Lasst Bibi arbeiten

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Es ist Zeit, dass wir mit dem Gerede vom Test der „hundert Tage“ aufhören. Sein Ursprung liegt im Erfolg des US-Präsidenten Roosevelt, die Gesetzgebung zur Lösung der Wirtschaftskrise von 1929 innerhalb von hundert Tagen durch den Kongress gebracht zu haben. Daneben gab es noch andere „hundert Tage“. Hundert Tage vergingen zwischen der Flucht Napoleons von der Insel Elba über seine Rückkehr nach Paris bis zu seinem Sturz. John F. Kennedy, die Hoffnung Amerikas, scheiterte kurz nach seinem Amtsantritt bei dem militärischen Angriff auf die Schweinebucht in Kuba…

Von Yoel Marcus, Haaretz v. 14.07.09

Hundert Tage haben an sich keine Bedeutung. Bei David Ben-Gurion zählte man keine hundert Tage vor oder nach der Unabhängigkeitserklärung. Wir hatten gute und schlechte politische Führer, ohne Zählung. Dalia Itzik musste nicht hundert tage warten, bis sie Bibi [Binyamin Netanyahu] als „erpressbar, knittrig und leicht zu zerdrücken“ bezeichnete. Auch die Medien geben kein richtiges Bild von der Amtsführung Bibis in den ersten hundert Tagen wieder.

Man kann seinen Auftritt nicht beurteilen, ohne sich auf das Thema namens Sara [Netanyahu] zu konzentrieren, das die Medien bis zum Erbrechen beschäftigt. In jüdischen Familien verläuft die Frontlinie gewöhnlich zwischen der Schwiegermutter und der Ehefrau. Im Hause Netanyahu, so will es der Klatsch, hat Sara das letzte Wort. Sie mischt sich in Ernennungen ein und sogar in die Politik. Einem Gerücht nach gab es in der früheren Amtszeit ein schriftliches Abkommen zwischen ihnen, demgemäß er sie zu jeder Veranstaltung mitnehmen musste. Nach dem großen Fall verschwand sie von der Bildfläche.

Mit dem Wahlsieg ist Sara zurückgekehrt. Angeblich mischt sie sich bei Ernennungen ein. Es geht der Witz um, die Arbeitsteilung in der Familie sehe so aus, dass der hundertjährige Vater für die Ideologie verantwortlich ist und die Frau für die Besetzung des Büros. Und da es Probleme mit der Glaubwürdigkeit der Pressesprecher gebe, habe man den Militärdienst ableistenden Sohn in die Einheit des Armeesprechers abgestellt. Diese ganze Sache mit Sara, was und wen interessiert sie?

In unserem Macho-Staat dominieren wenige Politikerfrauen ihre Männer. Paula Ben-Gurion war recht aggressiv, beschimpfte den Militärreferenten und auch Yitzhak Navon. Und selbst der Verfasser dieses Artikels wurde als „Phlegmat“ bezeichnet, da er nicht zu irgendeinem Empfang erschien. Auch das Verhältnis zwischen Peres und seiner Gattin bietet Stoff für einen Roman: Jüngst nahm sie wieder ihren Geburtsnamen an, man munkelt, damit sie nicht auch in der Ewigkeit Seite an Seite sind.

Hundert Tage hin oder her, mit oder ohne Sara, Tatsache ist, dass Bibi dem Likud wieder Farbe ins Gesicht gegeben hat. Er hat ihn von 12 Mandaten auf 27 Mandate angehoben. Ein beispielloser Erfolg, gegenüber der geschichtsträchtigen Avoda, die kurz davor steht, zu einem Strichpunkt im Leben des Staates zu werden. Es stimmt, dass Kadima einen Vorsprung von einem Mandat hat, aber es ist Bibi, dem die Bildung einer stabilen Regierung gelang, die nicht von den Launen von irgendjemandem abhängig ist. Selbst Lieberman und Beni Begin sind zu Lämmern geworden.

Doch die Medien sind voll von Geschichten über das, was im Büro zwischen den Beratern, Sprechern und Sekretären abgeht. Nicht nur, dass wir zu viele Minister haben, es gibt solche, die sagen, im Amt des Ministerpräsidenten seien Dutzende persönliche Referenten tätig, die unter sich streiten, wer was macht und wer wichtiger als wer ist. Im Büro Ben-Gurions, der letztlich mit ihm den Staat gründete und den Unabhängigkeitskrieg dirigierte, gab es ein halbes Dutzend Assistenten. Ein Militärreferent, ein politischer Referent und einige Schreiber. Je weniger „historisch“ die politischen Führer wurden, desto größer wurde die Zahl ihrer Mitarbeiter. Sowohl bei Rabin als auch bei Barak gab es Kriege zwischen den Vertrauten.

Aber all das ist eitel. Bibi führt die Regierung in der Zeit einer schicksalhaften Wegscheide im Leben des Staates. Er befindet sich in einer beispiellosen Auseinandersetzung mit einem amerikanischen Präsidenten, der sich nicht mit Förmlichkeiten der Liebe zu Juden abgibt. In einer Analyse von Orly Asualy, die am vergangenen Wochenende in „Yedioth Ahronot“ erschien, zitiert sie eine George Mitchell „nahe stehende Quelle“, die mitteilte: „Obama ist nicht Bush, und wenn Israel ihm nicht auf dem Weg, den er führt, folgt, wird er ihm nichts tun, aber es wird nicht dieselbe besondere Stellung haben, die von entscheidender Bedeutung für es ist.“ Keine einfache Formulierung. Noch niemals stand einer unserer Ministerpräsidenten einer so scharfen Drohung gegenüber wie der Obamas.

Bibi hat eine funktionierende Regierung gebildet, die er im Notfall durch Kadima erweitern könnte. Er beschreitet einen anderen ideologischen Weg als die vorige Regierung. Wenn man ihn stört, wird er keinen Erfolg haben. Wenn man ihn nicht arbeiten lässt, werden wir nicht wissen, ob dies nun ein anderer Bibi ist. Man kann ihn für das Abweichen von der politischen oder ideologischen Linie kritisieren, aber man ziehe ihn nicht an seinem Rocksaum und lasse ihn in Ruhe mit dem Schtetl-Unsinn. Lasst Bibi arbeiten.