Über die Qualen der Berichterstattung über ein Ereignis von Weltrang…
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 11. Januar 2011
Jedes Jahr einmal, kurz nach Neujahr, stellt sich der bedeutendste Ministerpräsident der Welt der internationalen Presse. Entsprechend dem Aufwand, den dafür einer der kleinsten Staaten der Welt betreibt, dürfte der bleibende Eindruck auf das gute Dutzend Fernsehteams, auf drei Dutzend Fotografen und zwei Hundertschaften Journalisten der weltweit einflussreichsten Medienanstalten von BBC über ARD bis hin zum japanischen Fernsehen enorm steigen.
Wer keine „Geräte“ mitschleppt, wird gebeten, um 16:30 Uhr zum Hotel „Davids Trutzburg“ zu kommen. Der Portier fragt nach dem Presseausweis, und ob man eine Waffe bei sich trage. Einige Schritte weiter warten kahlgeschorene Herren im dunkelblauen Anzug, mit einem Knopf im Ohr und einem Minimikrophon am Mund vor Sichtblenden aus weißem Leinen. Sie wollen neben dem Presseausweis auch noch den Pass sehen. Im Souterrain streichelt eine junge Frau mit einem weißen Lappen an einem Gerät aus schwarzem Stahl über alle Finger und die Handflächen. Das Gerät wird durch ein Loch in der Sichtblende gereicht. Wie am Flughafen kann das Gerät Sprengstoff „riechen“. Dann geht es weiter zum Durchleuchtungsgerät und der Metallschranke. Portemonnaie und Kugelschreiber müssen in einen Plastikkorb geworfen werden, Jacken mit Metallknöpfen in einen zweiten. Einige müssen auch noch den Gürtel mit Metallschnalle ausziehen, weil die Schranke immer noch pfeift. Eine junge Frau bittet, mit der Digitalkamera „den Fußboden, aber bitte nicht die Sicherheitsschranken“ zu fotografieren. Sie will sicher gehen, dass die Kamera funktioniert.
Dieser Zeitvertreib dauert fast eine Stunde. Nun haben die Journalisten die Gelegenheit, sich erst mal gegenseitig zu interviewen. Ständig werden Häppchen gereicht: Thunfisch in Teigtaschen, gefüllte Pilze. An der Bar gibt es Wein und leichte Getränke. Die Zeit zieht sich hin. Erst kurz nach 20 Uhr, fast vier Stunden nach dem Eintreffen, werden die Türen zum Festsaal geöffnet. Drei Musikanten, „Neueinwanderer“, erscheinen mit elektrischen Geigen. Zu einem schmissigen Playback spielen sie ein, zwei, drei, vier Melodien. Der neue Presseamtchef tritt an das Rednerpult vor dem riesigen blauen Tuch und einer Tafel mit Staatswappen sowie den Namen der Gastgeber: Presseamt und das Ministerium für öffentliche Diplomatie und Diaspora Angelegenheiten. Der Presseamtchef erklärt, nach zwei Monaten im Amt schon eine Steuerermäßigung für Journalisten erreicht zu haben. „Uns ist das gute Ansehen in der Welt wichtig, deshalb bemühen wir uns um das Wohl der Presseleute.“ Dann redet Minister Juli Edelstein. Es folgt eine weitere „musikalische Einlage“, bis die Journalisten schließlich /endlich gebeten werden, sich zu Ehren des Ehrengasts von ihren Stühlen zu erheben. Sonst wo in der Welt erhebt man sich nur, wenn das Staatsoberhaupt den Saal betritt.
Umringt von zwei Dutzend Sicherheitsleuten, die sich schnell strategisch an allen Ecken des Saales postieren, erscheint endlich der Star des Abends: Benjamin Netanjahu.
Zehn Minuten lang wiederholt er in bestem Englisch die schon oft gehörten Klischees. Israel will Frieden. Die Palästinenser verweigern jedoch Verhandlungen und verpassen keine Chance, eine Chance zu verpassen. Die größte Sorge der Welt sei heute das atomare Streben des Iran. Die Sanktionen werden aber nicht wirklich fruchten, solange die Alliierten, mit Amerika an der Spitze, mit einem Militärschlag drohen. Aus Wikileaks habe Netanjahu gelernt, dass der Iran die Welt viel mehr besorgt als der Nahostkonflikt.
Der Presseamtchef verliest die Namen der Korrespondenten des Guardian, des Figaro, von ABC und des arabischen Dienstes der BBC. Deren Fragen sind noch abgedroschener als die hohlen Antworten des israelischen Ministerpräsidenten. „Bibi“, wie Netanjahu von den Israelis genannt wird, nimmt ein kurzes Bad in der Menge, schüttelt ein paar Journalistenhände und fragt chinesische Reporter, wo sie her seien. Die Uhr zeigt 21:00 Uhr, vier-einhalb-Stunden nach unserer Ankunft. Während Netanjahu in der Tiefgarage seine Limousine besteigt, hat sich vor dem Hotel ein hupender Stau in alle Richtungen gebildet. Quer gestellte graue Wagen des Geheimdienstes mit Blaulicht auf dem Dach hatten eine zentrale Kreuzung Jerusalem blockiert. Es dauert noch Minuten, bis eine Wagenkolonne mit viel Blaulicht und einer überlangen schwarzen Limousine die Kreuzung in Höchstgeschwindigkeit passiert.
Zweifellos hat diese inhaltslose Pressekonferenz dem israelischen Steuerzahler wesentlich mehr gekostet als der monatliche Nettoverdienst Netanjahus in Höhe von 4240,- Euro, wie man das auf seinem am Montag in „Facebook“ veröffentlichten Lohnzettel ablesen kann. Nur zum Vergleich, laut israelischen Medien, verdienen Bundeskanzlerin Merkel etwa 20.000 Euro pro Monat und US-Präsident Obama etwa 26.000 Euro.
„Trotz Grippe habe ich mich zu diesem Weltereignis geschleppt. Aber diesmal hat er noch weniger gesagt als im vergangenen Jahr“, klagte eine deutsche Korrespondentin.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
@Rihani
Da gibt es in der westlichen Presse noch viel derbere Kritiken. Herr Sahm schildert die Veranstaltung noch sehr zurückhaltend. Und seit wann sollen wir Israel an afrikanischen Massstäben messen?
Ich finde diese Kritik unangemessen. Warum auf Israel herum hacken? Gehen Sie mal in ein Afrika, da haben Sie auch solche Pompos, die sich superwichtig nehmen und meinen Sie sind umso intelligenter, je weniger Sie sagen.
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