„Beck ist weg!“

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(c) Mathias Schindler / CC BY-SA 3.0

Dass die NRW-Grünen Volker Beck nicht mehr im Bundestag haben wollen war seit mindestens einem halben Jahr intern entschieden. Alle Beteiligten wussten es. Und sie, die langgedienten Grünen Funktionäre, „zogen ihr Ding durch.“ Nun ist es auch formal entschieden…

Von Roland Kaufhold

Volker Beck wird dem neuen Bundestag nicht mehr angehören. Die NRW-Grünen haben ihn mit ¾ Mehrheit fallen lassen. Für sie war er nur noch ein Hindernis. Als Scheinargument wurde eine Verjüngung der Grünen vorgeschoben. Sein Gegenkandidat Ostendorff ist sieben Jahre älter als Volker Beck…

Einen Tag nach seinem Fallenlassen feierten sie Beck auf ihrem Landesparteitag mit Standing Ovations. Mir läuft es kalt den Rücken runter.

Einen Kommentar in Queer zu „Becks Abstrafung“ verglich ein führender Kölner Grüner mit dem Prawda-Niveau der 80er Jahre – und beklagte sich zugleich über Unterstützer-Briefe für Beck aus Jüdischen Gemeinden, die die Kölner Grünen erhielten…

Es hat mich mich nicht überrascht. „Wir“ alle wussten es. Und doch ist es enttäuschend, obwohl es vorhersehbar war. Entschieden haben die Grünen hiermit jedoch auch über ihre eigene Glaubwürdigkeit. Ihre Wählbarkeit.

Der rechtsradikale Mob – sorry, der „Rechtspopulismus“, Pegida: also der Bevölkerungsanteil, bei dem Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit schon immer verbunden war mit dem guten deutschen Antisemitismus – das deutsche Ressentiment triumphiert. „Beck ist weg!“ schallt es überall auf Twitter. Der Vorkämpfer für Schwule und Lesben, der zuverlässige Ansprechpartner für die jüdischen Gemeinden, der Träger des Leo-Baeck-Preises: Volker Beck war schon immer ihr größtes Feindbild.

Dies haben die Kölner und die NRW-Grünen sehr wohl gewusst. Volker Beck war der nahezu einzige Spitzenpolitiker, der einer Frauke Petry in Fernsehduells Paroli zu bieten vermochte. Er legte ihr antidemokratisches Ressentiment, ihren gefährlichen Populismus, ihren latenten Antisemitismus frei. Von den Spitzengrünen ist ansonsten niemand hierzu in der Lage. Aber diese Kompetenz ist in der heutigen Zeit, in der die AfD bald in alle Parlamente mit 10 plus x Prozenten einziehen wird, offenkundig entbehrlich.

Volker Beck und OB Reker am diesjährigen Israel-Tag in Köln
Volker Beck und OB Reker am diesjährigen Israel-Tag in Köln, © R. Kaufhold

„Das Ergebnis der Landesdelegiertenkonferenz (LDK) ist ebenso enttäuschend, wie es vorhersehbar war“, schreibt Axel Hochrein, Initiator einer parteiübergreifenden Initiative für Volker Beck, die von 100 „Prominenten“ unterzeichnet wurde. Sie alle setzten sich über Monate für diesen glaubwürdigen Vorkämpfer für Minderheitenrechte ein, unabhängig von Parteipräferenzen. Für einen Menschen, der auch in Gefahrensituationen, in Polen und in Moskau, seine Prominenz nutzte, um das gemeinsame Anliegen zu vertreten. Der dafür verprügelt, verletzt wurde. Für Volker Beck war ein solches Engagement eine existentielle Verpflichtung. Eine Selbstverständlichkeit. Auch dies zeichnet ihn aus.

Die Liste der Unterstützer war imposant, unter ihnen: Güner Balci, Sibylle Berg, Jürgen Becker, Micha Brumlik, Frank Bsirske, Mehmet Gürcan Daimagüler, Herta Däubler-Gmelin, Jan Feddersen, Patrick Gensing, Avitall Gerstetter, Bertold Höcker, Anetta Kahane, Mouhanad Khorchide, Stephan J. Kramer, Maren Kroymann, Ahmad Mansour, Andreas Nachama, Cigdem Toprak, die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Katja Riemann, Romani Rose, Hella von Sinnen, Josef Schuster, Ali Ertan Toprak, Biggi Wanninger und Günter Wallraff.

Michael Rados Stellungnahme im Rahmen einer von Avitall Gerstetter initiierten Aktion zur Unterstützung von Beck hat mir besonders imponiert.

Axel Hochrein, der viele Jahre lang bayrischer Landesvorsitzender der „Lesben und Schwulen in der Union (LSU)“ war, fügt hinzu: „Parteien sind wie geschlossene Fonds, risikoreich und es ist fast unmöglich von außen etwas zu ändern. Insofern gilt für alle Mitstreiter_innen: „Wir hatten keine Chance, aber wir haben es versucht.““

Mit „meinen“ Grünen verbinde ich nostalgische Erinnerungen: 1979 zogen sie in „meiner“ Industriestadt in NRW erstmals mit 5 Prozent in den Stadtrat. Dies gelang seinerzeit nur in wenigen NRW-Kommunen. Selbst in der Universitätsstadt Köln gelang dies erst fünf Jahre später, 1984. Auf Anhieb erlangten sie 10.8 Prozent. Damals, 1979, war ich 18. Ein paar Mal war ich bei Parteiversammlungen in meiner damaligen Stadt dabei, auf den Tischen standen viele Bierflaschen. Für mich war dies seinerzeit ein gewöhnungsbedürftiger Anblick. Die Anti-AKW-Aufkleber und die „Friedenstauben“ waren allgegenwärtig. Einige Male machte ich auch beim Erstellen der lokalen Parteizeitung – seinerzeit noch mit Letraset – mit. Kurz danach begann der Siegeszug der Grünen. Vier Jahre später, 1983, zogen sie erstmals in den Deutschen Bundestag – einige seinerzeit noch mit Latzhose und wildem Bart. Es war eine Aufbruchstimmung, ein Versuch einer demokratischen Neuorientierung. Niemand hatte es für möglich gehalten, dass das traditionelle Drei-Parteiensystem einmal aufgebrochen werden könnte. „Jede Stimme für die Grünen ist eine verschenkte Stimme“, war die allgegenwärtige Drohung der Sozialdemokraten. Seitdem habe ich „meine“ Grünen fast immer gewählt, über 30 Jahre lang. Irgendwo sollte man sich doch zugehörig fühlen. Und ihr Wirken erscheint mir im Rückblick auch keineswegs als unbedeutend. Ohne sie hätten sich auch die anderen Parteien nicht bewegt. Und Volker Beck war in vielen Bereichen, meist im Alleingang, der Impulsgeber, der Motor. Nun, wo sie Volker Beck vorsätzlich haben fallen lassen, mag ich sie nicht mehr wählen.

In Köln, Volker Becks Heimatstadt, wurden sie in den 1980er Jahren als Folge einer korrupten, jahrzehntelang regierenden SPD groß. Hier erschienen sie als eine Alternative. Wenn ich mir nun die Reaktionen insbesondere führender Kölner Grünen auf das bewusste Fallenlassen des in seiner Prinzipienfestigkeit gelegentlich nervenden „Moralisten“ Volker Beck anschauen – dem sie sehr viel zu verdanken haben – so packt mich wirklich kaltes Entsetzen. Sie haben die Klaviatur des Machtspiels, der Parteiintrige, des sich Durchsetzens unabhängig von Inhalten schneller gelernt als ihr einstiger Gegenpart, die Kölner SPD.

Volker Beck hatte quasi im Alleingang die Eingetragene Lebenspartnerschaft sowie die Entschädigung von Zwangsarbeitern politisch durchgesetzt, gegen hartnäckige Widerstände. Und immer wieder klagte er eine Gleichbehandlung der jüdischen „Kontingentflüchtlinge“ mit russischen Spätaussiedlern ein.

Volker Beck mit Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln. Beck hielt im November die Emil Fackenheim Lecture 2016 in der Kölner Synagoge.
Volker Beck mit Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln. Beck hielt im November die Emil Fackenheim Lecture 2016 in der Kölner Synagoge. © R. Kaufhold

Insbesondere während des Gazakrieges 2014 trat Volker Beck als Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentarierkommission immer wieder für die legitimen Sicherheitsinteressen Israels ein. Auf jeder Demonstration, gerade auch gegen Nazis und Pegida, war er präsent. Noch in dieser Woche hat er in der Jüdischen Allgemeinen zu den Bränden in Israel Stellung bezogen, von denen ein Teil offenkundig aus politischen Gründen gelegt wurde: „Der Umstand, dass es sich mutmaßlich in einigen Fällen um vorsätzliche Brandstiftung handelt, bereitet uns große Sorge. Solche Taten wären durch nichts zu rechtfertigen. Doch es gilt nicht nur, gegen die tatsächlichen Brandstifter vorzugehen. Auch geistige Brandstiftung muss konsequent verfolgt werden. Was wir in dieser Zeit vor allem im Internet gesehen haben, war Schadenfreude über die Brände und Häme über die Betroffenen.“

Auf dem schmiegsamen Weg hin zu einer Koalition auf Bundesebene mit der CDU – gegen die im parlamentarischen System prinzipiell durchaus nichts einzuwenden ist – wurde ein Volker Beck nur noch als ein Hindernis, ein Störenfried, betrachtet. Und auf eine Wählergruppe wie „die Juden“, die 0.3 Prozent der Bevölkerung ausmachen, darauf glauben die Grünen wirklich verzichten zu können. Der Besuch einmal pro Jahr auf feierlichen Gedenktagen genügt offenkundig. Und vielleicht wird man auch einmal pro Jahr pflichtgemäß zum lokalen Israeltag gehen. Die Chance, ihn loszuwerden, war durch seine kleinen Fehler – von denen wir alle, zum Glück, nicht frei sind – gegeben. „Spinnen die? Haben sie diesem Politiker ernsthaft übel genommen, dass er von der Polizei mit einer illegalen Droge erwischt wurde?“ fragt Jan Feddersen in der taz zu Recht. Und er endet mit: „Politische Nervbolzen des Kalibers Becks sind unberechenbar. Das exakt war das Problem. Es ist deprimierend.“

Ja, es ist deprimierend. Absolut. Meine jugendlichen, nostalgischen Illusionen, meine Loyalitäten jedoch sind hinweg.

Um die Zukunft von Volker Beck mache ich mir wirklich keine Sorge. Ich würde es ihm gönnen, wenn er nach dem Ende seines Bundestagsmandates 2017 weniger arbeitet. Volker Beck wird auch zukünftig, sei es innerhalb der Grünen oder als Privatperson, weiterhin für seine Ziele streiten. Daran habe ich keinen Zweifel.

Ob die Grünen „hierbei“ jedoch ein Alleinstellungsmerkmal haben, das hat sich für mich endgültig als eine nostalgisch verklärte Illusion erwiesen. Politisch werden sie nicht mehr oder weniger gebraucht als andere demokratische Parteien. Auch die SPD hat eine Abgeordnete wie Michaela Engelmeier, die sich unbeirrbar für die jüdischen und israelischen Themen engagiert. Sergey Lagodinsky macht dies in Berlin für die Grünen. Ralf Unna für die Grünen in Köln. Tobias Huch macht dies innerhalb der FDP. Und auch die Linke – deren mehrheitlich strikt antizionistischer Landesverband NRW unwählbar ist – hat mit Katharina König und Petra Pau zwei tolle, glaubwürdige, mutige Abgeordnete. Und Angela Merkel ist ein Garant dafür, dass die aus historischer Verantwortung und politischer Einsicht erwachsene Verantwortung gegenüber dem Staat Israel bestehen bleibt. Zuvor hatte Joschka Fischer hierfür gestanden. Auch einem Joschka Fischer vertrauten viele Juden und viele Israelis. Merkels Standfestigkeit, auch in der „Flüchtlingsfrage“, ist imponierend. Barack Obama hat recht: Angela Merkel ist als Bundeskanzlerin der wichtigste Stützpfeiler für ein leidlich stabiles Europa in den Zeiten eines gefährlichen, antidemokratischen und antisemitischen Rechtspopulismus. In diesem Sinne hat der Regisseur Leander Haußmann soeben einen „offenen Brief“ an Merkel geschrieben. Wenn die Grünen einen so entschiedenen, prinzipientreuen Menschen- und Bürgerrechtler wie Volker Beck fallen lassen, dann kann man vielleicht auch direkt CDU wählen. Also: Es gibt viele Möglichkeiten.

Eine 34 Jahre zurückliegende Szene imponiert mir: In einer Fernsehdokumentation, in der sich einige der damaligen Protagonisten an die 30 Jahre zurück liegende „Wende“ der FDP hin zu Kohl erinnern, tritt Helga Schuchardt auf. Die 1939 Geborene war eine Vorkämpferin des in der damaligen FDP organisierten Linksliberalismus. Eine Vertreterin der „Freiburger Thesen“, die natürlich entschieden mehr Papier als gesellschaftliche Realität widerspiegelten. Nach der „Wende“ trat Helga Schuchardt aus der FDP aus, schloss sich jedoch – im Gegensatz zu vielen Anderen (von denen ein größerer Teil den jungen Grünen beitrat und dort Karriere machte) – keiner anderen Partei mehr an. Dennoch wurde sie Jahre später als Parteilose in SPD-Landesregierungen Kultursenatorin in Hamburg und Niedersachsen.

Die wirklich wortgewaltige, couragierte Helga Schuchardt versucht ihre Motive zu formulieren, warum sie 1982 zusammen mit 18 FDP-Abgeordneten gegen Helmut Kohls Wahl zum Bundeskanzler stimmte. Und auch 30 Jahre danach ringt sie mit den Worten, so ausgeprägt ist ihre Empörung über den Wortbruch, ihre Antipathie gegen „den Pfälzer“ Helmut Kohl: „Mir wäre die Hand abgefault“, ringt sie nach Worten, „wenn ich Kohl im Bundestag hätte wählen müssen.“

Ja, ganz ähnlich geht es mir auch. Bei der Vorstellung, bei der kommenden Landtags- und Bundestagswahl erneut, wie bisher, die Grünen zu wählen…

Bild oben: (c) Mathias Schindler / CC BY-SA 3.0