Paraschat haSchawua: Pinchas

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Was soll man davon halten, wenn Gott einen Mörder belohnt? So geschah es bei Pinchas, dem Enkel des Hohepriesters Aharon, der für Gott eiferte und der einen Israeliten, der mit einer Midianiterin in ein Zelt ging, um sich zu vergnügen, zusammen mit der Frau erstach. Wegen seines Eifers bekam er von Gott das Amt des Hohepriesters auf Lebenszeit für sich und für seine Nachkommen…

Wochenabschnitt Pinchas; 4. Moses Kap. 25, 10 – 29 Schabbat, 11. Juli 2020

Vielleicht war dieser Sachverhalt zu jener Zeit und unter den gegebenen Umständen angemessen und verständlich. Die Gelehrten jedoch, die fünfhundert bis eintausend Jahre später gelebt haben, konnten mit dieser Stelle in der Tora nicht ganz glücklich werden. Was, wenn das Schule macht, wenn jeder, der denkt, sich im Sinne Gottes ereifern zu müssen, zum Dolch greift? Die Gelehrten der Talmudzeit haben den Midrasch geschaffen, eine erzählerische, fantasievolle Exegese, mit deren märchenhaften Parabeln man problematische Tora-Stellen in einem besonderen Sinn deuten konnte.

Zunächst machten die Gelehrten eine überraschende und unverständliche Feststellung: Pinchas ist Elia. Elia war ein Prophet Gottes, der Jahrhunderte nach Pinchas in Israel gewirkt hat. Was war nun das Besondere, das den Beiden gleich war? Zunächst zum Propheten Elia: Elia wirkte in Israel zur Zeit des Königs Ahab (9. Jh.v.d.Z.). Damals war der Kult der Götter Baal und Astarte sehr verbreitet. Elia lockte die Propheten dieser Fremdgötter zum Carmel-Berg und ließ achthunderundfünfzig dieser Propheten niedermetzeln. Da die Königin Isebel, eine gebürtige phönizische Prinzessin, daraufhin schwor, Elia umzubringen, floh er in die Wüste.

„Und ging vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb. Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen“ (1. Könige 19).

Diesen Text nahmen die Gelehrten zum Anlass, eine fingierte Unterhaltung zwischen Gott und Elia zu konstruieren. Dieser Dialog wird hier als ein Monolog Gottes zusammengefasst:

Du sagst: „Ich habe geeifert für den HERRN, denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen“. Haben sie denn deinen Bund verlassen? Es ist doch mein Bund, warum mischst du dich ein?! „Und deine Altäre zerbrochen“. Das sind doch meine Altäre und nicht deine, und ich könnte sie selbst bestrafen. Auf alle Fälle ist es nicht deine Aufgabe, Menschen zu ermorden. „Und deine Propheten mit dem Schwert
getötet“. Wieso denn – du lebst ja noch, worüber beschwerst du dich dann? „Und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen“.

Auch das lässt Gott nicht gelten, denn der König Ahab hatte seiner Frau ihr Vorhaben verboten. So schließen die Gelehrten diese Fabel mit der Erklärung Gottes: Die Israeliten können einen Eiferer wie dich nicht ertragen, gehe deines Weges zurück. Tatsächlich wird berichtet (2. Könige 2), dass Gott ihn zu sich genommen hat: „Als Elia und sein Jünger Elisa miteinander gingen, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die die beiden voneinander schieden. Und Elia fuhr im Wettersturm gen Himmel.“

Mit diesem Gleichnis wollten die Gelehrten klarstellen, dass trotz der Geschichte von Pinchas, Gott religiösen Eifer nicht begeistert ist. Aber wer von den Extremisten in Israel will das heute noch wissen?

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.deheraus.

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