Im Chor der Vielen

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Von Ramona Ambs

Die „Ich-bin-kein-Antisemit-aber“-Fraktion wird täglich größer.

Schuld daran hat natürlich Israel.
Und die bösen Juden, die einem ja IMMER wenn man was gegen Israel sagt, Antisemitismus vorwerfen:

Dabei war der 7.Oktober doch nur der gelungene Vorwand, um Völkermorde zu begehen. In Gaza, im Iran- überall, wo sie nur können. Und die hungernden Kinder sind Israel egal.
Aber man muss sich jetzt ENDLICH wehren, sich nicht MUNDTOT machen lassen. Keiner traut sich ja mehr, was zu sagen. Dabei hat man doch grade als Deutscher die moralische Verpflichtung Israel zu kritisieren. Und außerdem: es gibt ja keine Zwangssolidarität. Wir wissen was ein Völkermord ist! Wir sehen den Rachefeldzug, das Aug-um-Aug und lassen uns nicht weiter Sand in dieAugen streuen! Und die Nazi-Zionistenhaben das eh alles geplant Man muss die Verbrechen der israelitischen (!) Regierung benennen dürfen, ohne als Feind gebrandmarkt zu werden!
„.usw.

(alles „mit-letzter-Tinte“ Zitate von ehemaligen Facebook/Insta-Freunden)

– Lustigerweise wundern sich diese Leute dann, dass ihnen nach und nach die jüdischen Freunde wegbrechen.
Ja wieso nur?

Sie sind doch keine Antisemiten!

Sie sind doch so reflektiert.
Sie engagieren sich doch seit über zehn Jahren schon gegen Rasssismus! Und haben außerdem auch schon mal einen Stolperstein geputzt. Sie meinen es doch gut und wollen nur Frieden.-

Ja mei,- wieso nur brechen die jüdische Freunde dann weg?
Ich verrat Euch ein Geheimnis:

Es liegt NICHT daran, dass Ihr Netanyahu scheiße findet.

Es liegt auch NICHT daran, dass Euch die Kinder in Gaza leid tun.

Es liegt auch NICHT daran, dass Ihr Euch gegen Hunger engagiert oder für die Einhaltung des Völkerrechts seid.

Das sehen viele Juden nämlich exakt genauso.

Es liegt an dem, was und wie Ihr es sagt.
Es liegt auch an dem, was Ihr nicht sagt.

Und es liegt am timing und am setting.

Wer mit einem Posting einen roten Teppich ausrollt für Judenfeinde -und dann trotz überschaubarer Kommentarmenge dem augekübelten Antisemitismus nicht widerspricht, der darf sich nicht wundern, wenn jüdische Follower das Weite suchen…

Wer nämlich meint ausgerechnet jetzt in den Chor der Israelkritiker einstimmen zu müssen, wo unter Vorwand des Gaza-Konfliktes jüdisches Leben hierzuland bedroht ist wie nie, hat offenbar kein Gespür dafür, wie sich Juden derzeit fühlen.

Wie es sich anfühlt täglich Hass abzukommen.

Wie es ist, wenn man hundertmal am Tag kontrolliert, ob die Davidsternkette unterm T-Shirt liegt.

Wie es ist, wenn man ein Taxi ruft und nicht mitgenommen wird.

Wie es ist, wenn sich immer mehr Palästinaflaggen im Viertel breit machen…

Wie es ist, wenn täglich mehr und mehr Dämonisierung stattfindet und man nur noch mit eingezogenem Kopf unterwegs ist, weil man dauernd den nächsten Schlag erwartet…

Wie es ist, langsam keine Luft mehr zu bekommen.

Wer also in so einer Situation ganz unbedingt Israel kritisieren will, kann das natürlich tun. Aber warum tut man das?
Hat man dadurch die Situation der Palästinenser in Gaza verbessert?
Hat es irgendeine neue Erkenntnis parat, die andere Leute nicht haben oder kennen?

Was ist es, dass da so unbedingt raus will, ja geradezu explosionsartig raus muss? 

Wann immer ich mir die Mühe gemacht habe nachzufragen, kamen emotionale Antworten. Also nicht etwa: „Ich habe die Statistiken der Lebensmitteleinfuhren der letzten Jahre/Monate nach Gaza durchgearbeitet und kann nun deshalb sagen, was genau und wieviel fehlt und an wem das liegt“, sondern: „für mich fühlt sich das wie ein Völkermord an.“

Aha.
Na dann.
Hau raus den Scheiß.

Dein Gefühl ist ein Ressentiment, aber sich damit auseinanderzusetzen wäre natürlich anstrengend…

Singt halt mit im Chor derjenigen, die so tun, als seien sie epochal mutig, weil sie nachblöken, was grad eh alle sagen. – Aber erwartet nicht, dass jüdische Freunde dann bleiben und sich dem aussetzen. Es gibt da draußen Hass genug- das braucht man dann nicht noch im Nahbereich. Echt nicht.

1 Kommentar

  1. Wie es ist, wenn eine Gruppe von Frauen aus dem selben Haus ihr Gespräch unvermutet einstellen, wenn du vorübergehst.

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