Immerhin: Der Papst hat den Kopf geneigt

1
16

Im Januar 1904 wurde Binyamin Ze’ev (Theodor) Herzl zu einer Audienz bei Papst Pius X. empfangen. Auf seine Bitte, guten Willen gegenüber den Bestrebungen der zionistischen Bewegung an den Tag zu legen und die schlimme Bedrängnis anzuerkennen, der die Juden unterworfen waren, antwortete der Papst: „Die Juden haben unseren Herrn nicht anerkannt, und darum können wir das jüdische Volk nicht anerkennen.“ Der Papst war erschüttert von der Idee zu hören, dass Jerusalem in die Hände der Juden zurückgelangen sollte, und versicherte für den Fall, dass sie sich im Land Israel ansiedeln sollten: „Wir werden Kirchen und Klöster bauen, um alle zu taufen.“…

Von Dina Porat

Gut 105 Jahre später, im Mai 2009, kam Papst Benedikt XVI., eskortiert von jüdischen Polizisten, von der Residenz des Präsidenten des Staates Israel in dessen Hauptstadt Jerusalem nach Yad Vashem, legte einen Kranz nieder, hielt die ewige Flamme und setzte sich zwischen den Staatspräsidenten und den Knesset-Vorsitzenden.

Es stimmt, er hätte auch mit einer anderen Rede aufwarten können, wie viele im Land es von ihm erwartet hatten: in weichem persönlichen Ton sagen können, dass ihm als Papst deutscher Herkunft eine besondere Verantwortung obliegt, da er in der Jugendbewegung war, die Hitlers Namen trug, und da er im Alter von 16 Jahren mit vielen anderen aus seiner Klasse in die Armee einzogen wurde und, als er dann gegen Ende des Krieges desertierte, bereits 18 Jahre alt war.

Der Papst hätte sich für das Schweigen von Pius XII. während der Shoah und den antisemitischen Unterbau entschuldigen können, den die Kirche über Jahrhunderte geschaffen hat, und ganz gewiss hätte er noch einmal klar hervorheben können, dass sechs Millionen Juden mit fürchterlicher Grausamkeit unter Anleitung der Nazipartei und ihrer Führer von den Deutschen und ihren Helfern ermordet worden sind.

Der Papst hätte sich auch zur der Affäre um den die Schoah leugnenden Bischof Williamson äußern können, und auch zu dem Karfreitagsgebet, in das jüngst die Bitte an Gott wieder aufgenommen wurde, die Augen der Juden zu öffnen, auf dass sie Jesus als Messias erkennen mögen.

All das wurde nicht gesagt, und ein öffentlicher Sturm brach aus. Und dennoch ist der Besuch des Papstes, des Oberhaupts von rund einem Fünftel der Weltbevölkerung, ein Ereignis höchsten Ranges, das man vielleicht in seinem breiten Zusammenhang beurteilen sollte, Man sollte den Gast ehren, der sich entschied, hierher zu kommen und danach die inhaltlichen Diskussionen über seine Taten und Aussagen mit ihm fortsetzen.

Erstens, ist der Besuch insgesamt und in Yad Vashem im Besonderen von den internationalen Medien mit großem Interesse aufgenommen und gefilmt worden. Das in die Häuser von Hunderten Millionen von Zuschauern übermittelte Bild des Papstes, der in der Halle der Erinnerung den Kopf neigt, in deren Boden die Namen der Vernichtungs- und Konzentrationslager eingraviert sind, ist ein gewaltiger Beitrag zum Kampf gegen die Holocaust-Leugner. Dutzende von Kameras blitzten bei jeder seiner Bewegungen und nahmen jedes Wort auf, auch sein Gebet, dass die Namen der Opfer und ihr Angedenken niemals verleugnet, nicht in ihrem Wert herabgemindert und niemals vergessen werden mögen. Wir, die bei der Zeremonie anwesend waren, hatten das Gefühl, dass Yad Vashem für eine Stunde der Mittelpunkt der Welt sei, und die Welt zuhöre und zusehe.

Zweitens, werden der Charakter und der Inhalt der Papstreden nicht von ihm alleine bestimmt, sondern sind das Ergebnis des Kräfteverhältnisses im Vatikan, in dem es Kämpfe zwischen Koalition und Opposition gibt, und nicht jeder Papst ist Herr in seinem Haus.

Möglichweise hat nicht der Wille, der Vergangenheit Josef Ratzingers auszuweichen, den Inhalt der Rede bestimmt; umso mehr, als jeder Jugendliche damals der Hitlerjugend beitreten musste und die Wehrmacht am Ende des Krieges jeden einzog, der auf seinen Beinen stehen konnte. Womöglich war die Tatsache ausschlaggebend, dass sich bereits während der langen Amtszeit seines Vorgängers, Johannes Paul II., eines Papstes, der ein warmes und wohlwollendes Verhältnis dem jüdischen Volk gegenüber an den Tag legte, Widerstand im Vatikan gegen seine Schritte herausgebildet hatte, der nun zum Ausdruck kommt. Möglicherweise war die Rede in Yad Vashem das Ergebnis von diesen internen Diskussionen zur heutigen Haltung der Kirche in Bezug auf die Schoah und ihre Auswirkungen.

Und vielleicht hat auch die andauernde Beschäftigung von Benedikt XVI. mit der Theologie dazu beigetragen, dass sich die Rede auf den Glauben an Gott nach der Schoah konzentrierte, auf die Pflicht sich zu erinnern, dass jeder Mensch einen Namen hat, einen ewigen Namen, der nicht auszulöschen ist, und auf den immerwährenden Vorwurf, der aus der Schoah gegen alle Arten von Unrecht, Gewalt und das Blutvergießen Unschuldiger erwächst. Eine derart universelle Lehre schließt die Einzigartigkeit der Schoah nicht notwendigerweise aus.

Drittens, war die Rede Teil eines Besuchs, der mit klaren Worten des Papstes am Ben-Gurion-Flughafen begann, der Verurteilung des Antisemitismus in unserer Zeit und der Hoffnung, dass „ich während meines Besuchs die Gelegenheit haben werde, dem Angedenken an die sechs Millionen Juden die Ehre zu erweisen, die der Schoah um Opfer fielen“. Auch war die Rede Teil einer feierlichen Zeremonie, zu der ein Blumenkranz und das Neigen des Kopfes in Schwiegen ebenso gehörte wie das Zusammentreffen mit sechs Holocaust-Überlebenden. Am Ende stand ein kraftvolles Absingen der „Hatikva“. Wenn Herzl und Pius X. sie doch gehört hätten.

Prof. Dina Porat ist Direktorin des Instituts für Antisemitismus- und Rassismusforschung an der Universität Tel Aviv.
(Haaretz, 15.05.09)

1 Kommentar

  1. „Wer von der kausalen Gesetzmäßigkeit allen Geschehens durchdrungen ist, für den ist die Idee eines Wesens, welches in den Gang des Weltgeschehens eingreift, ganz unmöglich – vorausgesetzt allerdings, dass er es mit der Hypothese der Kausalität wirklich ernst meint. Die Furcht-Religion hat bei ihm keinen Platz, aber ebensowenig die soziale bzw. moralische Religion. Ein Gott, der belohnt und bestraft, ist für ihn schon darum undenkbar, weil der Mensch nach äußerer und innerer gesetzlicher Notwendigkeit handelt, vom Standpunkt Gottes aus also nicht verantwortlich wäre, sowenig wie ein lebloser Gegenstand für die von ihm ausgeführten Bewegungen. Man hat deshalb schon der Wissenschaft vorgeworfen, dass sie die Moral untergrabe, jedoch gewiss mit Unrecht. Das ethische Verhalten des Menschen ist wirksam auf Mitgefühl, Erziehung und soziale Bindung zu gründen und bedarf keiner religiösen Grundlage. Es stünde traurig um die Menschen, wenn sie durch Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode gebändigt werden müssten.“
    (Albert Einstein, Religion und Wissenschaft, Nov. 1930)
     
     
    Es gibt da nur ein „kleines Problemchen“:
    Die Erkenntnis jener, die sich innerhalb egoistisch motivierter Vorteile i h r e r  jeweiligen „Religion“ „eingerichtet haben“ um die Konsequenzen, die eine Absage an alle Religionen mit sich bringen würde hinsichtlich (St)(L)abilität.
    Indes:
    Gebilden auf tönernen Füßen, Gebäuden, auf Sand gebaut, ist nur eine sehr begrenzte temporäre Existenz beschieden.
     
    Die Evolution wird´s schon richten, so oder so, notwendigerweise.  

Kommentarfunktion ist geschlossen.