Auszug aus:
Benny Morris: 1948. Der erste arabisch-israelische Krieg, Hentrich & Hentrich 2023, S. 519-522.
Der unmittelbare Auslöser des Krieges von 1948 war die UN-Parlamentsresolution vom November 1947. Die zionistische Bewegung, abgesehen von ihren Rändern, akzeptierte den Vorschlag. Die meisten beklagten das darin enthaltene Gebot, das historische Kernland des Judentums, Judäa und Samaria (das Westjordanland), mit der Altstadt und dem Tempelberg in Ostjerusalem im Zentrum, aufzugeben, und viele waren beunruhigt über die Einbeziehung einer großen arabischen Minderheit in den künftigen jüdischen Staat. Aber die Bewegung, mit Ben-Gurion und Weizmann an der Spitze, sagte „Ja“.
Die palästinensischen Araber und der Rest der arabischen Welt sagten „Nein“ – wie schon 1937, als die Peel-Kommission eine Zwei-Staaten-Lösung vorgeschlagen hatte. Die Araber weigerten sich, die Errichtung eines jüdischen Staates in irgendeinem Teil Palästinas zu akzeptieren. Und im Einklang mit diesem „Nein“ begannen die palästinensischen Araber im November/Dezember 1947 und die arabischen Staaten im Mai 1948 mit Kampfhandlungen, um die Umsetzung der Resolution zu verhindern. Viele Palästinenser mögen nicht begeistert gewesen sein, in den Krieg zu ziehen, aber sie zogen in den Krieg. Sie mögen schlecht geführt und organisiert gewesen sein, der Krieg mag unüberlegt begonnen worden sein und viele wehrfähige Männer mögen sich dem Dienst entzogen haben. Aber die palästinensisch-arabische Gesellschaft zog in den Krieg und kein palästinensischer Anführer erhob öffentlich seine Stimme, um zu protestieren oder zu widersprechen.
Das minimale arabische Kriegsziel bestand in beiden Phasen der Kampfhandlungen darin, die Entstehung eines jüdischen Staates zu verhindern oder ihn im Prozess seiner Gründung umgehend zu zerstören. Die arabischen Staaten hofften, dies durch die Eroberung aller oder großer Teile des den Juden von den Vereinten Nationen zugewiesenen Territoriums zu erreichen. Und einige arabische Anführer sprachen davon, die Juden ins Meer zu treiben und Palästina „von der zionistischen Plage“ zu befreien. In den Augen der Araber ging es in diesem Kampf um das Schicksal des Landes Palästina/Israel – und zwar in Gänze, nicht um diesen oder jenen Teil des Landes. Aber in der Öffentlichkeit sagten offizielle arabische Sprecher oft, dass das Ziel des Einmarsches im Mai 1948 die „Rettung“ Palästinas oder die „Rettung der Palästinenser“ sei. Bezeichnungen, die für westliche Ohren akzeptabler klangen.
Das Bild der arabischen Absichten war allemal komplexer, als es die zionistische Geschichtsschreibung später darstellte. Die Hauptursache für diese Komplexität war König Abdallah, das personifizierte Haar in der Suppe. Der jordanische Herrscher, ein Pragmatiker, war generell skeptisch, ob die Araber in der Lage seien, den Jischuv zu besiegen, geschweige denn zu vernichten, und richtete sein Kriegsziel dementsprechend aus: das arabisch besiedelte Westjordanland zu erobern, vorzugsweise einschließlich Ostjerusalems. Wäre seine Armee größer und der zionistische Widerstand schwächer gewesen, hätte er sich zweifellos Tel Aviv und Haifa als Ziel gesetzt; schließlich hatte
er jahrelang versucht, die zionistischen Anführer davon zu überzeugen, der jordanischen Souveränität über ganz Palästina zuzustimmen, wobei die Juden lediglich eine kleine, autonome Zone (die er als „Republik“ bezeichnete) innerhalb seines erweiterten Reiches erhalten sollten. Doch 1948 erkannte er das Ungleichgewicht der Kräfte: Die Juden waren einfach zu mächtig und zu entschlossen, ihrem Drang nach Selbstbestimmung war nichts entgegenzusetzen.
Andere arabische Anführer waren im Allgemeinen optimistischer. Aber auch sie hegten, neben der Absicht, die Juden ins Meer zu treiben oder zumindest den jüdischen Staat abzuschaffen, Hintergedanken. Sie wollten vor allem verhindern, dass ihre Mitstreiter (insbesondere Abdallah) ganz Palästina oder zu viel davon eroberten und annektierten, und stattdessen so viel Palästina wie möglich für sich selbst beanspruchen. Dies erklärt zumindest teilweise die Streuung der ägyptischen Kriegsanstrengungen und ihren östlichen Vorstoß über Be’er Scheva und Bethlehem bis in die Außenbezirke Jerusalems. Es ist möglich, dass die Kommandeure des westlichen und stärksten Flügels der ägyptischen Expeditionsstreitkräfte, die von Rafah aus die Küste hinaufstürmten, in Isdud (dem nördlichsten Punkt des südlichen Teils Palästinas, der von den Vereinten Nationen der arabischen Souveränität zugewiesen worden war) den Befehl hatten, zumindest eine Zeit lang innezuhalten. Hätten die Israelis jedoch lediglich leichten Widerstand geleistet und wäre der Weg frei gewesen, um nach Tel Aviv vorzudringen, so hätten die Ägypter dies ohne Zweifel entsprechend ihrer öffentlichen Rhetorik getan. Die systematische Zerstörung aller jüdischen Siedlungen entlang des Weges – ein Vorgehen, das von den arabischen Armeen im Westjordanland und im Jordantal nachgeahmt wurde – ist bezeichnend für die Denkweise der beteiligten Armeen und Regierungen.
Das Kriegsziel des Jischuv war anfangs einfacher und bescheidener: überleben und die fortlaufenden Angriffe der palästinensischen Araber und der arabischen Staaten überstehen. Die zionistischen Anführer fürchteten zutiefst eine Wiederholung des gerade beendeten Holocaust im Nahen Osten; die öffentliche Rhetorik der Araber verstärkte diese Befürchtungen. Doch mit dem Fortschreiten des Krieges kristallisierte sich ein weiteres Ziel heraus: die Ausdehnung des jüdischen Staates über die von der UNO festgelegten Teilungsgrenzen hinaus. Ursprünglich wollte man eine Reihe jüdischer Siedlungen in den Staat einbeziehen. Westjerusalem mit seinen Hunderttausenden von Juden stand in der Vorstellung der zionistischen Anführer an erster Stelle. Doch mit dem Fortschreiten des Krieges kam ein weiteres Ziel hinzu: Der winzige Staat sollte auf weitere Gebiete ausgedehnt und mit verteidigungsfähigen Grenzen ausgestattet werden. Im September sprachen einige von einer Erweiterung bis zum Jordan, der als „natürliche“ Grenze angesehen wurde (sowohl die UN-Teilungsgrenzen als auch die neuen Grenzen, die durch die Kampfhandlungen vom Mai und Juli 1948 entstanden waren, bildeten der Alptraum eines jeden Strategen). Sie sprachen außerdem davon, dem neuen Staat das historische Kernland des jüdischen Volkes, Judäa und Samaria, einzuverleiben. Ein drittes und weitreichendes Ziel – das sich bei einigen politischen Anführern, darunter Ben-Gurion und Mosche Schertok, und beim Militär nach vier oder fünf Monaten anhaltender Kampfhandlungen herauskristallisierte – bestand darin, die große und feindlich gesinnte arabische Minderheit Israels, die als potenziell mächtige fünfte Kolonne angesehen wurde, durch Kriegsführung und Vertreibung zu verkleinern.
Sowohl die Araber als auch die Israelis argumentierten zwischen 1947 und 1948 oft, dass sie die schwächere Seite seien, in der Hoffnung, die Sympathie der Welt und materielle Unterstützung zu gewinnen. (Gelegentlich behaupteten sie jedoch zugleich und irritierenderweise das Gegenteil, um ihre Feinde einzuschüchtern, um Unterstützung und Rekruten zu gewinnen oder um öffentliches Selbstvertrauen zu erzeugen.) In der Phase des Bürgerkriegs verwiesen die Palästinenser eher schamhaft auf ihre Armut und Desorganisation im Gegensatz zur „Macht des internationalen Judentums“. Die Israelis räumten zwar häufig – wenn auch widerwillig – die Schwäche der palästinensischen Araber ein, argumentierten jedoch zwischen November 1947 und Mitte Mai 1948, dass (1) die Palästinenser die Unterstützung des riesigen umliegenden arabischen Hinterlandes genössen und (2) die arabischen Staaten sich ihnen bald anschließen würden.
Auszug aus:
Benny Morris: 1948. Der erste arabisch-israelische Krieg, Hentrich & Hentrich 2023.