Islamismus in Frankreich

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Zufällig war ich in Paris, als am 3. Oktober 2019 ein Informatiker, der im Pariser Polizeipräsidium in der Abteilung Inlandssicherheitsdienst arbeitete, fünf Arbeitskollegen mit Messern angriff und vier von ihnen abschlachtete, bevor er von einem Polizisten erschossen wurde. Am Tag zuvor demonstrierten 27.000 Polizisten in Paris, nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch gegen den Hass gegen Polizisten. Ein Hass, der auch von Islamisten geschürt wird und dem schon zuvor einige Polizisten zum Opfer gefallen sind…

Von Karl Pfeifer

Der zum Teil hörgeschädigte Täter Mickaël Harpon kam aus den Französischen Antillen, konvertierte 2008 zum Islam und lebte in Gonesse (27.000 Einwohner) in der Gegend um Paris. Er besuchte eifrig eine Moschee, deren Hauptimam einer mit den Muslimbrüdern verbundenen Vereinigung angehört. Ein weiterer Imam, ein marokkanischer Staatsbürger, der seit 2017 die Gebete leitet, wurde wegen seiner radikal salafistischen Predigten als Gefährder eingestuft und ausgewiesen. Da er heiratete und seine Kinder die französische Staatsbürgerschaft erhielten, wurde der Ausweisungsbeschluss aufgehoben. Er wurde zuvor in der benachbarten Gemeinde Sarcelles von der Moschee entlassen, weil die besonnenen Muslime nichts mit ihm zu tun haben wollten.

Wenn irgendwo in Frankreich eine Terrortat begangen wird, kommt von den Behörden zunächst immer die gleiche abwiegelnde Reaktion, regelmäßig wird dem islamistischen Täter oder Tätern Geisteskrankheit unterstellt und betont, dass es sich um einen Einzelnen handelt. Nachdem Mohammed Merah 2012 in Toulouse und Umgebung Soldaten, einen Rabbiner und jüdische Kinder mordete, die gleiche Reaktion: „ein einsamer Wolf“, „eine Wahnsinnstat“.

So geschah es auch am 31.8.2019 bei einer Messerattacke an einer Metrostation in Villeurbanne im Einzugsgebiet von Lyon, bei dem ein islamistischer Täter einen 19jährigen ermordete und acht Personen verletzte. Auch da wurde der Täter von Behörden und Medien als unausgewogen („déséqulibré“) und die Tat als „Wahnsinn“ charakterisiert. Das ist konsequente Vogelstraußpolitik.

Im Fall des islamistischen Schlächters Mickaël Harpon ging man nach der gleichen Methode vor. Der an den Innenminister gesandte Bericht über den Täter, der von einer Zeitschrift veröffentlicht wurde, liest sich zum Teil wie eine Satire auf den französischen Sicherheitsdienst. Schon bevor er 2014 heiratete änderte Harpon schlagartig sein Benehmen. 2015 nach dem Terroranschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo meinte er „gut gemacht“. Seine Kollegen meldeten dies dem Vorgesetzten, der seine Mitarbeiter fragte, ob sie das schriftlich melden würden. Doch das haben sie nicht getan. Die Vorgesetzten von Harpon waren vorsichtig und taten nichts. Hatte doch 2012 der sozialistische Präsident Francois Hollande gewarnt vor einer „Vermischung“ (amalgam), d.h. eine Verbindung zum real existierenden Islamismus wahrzunehmen.

Solche Politiker lassen zwischen zwei radikalen Optionen wählen, alle Muslime sind Terroristen bzw. der Terrorismus hat nichts mit dem Islam zu tun. Wenn dann doch eine solche Verbindung festgestellt wird, dann dient das als zusätzlicher Beweis dafür, die westlichen Gesellschaften als „islamophob“ hinzustellen. Es kommt auch immer wieder der Hinweis, dass doch die Terroristen eine kleine Minderheit sind. Ähnlich argumentiert auch die Tabakindustrie wenn Wissenschaftler eine Verbindung zwischen dem Tabakgenuss und Lungenkrebs herstellen, in dem sie darauf hinweisen, dass nur eine Minderheit der Rauchenden Krebsopfer wird. Das ist die reinste Spiegelfechterei.

Was soll man über Präsident Emmanuel Macron denken, der in seiner Rede über die massakrierten Polizisten sagt „Ihre Kollegen sind gefallen unter den Schlägen eines entarteten Islam, den wir ausmerzen müssen“, wenn man weiß, dass der Täter die gesamte Liste der Agenten des Geheimdienstes in Moscheen in seinem Besitz hatte und viele um ihr Leben bangen müssen. Es ist schon als Fortschritt zu betrachten, dass er im Gegensatz zu seinem Vorgänger fordert, gegen „die islamistische Hydra“ zu kämpfen. Macron sprach von einer „wachsamen Gesellschaft“. Doch um den Islamismus zu bekämpfen, braucht es eine Politik, die sich nicht mit Sonntagsreden begnügt. Solange der französische Staat die Hassprediger toleriert, ihnen sogar Land überlässt, damit sie dort ihre Moscheen bauen und führenden Islamisten den Orden der Ehrenlegion verleiht, sind solche Worte lediglich zum Fenster hinausgesprochen.

Doch kehren wir zurück zum Bericht. Die Tatsache, dass er aufhörte seinen Kolleginnen die Hand zu geben, wurde als nicht alarmierend betrachtet. Weil er doch in der Früh, wie es bei den Beamten der Republik schon zu Zeiten von Guy de Maupassant (nach 1872) üblich war, an der gemütlichen Kaffeerunde teilnahm und mit seinen Kolleginnen höflich umging.

In Gonesse wollte der Kandidat für die EU-Wahlen Hadama Traoré eine Demonstration „gegen die Stigmatisierung der Arbeiterviertel“ veranstalten, um „die abweichende Wahrheit über Mickaël“, der vier Beamte ermordet hat, bekanntzugeben. „Er ist zusammengebrochen. Durchgedreht hat er das nicht wieder Gutzumachende begangen, nicht weil er ein Terrorist ist, sondern weil er unter dem Druck der Arbeitsbedingungen und vor allem wegen des schweren Lebens“ zu leiden hatte. Das ist der übliche islamistische Opferdiskurs, der manchmal darin gipfelt, dass einige dieser Leute mit einem gelben Stern auf dem „Moslem“ steht demonstrieren, was nicht nur das Andenken der Juden, die während des Zweiten Weltkriegs ermordet wurden, schändet. Kann wirklich jemand behaupten, dass die Franzosen muslimischen Glaubens, die alle Rechte und Gleichheit vor dem Gesetz haben, vor der Vernichtung stehen?

Die muslimische Gemeinde von Gonesse veröffentlichte eine lange Erklärung im Internet, mit der sie den von Harpon begangenen Mord verurteilt, und bekräftige „niemals in der Vergangenheit und auch nicht in Zukunft Hasspredigten, die zur Gewalt und zur Ablehnung von Anderen führt toleriert zu haben und zu tolerieren“. Harpon qualifizierten sie als einen „Eindringling unter den Gläubigen“.

In einem vom Magazin „Marianne“ veröffentlichten Interview sagte die ehemalige Mitarbeiterin von Charlie Hebdo Zineb El Rhazoui, die während des Attentats ihren Urlaub in ihrem Heimatland Marokko verbrachte, dass die verschiedenen islamistischen Gruppen, einen „juristischen Dschihad hinter der Maske des Antirassismus führen, dessen Ziel es ist, das Delikt Blasphemie (exklusiv für den Islam) als Gesetz zu erreichen. Bei einer Entlassung von Harpon hätten sie über diesen armen diskriminierten Polizisten, der sich zum Islam bekehrt hat, der behindert ist und aus der Karibik kommt gejammert. Es hätte Politiker und Journalisten gegeben, die hätten beweisen wollen zu den Guten zu gehören und die denjenigen verteidigt hätten, der später seine Kollegen als Kuffars (Ungläubige) abschlachten sollte.“

Die ehemalige Mitarbeiterin von Charlie Hebdo sprach sich auch dagegen aus, dass diese Vereine, die Intellektuelle verfolgen und die französische Justiz instrumentalisieren, um ihre identitäre Agenda zu betreiben, das Recht haben als Nebenkläger aufzutreten. Nur diejenigen Vereine, die gegen alle Rassismen inklusive auch gegen den islamistischen kämpfen, sollten das Recht dazu haben.

Zineb El Rhazoui erinnerte an die in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommene Entnazifizierung, als man sich nicht damit begnügte, die Täter als gemeine Kriminelle zu verurteilen, sondern auch die nazistische Ideologie bekämpft hat, ihre Literatur und ihre Vereine verboten hat. Sie beanstandete auch, dass der französische Staat im Gegenteil dazu, solche Vereine fördere.

Charakteristisch für die staatlichen Medien ist auch ein von der sozialdemokratischen Gewerkschaft „Force ouvriere“ bekannt gegebener Fall. Der französisch-jüdische Journalist bei der staatlichen Fernsehgesellschaft Clément Weill-Raynal war nur ein paar Stunden nach der schrecklichen Tat als erster beim Wohnhaus von Harpon und hatte es gewagt, im staatlichen Fernsehen von der „Möglichkeit eines Attentats“ zu sprechen, nicht genug damit, er wies auch darauf hin, das Harpon zum Islam konvertierte. Ein paar Stunden später sprach er von der „Hypothese eines islamistischen Attentats“.

Weill-Raynal erklärte: „Mir scheint es, wenn man vier Polizisten absticht, dann ist das ein Attentat“. Die „Hypothese“ wurde am nächsten Tag als wahr bestätigt. Trotzdem wurde er zur Direktion bestellt, es wurden ihm „Sanktionen“ angedroht und ein „Mikrophon-Verbot“ in Aussicht gestellt. Für die Gewerkschaft sind „diese Drohungen und Verhöre ungerechtfertigt“ und die „Pressionen bewirken eine Einschüchterung“. Die Gewerkschaft fragt, ob „das Verhalten der Direktion gegenüber diesem Journalisten nicht zu einer Unfähigkeit führt die Realität einer Information zu überprüfen“. Weill-Raynal resümiert: „Ich habe lediglich eine Hypothese evoziert und man spricht von einem professionellen Fehler, das ist kafkaesk“.

Was soll man aber über Innenminister Christophe Castaner sagen, der bald nach der Tat vor der Presse erklärte, dass der Täter „kein Zeichen für einen Alarm“ gegeben hatte. Der durch seine Funktion am besten informierte Mann von Frankreich wurde anscheinend nicht von seinen Beamten darüber aufgeklärt, dass Mickaël Harpon „radikalisiert“ war und das Attentat gegen Charlie Hebdo vor Zeugen gutgeheißen hatte, dass er jeden physischen Kontakt mit seinen Kolleginnen vermieden hatte und deswegen von seinem Vorgesetzten befragt wurde.

Castaner ist kein „islamo-gauchiste“. Diese Verbindung zwischen Islamisten und Linksextremen geht nicht nur auf den venezuelanischen Terroristen Carlos zurück, der zum Islam konvertierte, sondern bereits 1920 wurde von den Bolschewiken während eines Kongresses der Völker des Orients in Baku postuliert, wenn diese islamistisch werden, müssen die Marxisten ihnen kritische Unterstützung bieten. Tariq Ramadan hat während den letzten zwei Jahrzehnten eine Annäherung zwischen Trotzkisten und den Muslimbrüdern bewirkt. Der islamo-gauchisme ist eine Denkströmung, die im Islamismus einen Verbündeten bei der Kritik des Kapitalismus sieht. Die Islamisten ersetzen das klassische Proletariat, das sie enttäuscht hat. Obwohl innerhalb der französischen Linken, zu dieser Strömung nur eine kleine Minderheit gehört, ist ihr Einfluss auf Politik und Medien groß.

Gerade weil heute die islamo-gauchistische Einschüchterung in Frankreich so ist, hat der Innenminister, ohne gefragt zu werden, alles getan, um nichts zu sagen, vor allem nichts zu sagen, woran alle gedacht haben, an die islamistische Bedrohung. Als ob er Angst gehabt hätte vor den Medien und den Messern der Mörder.
Für die allermeisten Franzosen schien ein islamistisches Attentat das wahrscheinlichste. Das war in den Köpfen, wurde aber nicht ausgesprochen. Wir haben es mit einem Paradox zu tun, wenn es sich um Muslime handelt, wird die Unschuldsannahme oft – entgegen der Gerechtigkeit – zum Verdacht der Schuld, denn die Behörden verheimlichen wer der Täter ist, um „nicht die Muslime zu stigmatisieren“, was automatisch das Misstrauen der Öffentlichkeit hervorruft. So dass die ersten Opfer dieses von gedankenlosen Beamten angewendete Tabus, die Muslime sind. Wie ist es möglich, dass die am meisten antikonformistischen und nicht religiösen Linken da mitmachen? Wer diese Frage stellt, vergisst die Geschichte des Stalinismus, Maoismus, die Bewunderung für Pol Pot, diesen Fanatismus und diese Barbarei die unter den am meisten religionsfeindlichen Menschen verbreitet waren und an die trotzdem viele Linke geglaubt haben.

Gerade in Frankreich gab es eine Reihe von antijüdischen Anschlägen von Islamisten. Auch da wird von Behörden und den meisten Medien jeder Bezug auf die Realität vermieden. Eine 2015 auf Pew Global Attitudes Project gründende Studie des Londoner Institute for the Study of Global Antisemitism and Policy “zeigt eine klare Tendenz: antisemitische Einstellungen sind bedeutend mehr verbreitet unter Muslimen als unter anderen Teilen der europäischen Bevölkerung.

Ein Riss geht durch die französische Gesellschaft, für die Mehrheit sind die Menschenrechte, die Gewissensfreiheit und eine relative Gleichheit zwischen Männern und Frauen die Errungenschaften der Republik. All das kann natürlich verbessert werden, aber vor allem müssen diese verteidigt werden gegen alle die sich dagegen wenden.

Für eine einflussreiche Minderheit jedoch wird die bürgerliche Ordnung durch die Privilegien der Herrschenden und deren Arroganz charakterisiert. Diesen Riss gab es auch zurzeit als der Kommunismus triumphierte, jedoch wegen seinem totalitären Charakter, wegen dem Gulag und den Schauprozessen abgelehnt wurde, wiewohl einige da schon den Beginn der Abschaffung des Kapitalismus sahen.

Für die Verteidiger der Republik ist der Islamismus eine Bedrohung, solange man diesen toleriert. Die Islamisten hetzen die Muslime auf, sich von den Ungläubigen abzusondern und sich nicht zu integrieren und setzten dies mitunter auch mit der Drohung mit Gewalt durch. Doch für diejenigen, die die bürgerliche Ordnung abschaffen wollen, gehören die Muslime pauschal zu den Unterdrückten und sind Verbündete. Diesen Konflikt kann man sehen, beim Verhalten zur islamischen oder vorgeblich islamischen Bekleidung. Die meisten Franzosen sehen darin ein Symbol der islamischen Gesellschaftsordnung, die die Menschenrechte ablehnt. Eine Minderheit jedoch sieht darin eine Form des Widerstands gegen die kapitalistische Ordnung und den islamistischen Terror qualifizieren sie lediglich als ein „Abdriften“. Islamisten und ihre nützlichen Idioten behaupten, dass dieser „nichts mit dem Islam“ zu tun hat.

Niemand verharmlost den rechtsextremistischen Terror, doch der islamistische müsste mit der gleichen Schärfe abgelehnt werden. In Frankreich, wie in ganz Europa sind Taten gefragt, keine Freiheiten für die Feinde der Freiheit.

Bild oben: Mickaël Harpon