Indien: Die Familie „Sassoon“ im Jüdischen Lexikon, von Leon Julius Silberstrom und Paul Goodman(n)

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Das „Jüdische Lexikon“ von 1927 informiert nicht nur in seinem Eintrag „Indien“ über indische Juden, sondern auch noch unter dem Stichwort „Sassoon“. Die beiden Verfasser dieses Eintrags über die prominentesten Angehörigen der weithin bekannt gewordenen jüdisch-indisch-britischen Dynastie waren Paul Goodman(n), London, und Leon Julius Silberstrom, Lodz…

Von Robert Schlickewitz

Das aus fünf Teilbänden bestehende „Jüdische Lexikon („Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. Begründet von Dr. Georg Herlitz und Dr. Bruno Kirschner. Unter Mitarbeit von über 250 jüdischen Gelehrten und Schriftstellern“) erschien im Jahre 1927 in Berlin.

Die Angaben des Nachschlagewerkes zu Paul Goodman(n) lauten: „P. G., London, Sekretär der sefardischen Gemeinde in London, Fellow of the Royal Historical Society“. Es sei dem hinzugefügt, dass dieser Mitarbeiter des Jüdischen Lexikon 1875 als Sohn eines Schneiders im estnischen Dorpat zur Welt gekommen und mit seiner Familie im Jahre 1891 nach England gekommen war. Dort versah er längere Zeit über, obwohl selbst den Aschkenasim angehörend, den Posten des Sekretärs der Spanisch-Portugiesischen Sefardengemeinde. Nachdem Goodman 1896 Theodor Herzl anlässlich dessen Kongresses in London gehört hatte, wurde er selbst Zionist und bis an sein Lebensende für die Zionistische Organisation tätig. Er hatte verschiedene einflussreiche Stellen beim Londoner Büro der Organisation inne, darunter die des Ehren-Sekretärs des Politischen Komitees, wobei er auf die Berufung durch Chaim Weizmann und Nahum Sokolow stolz sein konnte. Gemeinsam mit Arthur D. Lewis gab Goodman den Band „Zionism. Problems and Views“ (1916) heraus; außerdem verlegte er in den Jahren 1920-26 und 1934-38 die „Zionist Review“. Zahlreiche Lexikonredaktionen und zionistische Zeitschriften erhielten von ihm Material für ihre Veröffentlichungen. Paul Goodman verstarb im Monat August des Jahres 1949. Auch Goodmans Frau Romana (geb. Manczyk, 1885-1955) war eine aktive Zionistin gewesen. Beider Enkel ist übrigens der Historiker und Professor of Jewish Studies in Oxford Martin David Goodman, ein Spezialist für das Judentum der Römerzeit.

Werke von Paul Goodman:

The Synagogue and the Church (1908); History of the Jews (1911); Problems and Views (1916); Moses Montefiore (1925); Zionism in England (1930/1949); The Jewish National Home (1943); Kotel Ma‘arabi (1946) und (als Herausgeber) Chaim Weizmann: A Tribute on his Seventieth Birthday (1945).

Die Zionist Federation Großbritanniens erinnerte 1952 in einer eigenen, von Israel Cohen herausgegebenen, Publikation an Paul Goodman: The Rebirth of Israel.

Die entsprechenden Informationen des „Jüdischen Lexikon“ zu ihrem Mitarbeiter Leon Julius Silberstrom fallen mager aus: „L. J. S., Lodz, Dr. phil., Chemiker“.

Bedauerlicherweise gelang es nicht innerhalb zumutbarer Zeit ausreichend biographisches Material über Leon Julius Silberstrom zusammenzutragen. Ein Dokumentenfund im Internet gibt jedoch Anlass zur Befürchtung, dass er, wie so viele andere jüdische Akademiker, zu den Opfern der Shoa zu zählen ist.

Der US-Bundesstaat Kalifornien hat vor einigen Jahren Listen von Juden veröffentlicht, auf deren Namen zur Zeit des deutschen „Dritten Reiches“ Lebensversicherungen abgeschlossen wurden. Die Webseiten „Consumers: Holocaust Era Insurance“ und „Consumers: Policyholder Info List 1“ informieren über nähere Umstände. Unter dem Buchstaben „S“ ist unter „Holocaust Era Insurance Registry“ ein Leon Silberstrom aus Lodz verzeichnet, ohne weitere Angaben.

Sassoon, *sĕfardische Familie aus Mesopotamien, die in Indien zu großem Vermögen gekommen ist und deren Mitglieder sich als Philanthropen einen Namen erworben haben, weshalb sie „die indischen *Rothschilds“ genannt werden. Heute wohnen die meisten Mitglieder der Familie in England, wo sie geadelt wurden und im gesellschaftlichen sowie politischen Leben eine hohe Stellung einnehmen. Während der Gründer der Familie noch dem traditionellen Judentum angehörte, sind die jetzt lebenden Nachkommen dem Judentum stark entfremdet.

Hervorzuheben sind:

1. Sir Albert Abdallah David, Baronet, ältester Sohn von David (Nr. 2), geb. 1818 in Bagdad, gest. 1896 in Brighton. Nach dem Tode seines Vaters wurde er Chef der Firma, zu deren Vergrößerung  er viel beitrug. 1872 wurde er geadelt, siedelte kurz darauf nach England über und wurde 1890 zum Baron ernannt. Er gehörte zu den Vertrauensmännern des Prinzen von Wales (späteren Eduard VII.) und des Schahs von Persien.

2. David, Begründer des Handelshauses David S. & Co, geb. 1792 in Bagdad, gest. 1864 in Bombay. Als Sohn eines vermögenden mesopotamischen Kaufmanns kam er über Bassora und Buschir nach Bombay (1832) und gründete ein großes Handelshaus mit Filialen in Kalkutta, Schanghai und Hongkong, die von seinen Söhnen geleitet wurden. Die S.‘s erwarben in kurzer Zeit ein enormes Vermögen und monopolisierten den ganzen Opiumhandel in Asien. David S. und seine Söhne gründeten wohltätige Institutionen, Synagogen, Krankenhäuser und Schulen mit europäischer Erziehungsmethode.

L(eon) S(ilberstrom)

3. David Solomon, Sohn von Fora (Nr. 5), geb. 1880 in Bombay, lebt in London. S. besitzt eine der größten und wertvollsten hebr. Privat-Bibliotheken (mit ca. 1250 hebr. und samaritanischen Handschriften). Er schrieb in verschiedenen Zeitschriften über j. Geschichte und Literatur und veröffentlichte 1928 die Abhandlung „Meat dewasch“.

P(aul) G(oodmann)

Wappen des Sir E.A. Sasoon4. Sir Edward Albert, Baronet, Sohn des Albert (Nr. 1), geb. 1856 in Bombay, gest. 1912 in England, heiratete 1877 Aline Caroline, Tochter von Baron Gust. de *Rothschild, wurde 1899 von den Konservativen ins Unterhaus gewählt und war Präsident der span.-portugiesischen Gemeinde in London.

L(eon) S(ilberstrom)

5. Flora, verheiratet mit Solomon David S., Mutter von David Solomon S. (nr. 3), geb. in Bombay, lebt in London, zeichnet sich durch hervorragende Kenntnisse in der talmudischen Literatur aus.

P(aul) G(oodmann)

6. Sir Philip (Alb. Gust. Dav.), Baronet, Sohn von Edward Albert (Nr. 4), geb. 1888, wurde zum ersten Male 1912 von den Konservativen ins Unterhaus gewählt, war im Weltkrieg Major und 1915-1918 Privatsekretär des englischen Feldmarschalls Douglas Haig, dann längere Zeit parlamentar. Sekretär von Lloyd George, 1924-1929 (zweites Ministerium von Baldwin) Unterstaatssekretär für Luftschiffahrt.

Lit.: Dictionary of National Biography, vol. L, 311; Whitaker’s Peerage etc.; JE XI, 66.

L(eon) S(ilberstrom)

Quelle:

Jüdisches Lexikon. Vier Bände (5 Teilbände), Band IV/2, 1. Aufl., Berlin 1927, „Sassoon“. Der Lexikontext wurde in seiner Originalschreibweise belassen; * deutet auf einen korrespondierenden Artikel in diesem Nachschlagewerk hin; j = jüdisch; J = Jude(n).

Anmerkungen:

Der lateinische Wahlspruch auf dem Familienwappen der Sassoons „candide et constanter“ kann auf vielfältige Weise übersetzt werden: „with candor and constancy“ bzw. „frankly and firmly“ bzw. „openly and steadfastly“ bzw. deutsch mit „aufrichtig und standhaft“ bzw. „lauter und beständig“. Der hebräische Schriftzug, oben, lautet: „emet we-emuna“, zu Deutsch, „Wahrheit und Glaube“.

Die Informationen zur Biografie von Paul Goodman(n) wurden der Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971 sowie dem The Palgrave Dictionary of Anglo-Jewish History (Hg.) William D. Rubinstein, Gordonsville 2011  entnommen. Bei eigenen Internet-Recherchen zu Paul Goodman ist zu beachten, dass es mindestens vier weitere prominente Träger dieses Namens gibt, bzw. gegeben hat, nämlich den britischen Politiker P.G. (geb. 1959), den amerikanischen Eishockeyspieler P.G. (1908-1959), den Grammy-Award-Preisträger und Toningenieur P.G. und den amerikanischen Schriftsteller, Psychotherapeuten, Pazifisten und Gesellschaftskritiker P.G. (1911-1972).

Die lesenswerten Webseiten des US-Bundesstaates Kalifornien betreffend die Versicherungs-Ansprüche von Hinterbliebenen von Holocaust-Opfern sowie das California Department of Insurance – Holocaust Era Insurance Registry, mit den Angaben zu Leon Silberstrom sind:

http://www.insurance.ca.gov/0100-consumers/0300-public-programs/0100-holocaust-insur/upload/S.pdf

http://www.insurance.ca.gov/0100-consumers/0300-public-programs/0100-holocaust-insur/policy-list-1.cfm

http://www.insurance.ca.gov/0100-consumers/0300-public-programs/0100-holocaust-insur/

http://www.insurance.ca.gov/0100-consumers/0300-public-programs/0100-holocaust-insur/policyholder-lists.cfm

http://www.icheic.org/

http://www.icheic.org/about.html

Die Familie Sassoon im Internet:

http://en.wikipedia.org/wiki/Sassoon_%28name%29

http://en.wikipedia.org/wiki/Sassoon_family

http://de.wikipedia.org/wiki/Sassoon

http://en.wikipedia.org/wiki/David_Sassoon_Library

http://en.wikipedia.org/wiki/Sassoon_Eskell

http://www.the-south-asian.com/March2001/Jews_of_India-%20Baghdadi-Manipuri.htm

http://genealogics.org/descend.php?personID=I00280025&tree=LEO

http://en.wikipedia.org/wiki/Vidal_Sassoon