie und Verachtung für die herrschenden Eliten herauszufordern.

Firas Al-Atraqchi, ein Dozent an der US-Uni in Kairo sagt: „Mit nie dagewesenen Anzeichen von zivilem Ungehorsam und offener Revolte haben junge Ägypter klar und entschieden eine Botschaft gesandt, die durch den gesamten Nahen Osten und Nordafrika schallte: Autoritäre Herrschaft ist zu Ende in dieser Region.“

Die Protestierenden haben archaische Regierungsformen aufgelöst, bei denen der Herrscher über jeden Tadel erhaben ist und wo die ökonomische Politik von seinen sich selbst erhaltenden Kumpeln bestimmt wird. Sie verlangen Gleichheit bei der Verteilung des Reichtums, ein Ende der staatlichen Korruption, mehr Gelegenheiten für Arbeit und die Senkung der galoppierenden Inflation.

Und als in Tunesien der Straßenhändler Mohamed Bouazizi sich mit Benzin übergoss und anzündete hat seine Protesthandlung das feste Fundament einer Revolte gelegt, von der die 23-jährige Herrschaft Präsident Ben Alis schließlich beendet und die ganze Region entflammt wurde.

Bouazizi war nur 10 Jahre alt, als er zum Hauptversorger seiner Familie wurde, indem er Frischwaren auf dem Markt verkaufte. Er blieb lange genug auf dem Gymnasium, um die Prüfungen zu schreiben, legte aber kein Examen ab. Er ging auch nicht zur Universität entgegen vielen Nachrichten, denn seine Mutter sagte zu Al-Dschazira: „Er konnte nicht studieren, weil er kein Geld hatte.“

Er wollte in die Armee gehen, wurde aber abgelehnt wie bei vielen weiteren Arbeitsgesuchen. Und da seine Familie von ihm abhängig war, hatte er keine andere Wahl, als weiterhin auf dem Markt zu arbeiten, wo er fast täglich von der Polizei schikaniert wurde. „Da er ein Kind war, haben sie ihn schlecht behandelt“, sagte einer seiner engen Freunde.

Die Misshandlungen nahmen viele Formen an. Meistens kleinliche bürokratische Schikanen, wie sie Millionen Araber nur zu gut kennen. Zwischendurch beschlagnahmte die Polizei seine Waren, erteilte Geldstrafen, weil er einen Stand ohne Erlaubnis hatte, und sechs Monate vor seinem Tod bestrafte ihn die Polizei sogar mit 400 Dinar (280 $) – was dem Verdienst von 2 Monaten entsprach.

Während die Menschen vor den Fernsehschirmen über das Für und Wider der Ereignisse diskutieren, bringt mir der Lärm der jungen wütenden Araber, die diese Revolution anführen, ein Gedicht von Maya Angelou in den Sinn, die schrieb:

„Aus den Hütten der Geschichte Schande
erheb ich mich
aus der in Schmerz verwurzelten Vergangenheit
erheb ich mich
Ich, ein schwarzer Ozean, springend und weit,
Quellend und schwellend bring ich die Flut.
Hinter mir lassend Nächte des Terrors, der Angst
erheb ich mich
einem Tag entgegen, so herrlich klar
erheb ich mich
und bringe die Gaben die meine Ahnen mir gaben,
Ich bin der Traum und die Hoffnung des Sklaven.
Erheb ich mich
Erheb ich mich
Erheb ich mich.“

Übersetzt von Einar Schlereth
http://www.uruknet.info/?p=m74520&hd=&size=1&l=e
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 31/01/2011