Aktuelle Entwicklungen des Antisemitismus

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Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, (3.v.re), DIE LINKE, begrüßt die Mitglieder des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus. Dr. Juliane Wetzel (7.v.re) und Patrick Siegele stellen im Beisein zahlreicher Bundestagsabgeordneter den Bericht zur aktuellen Entwicklung von Antisemitismus in Deutschland öffentlich vor. Gruppenfoto. Ordnungsnummer: 3889739 Name: Pau, Petra,Wetzel, Juliane Ereignis: Veranstaltung Gebäude / Gebäudeteil : Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal Nutzungsbedingungen: http://www.bundestag.de/bildnutz Es werden nur einfache Nutzungsrechte eingeräumt, die ein Recht zur Weitergabe der Nutzungsrechte an Dritte ausschließen.

Antisemitismusbericht an den Deutschen Bundestag übergeben…

Nach zwei Jahren gemeinsamer Arbeit hat der vom Deutschen Bundestag im Dezember 2014 eingesetzte Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus in Berlin seinen Bericht zur aktuellen Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Bericht berücksichtigt insbesondere die Perspektive der von Antisemitismus Betroffenen.

Hier stellt der Expertenkreis eine deutliche Wahrnehmungsdiskrepanz fest: Während die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus nicht als relevantes Problem wahrnimmt, sehen sich Jüdinnen und Juden in Deutschland einer wachsende Bedrohung ausgesetzt. Neben der Verunsicherung durch den Rechtspopulismus wird auch der Antisemitismus unter Muslimen als Problem wahrgenommen, aktuell besonders unter dem Aspekt von Flucht und Migration. Um jüdisches Leben in Deutschland stärker zu schützen und Antisemitismus zu bekämpfen, fordert der Expertenkreis u.a. die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten, der bereits vorhandene Bemühungen zur Bekämpfung von Antisemitismus koordinieren soll.

Die Wahrnehmung einer steigenden Gefahr durch Antisemitismus in der jüdischen Bevölkerung lässt sich laut dem Expertenbericht auf die gewachsene Bedeutung der sozialen Medien zurückführen. Diese sind zentral bei der Verbreitung von Hassbotschaften und antisemitischer Hetze. Jüdinnen und Juden in Deutschland sorgen sich außerdem aufgrund alltäglicher antisemitischer Erfahrungen zunehmend um ihre Sicherheit. Diese gelten häufig nicht als Straftatbestand, werden gar nicht erst angezeigt oder von den Strafverfolgungsbehörden nicht als antisemitisch bewertet. Der Expertenkreis fordert eine verbesserte Erfassung und Ahndung antisemitischer Straftaten sowie die Stärkung von Beratungsangeboten für die von Antisemitismus Betroffenen.

Neben der Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten zählt die Verstetigung eines Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus zu den zentralen Forderungen des Berichts. Darüber hinaus wird eine dauerhafte Förderung der Präventionsarbeit gegen Antisemitismus sowie die Schaffung einer Bund-Länder-Kommission gefordert, um länderspezifische Maßnahmen besser zu koordinieren. Auch die langfristige Förderung wissenschaftlicher Forschungsprojekte zu Antisemitismus in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen stellt eine Forderung dar. Daneben empfiehlt der Expertenkreis, auch antimuslimische sowie andere Vorurteile und Ausgrenzungen zu analysieren, da hier Überschneidungen zu antisemitischen Haltungen sichtbar werden, die für die vom Expertenkreis vorgeschlagenen Präventionsmaßnahmen grundlegend wichtig sind.

Über den Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus

Dem Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus gehören neun Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Bildungspraxis und Zivilgesellschaft an, die sich intensiv mit der Bekämpfung von Antisemitismus befassen. Der vorgelegte Bericht beschäftigt sich auf rund 300 Seiten mit aktuellen Entwicklungen des Antisemitismus in Deutschland in Gesellschaft, Medien, Politik, politischen Bewegungen, Sport, Religion sowie im Bereich Flucht und Migration und verknüpft wissenschaftliche Analysen mit Forderungen und Handlungsempfehlungen für Akteure aus Politik und Gesellschaft. Am 14. Juni 2017 findet in Berlin eine öffentliche Tagung zum Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus statt.

Zentralrat der Juden fordert Antisemitismus-Beauftragten auf Bundesebene

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland hat seine Forderung nach Berufung eines Antisemitismus-Beauftragten erneuert. Bislang fehlt es sowohl an einem zentralen Ansprechpartner auf Bundesebene als auch an einer ressortübergreifenden und nachhaltigen Beobachtung von Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Daher sollte ein Antisemitismus-Beauftragter mit Sitz im Bundeskanzleramt unabhängig von Legislaturperioden eingesetzt werden.

Dazu erklärt der Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster: „Der Expertenkreis hat eine ernüchternde Analyse vorgelegt. Es wird deutlich, dass wir im Kampf gegen Antisemitismus nicht nachlassen dürfen, zumal das Internet inzwischen unendliche Möglichkeiten bietet, Antisemitismus weltweit und rasant zu verbreiten. Der Expertenkreis hat konkrete Handlungsempfehlungen gegeben, die alle relevanten Felder abdecken. Ein Antisemitismus-Beauftragter sollte dafür Sorge tragen, dass die Empfehlungen umgesetzt werden und nicht in Schubladen verschwinden. Politik und Zivilgesellschaft sind gefordert, hier mitzuwirken.“

Nach Einschätzung des Zentralrats der Juden ist es notwendig, auf allen politischen Ebenen sowie in Schulen, Ausbildung und Integrationskursen Antisemitismus zielgerichteter zu bekämpfen. Dies macht auch die Experten-Umfrage unter Juden deutlich. Die große Mehrheit der Befragten betrachtet Antisemitismus darin als großes Problem. Eine bessere Beratung für Menschen, die von Diskriminierung und Antisemitismus betroffen sind, ist erforderlich. Der Zentralrat der Juden begrüßt daher die Einrichtung einer solchen Beratungsstelle durch das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.

Eine verbindliche Antisemitismus-Definition, die alle Facetten von Antisemitismus berücksichtigt, fehlt bislang in Deutschland, ist jedoch als Handlungsgrundlage für seine Bekämpfung dringend erforderlich. Polizei und Justiz hätten damit ein Werkzeug an der Hand, um antisemitische Straftaten konsequenter als bisher zu verfolgen und zu ahnden. In Großbritannien wird eine solche Definition bereits erfolgreich angewendet.

Dazu Zentralratspräsident Dr. Schuster: „Erst wenn wir etwas genau definieren, können wir es auch effektiv bekämpfen. Der Komplexität von Antisemitismus muss Rechnung getragen werden. Gerade der grassierende Israel-bezogene Antisemitismus fällt momentan viel zu oft durchs Raster.“

Bereits seit mehreren Jahren wird auf internationaler Ebene an der Etablierung einer umfassenden Definition von Antisemitismus gearbeitet. Der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises unterstreicht die Notwendigkeit einer solchen Definition.

Der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises

Bild oben: Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, (3.v.re), DIE LINKE, begrüßt die Mitglieder des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus. Dr. Juliane Wetzel (7.v.re) und Patrick Siegele stellen im Beisein zahlreicher Bundestagsabgeordneter den Bericht zur aktuellen Entwicklung von Antisemitismus in Deutschland öffentlich vor. (c) Deutscher Bundestag / Achim Melde