Diese Geschichte beginnt genau genommen schon im Jahr 1960, denn alles, was meine Hauptfigur in den 80er Jahren erlebte und von dem hier die Rede sein soll, wäre ohne diese Vorgeschichte sicher ganz anders verlaufen…
Von Adriana Stern
„Der Meinung bin ich auch.“ Tamara grinst mich verwegen an. „Lehn dich zurück, mach’s dir bequem. Ich werde die Geschichte am besten selbst erzählen.“
Das passiert manchmal, dass Romanfiguren lebendig werden. Am besten lasse ich mir die Verwunderung nicht allzu sehr anmerken. Zögernd reiche ich ihr meinen Stift.
Ihre Fingerspitzen trommeln ungeduldig den Takt einer Melodie, die nur sie hören kann.
„Wie wolltest du jetzt weitermachen?“
„Na ja, es geht um Deine Zeit als Lesbe in den 80er Jahren. Das ist das Wesentliche.“
„Okay, rutsch mal ein Stück.“
Ab welchem Zeitpunkt im Leben eines Menschen kann von politischem Bewusstsein gesprochen werden? Gesetzt dem Fall, es ist überhaupt möglich, sich auf eine Definition davon zu einigen, ab wann bezeichnet dann ein Mensch sein Handeln, Denken, Fühlen als politisch?
Ist Intuition politisch?
Einiges von dem, was in meiner Kindheit geschah, habe ich erst viele Jahre später verstanden. Zum Beispiel, warum meine Mutter mich vor meinem ersten Schultag beiseite nahm, mich prüfend ansah und dann sagte: „Tamara, wenn dich in der ‚Schule‘ jemand fragt, woher der Name Mara kommt, dann wirst du sagen, in Wirklichkeit heiße ich Marianne. Ist das klar?“
„Aber …“, weiter kam ich nicht.
„Ist das klar? … Marianne?“
Die ganze Nacht über bin ich immer wieder aufgewacht, aber irgendwie, frag bloß nicht wie, hatte ich mir den Namen Marianne tatsächlich bis zum nächsten Morgen fest eingeprägt.
Auch dass mich der Vater meines Vaters mit seinem Sezierblick fixierte, als ich sieben Jahre alt wurde. „Lass dich mal ansehen.“ Ich traute ihm schon damals nicht und versuchte sofort, ihm zu entkommen.
„Stillgestanden!“, befahl er grollend. Das genügte.
„Nun“, ließ er nach einer Weile eingehenden Studiums verlauten. „Keine fliehende Stirn, immerhin. Und blaue Augen. Wenn nur diese ‚jüdische‘ Nase nicht wäre.“
Erschrocken wich ich einen Schritt zurück.
Um zu verstehen, dass die Antwort auf einen Aufsatz zum Thema: Was würdest du tun, wenn du eine Millionen DM gewinnen würdest, eine politische Aussage ist, musste ich erst erwachsen werden. Ich bekam eine sechs, dabei hatte ich mir besondere Mühe damit gegeben zu erklären, warum ich eine Million DM auf keinen Fall besitzen wollte.
Ich habe meine Meinung dazu übrigens im Laufe der Jahre nicht geändert.
„Tamara, meinst du, das ist jetzt wirklich wichtig für dein lesbisches Leben in den 80er Jahren?“ Zweifelnd mustere ich den Bildschirm.
Tamara seufzt tief auf. „Vertrau mir einfach, du wirst es am Ende schon verstehen.“
Ich war ungefähr acht, als ich begriff, dass ‚Geld‘ zu haben ‚Macht‘ bedeutet. Macht an sich finde ich ganz in Ordnung, nicht dass das jetzt irgendjemand falsch versteht. Nur wie meine reichen Klassenkameraden sie anwandten, lehnte ich ab. Sie nahmen sich das Recht, körperliche und psychische ‚Gewalt‘ anzuwenden, und niemand hielt sie auf.
„Und eins sag ich Dir.“ Tamara dreht sich abrupt zu mir um. „Das hat eine Rolle gespielt in meinem Leben. Tut es bis heute.“
„Okay, okay, ich sag ja gar nichts.“
„Dann ist ja gut“, knurrt sie kurz angebunden und ist schon wieder in ihren Text vertieft.
Je reicher meine Mitschüler waren, umso weniger Phantasie schienen sie zu haben. Und soweit man den Einkauf irgendwelcher Autos, Kassettenrekorder etc. überhaupt als kreativ bezeichnen kann, hörte sie damit auch gleich wieder auf. Ein Regenbogen am Himmel ging genauso spurlos an ihnen vorbei wie an mir der Besitz eines Perserteppichs. Am meisten allerdings quälten und verhöhnten sie meine beste Freundin Dragana, nur weil sie nicht in einem richtigen Haus wohnte, sondern in einem Wohnwagen aus Holz.
Ich liebte den Wohnwagen. So sehr, dass ich am liebsten mit der Familie von Dragana fortgezogen wäre. Weit, weit weg von diesen Kindern, die sich mit Geld alles kaufen konnten, deren Herz sich dafür aber immer mehr in Stein zu verwandeln schien.
Ich habe Dragana aus den Augen verloren, als ich ins Gymnasium wechselte. ‚Roma’mädchen wie sie waren in diesen Schulen nicht anzutreffen. Solche Ausgaben wie ich mit geflickten Hosen, kaputten Schuhen und konstanter Ebbe in der Hosentasche allerdings waren ebenfalls höchst seltene Vögel.
„Wie viel Geld du auf dem Konto hast, ist gar nicht so wichtig.“ Einer von Mamas Standardsätzen. „Wichtig allein ist nur das, was du im Kopf hast. Nur das kannst du überallhin mitnehmen.“
„Du kannst ihr das gerne bezahlen, von mir bekommt sie jedenfalls nichts.“ Als Grubenarbeiter konnte er sich ein Gymnasium wahrscheinlich nicht einmal vorstellen. Mama dagegen hielt Bildung für das höchste Gut.
„Wie haltet ihr es nur zusammen aus?“, wollte ich mit zehn Jahren wissen.
„So schwer ist das eigentlich nicht zu verstehen. Ich hatte keine Chance in die Schule zu gehen damals. Für ‚Kinder‘ wie mich gab es kein Recht auf Bildung. Und na ja, nach dem ‚Krieg‘ war ich ganz allein. Nur dein Vater hat mir geholfen. Wir waren beide sechzehn.“ Sie lächelt. „Ich habe ihn wirklich geliebt. Er war der Einzige, der mir Halt gegeben hat. Der Einzige weit und breit, der ein Herz hatte.“ Dieses Thema war Glatteis. Für Mama und auch für mich.
„Er hat mir ein Dach über dem Kopf gegeben, mich vor seinen Eltern verteidigt, ist mit mir zusammen abgehauen, als seine Eltern nicht wollten, dass wir heiraten. Sogar mit Enterbung haben sie ihm gedroht.“
„Und Papa?“
„Valentin hat nur gelacht. An diesem Erbe klebt Blut!“, hat er geschrieen. „Lasst mich bloß damit in Ruhe.“
Tamara sieht von der Tastatur auf. „Vielleicht kommt daher mein gebrochenes Verhältnis zum Geld“, flüstert sie und ich, die ich ihr atemlos durch die getippten Sätze gefolgt bin, nicke.
„Wieso wollten sie das verbieten?“, schreibt Tamara weiter und ich ziehe mich vorsichtig in mich zurück, um sie nicht zu stören.
„Dein Opa war eben ‚Nazi‘ und ist es geblieben, wie die meisten nach dem Krieg. Das ist die Wahrheit.“ Sie stockt. „Und deswegen gibt es dieses ‚Mädchen‘ nicht mehr. Und hat es sie auch nie gegeben. Ich bin jetzt katholisch, genau wie du, alles andere ist in diesem Land viel zu gefährlich. So, du hast mich gefragt und ich habe dir geantwortet. Und damit lassen wir es jetzt gut sein. Geh schlafen, Marianne.“
„Kannst du dir vorstellen, dass mir das erst gerade wieder eingefallen ist.“
„Wie ging es weiter?“, frage ich ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.
„Mit dreizehn habe ich ‚Das Tagebuch der Anne Frank‘ gelesen. Da wurde mir klar, was Mama mit Familientradition meint, wenn das Haus bis Freitagmittag geputzt und alle Kinder vor Sonnenuntergang gebadet sein mussten. Vor Einbruch der Dämmerung zündete sie zwei Kerzen an und wir aßen selbst gebackenes weißes Zopfbrot.“
Eine Weile huschen ihre Finger über die Tastatur wie hungrige Vögel im Abendwind.
Mit dreizehn also wusste ich Bescheid. Mama brauchte gar nichts mehr zu sagen, schließlich gab es in der Schule all diese Dokumentationen über die ‚Shoa‘, die wir uns ansehen mussten, egal ob wir davon Alpträume bekamen oder nicht.
Einmal allerdings wurde ich unfreiwillig Zeugin eines Gespräches zwischen meinen Eltern.
„Du musst Bergen Belsen endlich vergessen Eva“, beschwor mein Vater Mama eindringlich. „Denk nicht mehr daran, dann träumst du auch nicht mehr davon. Bitte Eva, du musst diese Zeit endlich hinter dir lassen. Sie macht dich kaputt. Dich und mich und Tamara. Hast du sie dir in den letzten Wochen mal angesehen? Sie sieht schon genauso aus wie du. Damals, als ich dich in diesem Keller fand.“
Vor dem Spiegel studierte ich mein Spiegelbild. Minuten? Stunden? Ich weiß es nicht mehr.
Tamara reißt den Blick vom Bildschirm los und sucht stattdessen meinen. „Ob du es glaubst oder nicht, aber ich sah genauso aus wie sie. Genau wie Anne Frank.“ Tamara löst wie in Zeitlupe die Hände von der Tastatur und bedeckt ihr schweigendes Gesicht. „Auch sie war in Bergen Belsen“, sagt sie nach Ewigkeiten schließlich leise.
„Für uns wird es nie vorbei sein.“, antworte ich ihr ebenso leise. „Uns fehlen die Großeltern, die Großtanten, die Großenkel, und alle die, die nie geboren worden sind. Alle die, die es niemals gegeben hat und niemals geben wird. Niemals geben kann. Nach denen wir benannt sind. Deren Leben wir leben sollen, ohne das uns jemand erklären kann, was für ein Leben das sein soll.“ Tamara nickt.
Mit sechzehn verliebte ich mich in Thea. Sie ging in meine Parallelklasse.
Ohne Wissen meiner Mutter und gegen ihren Willen war ich gerade aus der katholischen ‚Kirche‘ ausgetreten. Außerdem schwänzte ich permanent die Schule, weil ich die Lehrer nicht ertragen konnte. Dieses stundenlange Zuhören, die Dummheit von Erwachsenen, deren Mist ich auch noch in Klassenarbeiten wiederkäuen sollte. Das ging alles viel zu weit für meinen Geschmack.
Niemand hat mir gesagt, dass Albert Einstein Jude war, Stefan Zweig, Heinrich Heine, Franz Kafka, Mascha Kaleko, Woody Allan, Steven Spielberg, die Marx Brothers, Sigmund Freud, Kurt Tucholsky. Oh Mann, das Schweigen war einfach vollkommen. Ich fühlte mich schrecklich allein. Und ausgerechnet da musste ich mich in Thea verlieben.
Tamara lacht.
Ihr Vater verkaufte Kruzifixe in einem niederrheinischen Wallfahrtsort.
Sie dreht sich zu mir um und grinst von einem Ohr zum anderen.“ Das hat was, stimmt’s.“
Sie wartet meinen Kommentar gar nicht ab.
Mit sechzehn kapierst du nicht, das fünfzehn Jahre nach der Shoa geboren quasi bedeutet, ihr nur mit Haaresbreite entkommen zu sein. Mit sechzehn bedeuten fünfzehn Jahre ungefähr ein halbes Jahrtausend. Ich, eine Überlebende der zweiten Generation? Was sollte ich damit anfangen?
Die vielen Nächte Alpträume mit Bildern aus den ‚KZ’s, in denen ich nicht war, die ich nur aus ‚Film’en kannte, ich habe es irgendwie kapiert, irgendwo im letzten hintersten Eckchen meines Gehirns, das ich damit etwas zu tun hatte, trotz des halben Jahrhunderts.
In Theas Elternhaus fand ich all das wieder, was ich schon aus der Schule kannte und weshalb ich schließlich die höchste Fehlquote hatte.
„Diskutiert wird nicht“, herrschte Theas Vater Thea an, bevor sie überhaupt nur den ersten Buchstaben eines Warum? formulieren konnte. „Wer viele dummen Fragen stellt, bekommt viele dumme Antworten. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“
Ich wollte einfach nur weg.
Damals habe ich lediglich verstanden, dass ich Thea liebte. Und das so etwas in der normalen Welt von „Hier wird nicht diskutiert“ und „Setzen sechs“ einfach nicht vorkam. Lesben gab es nicht. Mädchen hatten keine eigenständigen sexuellen Gefühle. Mädchen und ‚Sex‘ passten nicht zusammen. ‚Juden‘ gab es schließlich auch nicht.
Meine heimliche Beziehung zu Thea war geprägt von gegenseitigen Verletzungen, bis ich mit achtzehn die Flucht nach ‚Berlin‘ ergriff.
Eine Wohnung hatte ich nicht, also musste es eines der besetzten ‚Häuser‘ sein. Straßenkampf, Besetzerrat, ‚Jugend’bewegung und zusätzlich ein Café für Frauen gleich um die Ecke. Ein guter Anfang.
Ich verliebte mich in Hanna, Mutter einer knapp einjährigen Tochter und überhaupt eine tolle Frau, und geriet in Panik, gerade weil ich Hanna so toll fand und Thea immer noch im Hinterkopf hatte. Ich stürzte mich in die Affäre mit einem Mann, wurde für zwei Jahre ernsthafte ‚Studentin‘ und ließ mich im Café nicht mehr blicken.
Bis Nuray auftauchte. Meine Liebe zu ihr trieb mich zu meinem ultimativ letzten Versuch, es als Heterofrau zu probieren. Ich wurde schwanger und gab meinem Sohn den Namen Raphael, kurz Rafi. Ich floh vor meiner Liebe zu Nuray und suchte mir mit Rafi ein Zimmer in einer ‚Wohngemeinschaft‘ mit anderen Kindern. Die ‚WG‘ organisierte, dass ich ab und zu abends ausgehen konnte und Rafi in der WG blieb oder sein Vater sich um ihn kümmerte.
Ich ging wieder in mein altes Café, in dem ich Hanna traf, in die ich immer noch genauso verliebt war wie drei Jahre zuvor. Mittlerweile war mir egal, welche Folgen meine Liebe zu Hanna haben würde, wir wagten es. Ihre Tochter Shuly und Rafi verstanden sich prima, nur der Rest der Lesbenwelt nahm Rafi nicht eben freundlich auf.
Schließlich war er ein Junge (was man ihm im zarten Alter von zwei Jahren nun wirklich nicht ansah). Als Hartmut, der Vater von Rafi Angst bekam, ich würde ihm seinen Sohn vorenthalten, heiratete ich ihn, damit er das Sorgerecht bekam und sich keine Sorgen mehr machte. Und auch, weil ich wollte, dass er sich mehr um Rafi kümmerte.
Mein erster Besuch in einer Lesbenkneipe in Berlin Kreuzberg erfolgte erst 1991, als ich mir meiner lesbischen Identität schon sicher war, und war ziemlich kurz. „Heterofrauen haben hier keinen Zutritt“, wurde ich gleich an der Tür abgewiesen.
Hanna klärte mich auf: „Schätzchen, mit schulterlangen Haaren und einen Minirock, dazu noch geschminkten Augen und Lippen, ich fürchte, damit fällst du zu sehr aus dem Rahmen. Nur unter uns, du sieht phantastisch aus.“
Ich musste mir eine Wohnung suchen, weil die WG keine Lesbe duldete und weil keine Lesbenwohngemeinschaft Rafi aufnehmen wollte.
Auf der zweiten Berliner Lesbenwoche 1986 traf ich andere Lesben aus der ‚Arbeiterschicht‘, die sich ‚Prololesben‘ nannten. Mit ihnen habe ich mich ziemlich wohl gefühlt. Sie verstanden meine Abneigung gegen Flickenjeans und meine Verwunderung darüber, dass Lesben nie darüber sprachen, wieviel Geld sie einmal erben würden.
Parallel zu meiner ersten Lesbenwoche, besuchte ich eine Synagoge in Kreuzberg. Manchmal nahm ich Rafi mit, und er spielte mit den anderen Kindern, während ich der hebräischen Sprache lauschte, die ich aus meiner Kindheit kannte. Mama hatte Kerzen, Wein und Brot gesegnet und auch Lecha Dodi gesungen, mit dem am Freitagabend der ‚Schabbat‘ empfangen wird.
Ich führte ab dieser Zeit so eine Art Doppelleben.
In der Synagoge wunderten sich die Anderen, dass ich einen christlichen Mann geheiratet hatte, die Trennung 1987 war ihnen dagegen schon eher verständlich. Ich hätte in der ‚Synagoge‘ niemals sagen können, dass ich lesbisch bin. Sie war schließlich orthodox. Liberale ‚Gemeinde’n wurden erst zehn Jahre später gegründet. Bei der Scheidung sprach die Richterin das Sorgerecht dem Vater zu, wegen meiner lesbischen Lebensweise und meiner politischen Vergangenheit. Meine lesbisch-feministische Anwältin fand das eine Superlösung. „Sollen sich ruhig die Männer um ihre Söhne kümmern“, sagte sie zufrieden, während ich am gleichen Abend vor Verzweiflung von einer Brücke sprang …
Zwei Monate später trennten Hanna und ich uns, obwohl wir uns bis heute lieben.
Rafi ist mittlerweile 23, Shuly fast 26.
Darüber, das wir beide ‚Jüdin’nen sind, haben wir erst kurz nach der Wende gesprochen, weil wir beide die Aufkleber Neunter November – ich war dabei und Ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein nicht ertragen konnten.
Weder auf der Lesbenwoche, noch in der Prologruppe noch bei unserem selbst organisierten Kickbox- und Straßenkampftraining erwähnte ich jemals, das ich Jüdin bin. Auch mein Leben mit Rafi ging fast spurlos an den Lesbenzusammenhängen vorbei. Nur zum Frauen’widerstand’scamp in den ‚Hunsrück‘ nahm ich ihn mit. Er liebte es, in Zelten zu wohnen, mit anderen Kindern zusammen zu sein und den ganzen Tag draußen zu leben, um abends am Lagerfeuer mit den anderen Kindern Geschichten zu hören, die ich meistens selbst erfunden hatte, bevor er schlafen ging. Als Rafi vier wurde, überlegte ich sehr lange, ob ich ihn noch einmal zum ‚Camp‘ mitnehmen kann. Einige Frauen mit ‚Gewalterfahrung‘ in der Kindheit hatten ihn im Sommer zuvor ziemlich schlecht behandelt, und ich wollte Rafi auf keinen Fall weiteren Aggressionen aussetzen.
Zur gleichen Zeit arbeitete ich in einem Frauen’projekt‘ für Mädchen, die von sexueller Gewalt betroffen waren. Und schloss mich dem Arbeitskreis Autonomer Frauenprojekte (1) an, in dem ich mich mit Anderen für eine Quotierung in Frauenprojekten einsetzte.
„Eine Quotierung Schwarzer Frauen bedeutet, dass wir unsere Arbeitsplätze aufgeben müssen, die wir uns schließlich selbst geschaffen haben.“
Das ‚WIR’ in diesem Fall bezog sich ausschließlich auf ‚weiß’e ‚deutsch’e ’nichtjüdisch’e Frauen und Lesben, ohne jedoch definiert zu werden. Ein Phänomen, das mir in ähnlichen Diskussionen übrigens permanent begegnete. Ansonsten konnte ich Ansichten wie „ Das Boot ist voll“ und „Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ auch in der ‚BILD‘ nachlesen. Beschriebene Gemeinsamkeiten mit der BILD fielen in feministischen Zusammenhängen gar nicht auf.
Ich suchte für unser Projekt nach Schwarzen Frauen, ‚Migrantin’nen und Jüdinnen.
„Denkst du nicht, das ist für eine Frau, die dem jüdischen Glauben angehört, eine Beleidigung?“, fragte mich eine Kollegin besorgt. Ich war so baff, dass mir in dem Moment überhaupt keine schlagkräftige Antwort einfiel.
Mich beschäftigte die ‚Familie‘ meines Vaters in dieser Zeit sehr. Mein Großvater war nicht nur nach wie vor überzeugter ‚Nationalsozialist‘, er hat zwischen 1933 und 1945 auch dafür gesorgt, dass hunderte Asoziale, wie er sie nannte, in ‚Konzentrationslager‘ verschleppt wurden. Natürlich hat er gewusst und gewollt, was die Menschen erwartete. Mit fünfzehn brach ich den Kontakt zu den Eltern meines Vaters ab, mein Vater hatte sich kurz zuvor umgebracht. Meine Großeltern haben Rafi nie zu Gesicht bekommen.
Auf der vierten Lesbenwoche wurde Rassismus Thema und ebenfalls wurde die Existenz jüdischer Lesben erwähnt. Sie schrieben nicht lesbische Jüdinnen, nein, sie schrieben jüdische Lesben. Vielleicht waren sich die Organisatorinnen der Lesbenwochen ja auch nicht sicher, ob Jüdinnen sich andernfalls beleidigt fühlen könnten?
Meine jüdische ‚Identität‘ war für mich zu dieser Zeit in Lesbenzusammenhängen kein Thema. Ich war sowieso unsichtbar und hatte Mamas Worte noch lange nicht vergessen. Aber ‚Rassismus‘ war für mich ein wichtiges Thema. Während eines Antirassismusworkshops wurden wir gebeten, uns immer wieder auf zwei Seiten zu verteilen. Prolkids links, ‚Mittelschicht’stöchter rechts, sexuell misshandelte Frauen links, nicht Betroffene rechts, Schwarze Frauen links, weiße rechts. Zum Schluss sagte die Leiterin. „Jüdinnen nach links, Nichtjüdinnen nach rechts.“ Die rechte Seite füllte sich und ich war wie erstarrt. Ganz zum Schluß erst ging auch ich auf die rechte Seite, genau wie Hanna.
„Wir wissen nicht, ob Jüdinnen in diesem Workshop sind“, sagte die Leiterin. „Sie sind unsichtbar und viele glauben, es gibt sie nicht. Diejenigen von euch, die nicht auf die linke Seite gegangen sind, wissen, dass es anders ist.“
Seitdem nannte ich mich wieder Tamara, brauchte aber trotzdem noch vier weitere Jahre, ehe ich in Lesbenkreisen darüber sprach, jüdisch zu sein.
Die meisten Frauen, die nun von mir wussten, dass ich Jüdin bin, sagten mir trotzdem weiterhin, dass sie sich mit Judentum und ‚Antisemitismus‘ nicht auseinandersetzen könnten, weil sie schließlich keine Jüdin persönlich kennen. Ich hätte mich also getrost auch damals schon auf die linke Seite stellen können.
Ronja, mit der ich zusammen in der Prologruppe war, warf den anderen irgendwann an den Kopf, dass sie sich als Jüdin in der Gruppe unterdrückt und missachtet fühle und die Gruppe deshalb verlassen würde. Wir alle waren ziemlich schockiert, weil Ronja das nie vorher angesprochen hatte.
Sie traf sich ab diesem Tag nur noch mit Schwarzen Frauen und behandelte uns alle wie den letzten Dreck. Ich hatte gerade Lena, eine ‚afrodeutsch’e Freundin, in meine Wohnung aufgenommen, die von einem Tag zum anderen vor Nazis aus ‚Dresden‘ nach Berlin fliehen musste. Eigentlich mochten Lena und ich uns, aber die Rassismusdebatte trennte uns immer weiter voneinander. Als sie darauf bestand, den Mietvertrag für die Wohnung übernehmen zu wollen, um die Machtverhältnisse zwischen uns zu ändern, musste ich ablehnen. Der Vermieter akzeptierte keine andere Hauptmieterin und wartete nur darauf, einen Grund zu haben, mir fristlos kündigen zu können. Der Fakt, dass Rafi immer wieder bei mir lebte, hatte zu seinem Bedauern für eine Kündigung nicht gereicht. Allerdings war Untervermietung verboten, so dass Lena sich noch nicht einmal amtlich anmelden konnte.
Die Stimmung auf den Lesbenwochen und Lesbenfrühlingstreffen wurde für mein Empfinden zunehmend gewalttätig. Rassismus wurde mit einer Brutalität verhandelt, die mich zutiefst entsetzte. Als eine Schwarze Frau 1994 auf dem Abschlussplenum der Lesbenwoche schließlich einen Revolver auf mich richtete und schrie, sie würde gleich abdrücken, war meine Grenze erreicht.(2) Auch wenn es sich nur um eine Spielzeugpistole handelte, was für mich nicht zu erkennen war, wusste ich, dass es die letzte Lesbenwoche war, die ich besucht habe.
Der Schock ging damals viel tiefer als ich in Worten beschreiben kann.
‚Unterschiede‘ in der deutschen Lesbenbewegung haben meiner Erfahrung nach immer zu Trennungen geführt, niemals zu Bereicherung, nicht einmal wirklich zum Streit.
Bei meinem ersten Besuch in Israel habe ich in einem Frauenzentrum gearbeitet. Bis zum letzten Tag habe ich nicht herausgefunden, welche Frauen Lesben waren und welche ‚Männer‘ liebten. Für die Frauen war das vollkommen unwesentlich. Die Unterschiede zwischen den Frauen wurden lautstark ausgetragen und die Frauen haben die Unterschiede ständig miteinander ausgekämpft. In ‚Israel‘ gehe ich einfach täglich damit um, zu sein, die ich bin. Streit bedeutet Wachstum. Und ich wachse gern.
Das ist meiner Ansicht nach der größte Unterschied zwischen der Frauen / Lesbenbewegung in Israel und in ‚Deutschland‘.
In Deutschland ist ein Streit immer ein Trennungsgrund und Unterschiede führen zu ‚Selektionen’. Ich wähle den Begriff an dieser Stelle absichtlich, und er lässt mich schaudern.
Entspreche ich nicht einer ‚Norm‘, dann werde ich ausgegrenzt. Unterschiede in Deutschland machen offenbar Angst, und Lesben sind davon nicht ausgenommen.
Viele Lesben aus der aktiven Lesbenbewegung haben den Kontakt zu mir abgebrochen, nachdem ich Mitte der 90er Jahre offiziell Mitglied einer jüdischen Gemeinde wurde. Die anderen, nachdem ich mich in eine Frau verliebte, die die ‚biologisch’en Tatsachen erst schaffen konnte, als sie schon erwachsen war.
Meine lesbischen Freundinnen verstanden beides nicht. „Wie kannst du Mitglied einer solch ‚patriachal’en Gemeinschaft wie ausgerechnet dem ‚Judentum‘ werden.“
„Was die Juden heute in ‚Palästina‘ machen, ist auch nichts anderes, als was die Deutschen damals mit den Juden taten.“
„Wie kannst du dich freiwillig einem solchen System unterwerfen.“
„Wie kannst du dich in Eine verlieben, die, na ja ich meine, doch nicht wirklich eine Frau ist?“
Seltsam, mein ganzes Leben lang habe ich immer versucht, alle Fäden zusammenzukriegen. Gelungen ist mir das nur in Israel, in meiner jetzigen Beziehung und mit einzelnen Freunden und Freundinnen, die so ziemlich aus allen Teilen dieser Erde kommen. Es gehört nur noch eine nichtjüdische deutsche Lesbe der damaligen Lesbenbewegung in Deutschland dazu. Einige Prololesben mag ich noch immer, wir haben uns einfach aus den Augen verloren. Sind verschiedene Wege gegangen. Bei den meisten Lesben jedoch waren es die Unterschiede und der Umgang damit, weshalb der Kontakt abbrach. Ich bin nicht damit klargekommen, dass sie sich nicht mit ihrer Geschichte, ihrer Vergangenheit, ihrer Familie auseinandersetzen wollten, um keinen Preis.
„Du möchtest wissen, ob ich meiner Mutter verziehen habe, dass sie ihre Geschichte versuchte zu verbergen, um mich zu schützen?“ Tamara sieht mich an.
„Nur um meinetwillen,“ sage ich. „Auch ich habe schließlich lange verschwiegen, dass ich Jüdin bin. Wie meine Mutter,“ füge ich erklärend hinzu.
„Unsere Mütter haben lediglich versucht uns davor zu bewahren, die gleiche Geschichte in Deutschland noch einmal zu erleben.“ Tamara sieht den Worten nach, die sich im Raum wie die Kringel von Tabakrauchwolken nur langsam und graziös auflösen. „Ich glaube nicht, dass ich ihnen das wirklich verübeln kann.“
„Die Erlösung heißt ‚Erinnerung’“, sagt ein hebräisches Sprichwort und genau das entspricht meinem Erleben.
Seit einigen Jahren unterrichte ich Kinder und Jugendliche der Jüdischen Liberalen Gemeinde und wenn David, sechs Jahre alt, im jüdischen Kinderunterricht beim Ansehen des Filmes Der Prinz von Ägypten feststellen kann „Ach, wir haben die Pyramiden gebaut“ muss ich mir keine Sorgen darum machen, das er nicht verstanden hat, wie jüdische Vergangenheitsbewältigung funktioniert.
Für die deutschen nichtjüdischen Lesben der Lesben’szene‘ scheint es immer genau umgekehrt gewesen zu sein. Ich könnte sagen, dass sie alle immer darum bemüht waren, sich bloß nicht zu erinnern. Bloß niemals all das gegenwärtig werden lassen, bitte keine Besinnung auf alte Traditionen, bloß kein Gedanke an deutsche Kultur und damaliges Liedgut. Um Himmels Willen kein Damals, ganz gleich wie lange es her ist.
Keine deutsche nichtjüdische Lesben, die ich kennenlernte hatte einen ‚SS‘-Großvater. Und alle wussten schon immer, dass sie Lesben sind und sparten ihre ‚Hetero’zeit in Gesprächen aus, natürlich auch jegliche Demütigung schwarzer Mitschüler. Schließlich wussten theoretisch ja alle, was Rassismus bedeutet, also haben sie persönlich sich daran auch nie beteiligt. Keine Großeltern also, die meine vergasten, keine Eltern, die ‚Hier wird nicht diskutiert’, schrieen, oder ‚Reden ist Silber, Schweigen ist Gold’ skandierten. All das ist irgendwie nie passiert. Dennoch: Die Familie meiner Mutter wurde in ‚Bergen Belsen‘ ermordet.
Ich stupse Tamara an. Und räuspere mich. „ Du, ich war vor einem Monat auf einer Fachtagung zum Thema Rechtsextremismus in Deutschland. Ich weiß, wir schreiben das Jahr 2006, und das ist nun wirklich von 1990 ganz schön weit entfernt. Aber da ist mir endlich klar geworden, dass es überhaupt keinen neuen Rechtsextremismus in Deutschland gibt. Der ist so alt wie die die Geschichte selbst. Die Kinder von heute leben einfach nur die Traditionen ihrer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern weiter. Sozusagen ungebrochen seit 1933.“
„Warum,“, schreit mich eine weiße lesbische Freundin an „warum musst du mich immer und immer wieder daran erinnern, dass in diesem Land irgendwann mal Schreckliches geschah, für das ich schließlich auch nichts kann? Warum musst du diese Scheiße nur immer wieder aufwühlen. Nach fünfzig Jahren muss doch mal Schluss sein damit, oder? Reicht es denn immer noch nicht?“
Verwirrt starre ich sie an. Hat sie nicht noch vor einer Woche behauptet, dass all das, woran ich leide, überhaupt gar nicht stattgefunden hat? Mindestens nicht in ihrer Familie und auch nicht in der all ihrer Freundinnen? Wieso kann sie dann nicht ertragen, dass irgendjemand die Familie meiner Mutter schließlich in Bergen Belsen ermordet hat? Ich bestehe ja gar nicht darauf, dass es ihre Großeltern gewesen sind. Nur, mit Verlaub, irgendjemand hat es getan, und nur darüber will ich sprechen können. Sie hat im Gegensatz zu mir schließlich Großeltern gehabt. Ob sie mir nicht wenigstens in diesem Punkt Recht geben kann?
Wenn ich wählen könnte zwischen der Möglichkeit, Großeltern, Cousinen, nicht traumatisierte jüdische Freunde und eine Synagoge in der Nähe zu haben oder sechzig Jahre lang mit einem schlechten Gewissen rumzulaufen, ich bräuchte keine Sekunde, meine Wahl zu treffen.
Ach ja, was ich vergaß. Sie und viele andere Lesben werden von diesen Großeltern irgendwann erben. Vielleicht ja das Erbe meiner Großeltern, das an mich hätte gehen können, wären sie nach1933 nicht systematisch enteignet worden? Kommt der Unwille, in der deutschen nichtjüdischen Lesbenszene über ‚Geld‘ zu sprechen vielleicht daher?
Ich bin nicht scharf darauf, die SS-Vergangenheit der Großeltern meiner Freundinnen aufzuspüren und ich verlange auch ihr Erbe nicht für mich. Schließlich wollte ich eine Million DM schon mit elf Jahren nicht besitzen.
„Ungefähr da hast du mit meiner Geschichte begonnen.“ Tamara nimmt die Hände von der Tastatur.
„Einen schönen Abend noch“, sagt sie, bevor sie im Skript verschwindet.
Ich mache nicht der Lesbenwelt an sich oder ausdrücklich einen Vorwurf. In Deutschland passieren diese Dinge überall, wo ich mich aufhalte. Für die meisten Deutschen scheint es immer besonders wichtig gewesen zu sein, alle Wurzeln umgehend abzuschneiden, bevor sie überhaupt eine Chance hatten, welche zu werden.
Lesben hatten keinen Sex mit Männern. Ihre Eltern waren im ‚Nationalsozialismus‘ zu klein, um ‚Täter‘ gewesen zu sein. Und die Eltern ihrer Eltern haben einfach nur versucht, zu überleben und die Kinder so gut es ging vor dem Zugriff der Nazis zu beschützen.
Im Nationalsozialismus haben wir demnach alle doch letztlich im gleichen Boot gesessen. Die verfolgten Juden gemeinsam mit all denen, die nichts wussten und nur versuchten, selbst zu überleben und ihre Familie zu retten.
Gut, ich sträube mich ja gar nicht gegen diese Erkenntnis. Okay, nehmen wir an, so ist es tatsächlich. Warum dann aber will nur ich immer darüber reden, während meine nichtjüdischen deutschen Freundinnen all das endlich ad acta legen möchten? Wenn unsere ‚Geschichte‘ solch eine gemeinsame ist, warum wollen meine nichtjüdischen deutschen Freundinnen dann unbedingt einen ‚Schlussstrich‘ darunter setzen?
Bei so viel ‚Gemeinsamkeit‘ der Geschichte ist mir dieser Punkt bis heute immer noch unklar geblieben.
Adriana Sterns Beitrag „Ab heute heißt du Marianne – Lesben und Antisemitismus“ erschien in: „In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben„, herausgegeben von Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut, Querverlag September 2007. Mehr von Adriana Stern: www.adriana-stern.de
Anmerkungen:
(1) Der Arbeitskreis Autonomer Frauenprojekte wurde 1989 oder 1990 gegründet. Es gab eine Gruppe von Migrantinnen, Schwarzen Frauen und Jüdinnen darin, die sich für Quotierung einsetzte.
(2) Auf der Lesbenwoche 1994 hatten Schwarze Frauen im Rahmen einer Protestaktion auf einem Plenum ihrem Ärger mit Spielzeugpistolen Luft gemacht.
[…]Grundgesetz vereinbar, Heißt du Marianne? Lesben und Antisemitismus […]
Schon gut, Ihre persönliche sexuelle Orientierung ist hier ohne Belang, dafür aber, und das können Sie drehen und wenden wie Sie wollen, weist Ihr Beitrag eine eindeutig homophobe Tendenz auf, und das ist bitter:
G-tt hat Mann und Frau erschaffen. Die erste Frau Chawa kam sicherlich nicht auf die Idee lesbisch zu werden, sonst wären gleich keine Nachkommen geboren worden und …
Für mich immer wieder überraschend an dem Ganzen ist, dass sich hier, trotz des sich geradezu überbordend humanistisch und überaus antirassistisch gebärdenden Teilnehmer-Paneels, niemand findet, gegen so etwas zu argumentieren.
An dem Bericht empörte mich nicht, dass jemand lesbisch lebt, sondern, dass die Autorin erzählte, dass ihr kleiner Sohn dort abgelehnt wurde und sie aus Verzeiflung darüber den Freitod wählen wollte, also, „ein unglaublicher Zwiespalt und eine Vergewaltigung natürlicher Gefühle“.
Leider habe ich mich nicht differenziert genug formuliert und die Erwähnung „also Monsterfrauen“ war eindeutig ein Fehler, dafür entschuldige ich mich.
PS: „lesbisch zu leben ist für mich als Frau nicht nachvollziehbar“, erwähnte ich nur als Orientierung meiner Lebensform ohne Bewertungen unterstreichen zu wollen.
Lesbisch zu leben ist mir als Frau nicht nachvollziehbar.
Verlangt auch keiner. Außerdem haben Sie, wenn Sie schon unbedingt religiös argumentieren müssen, absolut Recht – Gott hat Mann und Frau geschaffen!
Er hat aber auch die homosexuelle Orientierung geschaffen, und damit ist diese gleichwertig.
Insofern können Sie davon ausgehen, dass es ein schweres Vergehen ist, sich über Homosexuelle verächtlich zu äußern, diese herabzuwürdigen, bzw. ihnen das Recht absprechen zu wollen, ihrer Persönlichkeit entsprechend leben zu dürfen.
PS: So nebenbei bemerkt, es gibt eine große Anzahl an Lesben, die sehr Wohl Kinder haben, ihnen Wärme, Geborgenheit und Sicherheit bieten, und lustig – die sind meist hetero orientiert, diese Kinder. 😉
Lesbisch zu leben ist mir als Frau nicht nachvollziehbar.
Der Geschichte nach handelt es sich ständig um Auseinandersetzung, sogar mit den Gleichgesinnten. Friedlich geht es da keinesfalls zu, dass sogar das „männliche“ Kind Verachtung und Ablehnung erfährt – also Monsterfrauen.
Ein unglaublicher Zwiespalt und eine Vergewaltigung natürlicher Gefühle.
G-tt hat Mann und Frau erschaffen. Die erste Frau Chawa kam sicherlich nicht auf die Idee lesbisch zu werden, sonst wären gleich keine Nachkommen geboren worden und seit ihrem Tod wäre die Welt gähnend leer – uns gäbe es nicht – seltsame Vorstellung.
Großartig!Sehr gute Geschichte und interessan geschrieben.Frau Stern schreibt immer was am Hertz liegt.Und wenn wir es lesen,ist es doch die Warheit des Leben.Und schreibt sie oft was wir denken aber nicht sagen,also mit Mut .
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Ein wunderbarer Text, voller hochinteressanter Ansätze und Gedanken, bei dem ich mich wundere, dass er so wenige haGalil-Leser zur Diskussion angeregt hat.
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Ich erlaube mir den Versuch einige offengebliebene Fragen zu beantworten und hoffe eine Diskussion einzuleiten.
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„Die Erlösung heißt ‘Erinnerung’“, sagt ein hebräisches Sprichwort und genau das entspricht meinem Erleben.
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Erinnern, seelisch und rational verarbeiten, mit gutem Gewissen abschließen ohne dabei zu vergessen – dieser Gedanke steckt in dem Sprichwort.
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Warum aber fällt so vielen von uns Deutschen gerade dieses Erinnern so ungeheuer schwer?
(„Für die deutschen nichtjüdischen Lesben der Lesben’szene’ scheint es immer genau umgekehrt gewesen zu sein. Ich könnte sagen, dass sie alle immer darum bemüht waren, sich bloß nicht zu erinnern. Bloß niemals all das gegenwärtig werden lassen, bitte keine Besinnung auf alte Traditionen, bloß kein Gedanke an deutsche Kultur und damaliges Liedgut. Um Himmels Willen kein Damals, ganz gleich wie lange es her ist.„)
bzw.
(„Warum,“, schreit mich eine weiße lesbische Freundin an „warum musst du mich immer und immer wieder daran erinnern, dass in diesem Land irgendwann mal Schreckliches geschah, für das ich schließlich auch nichts kann? Warum musst du diese Scheiße nur immer wieder aufwühlen. Nach fünfzig Jahren muss doch mal Schluss sein damit, oder? Reicht es denn immer noch nicht?“
Verwirrt starre ich sie an.)
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Warum?
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Adriana Stern beantwortet uns diese Frage zum Teil bereits selbst:
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„Aber da ist mir endlich klar geworden, dass es überhaupt keinen neuen Rechtsextremismus in Deutschland gibt. Der ist so alt wie die die Geschichte selbst. Die Kinder von heute leben einfach nur die Traditionen ihrer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern weiter. Sozusagen ungebrochen seit 1933.“
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Nein, nicht erst seit 1933, liebe Freunde, sondern seit dem Mittelalter, oder sogar seit davor wie ich auch in meinen zahlreichen Beiträgen für haGalil mehrfach belegt habe.
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Bei Gesprächen mit gutinformierten Deutschen, oder mit Landsleuten die nachdenken, stelle ich immer wieder fest, dass Wissen über die schwarzen Seiten der eigenen Geschichte durchaus vorhanden ist, dennoch kein Bedürfnis besteht, dieses Wissen um das ‚Schlimme‘ an der eigenen Kultur zu verbreiten oder offen zu diskutieren.
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Das hat den Grund, dass ein intensiveres Beschäftigen mit der eigenen Geschichte am Ende zu den Wurzeln des Übels stoßen würde und die würden das Weltbild bzw. das Selbstverständnis von sehr vielen von uns Deutschen ins Wanken bringen, denn sie haben mit dem Christentum zu tun.
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Immer noch sind die meisten von uns Angehörige einer der beiden Staatskirchen und berufen sich auf das, was sie christliche Kultur nennen.
Diese christliche Kultur hat tatsächlich Positives bewirkt, in der Kunst, in der Architektur, in anderen eher zweitrangigen Gebieten – nur menschlich hat sie bedauerlicherweise total versagt. Es erübrigt sich, glaube ich, hier erneut detailvoll an die Hexenverfolgungen, den Mord an Juden, „Zigeunern“, Ketzern, Homosexuellen etc., die im Namen der Kirche geschahen, einzugehen.
Katholiken und Protestanten tragen eine schwere Bürde mit sich herum, wenn sie zu denjenigen gehören, die sich der Geschichte ihrer Konfession voll bewusst sind und sie meinen mehrheitlich durch Beschweigen, duch ‚Nichterinnern‘ verhindern zu können, dass Tatsachen endlich zu Gemeingut werden.
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Es ist die ungeheure Verlogenheit einer Kultur, die zu feige ist, ihr Versagen offen einzugestehen.
Leider, muss man hier sagen, verteilt sich die Schuld in etwa gleichmäßig auf Protestanten und Katholiken und da eine Krähe der anderen bekanntlich kein Auge aushackt, wird auch keine der beiden alten Gegnerinnen der anderen gegenüber eine offene Anklage wagen, denn zuviel gäbe es sich selbst vorzuwerfen.
Und so bleibt Alles beim Alten, nichts rührt sich, nichts ändert sich, keiner erkennt einen Anlass mit dem „Erinnern“ zu beginnen.
Am wenigsten werden Bischöfe oder andere Kirchenobere etwas verändern wollen, denn sie werden gut bezahlt dafür, dass sie den alten Zustand absegnen und verlängern helfen.
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Das deutsche Volk hingegen, das, wenn es nicht weiss, so dann doch zumindest vermutet, jedoch leidet, sein Selbstwertgefühl leidet, seine Seele leidet…
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Sollten wir diese Hilflosigkeit, dieses vermeintliche Nicht-aus-unserer-Haut-Herauskönnen, diese nur scheinbar ausweglose Situation nicht endlich zugunsten kommender Generationen beenden und reinen Tisch machen?
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Vielleicht ist es Zeit für die Auseinandersetzung mit einer provokativen These:
Weil die Rechte das Böse schlechthin repräsentiert, hat sich der Umkehrschluss hartnäckig gehalten, dass die Linke entsprechend das Gute ist. Viel zu lange haben nur wenige bemerkt, dass gerade auch die linke Seite des politischen Spektrums das Gift des Antisemitismus viel größer und offener über die Republik verstreut hat, als es jemals die doch zumindest im Westen völlig isolierten Neonazis könnten. Die Lesbenbewegung gerade der 80er war einfach nur eine besonders verbissene Ausprägung dieser Linken, in der die Konturen besonders scharf hervorstachen und vielleicht ist das auch heute noch so. Antiisraelisch zu sein ist Pflicht und das gute daran ist ja, dass man überall unwidersprochen behaupten kann, dass das ja so gar nichts mit Antisemitismus zu tun hätte. Ob Hamas und andere Extremausprägungen des Islam auch nun wirklich nichts mit sozialistischem Weltbild zu tun haben wird dann völlig zweitranging, wenn es darum geht diese Leute gegen die finsteren Aggressoren unter dem Davidstern zu unterstützen. Ein toter Jude, der in der Shoa ermordet wurde, ist ein guter Jude, ein lebender Israeli hingegen so etwas wie ein moderner Nazi, eine ganz wundervolle Lebensweisheit, die dem (nicht nur politischen und linken) Deutschen ungemein hilfreich ist, die Vergangenheit der Großeltern zu relativieren. Die Bösen, das sind die Neonazis, gegen die demonstriert man und dann ist man anders und bei nächster Gelegenheit demonstriert man unter Hamas und Hisbollah Fahnen und findet das völlig normal. Es gibt keinen Fernsehjournalisten mit Ausnahme vielleicht von Ulrich Sahm, der auch nur noch den Versuch unternimmt, israelische Positionen zu verstehen und alle würden völlig überrascht schauen, wenn man sie des Antisemitismus ziehe. Das ist seit den 70er Jahren über dieses Land gewabert und inzwischen weitgehend Allgemeingut.
Ich finde es spannend, diesen sehr schmerzhaften Text zu lesen, als gleichaltriger immer politischer Mensch, vielleicht unkonventionell denkend, aber sich von der Autorin dadurch fundamental unterscheidend, dass ich männlich bin, nichtjüdisch, konservativ; also jemand, den die Autorin in den 80ern wahrscheinlich mindestens für ein Monster gehalten hätte. Aber ohne die vielen Ekelhaftigkeiten, die mir auch auf der “Nichtlinken†Seite begegnet sind, beschönigen zu wollen, ich hatte einen Vater, der mit 17 freiwillig zur Luftwaffe ging und sein ganzes Leben die Shoa nicht losgeworden ist, mir die dauernde Auseinandersetzung damit für mein Leben eingeimpft hat, ich selber werde mich wohl bis ans Ende meiner Tage damit beschäftigen und ich habe eine überraschend große Reihe von Freunden, mit denen ich immer wieder darüber diskutiere. Aber keiner von ihnen ist “linksâ€. Vielleicht ist das Zufall, vielleicht aber auch steckt dahinter die erschreckende Erkenntnis, dass seit den 68ern der als antiisraelisch verbrämte Antisemitismus ein Identifikationspunkt der deutschen Linken ist. Für die Autorin, die ihre politische Sozialisation dort, wo diese Linke nun auch noch am verbittersten ausgeprägt war, hinter sich gebracht hat, muss dies ein sehr schmerzhafter und schwer zu begreifender Prozess sein.
Begreifen, ehrlich gesagt, tue ich das auch nicht.
Als „Comment“ sicher zu lang, aber vielleicht eine denkanstossende Provokation.
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Man belegt Philosophie, Psychologie und was weiß denn ich – möchte alles hinterfragen, alles lernen, alles verstehen, es analysieren, begreifen, erklären können – nur um nicht zu weinen?
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Nur um nicht zu weinen.
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