„Der Tod ist der starre Blick der Lebenden“

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Ein Fotoband dokumentiert das Pogrom in der rumänischen Stadt Iaşi (Jassy)…

Das rumänische Iaşi blickt auf eine lange jüdische Geschichte zurück. Schon im 16. Jahrhundert sollen sich dort Juden niedergelassen haben. Die Stadt brachte bedeutende Rabbiner hervor, war aber auch ein Zentrum der säkularen Intellektuellen. 1855 erschien in Iaşi die erste jiddische Zeitung in Rumänien, 1876 gründete Abraham Goldfadn dort das erste jiddische Theater und der Frühzionist Karpel Lippe warb ab 1880 für den Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina. Lippe eröffnete 1897 als Alterspräsident den ersten Zionistenkongress in Basel und wurde später Vorsitzender der „Zionistischen Vereinigung Rumäniens“.

Doch Iaşi war auch berühmt-berüchtigt als ein Zentrum des Antisemitismus. 1899 und 1923 initiierten nationalistische rumänische Studenten pogromartige Ausschreitungen. Seit den 1920 Jahren galt die Stadt als Hochburg der faschistoiden „Christlich-Nationalen Verteidigungsliga“ – nicht erst seit der Machtübernahme des Diktators Ion Antonescu war Antisemitismus Teil der Staatspolitik. Rumänien war folgerichtig auch enger Verbündeter der Nationalsozialisten. Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 war es zu einer antisemitischen Massenhysterie gekommen, da sowjetische Flugzeuge Iaşi bombardierten. Gerüchte machten die Runde, dass die jüdische Bevölkerung den russischen Piloten Signale gegeben hätte. Es kam zu einem unvergleichlichen Pogrom, bei dem Paramilitärs, Zivilisten und Polizisten Hunderte von jüdischen Männern, Frauen und Kinder aus ihren Wohnungen schleppten und auf offener Straße erschlugen, erschossen oder erstachen. Einige Tausend Juden wurden von rumänischen und deutschen Soldaten zum Polizeihauptquartier getrieben und dort in einem Hinterhof bei Massenerschießungen umgebracht. Zuvor waren die christlichen Häuser in der Stadt mit Kreuzen und Inschriften versehen worden: „Hier leben Christen, keine Juden!“

Das Blutbad begann in der Nacht vom am 28. auf den 29. Juni 1941. Zuvor hatte eine jüdische Arbeitsbrigade zwei Massengräber ausheben müssen – zwei Meter breit und tief und 30 Meter beziehungsweise 15 Meter lang. Während die Toten dort verscharrt wurden, begann der „Transfer“ der restlichen Bewohner. Rumänische und deutsche Offiziere trieben rund 2.500 Menschen zum Bahnhof und zwangen sie in einen bereitstehenden Zug zu steigen – jeweils zwischen 80 und 200 Personen wurden in die über 30 Güterwaggons gepfercht. Anschließend nagelten die Wachmannschaften die Lüftungsschlitze mit Latten zu. Der Zug verließ in den frühen Morgenstunden des 30. Juni die Stadt. Zu diesem Zeitpunkt waren schon Viele in den Waggons erstickt. Am selben Tag wurden weitere 1.900 Juden mit einem zweiten Todeszug aus Iaşi abtransportiert. „In manchen Waggons starb durchschnittlich alle zwei oder drei Minuten ein Gefangener“, berichten Überlebende. Bei jedem Halt wurden die Toten aus dem Zug geworfen. Rumänische Bauern plünderten die Leichen und nahmen Kleidung und etwaige Wertsachen an sich, sie scheuten auch nicht davor zurück, Goldzähne herauszubrechen. In den beiden Todeszügen starben rund 2.500 Menschen.

Die Überlebenden wurden in Lager gesperrt und zur Zwangsarbeit herangezogen; manche hatten auch relativ Glück und fanden Unterkunft und Versorgung bei den jüdischen Gemeinden von Călărași und Podu Iloaiei. „Vor allem die jüdische Gemeinde von Bukarest unternahm große Anstrengungen, das Los ihrer Glaubensgenossen zu verbessern“, hat Radu Ioanid, Direktor des Center for Advanced Holocaust Studies am United States Holocaust Memorial Museum, herausgefunden. Weiter schreibt er: „Es ist nicht möglich die Gesamtzahl der Opfer des Iaşi-Pogroms und jener Toten, die in der Folge starben, eindeutig zu ermitteln.“ Während nationalistische rumänische Historiker etwa 3.000 Tote nennen, lassen Unterlagen aus dem „Innenministerium der Volksrepublik Rumänien auf eine Zahl von rund 8.000 Opfern schließen“. Nach einem Bericht des rumänischen Geheimdienstes vom 23. Juli 1943 soll es exakt 13.266 Opfer gegeben haben. Eine Zahl, die nach Überzeugung von Radu Ioanid „nicht als unrealistisch erscheint“ und deren Größe mittlerweile in Fachkreisen anerkannt ist.

Das Pogrom ist unerträglich gut dokumentiert. Deutsche, rumänische Militärs und Geheimdienstler fotografiert die Gräueltaten und schickten stolz die Aufnahmen, als Souvenir von der Ostfront, an ihre Angehörigen in der Heimat. Rund 130 dieser Aufnahmen liegen nun in einem Fotoband vor. Als Quellen sind sie von unschätzbaren Wert – nicht nur für die historische Forschung. Mit den Zeugenaussagen von Überlebenden und Tätern des Massakers geben diese Fotos einen brutalen und authentischen Einblick in die Grausamkeit der Verbrechen. „Es bedarf einer enormen Entschlossenheit, um dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen“, warnte der in Rumänien geborene Friedensnobelpreisträger und Shoa-Überlebende Elie Wiesel unmissverständlich, denn „der Tod ist der starre Blick der Lebenden“. Nach Ansicht von Alexandru Florian, dem Direktor des „Elie Wiesel Institute for the Study of the Holocaust in Romania“ bleiben die ermordeten Juden „nur dann machtvolle Symbole, wenn wir uns ihrer erinnern und ihnen die Ehre erweisen“. Dies gelingt der Publikation, die zudem versucht, diese leider nicht singuläre und unbegreifliche menschliche Katastrophe zu interpretieren. – (jgt)

Radu Ioanid, Das Iaşi-Pogrom, Juni–Juli 1941: Eine Fotodokumentation aus dem Holocaust in Rumänien, 200 Seiten, 24,00 €, Bestellen?

Bild oben: Der Todeszug von Iaşi nach Călărași – bei diesem Zwischenhalt wurden 654 Tote „abgeladen“. Foto: aus dem besprochenen Band