„E Hätz so jroß wie ne Stään“ – Zum Tode von Jean Jülich

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In Köln war er bekannt, viele verehrten ihn, er war ein Original – nun lebt er nicht mehr: Am 19. Oktober ist der Kölner Edelweißpirat, Gastronom, Karnevalist und Sänger Jean Jülich im Alter von 82 Jahren friedlich verstorben. Jean Jülich hat, als Symbol der Edelweißpiraten, lange gebraucht, um für sein und ihr mutiges Engagement Anerkennung zu finden. Geehrt wurde er zuerst in Israel: 1984 zeichnete ihn Yad Vashem als „Gerechten unter den Völkern“ aus. Die Kölner Offiziellen behandelten ihn seinerzeit hingegen als „Kriminellen“…

Von Roland Kaufhold

In seiner Jugend engagierte sich der am 18.4.1929 in Köln geborene Jean Jülich bei den „unangepassten Jugendlichen“, den Edelweißpiraten. Gemeinsam trafen sie sich während der Nazizeit an abgelegenen Orten, sangen gemeinsame Lieder, machten Ausflüge – und viele von ihnen beteiligten sich an „illegalen“ Widerstandsaktionen gegen die Nazis. Jean engagierte sich bei der Sülzer und der Ehrenfelder Gruppe, gemeinsam trafen sie sich am Manderscheider Platz. Sein Vater, der bereits 1932 in den Untergrund gegangen war, saß als Kommunist im Gefängnis. 1944 wurde der 14-jährige Jean Jülich nach einer waghalsigen Aktion inhaftiert, im Gestapo-Hauptquartier EL-DE-Haus gefoltert, in mehreren Gefängnissen festgehalten. Im März 1945 standen amerikanische Panzer vor Jülichs Gefängnis, viele Mithäftlinge waren gestorben – Jean Jülich wurde befreit.

Viele Jahrzehnte lang galten die Edelweißpiraten, ganz in schlechter deutscher Tradition, als „Kriminelle“, ihre mutige Tradition wurde verleugnet. Viele Jahrzehnte lang war ihre Tradition im kollektiven Gedächtnis Kölns nahezu ausgelöscht.

Als sich der Kölner Journalist Peter Finkelgruen Anfang der 1980er Jahre in Israel – wo er für sechs Jahre als Israelkorrespondent und Repräsentant der Friedrich Naumann Stiftung wirkte – für deren Anerkennung engagierte erlebte er mit ungläubigem Staunen den Kölner Widerstand gegen deren späte Rehabilitierung: Der damalige sozialdemokratische Oberbürgermeister Norbert Burger reiste extra nach Tel Aviv, um in der Kölner Partnerstadt Tel Aviv eine offizielle Anerkennung der Edelweißpiraten als Widerstandskämpfer zu verhindern – vergeblich: 1984 wurde Jean Jülich von Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Diese Ehrung bedeutete ihm sehr viel, immer wieder sprach und schrieb er über diese Auszeichnung. In Deutschland bedurfte es weiterer 19 Jahre, bis die Edelweißpiraten endlich auch offiziell als Widerstandskämpfer anerkennt wurden: 2003 zeichnete der damalige Regierungspräsident und heutige Kölner OB Jürgen Roters einige ihrer noch lebenden Vertreter in einer Feierstunde aus. 1991 erhielt Jean Jülich das Bundesverdienstkreuz.

 
Schild und Baum zu Jean Jülichs Ehren in Yad Vashem, (c) Jan. Ü. Krauthäuser / Edelweißpiratenfestival

Jean Jülich vermochte es, sich im Leben immer wieder durchzuschlagen: Er betrieb in Köln-Deutz einen Zeitungskiosk, war Gastronom, leitete die Severinstorburg, später den Köln-Mülheimer Stadtgarten – wo er in Alleinregie viele Jahre lang die kleinste Karnevalssitzung Kölns leitete. Im Severinsviertel betrieb er die Kneipe das „Blomekörvge“, jahrelang war sie eine Kölner Institution. Und wohl Mitte der 60er Jahre leitete er – als Nicht-Jude – die erste Karnevalssitzung in der Kölner Synagoge. In einer Rundfunksendung erinnerte er sich: „Bei einem Auftritt kam mein Freund, der Sally Kessler, der war der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Köln, und der sagte. ‚Im Fastelovend kannst Du nicht eine Sitzung machen für unsere alten Leute in der Synagoge.‘ ‚Ja, wenn du dat willst, dann mache ich dat. Und dann haben wir eine Sitzung gemacht. Ich habe befreundete Karnevalisten eingeladen – und ich habe mein Elferratsgestühl mitgebracht. Da haben wir eine wunderschöne Sitzung gemacht.'“

Anerkennung finden die Edelweißpiraten seit vielen Jahren beim von Jan Ü. Krauthäuser organisierten Edelweißpiratenfest: Dort wird an ihre Tradition erinnert, dort erlebten ihn tausende Kölner immer wieder, wie er mit seiner Gitarre, begleitet von jungen Musikern, ihre alten Lieder vortrug, diese so in Erinnerung rief. Und immer wieder sprach er über die vergessene, kriminalisierte Tradition der Edelweißpiraten.
Der Regisseur Niko von Glasow machte einen Kinofilm über die Edelweißpiraten; 2003 legte Jean Jülich seine Autobiografie Kohldampf, Knast un Kamelle – Ein Edelweißpirat erzählt aus seinem Leben (Kiepenheuer & Witsch) vor.


Jean mit der Gruppe „De Familich“ auf dem Edelweißpiratenfestival 2008, (c) Jan. Ü. Krauthäuser / Edelweißpiratenfestival

Beim diesjährigen Edelweißpiratenfest war Jean Jülich krankheitsbedingt erstmals nicht mehr dabei. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt kehrte er noch einmal in sein Severinsviertel zurück. Und er war immer noch voller Pläne: So schlug er vor, dass der Kneipenchor des Kölner „Weißen Holunders“ ihre alten Lieder aufnehmen sollte.

Der Wunsch des dreifachen Großvaters, zum Kölner Ehrenbürger ernannt zu werden, zerbrach hingegen an provinziellen Einwänden der Kölner CDU. Eben diese CDU hatte es 30 Jahre zuvor verhindert, dass der Kölner Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Heinrich Böll zum Kölner Ehrenbürger ernannt wurde.

Am 27.10 wurde Jean Jülich zu Grabe getragen, der Beerdigung wohnten 400 Trauergäste bei, darunter zahlreiche Musiker. Viele vermissen dieses Kölner Original.

Sein langjähriger Freund Jan Ü. Krauthäuser bemerkt zu Jean Jülichs Tod: „Mit Jean Jülich haben wir zugleich einen sehr engagierten, couragierten Bürger wie ein echtes Kölsches Original verloren! Wir verdanken ihm viel: als Edelweißpirat, als unermüdlicher Vorkämpfer für eine gerechte Vergangenheitsbewältigung, als Karnevalist, als Künstler, als Inspirator…! Es darf ihm und den Seinen Trost sein, dass seine Saat reiche Früchte getragen hat und tragen wird! Wir werden ihm gedenken, wenn wir singen, wenn wir wandern und wenn wir für Gerechtigkeit kämpfen!“

Die Kölner Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes schreibt: „Köln verliert mit Jean Jülich einen ebenso engagierten wie ehrenhaften Mann. Er wird uns ewig in Erinnerung bleiben – als couragierter Edelweißpirat und aufrechter Demokrat, aber auch als leidenschaftlicher Musiker und Karnevalist.“

Zum Weiterlesen:
Erlebte Geschichte – Jean Jülich
„Ein Herz so groß wie ein Stern“
„Es war in Shanghai“
Litfaßsäulen des Widerstands

3 Kommentare

  1.  
    Ein großer Charakter, unbeirrbar.
     
    Der Wunsch des dreifachen Großvaters, zum Kölner Ehrenbürger ernannt zu werden, zerbrach hingegen an provinziellen Einwänden der Kölner CDU. Eben diese CDU hatte es 30 Jahre zuvor verhindert, dass der Kölner Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Heinrich Böll zum Kölner Ehrenbürger ernannt wurde.
     
    Frage: Was verbindet Menschen wie Lew Kopelew, Heinirch Böll und Jean Jülich?
     
    Ihr bedingungsloser Einsatz für die universelle Gültigkeit der Menschenrechte sowie als promte Reaktion – die institutionelle Ausgrenzung!
     
    Lew Kopelew verliert die Staatsbürgerschaft, Böll und Jülich wird die Ehrenbürgerschaft verwehrt.
     
    Bitter!
     
     

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