Fritz & Lieschen in der ‚Hölle‘, kurz vor Eintreffen Putins

0
188

Ein Einakter für Kinder sowie ‚Kinder‘

Tom, mein Illustrator, war‘s noch nicht ganz zufrieden. Fand den Untertitel schwierig. Murmelte sich etwas in den Bart – eine Metapher, Kinder, so wie ‚Kinder‘ –, was so klang wie: „Das weiß doch jeder!“ „Was?“ „Well, let me tell you!“ (Tom ist Ami, folks!) „Häh?“ „Well: Doppelt gemoppelt!“ „Und der Haupttitel?“ „Ist okay!“ Ich prüfte ihn ab – und er fiel durch! Deswegen, Kinder sowie ‚Kinder‘, zuerst Letztere, also etwa Dunja Hayali und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die einfach nicht glauben wollen, dass immer mehr schwere Waffen nicht Frieden schaffen, sondern Atomkrieg. Und nun noch die Kinder: Also, folks, Fritz & Lieschen ist ein Spiel, welches der Philosoph Friedrich („Fritz“) Nietzsche (1844-1900) häufig mit seiner drei Jahre jüngeren Schwester Elisabeth („Lieschen“) spielte. In die Hölle kamen beide, weil sie nach seinem Tod log – bis sich die Balken bogen. Deutlicher: Bis Hitler dachte, Nietzsche sei aus ähnlichem Holz wie er. „Und Nietzsche?“ Nun ja, Kinder, in aller Vorsicht geredet (fragt besser eure Eltern!): Nietzsche kam in die Hölle, weil er mit 22 Jahren im Puff nicht aufgepasst hatte. „Safer sex!“, ergänzte Tom. Und sich eine Geschlechtskrankheit einfing. Die Syphilis. Die damals nicht behandelbar war. Und im schlimmsten Fall noch über zwanzig Jahre später zur kompletten Verblödung führen konnte. Wie in seinem Fall. „Aber deswegen kommt man doch nicht in die Hölle!“, meckerte jetzt Tom. „Du machst den Kindern doch Angst!“ „Hey Tom, nochmal: In der Überschrift steht ‚Hölle‘ – eine Metapher!“ „Noch was: Gibt’s genug zu lachen?“ „Wenn Du aufhörst zu schwätzen, Tom: schon!“

Den Kindern reichte es jetzt. Lautstark skandierten sie: „Anfangen! Anfangen!“ Und die ganz vorwitzigen: „Anfangen, Kaspar!“ – Also gut: Los‘ geht’s mit dieser Nachdenk- Geschichte.

 

von Christian Niemeyer (Text) & Tom Minnes (Illustrationen)

Ein schwach mittels rot abgedeckter Kerzen illuminierter Felsensaal, zum Bühnenende hin ist eine Bibliothek erkennbar, das erste Regal zum Thema „Interessante Syphilitiker“, Einzeltitel zu „Pechvogel: Friedrich Nietzsche“, „Serientäter: Guy de Maupassant“, „Abenteurer: Paul Gauguin“, „Haltlose: Charles Baudelaire“, „Dandy: Oscar Wilde“. Dann ein großes Regal: „Päpste“ sowie „Nekrophilie: Hitler, Putin & Co.“. Sowie ein Band mit dem Titel „Nietzsches Syphilis – und die der Anderen. Eine Spurensuche“, gleich daneben ein offenkundiges Unikat mit dem Titel „Sex, Tod, Hitler. Eine Kulturgeschichte der Syphilis (1500-1947) am Beispiel von Werken vor allem der französischen und deutschsprachigen Literatur“.  Im Vordergrund ein Frühstückstisch, an ihm sitzend Nietzsche und seine Schwester, also Lieschen. Die jetzt ihren ersten Auftritt hat:

 

Lieschen:

„Warum Du hier bist, Fritz, wird mir so langsam klar. Schau‘ Dir doch mal Deine Nase an! (Hektisch greift Nietzsche ins Leere! Hätte er sie doch bloß festgehalten, wie am 17. Juni 1889 in der Jenaer Irrenanstalt! Schließlich stand doch in jedem zweiten Lexikon, dass sie im Fall der Fälle als erstes abfällt!) Aber warum auch ich, Fritz? Im Übrigen: Du hast doch immer gelästert, im Himmel fehlten alle ‚interessanten Menschen‘, um hinzuzusetzen: ‚Nur ein Wink für die Weiblein, wo sie ihr Heil am besten finden‘!?“

Fritz:

„Wenn Du sagst, ich hätte das gesagt, wird es wohl stimmen. Und? Hältst Du Dich etwa für uninteressant – und empfindest Dich deswegen hier als deplatziert?“

Lieschen, registrierend, dass sie einen Fehler gemacht hat:

„So habe ich das doch gar nicht gemeint. Ich meinte nur, dass…“

Fritz, sie grob unterbrechend:

„… dass Du mit Frauen, wie wir sie gestern beim ‚Kastanienbankett‘ getroffen haben – Katharina II., Lucrezia Borgia, Nana, Jayne Mansfield – nicht wirklich mithalten kannst? Da kann ich Dich beruhigen: Du bist hier wegen einer anderen Bedeutungsgebung der Vokabel ‚interessant‘.“

Lieschen, neugierig:

„Welcher?“

Fritz, lässig:

„Nun, der Chef erklärte erst gestern Abend in kleiner Runde, ein derart interessanter und für erhebliche kriminelle Energie zeugender Fall wie Deiner sei ihm im Segment ‚Urkundenfälschung‘ noch nicht begegnet. Hitler protestierte daraufhin energisch, auch der gleich neben ihm sitzende Fälscher von Hitlers Tagebüchern, aber erfolglos. Du weißt ja, wie der Chef so sein kann!“

Lieschen schaut verunsichert.

Fritz, seine Chance nutzend:

„Ich kann Dir gerne ein Beispiel geben. Du erinnerst Dich vielleicht, welchen Spaß wir im letzten Herbst hatten bei der Lesung in der Höllenbibliothek aus dem frisch eingetroffenen Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays aus der Feder dieses Christian…“

Lieschen, wutschnaubend:

„Bitte nicht diesen Namen…“

Fritz, unverdrossen:

„… der in seinem Brief an mich zu meinem 175. Geburtstag an die deutsche Übersetzung von Fritz Sterns The Politics of Cultural Despair (1961) erinnert hatte, insbesondere an Sterns Satz: ‚Jede Tyrannei eines Kollektivs lehnte er [Nietzsche; d. Verf.] ab; sicherlich würde er die völkische Gemeinschaft ebenso entschieden bekämpf haben, wie er den bestehenden Staat bekämpfte.‘“

Lieschen, ironisch:

„Ich weiß, mein lieber Fritz! Auch, dass Du Dich über das Geschreibsel dieses Juden sehr gefreut hast.“

Fritz, erfreut:

„Dieser Niemeyer ist Jude?“

Lieschen, genervt:

„Ich meinte Stern. Sagt doch schon sein Name!“

Fritz:

„Zurück zur Sache: Stern referierte in einer Fußnote den Inhalt meiner Briefe vom März 1887 an den Hitlervorläufer Theodor Fritsch – Du weißt, Lieschen: dieser Brummbär aus Zelle 23, der dort einsitzt, weil er sich ständig mit Hitler stritt, der ihm seine Ideen geklaut hätte. Und er, Stern, stellte dazu fest: ‚Beide Briefe sind in deutschsprachigen Sammlungen von Nietzsche-Briefen nicht enthalten.‘ Ich fragte Dich damals und frage Dich heute, Lisbeth, als meine gewesene Nachlassverwalterin und Editorin fast aller meiner Werke und Briefe: Wo, zum Teufel, sind meine Briefe an Theodor Fritsch? Was hast Du mit diesen wichtigsten Belegen für meinen Anti-Antisemitismus gemacht? Schließlich kann Dir der Streit zwischen Fritsch und Hitler hier in der Hölle nicht entgangen sein: Bei jeder passenden Gelegenheit (deswegen sitzt er ja jetzt in Zelle 23) stellte sich Fritsch Hitler in den Weg und herrschte ihn an: ‚Warum nur habt ihr Nazis euch auf Nietzsche eingelassen? Er war doch ein berüchtigter Judenfreund?‘

Lieschen, genervt:

„Warum? Warum? Ich hatte diese Briefe nicht, Fritsch rückte sie einfach nicht raus! Punkt! Und bitte: Nicht undankbar sein, Brüderchen! Ohne mich wärst Du nicht ins Gespräch gekommen!“

Fritz, konsterniert:

„Gespräch? Du meinst wohl: Gerede! – Gerede über Texte, die ich nie in Druck gegeben hatte und hätte! Warum hast Du meine diesbezüglich unmissverständliche Äußerung gegenüber Josef Paneth unterschlagen…“

Lieschen, sauer:

„Es reicht! Immer nur Vorwürfe, nie Anerkennung! Dabei habe ich Deinem Werk vierzig Jahre meines Lebens geopfert, Tag um Tag und Stunde um Stunde nur an Dich gedacht, allen berühmten Professoren widerstanden, die Dich für einen Spinner hielten, auch den Verlagen, die, wie Duncker & Humblot, sich noch 1886 lustig machten über Dich und Deine Verkaufserwartungen. Und sich bis heute schwarz ärgern dürften.“

Fritz, um einen Themenwechsel bemüht:

„Braun ärgern trifft’s wohl eher angesichts solcher Schwätzer wie Carl Schmitt. Aber was anderes, Lieschen: Hast Du gestern Abend auf Satan 1 auch die Wiederholung von Roland Emmerichs SF-Blockbuster The Day After Tomorrow gesehen?“

Lieschen, jeden Fehler ausnutzend:

„Satan 1? Sag‘ mal, Fritz, bist Du möglicherweise schon ein bisschen dement? Hat die Syphilis bei Dir zugeschlagen? Ich meine, Witzchen darüber hast Du ja darüber schon damals, im Diesseits, gemacht, etwa den unschlagbaren, Dir neulich erst von einem beim Surfen mit Maske – nach oben, über die Augen gerutscht – ums Leben gekommenen Spanienurlauber überbrachten, auf einem Zuckerpäckchen notierten: ‚La ventaja de tener mala memoria es que se goza muchas veces de las mismas cosas.‘“

Fritz, betreten vor sich hinschauend, den Sinn dieser Vokabeln ergebnislos zusammenstoppelnd.

Lieschen, dies begeistert kommentierend:

„Oh Fritz, wie süß von Dir! Das ist eine wunderbare Karikatur auf Deinen eigenen Witz!“

Dann, zögernd:

„Au weia, Fritz: Der Satz kommt Dir wirklich spanisch vor, nicht wahr? Also, ich will Dir helfen, auf Deutsch heißt das: ‚Der Vorteil des schlechten Gedächtnisses ist, dass man die selben guten Dinge mehrere Male zum ersten Male genießt.‘“

Fritz, begeistert:

„Oh Lieschen, das ist gut, vom wem ist das?“

Lieschen:

 „Fritz, jetzt reicht’s! Oder hast Du tatsächlich schon Honig im Kopf… eh: Ich meine natürlich: im Schädel?!“

Fritz, empört:

„Das ist nicht witzig, Lieschen! Übrigens: Was an meinem Eingangssatz gibt Dir ein Recht, mich als dement einzuordnen?“

Lieschen, souverän:

 „Na, das liegt doch auf der Hand, sorry, ich wollte sagen: das liegt doch auf dem Knochen: Satan 1!“

Fritz, deutlich auf dem Schlauch stehend:

„Wie bitte?“

Lieschen, geduldig, den Satz langsam und gedehnt sprechend:

„Der Film lief nicht auf Satan 1, er lief auf Kabel 1 Klassik!“

Fritz:

„Bist Du Dir sicher!“

Lieschen:

„Ja!“

 

Fritz, erstaunt:

„Dann hast Du den Film also gesehen!“

Lieschen, nun ihrerseits erstaunt:

 „Ja! Ich saß doch neben Dir!“

Fritz, Erinnerung vortäuschend:

„Ach ja! Und!?“

Lieschen, genervt:

„Was und?“

Fritz, ungeduldig:

„Was sagst Du zu der Szene, als der der Kälte wegen mit den Zähnen Klappernde in einer Bibliothek Bücher in den Kamin werfen will, um einzuheizen? Und dann plötzlich welche von mir entdeckt. Und diese mit den Worten vor dem Flammentod bewahrt, ich sei schließlich der bedeutendste Philosoph des 19. Jahrhunderts gewesen.“

Lieschen:

„Was ich dazu sage, Fritz? Dass Du mir erst einmal dafür danken solltest, dass ich Deine Bücher im 20. Jahrhundert vor dem Flammentod bewahrt habe!“

Fritz, sprachlos:

„Du, Lieschen? Wie das?“

Lieschen, ungeduldig:

 „Oh, Fritz, Du undankbarer Geselle: Ohne meine Eingriffe in Dein Werk, genauer: ohne mein genial kompiliertes Werk Der Wille zur Macht hätten die Nazis Deine Bücher bei den Bücherverbrennungen vom Mai 1933 als allererstes ins Feuer geworfen!“

Fritz, genervt:

„Sag‘ mal, Lieschen, meinst Du das jetzt etwa im Ernst! Wird sich das jetzt womöglich ewig wiederholen? Dieses Triezen und Nerven und…“

Lieschen, ungeduldig:

„Stopp, Brüderchen. Ich zitiere hier nur einen aktuellen Nietzscheforscher. Er wirft mir vor, Dich systematisch nazifiziert zu haben?“

Fritz:

„Wie heißt dieses Genie! Ich muss ihn kennenlernen!“

Lieschen:

 „Christian N., der mit diesem schrecklichen Schwarzbuch. Übrigens, Fritz: Der war wirklich gut!“

Fritz, erstaunt:

„Wer?“

Lieschen:

„Der Witz: ‚Ich muss ihn kennenlernen!‘ Ich meine: Schau‘ Dich doch einmal an! Du bist ja noch nicht einmal mehr Haut und Knochen! Und hast auch keine Nase mehr!“

Fritz, betreten schweigend, dann zu neuer Form auflaufend:

„Ich habe noch eine bessere, wollte sagen: einen besseren!“

Lieschen, verwirrt:

„Was denn nun? Bessere Nase? Bessere Maske? Besseres Skelett? Bei Letzterem nämlich hättest Du sagen müssen: ‚… ein besseres‘!“

Fritz, entnervt:

„Mein Gott, Lieschen, immer noch die alte Oberlehrerin? Dann lass Dir gesagt sein: ‚Kurze Rede, langer Sinn – Glatteis für die Eselin!‘ Nicht wahr!? Ich meinte natürlich: Besseren Witz!“

Lieschen, die Anspielung, sie sei die Eselin, geflissentlich überhörend:

„Welchen?“

Fritz, geduldig:

„Von gestern Abend, aus The Day After Tomorrow!“

Lieschen:

„Ich höre!“

Fritz:

„Weißt Du, Lieschen, was die Freundin des Typen, der meine Bücher nicht verbrennen wollte, geantwortet hat!“

Lieschen:

„Sorry, mein Brüderchen, an dieser Stelle muss ich kurz eingenickt sein. Lag‘ wohl daran, dass mich die Stelle zu langweilen begann!“

Fritz:

„Kein Problem, Schwesterlein, ich hab’s mir mitgeschrieben. Sie antwortete, damit begründend, dass man meine Bücher durchaus zum Heizen verwenden könne: ‚Nietzsche war ein Chauvinistenschwein, das in seine Schwester verknallt war!‘“

Lieschen erstarrt, empört. Dann aber kommt es, leicht giftig, aber ansonsten ganz cool:

„Ich? In Dich verknallt!? Und so was findest Du witzig, oder wie oder was!?“

Fritz:

„Das nicht – aber dasjenige, was mir dazu als Replik einfiel und ich als Drehbuchautor für Emmerichs Blockbuster als nächstes hätte aufsagen lassen!“

Lieschen, nun doch neugierig, sich so gut es geht aufrichtend:

„Ich höre!“

Fritz:

„Nun, ich hätte dem Typen die Peitsche zeigen sollen… Apropos, Lieschen: Weißt Du eigentlich, wenn ich meinte, also ich dereinst warnte: ‚Du gehst zum Weibe? Vergiss die Peitsche nicht!‘ Du kennst doch vielleicht das berühmte Foto, mit Lou auf dem Karren und mir und Paul Rée an der Deichsel…“

Lieschen, in aller Unschuld:

„Du meinst: Dieses hier?“ Sie zeigt dazu diese Zeichnung:

Fritz, konsterniert:

„Moment mal Lieschen: Das ist doch nicht Lou mit der Peitsche – das bis doch Du! Und Du prügelst auf mich ein! Wo hast Du das her? Wer hat das gezeichnet!?“

Lieschen schweigt verbissen.

Fritz, auf seine ursprüngliche Frage zurückkommend:

„Egal, und wie auch immer, zurück zum eben verlassenen Thema: Ich hätte Emmerich die Peitsche gezeigt und als Drehbuchautor noch einen Satz eingefügt: ‚Na, Schatz, wohl nur ein einziges Buch zum Thema gelesen, nämlich Kerstin Deckers Die Schwester. Das Leben der Elisabeth Förster-Nietzsche (2016)? Und zum Thema wohl nur eine Stimme gehört: Die vor Verehrung triefende eines Männleins namens Christian Möller in der Sendung Sein und Streit auf Deutschlandradio Kultur am 6. 11. 2016. Jubel- nicht Dudelfunk nennt man derlei!‘ Ha! ha! ha! Der ist gut, Lieschen, nicht wahr! Ein echter Brüller!“

Nietzsches Lachen hallt noch endlos durch die Hölle, während seine Schwester – Sie hatte sich so gut mit Kerstin Decker bei den Vorgesprächen zu deren Buch verstanden! – betreten ins Nichts starrt (was in der Hölle allerdings eine etwas unspezifische Angabe ist!). Dann fällt ihr zum Glück doch noch etwas ein, und sie holt aus der Bibliothek ein dort sehr gefragtes Buch mit dem Titel „Wie Nietzsche aus der Kälte kam“ (2022) von Philipp Felsch.

Lieschen:

„Sag‘ mal, mein liebes Chauvinistenschwein: Warum hackst Du eigentlich immer nur, unter Einschluss von Christiane Möller, auf uns Frauen herum. Dieses hübsche Jüngelchen hier“ (sie hält demonstrativ ein Umschlagfoto von Felsch vor Nietzsches nicht mehr vorhandene Nase) „verteidigt mich gleichfalls gegen unberechtigte Anwürfe, unter Verweis auf Ulrich Sieg sowie Domenico Losurdo, wie 2003 schon Kurt Flasch…“

Fritz:

„Felsch, Flasch – Mensch, Schwesterlein, merkst Du noch was: Das ist doch nichts weiter als die von mir behauptete ‚Ewige Wiederkehr der Gleichen‘….“

Lieschen:

„… ‚des Gleichen‘, mein Lieber! Weißt Du etwa langsam selbst nicht mehr, was Du geschrieben hast?! Dies übrigens damals mit der freundlichen Erläuterung, ich sei, zusammen mit unserer Mutter selig, der stärkste Einwand gegen den Wiederkunftsgedanken?“

                                               Fritz, als höre er gar nicht zu:

„Losurdo habe ich übrigens gestern gesehen, zu Besuch in Hitlers Nekrophilie-Abteilung, wo sie schon Vorbereitungen treffen für eine täglich erwartete Neuaufnahme: Putin!“

Lieschen, auf Frieden getrimmt:

„Was heißt das eigentlich, ‚Nekrophilie‘? Du weißt doch alles, Brüderchen?“

Nietzsche, geschmeichelt:

„Nun, Lieschen, da wir gerade an der Zelle vorbeigehen: Lies‘ mal die Inschrift an der Zellentür!“

Lieschen, mit leicht klappernden Zähnen:

„‘Viva la muerta!‘ Oh Gott, Fritz: ‚Liebe den Tod!‘ Das ist ja schrecklich – und das Gegenteil von Deiner Lehre: ‚Schenkt mir erst Leben, dann will ich euch eine Kultur schaffen!‘“

Nietzsche, befriedigt:

„Du sagst es, Schatz! Nur das ‚Gott‘ vor ‚Fritz‘ kannst Du Dir schenken!“

Lieschen, unsicher:

„Du meinst….“

Fritz, Sie ärgernd:

„Genau! Statt ‚Gott‘ wäre allenfalls ‚Fromm‘ erlaubt!“

Lieschen, unsicher:

„Du meinst…“

Fritz, spöttisch:

„Genau. Ich meine den in Frankfurt/M. geborenen angehenden Rabbiner und späteren Psychoanalytiker Erich Fromm, 1934 vor den Nazis in die USA geflüchtet, der in The Anatomy of Human Destructiveness (1973)…“

Lieschen, clever:

„… mich beschuldigte, Deine Briefe an Hitler unterschlagen zu haben…“

Fritz, Kurs haltend:

„… die These vertrat, Hitler liebe, als typisch Nekrophiler, den Tod und das Töten!“

Lieschen, ihre Chance erkennend:

„So wie Putin? „Dessen Soldaten sich übrigens auf anti-faschistische Handlungsmotive berufen und auf Dein Buch Der Wille zur Macht, auf Deine Lehre…“

Fritz, empört:

„Anti-faschistische Handlungsmotive? Sag‘ mal, hältst Du es neuerdings mit der AfD und Jürgen Elsässer? Sowie: Mein Buch? Also, jetzt reicht’s mir aber wirklich! Eben sollte ich Dir noch dankbar sein, mich durch Dein Buch mit diesem Titel vor den Bücherverbrennungen der Nazis geschützt zu haben, und jetzt…“

Lieschen:

„Bevor Du weiter und Dich damit um Kopf und Kragen redest, Brüderchen…“

Fritz, versöhnlich:

„Kopf und Kragen ist gut, Schwesterlein, Chapeau!“

Lieschen, unbeirrt:

„… solltest Du bedenken, dass ich Dich auch vor den Menschenverbrennungen der Nazis geschützt habe!“

Fritz, perplex:

„Wie das? Ich meine mich daran erinnern zu können, dass ich gerade meinen 32. Todestag hier in der Hölle feierte, als die Nazis an die Macht kamen und es in der Folge hier ziemlich voll wurde, nach 1945 auch mit Nazis und Ärzten unter deren willigen Helfern, die…“

Lieschen, unbeirrt:

„… was gemacht hatten mit Syphilitikern und unheilbar Geisteskranken wie Dir!? Ja, Fritz, ich höre?“

Fritz, bei dem langsam der Groschen fällt:

„Du meinst, weil Du systematisch meine Krankengeschichte verharmlost hast, als sei ich nicht Opfer der Spätfolgen eines von mir übrigens im Januar 1889 eingestandenen Bordellbesuchs im Alter von 22 Jahren geworden, sondern der Überarbeitung sowie des übermäßigen Schlafmittelmissbrauchs plus Schlaganfall erlegen, hättest Du Dich um mich verdient gemacht, mich beispielsweise vor dem Schicksal geschützt, das die Nazis jenen bereiteten, die so krank waren wie ich? Und so alt wie beispielsweise Adrian Leverkühn in Thomas Manns Doktor Faustus (1947)?“

Lieschen, zufrieden:

„So ungefähr, ja!“

Fritz, empört:

„Aber merkst Du denn nicht, was für einen Unsinn Du da redest und wie verlogen Du bist? Du hast mich doch nur gesundgeschrieben, weil ein kranker Nietzsche und gar ein geschlechtskranker zu nichts taugt, zumal nicht zur Ikone der Nazis. Deswegen auch haben die Nazis Dich 1935 per Staatsbegräbnis ins Jenseits geleitet, aus Dankbarkeit, ihnen einen gesunden Nietzsche überliefert zu haben. Einen Nietzsche im Übrigen, der ihre Euthanasie heiliggesprochen zu haben schien. Oh, Lieschen, wenn Du wüsstest, wie sehr ich bedauere, aus Verzweiflung über meine Syphilis mir über Fragen Gedanken gemacht zu haben, die mich eigentlich gar nichts angingen, Fragen der Zeugungsverhinderung beispielsweise.“

In diesem Moment erhebt sich aus der Hölle ein von Oskar Panizza angeführter Zug ausgemergelter Elendsgestalten und skandierte, gar grässlich anzuhören:

„Oh Nietzsche, Du Verräter, dafür haben wir nicht gestritten, als wir das ‚gefährliche Leben‘ zu leben begannen und damit hörten auf Dein Wort. Und als wir bereit waren, für den höchsten Genuss jeden Preis zu zahlen – nur eines nicht wollten: die ewige Wiederkehr dieses jämmerlichen, gottbeflissenen Daseins, umstellt von lauter Geboten.“

Vom Hölleneingang her erklingen zugleich Flötentöne, als gelte es, Quartiersmacher aus Moskau und Minsk zu begrüßen. Mir indes reichte es jetzt, und, zum Glück für die Ukraine und den Klimawandel:

Das Licht ging aus!

In der Folge auch für Fritz & Lieschen, die sich bald in folgender Szene erleben mussten:

 

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer. niem.ch2020@outlook.de

Illustrator: Tom Minnes

Der Text überführt die Glosse Nr. 13 Verehrter Herr Professor Nietzsche aus meinem Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz). Weinheim Basel 2021 (S. 694-697) in ein Theaterstück unter Anspielung auf Putins Krieg in der Ukraine.