In unserer neuen Artikelreihe stellen wir Relikte des fränkischen Landjudentums vor. Jahrhundertealte aufgelassene Friedhöfe, Gebäude, die einst als Synagogen dienten, aber auch andere steinerne Zeugnisse, wie etwa Inschriften oder Symbole. Das Landjudentum ist schon lange nicht mehr existent. Bereits im 19. Jahrhundert lösten sich zahlreiche der kleinen Gemeinden auf. Die restlichen wurden während des Nationalsozialismus liquidiert. Doch vereinzelt gab es nach 1945 erneut jüdisches Leben auf dem Land – davon zeugen die Hachscharot-Kibbuzim, Bauernschulen, in denen Überlebende der Shoa für ihre Zukunft in Erez Israel ausgebildet wurden…
Erste Hinweise auf jüdische Einwohner in Giebelstadt (heute im Landkreis Würzburg) lassen sich für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts belegen. Dabei handelt es sich offensichtlich um Juden, die von Fürstbischof Julius Echter aus dem Gebiet des Hochstiftes Würzburg vertrieben wurden. Eine jüdische Gemeinde ist ab Mitte des 18. Jahrhunderts in Giebelstadt dokumentiert; sie bestand bis zur Auflösung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1941. Die letzten Juden wurden im März 1942 nach Izbica deportiert. Nach dem Krieg kehrten nur zwei Juden nach Giebelstadt zurück. Einer von ihnen war Otto Mannheimer, der sich dafür einsetzte, dass der im 17. Jahrhundert angelegte und während der NS-Zeit geschändete Friedhof im heutigen Ortsteil Allersheim wieder instandgesetzt wurde. Otto Mannheimer lebte bis zu seinem Tod in Giebelstadt, er starb 1967 und fand auf dem Friedhof in Allersheim seine letzte Ruhestätte.
Ab April 1948 lassen sich jedoch bis zu 1.700 Juden in Giebelstadt nachweisen. Sie stammten aus dem zur Schließung vorgesehenen DP-Camp Vilseck (Oberpfalz) – diese Unterkünfte wurden nämlich von der US-Armee beansprucht. Deshalb wurde ein komplettes Camp umgesiedelt und die Menschen mussten sich in die Häuser des ehemaligen „Fliegerhorstes Giebelstadt“ einquartieren lassen. Dort warteten die zumeist osteuropäischen Juden weiterhin auf eine Auswanderung nach Israel oder Übersee. Gleichwohl gründeten sie in ihrem „Wartesaal“ viele soziokulturelle Einrichtungen, wie eine Volksschule, eine Bibliothek, einen Kindergarten, ein Theater und eine Synagoge. Das Camp bestand bis Juli 1949. Heute erinnert in Giebelstadt nichts mehr an die jüdische Gemeinde auf Zeit.
Der jüdische Friedhof liegt südlich von Allersheim und ist über den Seebachweg zu erreichen. Das Gebäude der Synagoge in Allersheim wurde 2014 abgetragen und soll im Fränkischen Freilandmuseum (Bad Windsheim) wieder aufgebaut werden.
Nach der Besichtigung des Friedhofs ist ein Abstecher nach Gaukönigshofen zu empfehlen. Dort wurde die ehemalige Landsynagoge renoviert und ist als „Kreisgedenkstätte“ zu besichtigen.
Im „Gasthof zum Gaugrafen“ kann man den Tag mit typischen fränkischen Speisen und einem Glas Wein aus der Region beschließen. – (jgt)
Leider nur mit dem Auto zu erreichen: A 3, Ausfahrt Würzburg-Heidingsfeld /Giebelstadt
Tipp!
Spuren jüdischer Geschichte in Stadt und Landkreis Würzburg – Ein Wegweiser für junge Leute. Hrsg. vom Landkreis Würzburg in Zusammenarbeit mit dem Partnerlandkreis Matah Yehuda (Israel) und dem Kooperationsprojekt Landjudentum in Unterfranken. Würzburg 2013. Download der pdf-Datei
Quellen:
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918–1945. Geschichte und Zerstörung, München 1979
Jim G. Tobias, Zu Pessach nach Unterfranken. Das jüdische DP-Camp Giebelstadt 1948-49, Nürnberg 2005.