Zum Gedenken an Otto Klemperer (14. Mai 1885 – 6. Juli 1973)

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Am 14. Mai wäre der große Dirigent Otto Klemperer 125 Jahre alt geworden. Eine persönliche Erinnerung..

Von Georg Fries

Mit neun Jahren sah er als Kind zum ersten Mal Gustav Mahler in Hamburg, der dort an der Hamburger Oper arbeitete und wie Klemperer im Grindelviertel lebte. Mahler sollte lebenslang eine grundlegende Rolle in Klemperers Leben spielen. Jahre nach der ersten Begegnung auf der Straße – Mahler war, leicht hinkend, wilde Grimassen schneidend durch Hamburg gegangen, der kleine Klemperer war fasziniert – durfte der junge Musiker, damals angehender Pianist, das Fernorchester dirigieren, während Mahler selbst seine 2. Symphonie („resurrection“) leitete. Bei den Proben fand Mahler, als Klemperer schüchtern nachfragte, alles „viel zu laut“ – die Aufführung verlief dann glänzend.

Foto: George Grantham Bain collection,  Library of Congress

Man kam ins Gespräch, und zwei Jahre später, 1907, spielte Klemperer Mahler auswendig eine selbst gefertigte Klavierfassung eines Satzes von dessen zweiter Symphonie vor. Mahler war gerührt, sagte zu seinem Anbeter, er wäre doch ein fertiger Pianist – Klemperer aber beharrte darauf, Dirigent werden zu wollen. Und so stellte Gustav Mahler ihm ein Billett aus, das Klemperer später die Türen öffnen sollte, und das er in Kopie bis zu seinem Tod bei sich getragen haben soll.

Nach einigen Stationen, auch in Hamburg, wo er 1912 eine damals als Skandal empfundene Liebesaffaire mit der großartigen Sängerin Elisabeth Schumann hatte – sie war verheiratet, der Gatte erschien zu einer Hamburger Opernaufführung, die Klemperer leitete, mit einer Peitsche… – leitete Klemperer seit 1927 die weltberühmte Berliner Kroll-Oper. Dort wollte Klemperer mit erstklassigen Mitarbeitern neue Wege in der Oper gehen. Die Sänger und Sängerinnen sollten beispielsweise ein Teil der Gesamtaufführung sein, ohne den üblichen Starkult. Man brachte neue Werke zur Uraufführung, von Schönberg, Janacek, Krenek, Hindemith. Das Publikum erwartete oft eher altbekannte Aufführungen, es gab heftige Diskussionen von Anfang an. 1931 mußte das den stärker werdenden Nazis verhaßte Opernhaus aufgeben – offiziell, weil man sich angeblich keine drei Opern in Berlin leisten konnte. Klemperer versuchte alles, begann sogar einen Prozeß gegen die preußische Regierung, und verlor.

1933, wie viele andere, von den Nazis vertrieben, weil er jüdisch war und politisch weit links stand („Kulturbolschewist“ nannte man das), floh Klemperer in die USA, ohne dort glücklich zu werden, so dankbar er den USA immer war, daß sie ihn und seine Frau und die Kinder aufgenommen hatte. Künstlerisch waren die Jahre eine schlechte Zeit für den an der manisch-depressiven Krankheit leidenden Klemperer. Nach dem Krieg ging er nach Ungarn, wo er von 1947 an drei Jahre die Staatsoper in Budapest leitete.

1919 war Klemperer zum Katholizismus übergetreten, gegen Ende seines Lebens aber wandte er sich wieder dem Judentum zu. Für Israel hatte er sich immer interessiert, und im hohen Alter förderte er jüdische Musiker, z.B. den damals 24-jährigen Daniel Barenboim, mit dem er Beethovens Klavierkonzerte für EMI aufnahm. Er trat öfter auch in Israel auf, noch im Juli 1970, als er 85 Jahre alt war, und dirigierte alle großen Orchester fast überall auf der Welt.

Zeitlebens von teilweise fürchterlichen Krankheiten und Unfällen gepeinigt – so führte ein Sturz in den Orchestergraben des Leipziger Gewandhauses Jahre später zu einer Operation infolge eines Hirntumors, und Klemperer blieb teilweise gelähmt; viele Jahre später stürzte er von der Gangway eines Flugzeuges; im Bett Pfeife rauchend, schlief er ein, während er Partituren las, und wachte auf, als das Bett brannte – er löschte, aufwachend, mit der nächsten Flasche in der Nähe – Alkohol, gegen seine Kopfschmerzen… – schaffte er es immer wieder, oft zur Überraschung seiner Orchester, gesund zu werden, und dirigierte bis ins hohe Alter.

Als um 1955 die EMI in London einen neuen Dirigenten suchte, erinnerte sich der zuständige Mann, Walter Legge, an grandiose Beethoven-Aufführungen, und die Wahl fiel auf Otto Klemperer. Von 1955 an bis Ende 1971 entstanden herausragende Aufnahmen, die der Rezensent alle besitzt und um nichts in der Welt tauschen würde. Wolf Rosenberg vom Südwestfunk betonte zwar in seinen Sendungen immer wieder, daß die Konzerte selbst weit besser waren, da Klemperer die Aufführung brauchte, um in Hochform zu kommen. Der Dirigent selbst sah die Plattenaufnahmen auch oft eher als Proben fürs Konzert. Dennoch, von Bach, der Wiener Klassik und der Romantik bis zu Stravinskij gibt es unglaubliche Meisterwerke, wie Klemperer überhaupt einer der fünf wichtigsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts war, neben Toscanini, Bruno Walter, Furtwängler und Kleiber. Immer eigen- oder auch gelegentlich starrsinnig, setzte er sich zum Beispiel früh für Bruckners Symphonien ein, gerade in England, wo man dessen Musik eher als längliches Gejaule sah (was sich dann änderte). Leicht entnervt stellte Klemperer fest, daß man seine einzigartigen Beethoven-Interpretationen immer wieder hören wollte. Er fühlte sich zeitweilig, als wäre er ein Hund, auf dessen Halsband „er dirigiert Beethoven“ stünde. Mahler war ihm lebenslang wichtig, vor allem die 2., 4., 7. und die neunte Symphonie mit ihrem unendlich traurigen letzten Satz, einem Adagio.

Klemperer war, was Eitelkeit angeht, das genaue Gegenbild der pfauenhaften Dirigenten wie von Karajan, die in den letzten Jahren in konservativer werdenden Zeiten wieder überall gefeiert werden. So gibt es von Klemperer nur einen einzigen Konzertmitschnitt auf Video, gegen hunderte Karajans – und auch diesen, mit Beethovens neunter Symphonie von 1964, nur, weil Walter Legge damals das Philharmonia Orchestra London als Mäzen im Stich gelassen hatte, und Klemperer das „New Philharmonia Orchestra“, dessen Leiter er natürlich blieb, mit seiner einmaligen Erlaubnis unterstützen wollte. Während viele Dirigenten einen übereitlen Starkult lieben, geht von Klemperer die Geschichte, als er nach einem wieder einmal riesenhaften Erfolg in Amsterdam minutenlang auf die Bühne gerufen wurde. Als Klemperer schließlich erschien, stand er da, fertig gekleidet für die Straße, mit Mantel und Hut. Er nickte kurz ins Publikum, und verschwand.

Legenden um Klemperer, auch wegen seiner Krankheit, gab es unzählige – Geschichten, wie er in USA bei einer party im Frack in den swimming-pool sprang, wie er gleich mehreren Frauen auf Parties fragte, ob sie mit ihm verschwinden würden. Für manche Klassikliebhaber, vor allem der high society, galt Klemperer als „unmöglich“, während seine Dirigierkunst als einzigartig gesehen wurde. Einmal wurde sein lebenslanger Freund, Ernst Bloch, an der Uni gefragt, ob es denn wahr sei, daß er eine Studentin gefragt hatte, ob sie mit ihm schlafen würde. Bloch antwortete: – Eine? Ich habe alle gefragt! Klemperer konnte sehr charmant sein, und es dürften nicht alle Anekdötchen stimmen, aber manche ganz sicher.

Nachdem Klemperer, 87 Jahre alt, 1972 zum letzten Mal aufgetreten war, starb er 1973 in Zürich, gepflegt von seiner Tochter Lotte, die ihr Leben lang für ihren Vater da war, ihn auf allen Konzerten begleitete und die Verhandlungen führte.

Kritisiert wurde er für seine im Alter oft langsamen Tempi, die aber fast immer, hört man richtig zu, genau passen. Klemperer setzte darauf, die Struktur einer Komposition herauszuarbeiten, und manche Werke hört man völlig neu mit ihm und seinen Musikern. Er sorgte auch dafür, daß man etwa die Holzbläser gut hören konnte. Das Argument leuchtet sofort ein – er meinte, was solle es, wenn die Holzbläser sich einen dunkelroten Kopf blasen, aber man hört sie nicht? Wenn Sie können, hören Sie sich mal Schuberts fünfte Symphonie mit Klemperer und dem Philharmonia Orchestra an, und achten Sie darauf! Man möchte die Aufnahme, wie zahllose andere, auch live-Mitschnitte, danach nicht mehr missen.

Was Klemperer mit Leuten anstellen konnte, habe ich selbst erfahren. Mein Vater spielte mir, kaum konnte ich hören, immer Sonntags morgens klassische Musik vor. Was es in Deutschland zu kaufen gab, natürlich mit Klemperer! So lernte ich die Musik vielleicht viel genauer zu hören, als in einer aufgeblähten, nach außen hin „wohlklingenderen“, dafür verzuckerten Fassung. Mein Vater starb früh, und ich hörte immer weiter Klemperers Musik, übrigens auch Kompositionen von ihm, er hat Symphonien, Streichquartette und auch Opern geschrieben (das meiste aber vernichtet). Eines Tages, um 1985, schrieb ich an die EMI in London, einen wohl zehnseitigen Brief an Klemperers Tochter Lotte. Die EMI leitete das Briefchen nach Zürich weiter, und ich bekam eine wunderschöne Antwort – endlich erfahre sie, Lotte Klemperer, mal, wie die Musik ihres Vaters auf ein Kind und dann auf einen Erwachsenen innerlich gewirkt hatte. Ich bekam dann noch sicher zehn oder zwanzig kurze Briefe, die ich damals jedesmal zum Heidelberger Wolfsbrunnen trug und da in Ruhe las.

Buchempfehlungen:

Peter Heyworth, Otto Klemperer – Dirigent der Republik, Siedler Verlag, 1988.
Peter Heyworth, Gespräche mit Klemperer, S.Fischer-Verlag, 1974.
Otto Klemperer, „Verzeiht, ich kann nicht hohe Worte machen“. Briefe 1906-1973, Hg.: Antony Beaumont, Edition Text + Kritik, 2012.

Musik: emi classics

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