Von Dr. Hugo Bergmann, Jerusalem
Der Brith Schalom wurde vor 5 Jahren von Dr. A. Ruppin begründet. Er sollte das Problem der jüdisch-arabischen Beziehungen erforschen und auf Mittel und Wege sinnen, das Verhältnis der beiden Völker zu einander zu verbessern. Er sollte Mitglieder aller zionistischen Parteien umfassen, welche bereit waren, die Formel „Palästina als jüdisch-arabisches Gemeinwesen“ anzunehmen. Die künftige Konstitution Palästinas sollte so gebaut sein, dass das Zahlenverhältnis der beiden Völker keine Rolle spielen sollte und — gleich wie in der Schweiz und in Finnland — beide Völker ohne Rücksicht auf ihre Zahl als gleichberechtigte Staatsvölker das Land bewohnen sollten. Der B. S. setzte sich damit von Anfang an in einen Gegensatz zur Zielsetzung einer jüdischen Mehrheit oder des Judenstaates in Palästina. Von seiner Gründung an verlangte der B. S. von der Zionistischen Organisation, dass sie aus freien Stücken für die Schaffung eines palästinensischen Parlaments eintreten sollte. Zur Zeit, als — lange vor den Unruhen — der B. S. in seinen Veröffentlichungen für das Parlament eintrat, wären zweifellos von den Arabern in Bezug auf die dem Zionismus lebensnotwendigen Forderungen — Einwanderung, Bodenerwerb, hebräische Sprache — alle wünschenswerten Konzessionen zu erhalten gewesen, welche den ruhigen Fortgang der zionistischen Arbeit gewährleistet hätten. Aber die öffentliche zionistische Meinung ignorierte das Vorhandensein der Araber in Palästina und damit unsere Forderungen.
Mit den Unruhen des Sommers 1929 tat sich zwischen dem B. S. und der grossen Masse der Zionisten eine Kluft auf. Während die grosse Masse nach wie vor darauf drängte, den Zionismus mit englischer Hilfe auch gegen den Willen der Araber zu verwirklichen, verlangte der B. S. schleunigen Friedensschluss und Kooperation mit den Arabern. Während die jüdische Presse die arabische Nationalbewegung entweder als nicht vorhanden bezeichnete, sie in Anführungsstriche setzte, oder aber als eine Mache der arabischen Grossgrundbesitzer und reaktionären Effendis hinstellte, brachte der B. S. der arabischen Nationalbewegung die Sympathien entgegen, die, wie wir glauben, eine jüdische Freiheitsbewegung, sowohl als Freiheitsbewegung als insbesondere als jüdische Bewegung, der Auferstehung eines unterdrückten Volkes, und hier insbesondere eines uns nach Rasse und Sprache verwandten, entgegen bringen musste. Die Literatur des B. S. entlarvte das Märchen von den Effendis als ein übles Mittel der Propaganda und zeigte, dass die arabische Nationalbewegung von denselben intellektuellen und bürgerlichen Schichten getragen wird, wie andere Nationialbewegungen, etwa die tschechische in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Wir traten sofort nach den Unruhen; während die anderen zionistischen Gruppen erklärten, sie setzten sich mit den Führern der arabischen Nationalbewegung nicht an einen Tisch, für eine arabisch-jüdische Konferenz ein. Der B. S. reichte der Jewish Agency im Januar 1930 ein ausführliches Memorandum ein, welches die Grundsätze einer arabischen Politik der Jewish Agency niederlegte und insbesondere verlangte: Entwicklung der Selbstverwaltung Palästinas, ökonomische und kulturelle Kooperation mit der Arabern. Das Memorandum enthielt für die Gebiete der Politik, der Wirtschaft und Erziehung ins Detail ausgearbeitete Vorschläge. Es wurde mehrere Monate später ergänzt durch „praktische Vorschläge“ für die Fragen des täglichen Lebens (Administration, Gesundheitswesen, Erlernung der Sprache des zweiten Volkes, Kenntnis seiner Kultur, Erforschung seiner Lebensverhältnisse etc.). Der B. S. trat insbesondere dafür ein, dass die jüdische Arbeiterorganisation jüdisch-arabische Gewerkschaften ins Leben rufe. (Die beiden Programme sind gekürzt abgedruckt in No. 4 und 6 des ersten Jahrgangs der Monatsschrift des B. S. „Scheifotenu“ und auch englisch erschienen.)
Der B. S. ist positiv eingestellt zum Gedanken des Eintrittes Palästinas in eine grossarabische Föderation, vorausgesetzt, dass die Sonderstellung Palästinas als jüdischarabisches Gemeinwesen gewahrt bleibt.
Der B. S. hat keine direkte Tätigkeit nach aussen entfaltet. Er begnügte sich mit einer Propaganda innerhalb des Jischuw und der zionistischen Organisation. Er ist nur einmal nach aussen hervorgetreten. Als die Hinrichtung der zum Tode verurteilten Araber bevorstand, versuchte er zunächst, die offiziellen jüdischen Körperschaften dazu zu bewegen, ein Gnadengesuch einzureichen. Aber diese Anstrengungen blieben ohne Erfolg. Da wandte sich der B. S selbst mit einem Gnadengesuch an die Regierung. Die Folge war eine unerhörte Pressekampagne gegen den B. S., aber der Tag wird kommen, wo die Juden Palästinas sich auf dieses Gnadengesuch im politischen Kampfe berufen werden.
Dies scheint überhaupt eine wichtige politische Funktion des B. S. zu sein: Er ist der Blitzableiter des Zionismus. Die schmerzliche und doch notwendige Anpassung der zionistischen Bewegung an die neue Lage im vorderen Orient, welche durch die Erstarkung der arabischen Nationalbewegung bedingt ist, geht in der Weise vor sich, dass die zionistische öffentliche Meinung den B. S., der diese Anpassung verlangt, als eine Organisation von Verrätern brandmarkt, sein Programm mit aller Schärfe bekämpft, um es dann nach einem Jahre anzunehmen. So ging es mit dem Zweinationalitäten-Staat, so mit der arabisch-jüdischen Konferenz, so wird es mit allen anderen Forderungen des B. S. gehen. Sein Programm muss Programm der zionistischen Bewegung werden, denn es gibt keine Verwirklichung des Zionismus, ausser im Frieden mit dem arabischen Volke. Dass freilich die Einsicht so spät kommt und die Erziehung der zionistischen Massen zu dieser Einsicht so langsam vor sich geht, ist vielleicht massenpsychologisch begreiflich, aber es kostet das jüdische Volk unerhörte Opfer an Enthusiasmus, Gut und Blut.
Noch eines an dieser Stelle. Eine Purimzeitung schreibt, der B. S. sei ein Geschenk der Prager Judenheit an Palästina. Das ist vielleicht nicht unrichtig. Im B. S. leben, glaube ich, die Gedanken weiter, die im „Prager“ Zionismus (der aber nicht nur ein Prager war) viele Jahre vor dem Kriege gedacht worden sind, und dann nochmals auf der Prager Konferenz des Hapoel Hazair im Jahre 1920 lebendig wurden, bevor der Geist des Zionismus ein Opfer der hohen Politik und des Parteienkampfes wurde: Die Gedanken von Hess, Achad Haam, A. D. Gordon, Martin Buber.
in: Parteien und Strömungen im Zionismus in Selbstdarstellungen
(Schriften zur Diskussion des Zionismus No. 5), Herausgegeben von der J.A. „Barissia“ Prag, Prag 1931, S.10-12.