Mit dem Zug durch die Zeit

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Eine neue Ausstellung im Jüdischen Museum Franken in Fürth erzählt jüdische Eisenbahngeschichte(n)…

Von Jim G. Tobias

Dass die erste deutsche Eisenbahn 1835 von Nürnberg nach Fürth dampfte, wird in diesem Jahr in ganz Deutschland gefeiert. Gleich zwei Nürnberger Museen widmen sich diesem Jubiläum der nationalen Eisenbahngeschichte. Während das DB-Museum in der Sonderausstellung „Planet Eisenbahn – die Geschichte der mobilen Zukunft“ mehr die schönen Seiten präsentiert, zeichnet das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände mit der Exhibition „Das Gleis – Die Logistik des Rassenwahns“ die gnadenlose Umsetzung des NS-Deportationsprogramms nach.

Das Ausstellungsplakat zeigt den Fürther Hauptbahnhof

Doch die 175-jährige Geschichte der Schiene ist facettenreicher und bietet mehr, als mancher Zeitgenosse denkt: Unter dem Leitthema „Industrialisierung, Fortschritt und die Folgen“ erzählt das Jüdische Museum Franken in Fürth von eisenbahnverrückten Rabbinern, von jüdischen Bankiers, von Modellbahnen und Spielzeugfabrikanten sowie der Rettung jüdischer Jungen und Mädchen durch die sogenannten Kindertransporte.

Elizabeth Miller, die 1923 als Elsbeth Bein in Nürnberg geboren wurde, ist eines dieser Kinder. Ihr Vater hielt Anteile an der 1897 gegründeten Nürnberger Metallwarenfabrik Doll & Co. Die Firma war berühmt für ihre Spielzeug-Dampfmaschinen, Blecheisenbahnen, Stellwerke, Güterschuppen und Signale. „Ich bin sehr gerne in die Fabrik gegangen“, erinnert sich die heute 87-Jährige, „sie hatten dort ein Musterzimmer, wo ich spielen und die Züge fahren lassen konnte.“ Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete die unbeschwerte Kindheit. Die damals 16-jährige Elsbeth fuhr im Mai 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien. Die väterliche Fabrik war bereits 1938 arisiert worden. Ihre Eltern flohen ein Jahr später unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe über Holland in die USA. In einem Videointerview erzählt Elizabeth Miller die Geschichte ihre Jugend und berichtet über Emigration und Neuanfang in den USA. Ergänzend ist ein wunderschönes Exponat, ein Modellbahnhof aus der elterlichen Spielzeugfabrik aus dem Jahre 1928, zu sehen.


Elsbeth Bein verlebte bis 1933 eine friedliche und behütete Kindheit in Nürnberg. Repro: jgt-archiv

Fürths erster Reformrabbiner Isaak Loewi war Vorkämpfer des liberalen Judentums, das im 19. Jahrhundert nach Integration und Gleichberechtigung strebte. Anders als seine orthodoxen Amtsvorgänger war er ein glühender Anhänger der modernen Zeit und engagierte sich bei der Gründung des Fürther Gewerbevereins. Selbstverständlich gehörte er zu den ersten Aktionären der „Königlich privilegierten Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft“, sodass die Dampflokomotive „Adler“ sich pünktlich am 7. Dezember 1835 auf den Weg von Nürnberg nach Fürth machen konnte.

Sein Zeitgenosse Theodor Heidegger erblickte als Sohn des reformierten Fürther Talmudlehrers Isaias Heidegger das Licht der Welt. Nach einem Mathematikstudium und der Staatsprüfung in München arbeitete er als Ingenieur an der Bahnlinie von Preußen ins russische St. Petersburg und am Bau des Suez-Kanals mit. 1871 trat er in die Staatsbauverwaltung von Elsass-Lothringen ein. Nach seiner Pensionierung amtierte der nunmehr Geheime Oberbaurat 1908 als Bürgermeister von Metz. Zum Abschied erhielt er eine Ehrenurkunde, die anhand von Wappen alle Städte und Länder dokumentiert, in denen er lebte beziehungsweise als Bauingenieur tätig war.

Auch Alfred Baumgarten, der Schwiegersohn Theodor Heideggers, stammte aus einer jüdischen Familie. Baumgarten ist der Erfinder des „Amtlichen Kursbuchs für das Reich“, das 1934 erstmals erschien. Zu diesem Zeitpunkt war der Reichsbahndirektor aber bereits aus „rassischen“ Gründen beurlaubt. Als Direktor des Verkehrs- und Baumuseums in Berlin hatte Alfred Baumgarten bis zu seiner Zwangspensionierung die Ausstellung zum 100-jährigen Eisenbahnjubiläum konzipiert. Im April 1939 emigrierte Baumgarten nach England.

Mit einer Vielzahl erstmals gezeigter Dokumente, Fotografien und Exponate beleuchtet die Ausstellung „Eisenbahngeschichten“ das Verhältnis von Bahn und jüdischer Geschichte und schlägt einen bunten Bogen von der Gründerzeit bis ins 21. Jahrhundert. Für die sehenswerte Schau sollte der Besucher freilich ausreichend Zeit mitbringen: Denn es gibt so manches Unbekanntes zu entdecken und die zahlreichen Bild- und Tondokumente erzählen kuriose und spannende Geschichten. Übrigens: Das Jüdische Museum Franken ist die einzige jüdische Institution in Deutschland, die das Bahnjubiläum thematisiert.


Modell eines Großstadtbahnhofs, Doll & Co, Nürnberg, Foto: Jüdisches Museum Franken

Die Ausstellung ist täglich bis März 2011 – außer Montag – ab 10.00 Uhr im Jüdischen Museum Franken in Fürth, Königstraße 89 zu besichtigen.
Eintritt regulär / ermäßigt / Familienticket: 5 Euro / 3 Euro / 7 Euro
www.juedisches-museum.org

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