Frankreich: Rechte im Anmarsch auf Rathäuser?

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Am kommenden Sonntag, den 30. März könnten ein knappes Dutzend Städte in Frankreich rechtsextreme Kommunalregierungen verpasst bekommen. Die Parteiführung des Front National (FN) selbst spricht von fünfzehn gewinnbaren Rathäusern, wird aber vielleicht nicht in allen Fällen Recht bekommen…

Von Bernard Schmid, Paris

Im ersten Wahlgang am vorigen Sonntag wählten bereits zwei Kommunen, deren soziale Zusammensetzung im Übrigen sehr unterschiedlich ausfällt, rechtsextreme Bürgermeister. Im nordostfranzösischen Hénin-Beaumont, die frühere Bergbaustadt zählt rund 26.000 EinwohnerInnen, setzte sich der amtierende FN-Generalsekretär Steeve Briois bereits im ersten Wahlgang mit 50,26 Prozent der Stimmen durch. Die Stadt wäre bereits 2009 beinahe vom FN regiert worden, Briois scheiterte damals nur knapp, und Marine Le Pen verfehlte im Juni 2012 den Abgeordnetensitz des Wahlkreises ebenfalls mit 49,9 % nur um Haaresbreite. Die von sozialen Problemen gebeutelte Stadt wird seit nunmehr zwölf Jahren durch die rechtsextreme Partei systematisch „bearbeitet“.

Aus dem journalistischen Kurzzeitgedächtnis heraus wird nun in französischen Medien des Öfteren verkündet, es handele sich um eine „Premiere“, und erstmals erhalte der FN eine absolute Mehrheit (die drei Städte Toulon, Marignane und Orange waren 1995 zunächst mit relativen Mehrheiten, in Stichwahlen mit je Listen, an ihn gefallen). Das stimmt nicht gänzlich: Am 09. Februar 1997 gewann die damalige FN-Spitzenkandidatin Catherine Mégret, bei einer Wahlwiederholung infolge gerichtlicher Anfechtung der Wahl von 1995, das Rathaus von Vitrolles mit absoluter Mehrheit. Dort regierte sie von Februar 1997 bis im Oktober 2002, holte dann jedoch – wiederum bei einer Wiederholungswahl, nach erneuter Anfechtung und Annullierung jener von 2001 – eine endgültige Niederlage. Allerdings erhielt der FN, nunmehr ohne Catherine Mégret (ihre Familie verließ 1999 den FN mit der Abspaltung, aus welcher die Splitterpartei MNR hervorging), am 23. März  2014 in Vitrolles erneut „immerhin“ 24,44 Prozent der Stimme. Die unter dem Strich negative Erfahrung mit der Mégret-Kommunalregierung hat also die extreme Rechte vor Ort nicht definitiv aus dem Rennen geworfen.

Dagegen ist es eine eher relativ wohlhabende Wählerschaft, die in Orange (30.000 Einwohner) den rechtsextremen Bürgermeister Jacques Bompard mit einem Anteil 59,82 % wiederwählte und ihm ein viertes Mandat verschaffte. Bompard war erstmals im Juni 1995 gewählt worden, damals auf einer Liste des FN. Er kehrte dieser Partei im Herbst 2005 den Rücken und führt heute den Vorsitz einer rechtsextremen Regionalpartei, der Ligue du Sud, hat sich jedoch seit 2012 auch mit dem FN ausgesöhnt. Letzterer verzichtete auf eine Konkurrenzkandidatur. Jacques Bompard hatte bereits bei den Rathauswahlen im März 2001 und im März 2008 jeweils Rekordwerte in Höhe von 60 respektive 61 Prozent für seine Wiederwahl erzielt. – Seine Ehefrau, Marie-Claude Bompard (ebenfalls ,Ligue du Sud‘, ebenso wie Monsieur im Film ,Mains brunes sur la ville‘ über die rechtsextreme Kommunalpolitik von 2012 zu sehen), ist ihrerseits seit 2008 Bürgermeisterin der Nachbarstadt Bollène. Dort verfehlte sie im ersten Wahlgang vom März 2014 ihrerseits die absolute Mehrheit nur knapp: An ihr schrammte sie mit 49,34 % knapp vorbei. In der Stichwahl tritt sie nur noch einer (sozialdemokratisch geführten) Liste entgegen und hat hohe Wahlchancen.

Mittelmeerzone

Mit hoher Wahrscheinlichkeit an eine vom FN unterstützte Liste fallen dürfte das südwestfranzösische Béziers. Ihr parteiloser Spitzenkandidat Robert Ménard, ein ehemaliger Linker und früherer Vorsitzender von „Reporter ohne Grenzen“ (RSF), erhielt im ersten Durchgang 44,9 Prozent in der von sozialem Niedergang geprägten Mittelmeerstadt.

Zu den wahrscheinlichen Fällen einer Rathausübernahme durch den FN zählt auch Fréjus an der Côte d’Azur. Sein dortiger Spitzenkandidat ist der erst 26jährige David Rachline, Facebook-Beauftragter der Partei. Er unterstützte offen die Thesen des französischen (schwarzen) Antisemiten Dieudonné M’bala M’bala. Nach 40,3 Prozent im ersten Wahlgang steht er in der Stichwahl zwei konkurrierenden bürgerlichen Listen gegenüber – so dass eine relative Mehrheit für den Wahlsieg genügt -, während die Sozialdemokratie ihre Liste in Fréjus zurückzog. In Béziers treten ebenfalls drei Listen an: die des FN, eine sozialdemokratische und eine konservative. Die örtliche Sozialdemokratie weigerte sich, der Aufforderung durch die Pariser Parteiführung, alle Listen bei „FN-Gefahr“ aus der Stichwahl zugunsten von besser platzierten bürgerlichen Kandidaturen zurückzuziehen, Folge zu leisten.

Auch im südfranzösischen Saint-Gilles ist der parteilose Anwalt Gilbert Collard, welcher jedoch seit 2012 für den FN in der Pariser Nationalversammlung sitzt, mit 42,57 % der Stimmen nach dem ersten Durchgang gut platziert. Allerdings könnte seine berüchtigte Arroganz, die ihm selbst innerhalb der Partei den Ruf eines „Ekelpakets“ eintrug (er „verbrauchte“ innerhalb eines knappen Jahres drei örtliche Wahlkampfleiter, die alle nichts mehr mit ihm zu schaffen haben möchten), ihm noch ein Bein stellten.

Komplex stellt sich die Situation im lothringischen Forbach – unweit der saarländischen Grenze – dar. Dort treten gleich vier Listen in der Stichwahl gegeneinander an, da die beiden bürgerlichen Listen keinerlei Argument für ihren Rückzug aus der zweiten Runde akzeptieren mochten. Deswegen stehen dort die Liste des Front National, eine sozialdemokratisch geführte Liste (als am zweitbesten platzierte Kandidat/inn/enliste aus der ersten Runde), eine nicht parteigebundene bürgerliche Liste und eine der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP allesamt auf dem Wahlzettel. Im ersten Wahlgang lag die Liste unter dem 32jährigen FN-Vizepräsidenten Florian Philippot mit 35,75 % der abgegeben Stimmen. Die übrigen Listen erhielten in der Reihenfolge, in welcher sie oben aufgezählt wurden, nacheinander 33 % (Sozialdemokratie), 18,99 Prozent sowie 12,26 Prozent. Die relativ starke Zersplitterung der anderen politischen Kräfte könnte eventuell Philippot vom FN begünstigen.

Relativer fällt die Chance, zum Bürgermeister gewählt zu werden, für die FN-Spitzenkandidaten Louis Aliot in Perpignan (zugleich Vizepräsident der Partei und Lebensgefährte von Marine Le Pen) – er lag in der ersten Runde mit 34,19 % in Führung, doch der bisherige UMP-Bürgermeister Jean-Marc Pujol scheint für die Stichwahl besser platziert – und in Avignon aus. In letztgenannter Stadt erhielt die Liste des FN unter Spitzenkandidat Philippe Loutiaux im ersten Durchgang 29,63 % und lag dadurch in Führung, dürfte aber wahrscheinlich erhebliche Schwierigkeiten haben, sich in der Stichwahl durchsetzen. Erleichtert wird ihm dies allerdings potenziell dadurch, dass drei Listen in der Stichwahl eintreten, und infolgedessen eine relative Mehrheit genügt (also keine absolute Mehrheit erforderlich ist). Philippe Loutiaux, der zuvor in Paris auf eher gut dotierten Posten in der Verwaltung arbeitete – und sich nach Feierabend als Komiker betätigte -, ist in Avignon als Person so gut wie ein Unbekannter. ((Vgl. http://www.leparisien.fr/municipales-2014/en-regions/videos-municipales-a-avignon-philippe-lottiaux-candidat-fn-et-humoriste-26-03-2014-3711149.php )) Im Falle seines Wahlsiegs droht das europaweit  bekannte Theaterfestival von Avignon, das alljährlich im Juli stattfindet, mit seiner Abwanderung aus der Stadt. ((Vgl. http://www.lepoint.fr/municipales-2014/1er-tour-des-elections-municipales-avignon-olivier-py-si-le-fn-passe-le-festival-n-aura-aucune-autre-solution-que-de-partir-24-03-2014-1805041_1966.php))

Die sozialdemokratisch-grüne Liste lag im ersten Wahlgang in Avignon mit 28,5 % deutlich vor der bürgerlich-konservativen Liste mit 21,7 %, doch die Letztgenannte verweigerte ihren Rückzug zugunsten der besserplatzierten Liste im demokratischen Lager, um einen Damm gegen den FN zu errichten. Dies ist im Übrigen auch die landesweite „Linie“ des konservativen Blocks, und insbesondere der Parteiführung der UMP: ,Ni – Ni‘ (Weder – Noch). Also: Weder Unterstützung des FN, noch Bildung eines ,front républicain‘ = Rückzug der schlechter platzierten Kandidaten im demokratischen Spektrum, um leichter eine Mehrheit gegen die Rechtsextremen in der Stichwahl formieren zu können. Historisch reagierten die stärksten Parteien auf die Wahlerfolge des FN seit den 1990er mit der Strategie eines solches ,front républicain‘, doch diese Strategie wurde erstmals bei den Bezirksparlamentswahlen im März 2011 durch die Konservativen aufgekündigt. Mittlerweile glauben allerdings auch wachsende Teile der Linken nicht mehr daran, erstens weil die bürgerlichen Rechten ohnehin nicht mitspielten, und zweitens weil (wie auch die Konservativen vortragen) eine ,fehlende Unterscheidbarkeit‘ zwischen den etablierten Parteien der extremen Rechten das Geschäft auf Dauer eher erleichtere denn erschwere.

Bündniskandidaturen Rechts-Rechts

Zu Listenverbindungen von Konservativen und FN für die Stichwahl kam es wider Erwarten nur in geringem Ausmaß. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass der konservativ-wirtschaftsliberale Bürgerblock (dessen Hauptpartei die UMP darstellt) selbst bei den Rathauswahlen einen beträchtlichen Aufschwung nahm – mit einem frankreichweiten Durchschnittswert von 46,44 Prozent -, und sich den gewaltigen Rückenwind nicht durch umstrittene Bündnisse verderben wollte. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im landesweiten Überblick hätte ihm dies eher Nachteile eingebrockt denn seine Wahlchancen insgesamt verbessert.

Lediglich in zwei Fällen treten gemeinsame Listen an, in L’Hôpital – einer Kleinstadt an der Grenze zum Saarland – und in Villeneuve-Saint-Georges. Die letztgenannte 33.000 Einwohner-Stadt südlich von Paris ist vor allem durch ein riesiges Stellwerk der französischen Eisenbahn geprägt, und rund 40 Prozent des Wohnungsbestands bestehen aus sozialem Wohnungsbau. Dort könnte der Bürgerliche Philippe Gaudin rechnerisch im zweiten Wahlgang gewinnen, nachdem seine Liste (mit 31,8 %) und jene des FN (26,04 %) im ersten Wahlgang zusammen rund 58 Prozent der Stimmen erhielten. Nunmehr tritt er in der Stichwahl als Spitzenkandidat einer Rechts-Rechts-Liste gegen die amtierende KP-Bürgermeisterin Sylvie Altman (38,87 % in der ersten Runde) an. Allerdings entzogen ihm die Parteiführungen im liberalen und konservativen Lager vor der Stichwahl jegliche Unterstützung.

1 Kommentar

  1. Die Sprachregelung der Medien bez. „radikale Rechte“ ist m. E. falsch, denn wenn es diese gibt, müsste es auch eine einfache „Rechte“ geben – wo ist diese?
    Außerdem ist für uns hier wichtig, wer antisemitisch ist; ist die sog. „radikale Rechte“ antisemitisch?

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