Hoffnung im Sinai

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Trotz der postrevolutionären Rechtslosigkeit, die im Moment im bevölkerungsreichsten Land des Nahen Ostens vorherrscht, beweisen die Aktionen der ägyptischen Regierung im Sinai, dass sie immer noch Kontrolle über das Land ausübt – auch wenn ein Übergang zu einer echten Demokratie wahrscheinlich eher Wunschdenken der internationalen Gemeinschaft bleiben wird…

Von Daniel Nisman

Ein Blick auf die Schlagzeilen der örtlichen Zeitungen zeigt ein düsteres Bild der postrevolutionären Anstrengungen, denen Ägypten gegenüber steht. Konfessionelle Auseinandersetzungen, Familienstreitereien, die in Ausbrüchen häuslicher Gewalt enden, Gewerkschaftsstreiks, Stromausfälle, verseuchte Trinkwasserversorgung, eine negative Wirtschaftsentwicklung und ein religiös-gesellschaftlicher Dissens über den Rahmen einer zukünftigen Verfassung drohen, Islamisten und säkulare Ägypter in einen brutalen, langwierigen Konflikt gegeneinander zu ziehen. Unglücklicherweise sind dies nur einige der vielen Probleme, die den nordafrikanischen Staat seit dem Fall Hosni Mubaraks beschäftigen.

Die politische Situation in Ägypten ist unbeständig. Im Moment ist es praktisch unmöglich vorherzusagen, welcher Kandidat oder welche Partei in den kommenden Wahlen an die Macht kommen wird. Kommentatoren im Westen und in Israel waren schnell darin, die zukünftige ägyptische Regierung als von einer islamischen und fundamentalistischen Agenda dominiert zu verurteilen. Und dazu gab es allen Grund.

Die Muslimbruderschaft und die salafistische Al-Nour-Partei haben großen Einfluss auf die einfachen Ägypter. Die säkularen Parteien in Ägypten kämpfen immer noch um die Herausbildung einer Identität. Auch eine Einheit zu schmieden, um effektiv und politisch einflussreich zu werden, bleibt zunächst noch Hoffnung und nicht Realität.

Wie viel Macht haben die Islamisten genau? Die Antwort auf diese Frage kennt niemand, da es während der Amtszeit Mubaraks keine glaubwürdigen Meinungsumfragen unter den mehr als 80 Millionen Ägyptern gab. Doch ein vielsagendes Beispiel ist die Übernahme der Proteste durch die Islamisten am „Tag des Einheit“ am 29. Juli auf dem Tahrir-Platz. Der Protesttag war ursprünglich von den liberalen ägyptischen Reformparteien organisiert worden und hatte das Ziel, die Übergangsregierung unter Druck zu setzen, die Prozesse gegen Regimegetreue zu beschleunigen und die Militärtribunale gegen Zivilisten zu beenden. Doch die Proteste erhielten schnell den Touch einer islamistisch-fundamentalistischen Agenda, nachdem Salafisten die Demonstration und die drei Haupttribünen unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Die liberalen Protestierenden, die auf dem Tahrir-Platz zelteten, wurden entfernt. Der Ruf hunderter bärtiger Islamisten auf dem Tahrir-Platz nach „Sharia für ganz Ägypten“ war in der Tat beunruhigend.

Und bei all dieser Verrücktheit, die sich noch dazu vor dem Hintergrund kollabierender arabischer Staaten wie dem Jemen oder Syrien ereignet, warum sollten wir dann davon ausgehen, dass es für Ägypten auch nur irgendeine Art der Hoffnung gibt? Die Antwort gibt vielleicht die Operation „Nesr“, der Versuch des ägyptischen Militärs, die Militanten im Nordsinai zu bekämpfen, die dort regelmäßig die Gaspipeline angreifen. Die Angriffe bedrohen eine der wenigen bleibenden Konstanten in der kämpfenden ägyptischen Wirtschaft. Nur wenige Tage nach dem Beginn dieser Operation sorgte der Einfall von Terroristen aus dem Sinai in den israelischen Süden für ein Erdbeben in der Region.

Plötzlich wurde der Sinai ein zentrales Thema im ägyptischen Diskurs, sowohl national als auch international. Westliche Nationen beobachteten besorgt, wie Ägypten reagieren würde, um Recht und Ordnung in diesem strategisch wichtigen Gebiet wieder herzustellen. Der Oberste Rat der Armee (SCAF) reagierte sofort, indem er seine Truppen südlich des bergigen Zentrums der Halbinsel zusammenzog, wo ausführliche Patrouillengänge an der Grenze zu Israel gestartet wurden.

Genau als es schien, dass die Feindseligkeiten zwischen militanten Gruppen aus dem Gaza-Streifen und Israel außer Kontrolle geraten würden, bemühte sich Ägypten um einen einseitigen Waffenstillstand der verschiedenen Gruppen, die im Gaza-Streifen Raketen auf den israelischen Süden abfeuern.

Sogar als Ägypten hinter den Kulissen tätig war, war klar, dass die israelische Regierung wusste, dass es unklug wäre, sich in eine weitere größere Militäroperation im Gaza-Streifen hineinziehen zu lassen. Zusätzlich hat ein hochrangiger Offizieller des SCAF vor kurzem die sehr reale Möglichkeit einer Fünf-Kilometer-Pufferzone zu Israel ins Gespräch gebracht, während Quellen vor Ort in Rafah die Ankunft schweren Geräts für die Zerstörung von Tunneln in den Gaza-Streifen vermelden.

Zusätzlich zu konkreten militärischen Aktionen hat die ägyptische Regierung neue Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur im Sinai und der Verbesserung der Lebensqualität der 350.000 (größtenteils beduinischen) Einwohner angekündigt. Ein neuer Investitionsausschuss wurde ausschließlich für den Zweck der Verbesserung der Lebensqualität im Sinai gegründet.
Dieser Schritt war die direkte Antwort auf die Erkenntnis, dass Beduinenstämme vor Ort davon überzeugt werden müssen, dass es bessere, lukrativere Optionen des Geldverdienens gibt als Waffen- oder Menschenschmuggel.

Auch wenn die Operation „Nesr“ und die verschiedenen Investment- und sozialen Projekte im Sinai sich noch in der Anfangsphase befinden, hat die ägyptische Führung konkrete Schritte eingeleitet, um zu demonstrieren, dass sie fähig ist, verantwortungsvoll auf reale Krisen zu reagieren. Aus israelischer Perspektive gibt es keinen anderen Weg als sich auf die Vielfalt der diplomatischen Zwischenfälle zu konzentrieren, die sich in Folge der mutmaßlichen Tötung der fünf ägyptischen Sicherheitsbeamten während der Anschläge ereignet haben. Diese Vorfälle sollten im Kontext der ägyptischen Realität betrachtet werden.

Zuallererst muss der SCAF umsichtig handeln. Er muss das Appeasement der ägyptischen öffentlichen Meinung, die im Ägypten nach Mubarak wichtiger ist denn je, ausbalancieren und den Frieden mit Israel aus Sicherheits- und finanziellen Gründen aufrechterhalten. Der SCAF hat hierbei einen guten Job gemacht, wenn er von beiden Seiten unbeschadet aus dem Sinai-Debakel wieder herausgekommen ist: Demonstrationen vor der israelischen Botschaft wurden zugelassen, jedoch abgebrochen, bevor eine kritische Masse erreicht war. Wenn wir die israelische Perspektive einmal beiseitelassen, wenn wir Ägypten im breiteren Kontext des Arabischen Frühling betrachten, können wir annehmen, dass Ägypten die größte Chance hat, eine stabile – wenn nicht voll demokratische – Nation zu werden.

Anders als Libyen, der Jemen oder der Irak ist Ägypten keine Schöpfung der Kolonialmächte. Auch wenn die Bevölkerung zu großen Teilen verarmt und nicht gebildet ist, so neigen Ägypter dazu, ihren kollektiven Nationalismus als Ausgangspunkt für ein größeres ägyptisches Gewissen zu nehmen. Auch der Glaube an den SCAF, auch wenn er immer häufiger kritisiert wird, ist in der ägyptischen Öffentlichkeit tief verwurzelt.

Diese Entwicklungen bilden einen Kontrast zu den Szenarien in Libyen oder dem Jemen, wo die Stammesidentität wichtiger ist als das Nationalgefühl. Sie verlaufen auch anders als im Irak, wo sich die Menschen zuerst über religiöse oder konfessionelle Identitäten definieren, Nationalismus kommt erst an zweiter Stelle. Sogar die koptischen Christen und die Salafisten bezeichnen sich als Ägypter und sehen ihr Nationalgefühl als starken Teil ihrer Identität. Beide Parteien haben immer die Bereitschaft ausgedrückt, zum Wohle der Nation ihre Differenzen beizulegen. Sogar die „Jemma al Islamiya“, die extremste Gruppe der Salafisten in Ägypten, hat angekündigt, koptische Christen auf ihrer Wahlliste aufzustellen.

All dies hat, genau wie die unerschütterlichen Bemühungen der ägyptischen Regierung, sicherzustellen, dass die Stabilität gewahrt bleibt, der ägyptischen Revolution nach Mubarak einen Hoffnungsschimmer beschert.

Der Autor ist Fellow am Interdisziplinären Zentrum in Herzliya. Er arbeite für Max-Security Solution, eine Firma für Sicherheitsconsulting in Tel Aviv.

Jerusalem Post, 07.09.11, Newsletter der Botschaft des Staates Israel