Soldaten sind Männer, die offene Rechnungen der Politiker mit ihrem Leben bezahlen. Das weiß man. Das ist nichts Neues. Tausende Bücher, Filme und Theaterstücke haben uns das schon erzählt. Mit „Berg“ – der neuen Inszenierung von Yaron Edelstein und Dalit Milshtein wird dem Publikum jedoch diese alte Wahrheit drastisch vor Augen geführt…
Von der europäischen Erstaufführung am Heidelberger Theater berichtet Ramona Ambs
„Berg“ entstand als politische Parabel auf den Mythos Ariel Sharon, der als charismatischer General seine Anhänger zu führen verstand und beispielsweise 1973 den Suezkanal überquerte, was als eigenes Bild in die Inszenierung aufgenommen wurde. Dennoch, auch dank des Bühnenbild von Flurin Borg Madsen, versucht man das Stück auf eine neutrale, nicht auf die israelische Gesellschaft beschränkte Ebene zu heben. Dazu tragen die in schwarz-weiß gehalten Bühnenteppiche und grauen Kostüme ebenso bei wie Schattenspiele hinter einer weißen Wand. Wo alles nur schwarz-weiß ist, bleiben nur die bunten Socken an den Füßen, um von farbigen Zwischentönen zu träumen.
Die eigentliche Geschichte ist schnell erzählt: General „Berg“ und seine fünf Männer „Schmunzeln“, „Augen“, „Fleisch“ und „Ausbrüche“ sollen hinter den feindlichen Linien fünf leerstehende Häuser einnehmen. In den Häusern befinden sich jedoch noch Menschen, was dazu führt, dass die Militär-Aktion außer Kontrolle gerät. Die Männer töten und sterben, halten sich an Berg fest, ohne zu merken, dass sie längst alleine sind. Zurück in der normalen Welt finden sie sich nicht mehr zurecht. Ihre Seelen sind auf dem Schlachtfeld geblieben. Und einige Körperteile.
Das ganze Stück lebt von seiner poetischen und drastischen Sprache. So sagt der verletzte Augen, der von Berg mühsam weiter geschleppt wird: „ Du musst wissen, es ist nur mein Herz, das so schwer ist. Alle anderen Organe sind federleicht. Mein Gehirn ist sogar so leicht wie ein Schmetterling. Aber mein Herz…“ Auch Sprachähnlichkeiten zwischen dem Deutschen und dem Hebräischen kommen unfreiwillig zur Hilfe. So klingt das wiederholte Rufen nach „Wasser“ und die Gegenfrage „Was?“ wegen der identischen ersten Silbe (ma-mayim im Hebräischen) in beiden Sprachen gleichermaßen eindringlich.
Eindringlich, ja beklemmend ist die ganze Inszenierung. Timo Krstin und Nina Steinhilber schaffen es, die drastische Sprache in noch drastischere Bilder umzusetzen. Manch einem im Publikum war dies jedoch zu viel, zu dicht, zu lang. Schlicht zu bedrückend. Also letztlich das, was eine gelungene Inszenierung ausmacht.
V.l.: Ausbrüche (Matthias Rott), Fleisch (Klaus Cofalka-Adami), Schmunzeln (Simon Bauer), im Hintergrund: Berg (Paul Grill), © Markus Kaesler
„Auf die Premiere in Deutschland bin ich sehr neugierig,“ sagte Yaron Edelstein im Vorfeld, „aber ich befürchte auch, mißverstanden zu werden. Ich bin besorgt über die Delegitimierungskampagne gegen Israel, die sich in den letzte Jahren entwickelt hat, und ich könnte mir vorstellen, dass das Stück auf oberflächliche, einengende Weise nur mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt verbunden oder als eine Kritik der israelischen Armee gesehen wird.“ In der Tat könnte dies, trotz der vielen Vorkehrungen, passieren. Allein die Tatsache, dass Soldat „Fleisch“ mit dem Gedanken spielt, den Feind per Schächtschnitt zu töten, ist geradezu prädestiniert dafür, falsch verstanden zu werden.
Vielleicht wäre dem Theater hier ein Beipackzettel zu empfehlen. „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Regiseur oder Intendanten.“ Denn eigentlich geht es Yaron Edelstein ja um etwas anderes: „Für mich ist die Frage nach der Gesellschaft und ihren Helden die wichtigste. Um ein Held zu werden, muss man einen tödlichen Preis zahlen, muss seine eigene Humanität aufgeben.“ Und diesen Preis zahlen seine Figuren lebenslang. Für sie gilt der berühmte Machiavelli-Spruch auf einer ganz persönlichen Ebene, auch draußen, zurück, in der zivilisierten Welt, fernab vom Schlachtfeld: Man kann einen Krieg beginnen, aber niemals beenden, wenn man will.
BERG
von Yaron Edelstein
in Zusammenarbeit mit Dalit Milshtein
aus dem Hebräischen von Sharon Nuni
Deutschsprachige Erstaufführung
Autorenwettbewerb des HEIDELBERGER STÜCKEMARKTS 10
Regie Timo Krstin
Bühne & Kostüme Flurin Borg Madsen
Dramaturgie Nina Steinhilber
Mit Simon Bauer, Klaus Cofalka-Adami, Paul Grill, Natanaël Lienhard, Matthias Rott
Nächste Vorstellungen: 2. und 10. Februar 2010
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