„Antisemitismus gegen Israel“ als „Projektiver Antizionismus“

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Ein von Stephan Grigat und Karin Stögner herausgegebener Sammelband, „Projektiver Antizionismus. Antisemitismus gegen Israel vor und nach dem 7. Oktober“, enthält fast 30 Texte zum Thema. Sie machen fachkundig auf unterschiedlichste Dimension aufmerksam, die insbesondere den israelfeindlichen Antisemitismus prägen.

Von Armin Pfahl-Traughber

„Antisemitismus gegen Israel“ ist „Projektiver Antizionismus“. Eine solche Definition führt zunächst einmal eher zu Irritation denn zu Klarheit. Erinnert man an eine Aussage von Léon Poliakov, dem bekannten Autor einer mehrbändigen Geschichte des Antisemitismus, so wird das Gemeinte im Kontext besser verständlich: Für ihn war Israel der „Jude unter den Staaten“. Gemeint ist mit dieser Feststellung in seiner Interpretation, dass antisemitische Auffassungen gegen Juden nach 1948 auf den israelischen Staat übertragen wurden. Ein umfangreicher Sammelband mit exakt 600 Seiten bezieht sich auf diese Termini und das gemeinte Verständnis: „Projektiver Antizionismus. Antisemitismus vor und nach dem 7. Oktober“. Bereits die Angabe des Datums des Hamas-Massakers macht dessen inhaltliche Richtung deutlich, führten die angesprochenen Grausamkeiten doch zu mehr Judenfeindlichkeit und nicht zu einer erwartbaren Solidarität. Die Autoren des erwähnten Bandes wollen unterschiedliche Kontexte zu diesem Themenkomplex untersuchen.

Herausgegeben haben ihn Stephan Grigat und Karin Stögner, beide als Antisemitismusforscher seit Jahren bekannte Wissenschaftler. Unter ihrer Beteiligung wurden in den letzten Jahren mehrere Konferenzen durchgeführt, wo Referate zu den unterschiedlichsten Themen des genannten Zusammenhangs gehalten wurden. Daraus entstanden Aufsatzfassungen, eben für den genannten Sammelband. Erfreulicherweise ergänzten die Autoren nicht nur hier und da einmal ein paar Fußnoten in ihren Redemanuskripten, sondern arbeiteten die jeweiligen Inhalte noch einmal in einem systematischen Sinne aus. Formal merkt man dies etwa an den Aufsätzen zu historischen Fragen, wo auch die archivarischen Fundstellen genau in den Fußnoten angegeben wurden. Dies lässt eine arbeitsaufwendige Betreuung durch die Herausgeber vermuten, was angesichts von fast 30 Aufsätzen eine besondere Herausforderung gewesen sein dürfte. Allein dies spricht für die besondere Qualität des vorliegenden Sammelbandes.

Angesichts des umfangreichen Inhalts kann in einer Rezension verständlicherweise nicht näher auf alle oder einzelne Texte eingegangen werden. Insofern konzentrieren sich die folgenden Ausführungen eher auf eine Inhaltsangabe bzw. Überblicksdarstellung. Die Aufsätze wurden in vier Rubriken eingeteilt. In der Einleitung machen die Herausgeber die Richtung noch einmal deutlich, einhergehend mit einer Bejahung der IHRA-Definition und einer gegenüber der JDA-Definition formulierten Kritik. Danach fällt der Blick auf die Entwicklung direkt nach dem 7. Oktober, aber ohne die historischen Hintergründe zum jeweiligen Thema zu ignorieren. Man findet hier Beiträge zur kontinuierlichen Relevanz der Kritischen Theorie für solche Zusammenhänge, aber ebenso viel Detailkritik an einzelnen Intellektuellen, insbesondere an Judith Butler und deren israelfeindlichen Statements. Auch der politische Diskurs mit „German guilt“ von links und mit „Schuldkult“ von rechts sind gesonderte Themen. Gleiches gilt für antisemitische Projektionen etwa auf TikTok.

Der globale Antizionismus und Judenhass stehen danach im Zentrum. Den Anfang macht ein kritischer Blick auf die Israel gegenüber von der UNO ausgesprochenen Verurteilungen. Danach geht es um andere Perspektiven, etwa zum israelbezogenen Antisemitismus in Lateinamerika, aber auch zu Konspirationsideologien in der Türkei. Erschreckend sind die Daten zu antisemitischen Einstellungen unter Muslimen. Und dann wird noch einmal gesondert auf die Israelfeindlichkeit in unterschiedlichen Kontexten geschaut, sei es in der Ambivalenz eben Israel gegenüber in der Neuen Rechten, sei es hinsichtlich der linken Schuldabwehr und deren Ursprüngen. Außerdem wird an bedeutsame historische Details erinnert, etwa die kommunistische Kooperation mit dem antisemitischen Mufti. Selbst die Ambivalenzen in Feminismus und Postkolonialismus sind jeweils Thema. Manch andere bedeutsame Aspekte konnten nicht aufgenommen werden, aber selbst ein so voluminöser Sammelband kann diesbezüglich nie vollständig sein.

Stephan Grigat / Karin Stögner (Hg.): Projektiver Antizionismus. Antisemitismus gegen Israel vor und nach dem 7. Oktober, Nomos Verlag 2025, 600 S., erschienen auch im Open Access als kostenfreier PDF-Download.

Leseproben:

–> Kritik des projektiven Antizionismus
Israel als „Jude unter den Staaten“ und das „Gerücht über den Zionismus“

–> Memefizierter Antisemitismus
Protest und antisemitische Projektion auf TikTok, Instagram & Co im Schatten des 7. Oktobers