Am 28. Februar 2016 fand in Stuttgart die siebte homophobe „Demo für Alle“ statt, die unter dem Motto „Für Toleranz – Gegen Sexualisierung durch Genderideologie!!!“ stand. An ihr beteiligten sich etwa 4.500 Menschen. Dieses Mal befand sich unter den RednerInnen sogar ein echter Bischof…
Lucius Teidelbaum
Wer steckt dahinter?
Die „Demo für alle“ ist eine homophobe Demonstration, die vor allem von christlich-konservativen bis christlich-fundamentalistisch eingestellten Personen besucht wird.
Es ist seit Anfang 2014 die neunte Demonstration ihrer Art in Stuttgart, die seit dem dritten Mal als „Demo für alle“ firmiert, zuvor bezeichneten sich die Ausrichter als „Besorgte Eltern“. Mit dem Namenswechsel ging auch ein Organisationswechsel einher. Denn seitdem die Demonstration sich „Demo für alle“ nennt, wird sie von Hedwig von Beverfoerde aus Magdeburg organisiert. Unterstützung erhält sie dabei auch aus klerikalen CDU-Kreisen. Kein Wunder, ist oder war die Adelige doch auch ein Mitglied der CDU.
War Hedwig von Beverfoerde anfangs noch im rechtskonservativen Organisationsgeflecht der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch zu verorten, hat sie sich im Herbst 2015 von diesem abgetrennt und agiert seitdem offiziell eigenständig. Darauf legt sie auch Wert und erklärt in einer Pressemitteilung zu den aktuellen Medienberichten über die Verstrickung der AfD-Europaabgeordneten mit der Demonstration in Stuttgart: „Weder die Partei AfD noch Beatrix v. Storch sind an der Organisation von DEMO FÜR ALLE beteiligt.“
Interessant ist hier das gewählte Präsens. Dass heißt über die Beteiligung der Organisationen der Europaageordneten an früheren Demonstrationen ist damit noch nichts gesagt.
Auch an anderer Stellte gibt es Spielraum für Interpretationen. So heißt es weiter: „Zu keinem Zeitpunkt stand DEMO FÜR ALLE unter dem Einfluss einer bestimmten politischen Partei, wie etwa der CDU oder der AfD.“
Das wurde aber meist nicht behauptet, sondern nur die Beteiligung der hochrangigen AfD-Funktionärin von Storch bzw. der von ihr mit angeführten rechtskonservativen Lobbygruppe an den Stuttgarter Demonstrationen.
Seit Herbst 2015 scheint aber auch das nicht mehr der Fall zu sein. Hedwig von Beverfoerde geht mit dem im Dezember 2015 eingetragenen Trägerverein „Ehe-Familie-Leben e.V.“ nunmehr eigenständige Wege. Zuvor war sie aber aktiv bei der „Initiative Familienschutz“, einem Ableger der „Zivilen Koalition“ des Ehepaars von Storch. Diese wurde bereits vor der AfD gegründet, was auch in der Pressemitteilung von Hedwig von Beverfoerde betont wird: „Vor sieben Jahren, also lange bevor an eine neue Partei AfD überhaupt zu denken war, habe ich die Initiative Familienschutz unter dem Dach des Trägervereins Zivile Koalition e.V., deren Vorsitzende Beatrix v. Oldenburg/Storch war und ist, ehrenamtlich aufgebaut und bis Oktober 2015 geleitet.“
Das ändert aber nichts daran, dass Beatrix von Storch zwischenzeitlich auch Karriere in der rechtspopulistischen AfD gemacht hatte und für diese in das Europaparlament eingezogen ist. Mit fünf der bisher sieben homophoben „Demos für alle“ hatte Beatrix von Storch als Quasi-Chefin der Organisatorin Hedwig von Beferfoerde also durchaus zu tun.
Reden gegen „Gender-Ideologie“
Die Begrüßung der am 28. Februar auf dem Stuttgarter Schillerplatz Versammelten übernahm Hedwig von Beverfoerde. Sie warnte von einer „globalen Offensive zum Umsturz der sexuellen Normen“ und beklagte sich über den gesteigerten Gegenprotest, der „Gegenwind ist gewaltig gewachsen“. Sogar der Tontechniker habe ihr gestern halb zehn abgesagt, er wolle nicht die Technik für so eine Veranstaltung übernehmen. Dabei, würde die „Demo für alle“ „fest mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes“ stehen und „die Mitte der Gesellschaft“ repräsentieren. Mit Extremismus habe man nicht zu tun.
Angehörige der extremen Rechten waren zwar, wie bei den vorangegangenen Demonstrationen durchaus vor Ort, aber durch ein strategisch kluges Verbot der VeranstalterInnen von Logos und Flyern fremder Organisationen, waren sie nur schwer auszumachen.
Danach sprach als erster Redner Hartmut Steeb aus Stuttgart. Dieser ist Generalsekretär der deutschen „Evangelischen Allianz“, die als Dachverband der Evangelikalen in Deutschland fungiert. Ansonsten engagiert sich Steeb als Vorsitzender des „Treffens Christlicher Lebensrecht-Gruppen“ gegen Abtreibung und bezeichnete bereits als „Menschenrechtskatastrophe“. In Stuttgart fragte er am Sonntag rhetorisch das Publikum: „Was wird aus diesem Musterländle?“ und warnte, dass die grün-rote Regierung plane „eine gottlose Kulturrevolution von oben“ plane. Die Demonstrierenden dagegen „treten ein für die Natürlichkeit“, sowie die „Renaturierung“ und „Entgiftung“ des Bildungsplans. Dieser hatte in seiner ursprünglichen Version eine „Verankerung der Akzeptanz von sexueller Vielfalt“ enthalten und damit die Straßenproteste ausgelöst.
Den Straßenprotesten voraus ging eine mit knapp 200.000 Unterzeichnenden sehr erfolgreiche Online-Petition, die sich gegen eine vermeintliche „Ideologie des Regenbogens“ wandte. Um diese Petitionsinitiative herum hat sich inzwischen mit „Zukunft-Verantwortung-Lernen e.V.“ ein eigener Verein gegründet. Für diesen sprach in Stuttgart Ulrike Schaude-Eckert. Diese Rednerin verstieg sich in ihrer Rede zu der steilen These, dass die laut neuem Lehrplan im Islam-Unterricht vorgesehene Erörterung der Vorurteile gegen Juden und Christen „vom Bildungsplan geförderten Christenhass“ zur Folge haben würden. Konkret heißt es im Bildungsplan: „Schülerinnen und Schüler erläutern gewissenhaft ihre eigenen und fremden Vorurteile gegenüber dem Christentum und dem Judentum.“ Dass diese Erörterung kritisch und dekonstruierend gemeint sein könnte, lag offenbar ausßerhalb der Vorstellungskraft der Rednerin.
Mit Albéric Dumont, der Vize-Präsident La Manif Pour Tous, sprach ein Vertreter des großen französischen Vorbilds zur Menge. Die Übersetzung las eine Hedwig Hageböck vor. Laut verlesener Übersetzung sah der Redner die „Demo für alle“ als „Teil einer europäischen Bewegung zur Verteidigung der Familie“.
Dann sprach Ingrid Kuhs, die als christliche „Mutter von 10 Kindern“ vorgestellt wurde. Kuhs forderte, die Landesregierung auf: „Belästigen und schädigen sie unsere Kinder nicht“.
Danach sprach der katholische Weihbischof Andreas Laun aus der Erzdiözese Salzburg. Bei Laun handelt es sich um einen mehrfachen Referenten für die FPÖ. Aber auch in Deutschland verfügt er offenbar über Kontakte zur deutschnationalen Rechten. Laut Ankündigung zelebrierte er am 15. September 2013 den Gottesdienst für die deutschnationale Kaderschmiede „Studienzentrum Weikersheim“.
Laun warnte das Publikum vor einer Gender-Verschwörung als „europäisches Problem“. Er habe auch bereits Papst Franziskus in einer Audienz darauf angesprochen und dieser habe mit nur einem Wort geantwortet: „Dämonisch“. Eine „Salzburger Erklärung“ gegen die Gender-Verschwörung hätte auch der vormalige Papst Benedikt XVI unterschrieben.
Ebenso wie sein Dienstherr sieht auch Laun den Teufel am Werk: „Es scheint als hätte sich der Teufel nach dem Grauen des Kommunismus und des Nationalsozialismus eine neue Lüge einfallen lassen.“ Gender sei ein „Begriff des Teufels“ und die „nächste Diktatur könnte sich damit anbahnen“. Man müsse sich wehren gegen die „ideologische Zwangsverformung durch eine tägliche Lüge namens Gender“.
Nicht nur Laun, auch Birgit Kelle sprach mehrfach für die rechtspopulistische FPÖ. Die Autorin des Buches „Gender Gaga“ kämpft ebenso wie ihre VorrednerInnen gegen die „Gender-Ideologie“, was sie auch in ihrer Rede in Stuttgart zum Ausdruck brachte.
Nach Kelle sprach zum zweiten Mal auf der „Demo für alle“ ein ‚Marcel‘, der sich selbst als „homosexuell empfindend“ bezeichnete. Das er in Stuttgart auf einer homophoben Demonstration sprach, war aber trotzdem nicht verwunderlich. Der Redner ist Leitungsmitglied der „Bruderschaft des Weges“, einer Gruppe schwuler Männer, die ihre Homosexualität als unvereinbar mit ihrer religiösen Überzeugung ansieht. Deswegen versuchen sie ihr Begehren zu unterdrücken oder gar zu „heilen“.
Am Ende dieses Reden-Marathons sprach noch einmal von Beverfoerde. Sie forderte eine Beendigung aller Maßnahmen des Gendermainstreaming, eines Gleichstellungsprogramms, was ohnehin zum größten Teil ausgelaufen ist. Außerdem betonte sie: „Es ist ein Kulturkampf“, der hier stattfinde.
Der Gegenprotest war diesmal mit 2.000 Beteiligten lauter und größer als die letzten Male. Insgesamt waren in Stuttgart acht Gegenveranstaltungen angemeldet. Durch den Druck der Polizei, der teilweise auch mit Gewalt durchgesetzt wurde, konnte der Zug der „Demo für alle“ aber trotzdem ungestört durch die Stuttgarter Innenstadt ziehen. Nach Angaben des „Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart“ hatte der massive Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray über 100 Verletzte zur Folge, darunter zehn mit Kopfplatzwunden.
Auf der „Demo für alle“ formierten sich die AktivistInnen der extrem rechten „Identitären Bewegung“ zu einem eigenen Block samt eigener Transparente („Genderterror raus aus den Köpfen“, „No Way – You will not destroy our families“).
Nach einer Runde in der Innenstadt kehrte die Demonstration auf den Schillerplatz zurück, um hier die Abschlussworte von von Beverfoerde anzuhören. Der übliche Abschluss vor der Oper war dieses Mal nicht möglich, da die Staatstheater auf dem Vorplatz der Oper ein Kulturfest organisiert hatten und der Platz somit bereits belegt war.
Von Beverfoerde stellte auf dem Schillerplatz noch die Antworten der bei der Landtagswahl kandidierenden Parteien auf einen Fragenkatalog vor. Demnach befinden sich CDU, AfD und das „Bündnis C“ auf einer Linie mit der „Demo für alle“.
Mehrfach wurde auf der Demonstration gegen die grün-rote Landesregierung gewettert und dazu aufgerufen bei der nahen Landtagswahl am 13. März diese abzuwählen. Zwar wurde keine direkte Wahlempfehlung ausgesprochen, aber doch eine deutliche Nicht-Wahlempfehlung. Die meisten der Demonstrierenden dürften aber die AfD als ihren parlamentarischen Vertreter betrachten. Obwohl auch CDU-Mitglieder an der „Demo für alle“ maßgeblich beteiligt sind, war die AfD als Ganzes von Anfang an eine Unterstützerin der Proteste und stellte auch mehrfach RednerInnen zur Verfügung.
Fotos: (c) Lucius Teidelbaum