Jüdisches Leben auf Aotearoa – dem Inselparadies im Südpazifik

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Natur pur, die auf der Nordinsel gelegene Coromandel Peninsula. Foto: Jim G. Tobias

„Juden waren in Neuseeland schon immer eine winzige Minderheit und machten vermutlich nie mehr als etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung aus“, schreiben Leonard Bell und Diana Morrow in ihrem Buch „Jewish Lives in New Zealand“. Demzufolge ist es auch nicht verwunderlich, dass die „Encyclopedia of New Zealand“ diesem Thema nur etwas mehr als eine Seite widmet. Gleichwohl spielten Juden eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Landes, da die Chroniken mit Julius Vogel (1835–1899), Francis Henry Dillon Bell (1851-1936) und John Key drei jüdische Premierminister verzeichnen…

Von Jim G. Tobias

Julius Vogel, der erste jüdische Premierminister Neuseelands.
Foto: John Morris (1853–1919) Public domain/Wikimedia

Vogel regierte von 1873 bis 1876, Bell hatte das Amt 1925 (für nur wenige Wochen) inne während John Key erst in jüngster Zeit das Land für acht Jahre führte – von 2008 bis 2016.

Schon zu Beginn der Einwanderung von europäischen Siedlern um 1830 hatten sich auch die ersten Juden in der britischen Kolonie Neuseeland niedergelassen, die jüdische Gemeinschaft zählte jedoch im Jahr 1848 landesweit lediglich 61 Mitglieder – 33 in Auckland und 28 in Wellington. Das entsprach – bezogen auf die 16.000 Siedler im Land – etwa 0,4 Prozent der weißen Bevölkerung. 1901 umfassten die jüdischen Gemeinden rund 1.600 Mitglieder, die größtenteils in den wenigen Städten lebten. Ähnlich wie der große Bruder jenseits der Tasmanischen See setzte die ab 1907 unabhängige Dominion Neuseeland auf nichtjüdische britische oder in Ausnahmen nordeuropäische Zuwanderung. Juden wurden als nicht assimilierbare Gruppe angesehen. Dessen ungeachtet traten antisemitische Vorbehalte gegen die wenigen Juden im Land in der neuseeländischen Gesellschaft kaum zutage. Erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland schürten einige Sympathisanten des NS-Regimes mit Büchern, Zeitungsartikeln und Karikaturen den Hass auf die Minderheit. Zudem tauchten in den Buchläden Ausgaben der antisemitischen und gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ auf. Als die ersten Nachrichten von der Barbarei der Nationalsozialisten in Neuseeland bekannt wurden, reagierte die Öffentlichkeit geschockt. Auch die Regierung bekundete ihre Anteilnahme am Schicksal der Juden in Deutschland, unternahm jedoch zunächst keine nennenswerten Schritte, jüdischen Emigranten Zuflucht zu gewähren. Vor 1938 erhielten lediglich 37 Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich die Erlaubnis, nach Neuseeland einzureisen. Zwischen 1938 und 1939 immigrierten weitere 251 Verfolgte und 1940 nochmals 423 Personen. Insgesamt nahm das Land rund 1.100 jüdische Flüchtlinge auf, darunter auch den Philosophen Karl Popper sowie den Schriftsteller Karl Wolfskehl.

Nach dem Zweiten Weltkrieg behielt die neuseeländische Regierung ihre restriktive Einwanderungspolitik bei – obwohl auch die einheimischen Zeitungen ausführlich über das Schicksal der wenigen Überlebenden der Shoa berichteten. Die örtlichen jüdischen Wohlfahrtsorganisationen versuchten verzweifelt, die Regierung umzustimmen und eröffneten ein eigenes Einwanderungsbüro. Vordringliches Ziel war es, vermisste Angehörige zu finden und diese im Rahmen der Familienzusammenführung nach Neuseeland zu holen. Die Behörden beteuerten, jeden einzelnen Fall wohlwollend zu prüfen, doch die Zahl der erteilten Einwanderungsgenehmigungen sprach für sich. Von 588 Anträgen wurden nur 120 bewilligt – in allen Fällen handelte es sich um Gesuche von nahen Verwandten, die für die Immigranten sowohl Wohnungen als auch den Lebensunterhalt garantierten. Die jüdische Gemeinschaft bürgte dafür, dass die Ankömmlinge keinerlei staatliche Leistungen in Anspruch nehmen würden. Darauf erteilte die Regierung nochmals 200 Genehmigungen. Wie Australien, so gestattete auch Neuseeland im Rahmen des IRO-Resettlement Programms zahlreichen Ukrainern, Polen und Deutschen die Ansiedlung im Land. Im Gegensatz zu den Opfern der nationalsozialistischen Herrschaft benötigte diese Gruppe keine Bürgschaften und musste das komplizierte bürokratische Einwanderungsverfahren nicht durchlaufen.

Vermutlich ab Anfang 1947 betreuten jüdische Hilfsorganisationen auch Auswanderer nach Neuseeland. „Das Interesse an unserem Neuseeland-Programm nimmt deutlich zu. Mittlerweile haben sich 175 Personen registriert und viele warten ungeduldig auf weitere Informationen über das Projekt“, notierte ein Mitarbeiter des Joint-Büros in München. Die Nachfrage ließ nicht nach, wie der Emigration-Report vom Mai 1947 belegt: „Wir erhielten 371 Anträge für die Auswanderung nach Neuseeland, mehr als drei Viertel davon stammten aus den DP-Camps Landsberg und Bad Reichenhall. Eine Liste mit 148 Namen haben wir bereits über unser Büro in Paris an die neuseeländischen Behörden übersandt. Wir erwarten weitere Einzelheiten bezüglich der Bedingungen und Möglichkeiten.“ Bis zum 31. Dezember 1947 hatten sich Hunderte von Personen für Neuseeland beworben – nur wenige erhielten eine Erlaubnis. Über 536 Anträge war bis zu diesem Stichtag noch nicht entschieden worden.

Hansi Silberstein war eine der wenigen, die eine Einreiseerlaubnis sowie einen Platz auf dem Schiff bekam. Die junge Frau hatte Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt und war nach der Befreiung im DP-Camp Frankfurt-Zeilsheim gestrandet. Sie erinnerte sich an eine Cousine ihrer Mutter und deren Mann, denen noch rechtzeitig die Flucht nach Neuseeland gelungen war. Im Herbst 1947 schickte die Verwandtschaft die nötigen Papiere und Hansi machte sich im Januar 1948 auf den Weg nach „Down Under“. Zunächst nahm sie den Zug nach Paris und von dort in die Hafenstadt Marseille, wo sie mit vielen anderen Auswanderern, zumeist nach Australien, auf einem ehemaligen Frachter die Reise ans andere Ende der Welt antrat. Es gab keine Kabinen, sondern nur große Mannschaftsräume, in denen die Passagiere, getrennt nach Männern und Frauen, einquartiert wurden. Nach knapp zwei Monaten ging das Schiff im westaustralischen Hafen von Fremantle vor Anker. Hansi Silberstein kam per Flugzeug mit Zwischenstopp in Sydney nach Hobsonville bei Auckland, wo sie von ihren Verwandten abgeholt wurde.

Wie viele Überlebende der Shoa letztlich in Neuseeland eine neue Heimat fanden, ist schwer zu beziffern – die offiziellen Statistiken geben darüber keine klare Auskunft. Nach Schätzungen dürften zwischen 1945 und 1948 rund 300 „Permits“ erteilt worden sein. Da diese Genehmigungen auch für Familien galten, kann die Gesamtzahl der Personen etwas höher liegen. Im Zeitraum von Januar 1949 bis Juni 1950 erhielten nochmals 76 jüdische Einwanderer die Erlaubnis, sich in Neuseeland niederzulassen. „Dies kann jedoch als nicht als besonders großzügig bezeichnet werden“, bewertete die neuseeländische Historikerin Ann Beaglehole das Verhalten ihrer Regierung kritisch. Auch das renommierte American Jewish Year Book beurteilte die Aufnahme von Überlebenden der Shoa lediglich mit einem einzigen, aber deutlichen Satz: „Während des Krieges und unmittelbar danach, ist die jüdische Einwanderung als unwesentlich zu bezeichnen.“ Die Wenigen, die eine Einreiseerlaubnis erhalten hatten, betrachteten ihr neues Zuhause jedoch als einen Glücksfall. Es befand sich weit weg vom europäischen Schauplatz des Hasses und der Gewalt und bot Glück und Ruhe, wie es jede andere Nation nur zu erträumen wagt.

Nach dem Zensus von 2013 lebten rund 7.000 Juden in Neuseeland – bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 4,2 Millionen. Die Hauptzentren des neuseeländischen Judentums sind Auckland, Wellington und Christchurch, wobei kleinere Gemeinschaften auch in anderen Städten leben.

Bild oben: Natur pur, die auf der Nordinsel gelegene Coromandel Peninsula. Foto: Jim G. Tobias

Neue Heimat am Ende der Welt
Australien und Neuseeland, die beiden Länder auf der anderen Seite unseres Erdballs ziehen seit ihrer Besiedlung durch Europäer vor über 200 Jahren viele Einwanderer magisch an. Auch Juden suchten dort Zuflucht, sei es etwa vor zaristischen Pogromen, der NS-Vernichtung oder vor den alltäglichen antisemitischen Anfeindungen in ihren Heimatländern…