90 Jahre Revolution in Bayern

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Rede von Sepp Dürr, MdL (Die Grünen) bei der Veranstaltung von SPD-Fraktion und Grünen im Bayerischen Landtag, 18.2.09…

Die Jahre vor der Revolution waren eine grauenhafte Zeit.
Der Hunger war furchtbar, der Wunsch nach Frieden überwältigend, der Autoritätsverlust der Monarchie gewaltig. Kein Finger hat sich gerührt, um den König und das abgewirtschaftete System zu halten.
Auch die Jahre danach waren schrecklich, ein Schandfleck der bayerischen Geschichte.
Aber die Revolution Kurt Eisners war eine wirklich gute Sache.
Auf die kann Bayern stolz sein.
In all dem Blutvergießen davor und danach war die unblutige Revolution eine demokratische Sternstunde.
Umso mehr empört mich, dass die rechtsradikale Hetze und zutiefst verlogene Propaganda, die zur Ermordung Eisners führte und zum Weißen Terror, das Bild der Revolution nicht nur in der Weimarer Zeit bestimmte, sondern emotional, im historischen Gedächtnis der Bayern, bis heute fortwirkt.
Und das, obwohl die Geschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte und vor allem der jüngsten Zeit viel Schiefes und Verzerrtes wieder geradegerückt hat.
Die Fakten liegen längst auf dem Tisch, aber nach wie vor beschränken ideologische Deu-tungsmuster auch unsere heutige politische Arbeit und Handlungsspielräume.
Da ist zum einen die Etikettierung der Revolution als „Chaos“ und ihrer Niederschlagung als „Wiederherstellung der Ordnung“.
Das ist ein Muster, das eben nicht nur die rechten Hetzer und Totschläger benutzten, sondern „Chaos“ als Synonym für Revolution findet sich auch in der seriösen Geschichtsschreibung und auch dort spürt man die Erleichterung über die sog. „Wiederherstellung der Ordnung“, als im Mai die sog. „Revolutionswirren“ endlich vorbei sind.
Und zum zweiten treibt das Begriffspaar „landfremd“ und „einheimisch“ bis heute sein Unwe-sen.
Selbst der Versuch der Richtigstellung, etwa in der Ausstellung im Literaturhaus, diskutiert, ob die Revolutionäre überhaupt Bayern waren oder nicht etwa Ausländer, Juden oder gar Li-teraten.
Als ob das irgendeinen Aussagewert darüber hätte, ob die Revolution richtig oder notwendig war.
Als ob es für Revolutionen Zulassungsbeschränkungen gäbe und eine Art Zulassungsstelle für Revolutionäre.
Zu den Fakten: Fast alle Revolutionäre waren bayerische Staatsbürger.
Es wurde und wird ja immer wieder behauptet, eine Revolution, das sei etwas dem bayeri-schen Wesen fremdes, die Revolution von 1918 also gleichsam „importiert“.
Was tatsächlich importiert werden musste, war die Konterrevolution.
Buchstäblich „landfremd“ waren die selbsternannten Wiederhersteller der Ordnung: das wa-ren Reichstruppen, insbesondere aus dem Württembergischen, und Freikorps aus württember-gischen, thüringischen, preußischen Einheiten, und nur zum geringsten Teil aus dem Ober-land; alle unter dem Oberbefehl eines preußischen Generalleutnants.
Truppen von außerhalb wurden geholt, weil es in Bayern trotz aller Kanzelhetze und Gräuel-propaganda kaum bayerische Soldaten gab, die bereit gewesen wären, auf ihre Landsleute zu schießen.
Das war ja schon bei der Revolution selber so.
Da fiel kein einziger Schuss. Nirgendwo im Land regte sich Widerstand.
Die Revolution war also nichts, das von „außen“ hineingetragen worden wäre. Die Revolution war eine originär bayerische Revolution.
Sie ist unsere Revolution.
Mia san mia, aber mia sind anders als die konservative Propaganda behauptet.
Wer hat die Revolution gemacht, neben den Arbeitern und Soldaten?
Allen voran natürlich Kurt Eisner.
Er war der rechte Mann zur rechten Zeit.
Aber ihm zur Seite schritt der Bauernführer Ludwig Gandorfer.
Gandorfer und sein Bruder Karl waren aufgeklärte, weltoffene Bauern und Bauernführer.
So was hat’s in Bayern lang nicht mehr gegeben.
Und die Revolution ist undenkbar ohne die bayerischen Frauen.
Schon vorher haben sie die großen Fabrikarbeiterstreiks und die Hungerdemonstrationen an-getrieben.
Auch in der Revolution selbst sind sie engagiert und sorgen dafür, dass sie unblutig bleibt. ‚Dass das Revolutionstribunal kein Todesurteil aussprach, war ausschließlich auf die Frauen zurückzuführen’, schreibt später Lida Gustava Heymann, die Partnerin von Anita Augspurg.

Wie sehr diese bayerische Revolution von der bayerischen Bevölkerung gebilligt wurde, zeigt auch das Begräbnis Kurt Eisners:
Etwa einhunderttausend Menschen geben dem Ermordeten das letzte Geleit, Arbeiter, Arbei-terfrauen, Bauern in Trachten, Gebirgler in ihrer Kluft, Soldaten. Zwanzig Musikkapellen marschieren mit.

Die Revolution Eisners verlief völlig unblutig, selbst die folgenden Revolutionen blieben friedlich, im Vergleich zu dem, was danach geschah.
Im Bayern der Weimarer Republik gab es deutlich mehr politische Morde als in der gesamten bayerischen Revolution.
Selbst die zweite, dritte und vierte Revolution wurden nicht blutig erkämpft, sondern sie wa-ren jeweils die Folge eines Machtvakuums.
Die Polizei griff nicht ein, die Bürokratie arbeitete ungerührt weiter.
Warum nennt man das „Chaos“?
Die Gräuelpropaganda der Besatzungstruppen, die den Weißen Terror vorbereitete und be-gleitete, hat den Räten zu Unrecht das vorgehalten, was sie selber später bestialisch exekutiert haben.
Hunderte willkürlicher Erschießungen, furchtbarer Morde und Folterungen: das ist die soge-nannte „Befreiung Münchens“.
Und die spätere, sog. „Ordnungszelle Bayern“, das waren diktaturähnliche Verhältnisse, agita-torische Hetze, politische Justiz, paramilitärische Verbände, private Waffenlager, Fememorde, Straßenkämpfe, und eine Polizei, die politische Verbrechen deckt.
Wer nennt das Ordnung?

Nicht das vermeintlich „linke Chaos“, sondern die rechte angebliche Ordnung muss jedem Angst machen.
Trotzdem kann passiert es heute immer noch, dass diejenigen, die sich ordentlich marschie-renden Rechtsradikalen in den Weg stellen, als „linke Chaoten“ gebrandmarkt werden.
Wer Rechts mit „Ordnung“ und Links mit „Chaos“ verbindet, sitzt einer rechtsradikalen Ideo-logie auf.

Das größte Chaos war der Weltkrieg – die Revolution brachte Frieden und eine neue Ord-nung.
Für diese Revolution gilt, was Hannah Arendt „Über die Revolution“ sagte, nämlich: „dass eine Revolution nicht staats-, regierungs- und ordnungsfeindlich ist, sondern im Gegenteil die Neugründung des Staates und die Errichtung einer neuen Ordnung bezweckt.“

Kurt Eisner wollte die neue Ordnung möglichst demokratisch.
Deshalb wollte er Parlament und Räte.
Die Räte sollten dem Parlament kontrollierend und beratend zur Seite stehen.
Ihre Aufgabe sah er in der politischen Erziehung des Menschen vom Untertanen zum mündi-gen Bürger, in der „Selbsterziehung des Volkes“: „Die Räte sollen die Schulen der Demokra-tie werden, daraus dann sollen die Persönlichkeiten emporsteigen zu politischer und wirt-schaftlicher Arbeit.“
In den Räten sah er eine Möglichkeit, die Gesellschaft zu demokratisieren.
Außerdem setzte er sich für das Referendum ein. Den Volksentscheid betrachtete er als „Vollendung des demokratischen Gedankens“. Denn er war überzeugt, „dass die Schäden der Demokratie nur durch mehr Demokratie überwunden werden können“.
Kurt Eisner war ein großer Demokrat, wie es in Bayern nicht viele gab.
Bei der Trauerfeier im Odeon am 16. März 1919 hat ihn Heinrich Mann so gewürdigt:
„Die hundert Tage der Regierung Eisner haben mehr Ideen, mehr Freuden der Vernunft, mehr Belebung der Geister gebracht als die fünfzig Jahre vorher.“
Viele schimpfen ja auf unsere heutigen Politikerinnen und Politiker, und die ganz G’scheiden fragen sogar: Wo ist der deutsche Obama?
Aber Bertolt Brecht hat mal gesagt: Glücklich das Land, das keine Helden braucht.
Da können wir doch froh sein über unsere Politiker deutlich bescheideneren Formats.
Aber ein bisschen mehr Freuden der Vernunft und Belebung der Geister täten uns schon gut.

www.sepp-duerr.de

1 Kommentar

  1. Die bayerische Staatsregierung sei aufgerufen ihre ‚Unterabteilung‘, das Haus der Bayerischen Geschichte in Augsburg, anzuweisen die heimische Geschichte einer dringend fälligen Revision zu unterziehen und endlich auf den allgemeinen Kenntnis- bzw. Wissenstand hin zu aktualisieren!

    Untragbar und eine Affenschande, dass immer noch echte Demokratiefeinde, NS-Steigbügelhalter, ‚Mitläufer‘ und Antisemiten von der bayerischen Historiografie als ‚Ikonen‘ gepflegt werden (wie etwa Richard Wagner, von Kahr, Faulhaber, Meiser, Ludwig Thoma, Hans Carossa etc.), andere hingegen, (jüdische) Pazifisten, Menschenfreunde, Mäzene und Philanthropen, wie Eisner, Toller, Mühsam und Castiglioni in ein eine ‚linke Ecke‘ gestellt oder totgeschwiegen werden.

    Dass „unser schönes Bayern“, so steht’s immer wieder in den CSU-Flyern vor den Wahlen zu lesen, alles andere als ’schön‘ ist, zumindest wenn wir auf die bayerische Geschichte blicken, weiss beinahe ein jeder außerhalb Bayerns, nur die Bayern selbst haben anscheinend allergrösste Schwierigkeiten mit der nötigen Selbsterkenntnis!

    Allen Bayern guten Willens, sei als ‚Einstiegslektüre‘ David Clay Large’s Hitlers München (dtv) ans Herz gelegt; ein Buch, das auch auf die Zeit vor 1933 und auf die nach 1945 eingeht. Die beste Einführung, die Euch ein echter Freund empfehlen kann!
    Habt Mut zu dieser Lektüre, liebe Christians und Gabis, Stefans und Brigitten, eine Lektüre, die Euch weniger als ein Harry Potter kostet, Euch aber zu ‚vollwertigen‘ Staatsbürgern macht.

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