Der Umgang mit dem Tragischen – Zufall oder Vorsehung?

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Für keine andere Krisensituation, in die ein Mensch geraten kann, gibt es im Judentum eine so reiche Tradition von Ritualen und Vorschriften wie für Trauer. Die jüdischen Trauerriten stellen einen Gegenentwurf zum heute weit verbreiteten Umgang mit Verlust und Trauer dar. Oft finden Trauernde in der modernen Welt keinen angemessenen Raum, in dem sie ihrer Trauer Ausdruck verleihen können und meinen, den gesellschaftlichen Erwartungen gemäß, weiter funktionieren zu müssen. Sie ziehen sich mit ihrer Trauer in Isolation und Anonymität zurück…

Die jüdischen Trauervorschriften hingegen schützen Trauernde vor Isolation und geben ihnen Halt. Die Autoren zeigen, wie im Judentum Trauernde durch die unterschiedlichen Phasen des Trauerprozesses begleitet und in die nun veränderte Welt zurückgeführt werden. Dabei unterstützen verlustorientierte und wiederherstellungsorientierte Traditionen die Trauerarbeit und sind damit eine Trauerbegleitung, die vor komplizierten Trauerverläufen schützen kann.

Mit Beiträgen von Yizhak Ahren, Salomon Almekias-Siegl, Tovia Ben-Chorin, Leah Floh, Larissa Karwin, Ari Kloke, Tom Kučera, Daniel Lemberg, Monika Müller, Ulrike Offenberg, Stephan M. Probst, Avraham Yitzchak Radbil, D’vorah Rose, Sibylle Schuchardt, Shani Tzoref

Stephan M. Probst (Hg.), Vom Umgang mit Verlust und Trauer im Judentum. Loss and mourning in the Jewish tradition, Hentrich und Hentrich Verlag Berlin 2018, 294 S., Euro 19,90, Bestellen?

Die Beiträge basieren auf dem Seminar „End-of-Life: Jewish Perspectives (3)„, das Ende Mai 2018 im Jüdischen Krankenhaus Berlin stattfand.

LESEPROBE

Der Umgang mit dem Tragischen – Zufall oder Vorsehung?

von Rabbiner Dr. Tom Kučera

Einige Texte im Machsor, dem Gebetbuch für die Hohen Feiertage, mögen uns unbehaglich stimmen. Im Umgang damit können wir uns entweder auf unsere Treue zur Tradition stützen oder die psychologische Herausforderung annehmen und unsere Komfortzone verlassen. Das Unbehagliche begegnet uns besonders im Mussaf von Jom Kippur mit dem Text Unetane tokef in den erschütternden Fragen: Wer wird sterben? Auf welche Art und Weise? Wir werden zwar getröstet, dass vieles in unseren Händen liegt und durch unsere Entscheidungen beeinflusst werden kann und doch ahnen wir, dass die Jiskor-Tafel in einem Jahr erweitert sein mag.

Am letzten Sonntag im Mai 2017 starb in München unerwartet im Alter von 48 Jahren Marcus Schroll, der begeisterte und begeisternde Religionslehrer und Kodirektor des neugegründeten jüdischen Gymnasiums der Israelitischen Kultusgemeinde München. Seine Lewaja fand an dem Tag und zu der gleichen Stunde statt, zu der ich ihn während seiner Rekonvaleszenz nach einer vorausgegangenen Herzoperation besuchen wollte. Die Frage, die mich wegen seiner einflussreichen Tätigkeit und besonders wegen seines unbescholtenen Lebenswandels nicht loslässt, ist: Warum gerade er? Diese Frage habe ich schon früher im Religionsunterricht angesprochen, weil mich eine Familie darum bat. Es war wegen des tragischen Todes eines Mitschülers meines Schülers. Eine Schulgruppe war im Gebirge, der Lehrer fuhr als Erster mit den Skiern den Abhang herunter, dann folgte der erste Schüler – eine plötzlich niedergehende Lawine tötete ihn als einzige Person aus der Gruppe. Wieder kam die Frage auf: Warum gerade er? In diesem Text möchte ich mich mit dieser Frage auseinandersetzen und versuchen, mögliche Antworten auf den tragischen Tod zu finden.

DAS ANTHROPOLOGISCHE ÜBEL

Die erste Antwort liegt im Menschen selbst, der einem anderen Menschen Leid zufügt, direkt durch seine verwerfliche willentliche Entscheidung oder indirekt, durch seinen unabsichtlichen, meistens jedoch verantwortungslosen Fehler (wie beim Zugunglück in Bayern im Dezember 2016).

Das willentlich herbeigeführte Tragische kommentiert Maimonides so: Seine Ursachen sind zahlreich und bekannt (wie sinnliche Leidenschaft, Jähzorn, Rachgier, Missgunst, Ehrgeiz, Herrschsucht, Habgier usw.) und sie rühren ebenfalls von uns selbst her[i]. Maimonides überrascht mit seiner optimistischen Einschätzung: Tatsächlich betrifft diese Art des Übels in seinen Augen viele Menschen nur in gewaltigen Kriegen, aber auch diese ereignen sich nicht im größeren Teil der bewohnten Erde[ii].

Das unabsichtlich geschehende Tragische hängt oft mit einem Mangel an persönlicher Disziplin zusammen, der in Vorstufen, sekundär, den willentlichen Bereich doch erreicht. Damit möchte ich sagen: Unser Bewusstsein macht nur den kleinsten Teil dessen aus, was in unserem Gehirn abläuft – das Bewußtsein hat kaum Zugang zu der gewaltigen und geheimnisvollen Fabrik, die im Hintergrund rattert[iii]. Diese beunruhigende Feststellung sehe ich durch spirituelle Übungen (wie Meditation, Yoga, Tefilla u.a. als regelmäßige Pflege unseres Unbewußten) kompensierbar, die sich in einer kritischen Situation positiv auf unser Bewußtsein auswirken können.

Nur am Rande erwähne ich, dass die moderne Hirnforschung das traditionelle Konzept des freien Willens in Frage stellt. Beispielsweise verändert das Auftreten eines Tumors im orbitofrontalen Kortex (OFC) nachweislich das Verhalten des Erkrankten und kann zu einer dramatischen Wesensänderung führen[iv]. Aber auch hier gilt: „explanation is no exculpation“, eine Erklärung befreit keinen von der Verantwortung[v]. Dennoch tauscht Eagleman die Schuldfähigkeit gegen die Formbarkeit.[vi]

DAS NATURÜBEL UND DIE WARUM-SUCHE

Die zweite Antwort betrifft das Übel, das uns mit Krankheiten, tragischen Unfällen oder Naturkatastrophen trifft. Maimonides spricht von dem Übel, mit dem die Natur des Werdens und Vergehens den Menschen trifft: die göttliche Weisheit hat bedingt, dass Werden nur durch Vergehen geschieht und ohne dieses individuelle Vergehen könnte das Werden der Art kein anhaltendes sein[vii]. Diese Beobachtung des mittelalterlichen jüdischen Denkers ordnet Gott eine indirekte Rolle im Tragischen durch die Festlegung seiner göttlichen weisen Naturordnung zu. Hierzu passen die rhetorischen Fragen als Antwort Gottes auf Hiobs Klage in seiner Suche nach dem unverständlichen Warum seiner tragischen Situation: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? […] Wer hat über sie die Schnur gezogen? […]Wer hat ihren Eckstein gelegt? […]Bist du gekommen an die Quelle des Meeres? Hast du die Gründe der Tiefe durchwandelt? Sind dir die Pforten des Todes enthüllt? Hast du die Pforten des Schattenreichs gesehen? […] Wo ist der Weg zu Lichtes Wohnung und die Finsternis, wo hat sie ihre Stätte?“ (Hiob 38:4-6,16-18). Auch wenn die Naturwissenschaft inzwischen viele der damals noch unbekannten Gebiete erforscht hat, betonen diese rhetorischen Fragen, dass die Wissenschaft mit jeder Entdeckung viele neue Fragen aufwirft und die Philosophie sich nach wie vor mit den grundlegenden Fragen des Seins auseinandersetzt. Dies nimmt Hiob im letzten Kapitel seines Buches an: „Ich erkenne, dass du alles vermagst. Denn unzulänglich ist dir nichts. Wer ist es, der verbergen mag den Sinn unbemerkt? Darum bekenne ich, wie ich nichts weiß, verhohlen ist es vor mir, und ich verstehe es nicht.“ (42:2-3).

Diese demütige Annahme der eigenen kognitiven Einschränkung wäre tatsächlich eine Antwort, die in der säkulären Version in der Redewendung „it is as it is“ zu finden ist. Das Problem ist jedoch, dass diese Einstellung nicht leicht zu akzeptieren ist, weil sie mit dem Hinweis auf die kompelexen Hintergründe das menschliche Bedürfnis nach einer simplen Antwort auf die Warum-Frage im Tragischen nicht berücksichtigt. Die Psychologie zeigt uns mit dem Begriff der Begründungsrechtfertigung, dass wir uns sehr schnell auch mit schlechten Begründungen zufrieden geben – Menschen sind „weil“-süchtig[viii]. Diese Psychologie geht mit der Physiologie des Hirnkonstruktivismus einher: unser Gehirn erträgt keine Widersprüche und überwindet diese dadurch, dass es sich eine eigene Wirklichkeit (oft im Gegensatz zum Objektiven) konstruiert[ix]. Leider begibt sich der Mensch mit dieser zwar logischen, keineswegs aber richtigen Beruhigung auf den Weg zur eigenen Schuldzuweisung: ich bin selbst schuld, weil ich dies oder jenes versäumt hatte. Auch wenn dies wegen eines unverantwortlichen Lebensstils bei einigen Krankheiten der Fall sein könnte[x], führt die eigene Schuldzuweisung meistens nur in die Enge. Harald Kushner ist der Autor des Buches „Wenn guten Menschen Böses widerfährt“. Bei seinem Sohn Aaron wurde im Alter von drei Jahren die seltene Krankheit Progerie, die mit einem extrem beschleunigten Altern einhergeht, diagnostiziert. Elf Jahre später starb er daran. Kushner lehnt als Rabbiner jede Erklärung für den tragischen Tod im Sinne einer Art Strafe kategorisch ab. Er erzählt in seinem Buch auch von einer Familie, die sich für den Tod ihrer Tochter verantwortlich fühlte, weil sie am letzten Jom Kippur nicht fastete. Kushner gibt zu, dass einige Stellen im Tanach (Gn 38:7; Jes 3:10-11; Spr 12:21) zum Glauben verlocken, dass Leuten Böses widerfährt, weil Gott ein gerechter Richter ist, der ihnen genau das zumisst, was sie verdienen[xi].

Tod als Strafe zu betrachten, ist für mich nicht akzeptabel und sollte meiner Ansicht nach nicht in Erwägung gezogen werden. Aber wie steht es mit der Symbolik der an den hohen Feiertagen erwähnten drei Bücher, dem Buch für die Guten, die Bösen und die Durchschnittlichen? Dies muss symbolisch betrachtet werden. Als das pädagogische Mittel, uns zum guten Leben zu ermutigen und zu erziehen. Nichts mehr, nichts weniger. Wenn überhaupt, kann man von Gottes Urteil, nicht von seiner Strafe sprechen. Doch der Grund bleibt uns verborgen, wie dem Josef K. in Kafkas Prozess. Weiß Gott ihn selbst?

Im Talmud befindet sich die berühmte Erzählung (Men 29b) von Mosche Rabenu, der die Jeschiwa von Rabbi Akiwa besucht. Mosche versteht zunächst kein Wort. Das deprimiert ihn. Als er jedoch seinen Namen hört und dass sich das Gesagte auf ihn, Mosche am Berg Sinai, bezieht, fühlt er sich wieder besser. Ist er verletzt in seiner Eitelkeit und darum deprimiert, oder braucht er wirklich eine Aufmunterung? Am Ende wendet sich Mosche an Gott: Ribbono schel olam, du hast mir die Tora von Rabbi Akiwa gezeigt. Nun zeige mir seinen Lohn.” Gott antwortete: „Dreh dich um.” Mein Talmudlehrer Admiel Kosman weist darauf hin, dass Gott Mosche nicht gleich zeigt, was er fordert, sondern ihn anweist, etwas dafür zu tun, sich selbst zu bemühen, sich umzudrehen. Was sieht Mosche dann? Ein Massaker. Das Martyrium von Rabbi Akiwa, das ich hier nicht weiter beschreibe. Mosche schrie auf: „Ribbono schel olam, dies ist die Tora, und dies ist ihr Lohn?” Der Ausschrei von Mosche ist die Frage, die ich schon zweimal gestellt habe: Warum gerade er? Was antwortet Gott in dieser talmudischen Geschichte? Schtok, kach ala bamachschewa lefanaj. Wortwörtlich: „Sei still, es erhob sich so im Gedenken vor mir.“ Einige übersetzen: „Schweige, so habe ich es beschlossen.“ Es kann aber auch anders übersetzt werden: „Sag nichts, weil auch ich dazu nichts zu sagen habe – es steht vor mir, wie es vor dir steht.“

ALTERNATIVE LOGIK

Der Talmud entwirft hier die Annahme des Tragischen als ernsthafte Option, ohne die Warum-Frage zu beantworten. Dies ist aber, wie erwähnt, psychologisch nicht einfach zu ertragen, fordert viel innere Arbeit und stellt uns die Frage nach der Rolle Gottes in der Welt.

Nachdem im März 2015 ein frommer Jude bei einem Flugzeugabsturz in den Alpen umgekommen war, schrieb seine Frau in der Jüdischen Allgemeinen, wir könnten nicht wissen, was Gott beabsichtigte. Ich gestehe, dass mich diese Antwort zunächst verstörte. Ich hätte nie ein tragisches Unglück mit Gott in Verbindung gebracht. Bei weiterem Überlegen sah ich jedoch ein, dass diese Einstellung für viele tröstend sein kann. Auch wenn dieser Gedanke für mich nicht richtig ist, ist er dennoch logisch. Logisch, aber nicht richtig. Dennoch hilfreich. Wir brauchen eine logische Antwort, die uns Gedankenmuster anbietet und unsere Warum-Sucht ein wenig mildert. Nach dem Motto: keine absolute Wahrheit, aber eine praktische Lösung. Auch wenn es für mich keine Antwort darstellt, sehe ich ein, dass es eine Stütze sein kann, wenn das Unverständliche kontextualisiert und damit ertragbar wird. Diesen Ansatz finden wir sowohl in der Psychologie als auch in einer Haftara (Wajelech, Jes 55:8): „Ki lo machschewotaj machschewotechem, denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, welo darchechem derachaj, und euere Wege sind nicht meine Wege, ne´um Adoschem, der Spruch des Ewigen.” Aus unserer Perspektive wird dies in Pirkej Awot, der jüdischen Ethik (PA 4:19) von Rabbi Janaj formuliert: “Ejn bejadenu … mijissurej haZaddikim, wir haben keine Erklärung für das Leiden der Gerechten.” Die offene Frage zuzulassen, ist nicht einfach, sie offen in einen Kontext mit Gottes zu setzen, ist individuell, aber sicher besser zu akzeptieren als viele fantasievolle und äußerst fragwürdige Erklärungen, wie z.B.: Diese gerechte Person war auf dem Gipfel ihrer Gerechtigkeit. Damit sie nicht den Berg heruntergeht, wurde sie von Gott genommen.

Die erklärungslose Annahme des Tragischen kennt auch die Philosophie unter dem Begriff „negative capability“, negative Fähigkeit, d.h. das Vermögen, Unsicherheit auszuhalten, mit der Ambiguität zu leben und Fragen, auf die es keine Antworten gibt, offen zu lassen[xii]. Neben der Philosophie ist es die Literatur, die das Tragische ohne Erklärung anzunehmen versucht, z.B. im Prozeß von Franz Kafka: Josef K. wird verurteilt, aber er weiß nicht wofür. Er versucht sich zu verteidigen, auch wenn er nicht weiß warum.

Dennoch lehnt Kushner Vorstellungen ab, die (auch nach dem Vorbild Hiobs) für eine demütige Annahme des Unverständlichen plädieren, wie im Bild eines gewebten Teppichs: Gott hat für das Leben eines jeden Menschen ein Muster gewebt, das wie ein Teppich zwei Seiten hat. Die Fäden dieses Musters symolisieren die Stationen unseres Lebens. Von unten gesehen – also vom Menschen aus – scheint das Muster wirr, sinnlos, zusammenhanglos. Aber von oben gesehen – aus Gottes Perspektive – hat jeder Knoten, jeder Faden seinen Platz, wird zum harmonischen Kunstwerk unseres Lebens, wie Gott es gewoben hat[xiii]. Darauf antwortet Kushner: Die Lähmung eines Kindes, der Tod eines jungen Ehemannes und Vaters…- dies alles sind Schicksale, die guten Menschen aufgebürdet wurden. Wir alle haben sie miterlebt, mitansehen müssen. Aber niemand hat den Wandteppich gesehen. Ich glaube nicht, dass man mit hypothetischen Bildern reale Probleme lösen kann.“

Mit dem Hinweis auf gebrochene Menschen und zerbrochene Beziehungen stellt sich Kushner genauso gegen die Behauptung, Gott prüfe nur die Starken in dem Ausmaß, das sie ertragen können: „Ich war Vater eines behinderten Kindes, vierzehn Jahre lang, bis zu seinem Tod. Ich fand keinen Trost in dem Glauben, dass Gott mich auserwählt hat, weil er bei mir eine besondere geistige Stärke und Kraft vermutete, weil er wusste, dass ich vielleicht besser als andere dieses Leid ertragen werde.“[xiv]

Diese Aussagen fordern aber dazu auf, sich mit den traditionellen Konzepten Gottes kritisch auseinanderzusetzen. Kushner fasst es folgendermaßen zusammen: „entweder ist Gott allmächtig und dann steht er jenseits aller Gerechtigkeit. Oder er ist gütig und dann kann er nicht allmächtig sein.“[xv] Dies muss sich nicht unbedingt nachteilig auf den Glauben auswirken, denn dem zu Folge können ja unsere Leiden nicht von Gott kommen können. Die hilfreiche Antwort hierauf lautet dann: Gott hat mitgelitten. Unabhängig davon, ob Gott etwas ändern kann oder nicht, unabhängig davon, was unser Konzept von Gott ist – Gott leidet mit. Eine ähnliche Antwort zieht sich durch das ganze Buch Kushners und zeigt die Dimension des Glaubens als die Wahl einer pragmatischen Einstellung, unabhängig von theoretisch negativen Folgen für das Konzept der Allmacht Gottes. Dadurch wird der Glaube zwar subjektiviert, aber auch vitalisiert. Die Warum-Frage wird zur Wie-Frage transformiert. Möglicherweise findet sich deshalb in der erwähnten talmudischen Erzählung der Imperativ: schtok, schweige, d.h. erforsche es nicht. Beschäftige dich nicht damit. Wisse, dass die Welt komplex und kompliziert ist, auch für Gott. Statt eine inhaltliche Antwort zu erwarten, zeige eine Einstellung.

(…)

Auszug aus dem Beitrag von Rabbiner Dr. Tom Kučera, in: Stephan M. Probst (Hg.), Vom Umgang mit Verlust und Trauer im Judentum. Loss and mourning in the Jewish tradition, Hentrich und Hentrich Verlag Berlin 2018, 294 S., Euro 19,90, Bestellen?

[i]               Mose ben Maimon (1995): Führer der Unschlüssigen, 3. Buch, S. 56 (Kommentar von Adolf Weiß)

[ii]             Ebd.

[iii]             Eagleman, David (2013): Incognito, S. 10,12

[iv]             Eagleman, David (2013): Incognito, S. 181ff.

[v]             Eagleman, David (2013): Incognito, S. 204ff.

[vi]             Die Schuldfähigkeit, ein rückwärts gewandter Begriff, ist ein hoffnugslos komplexer Zusammenhang von Genen und Umwelt, den wir  nicht zu entwirren vermögen. Die Formbarkeit, ein vorwärts gewandtes Konzept, fragt: Was können wir für die Zukunft tun, um die Gesellschaft zu schützen? Kann die Bestrafung eines Menschen sein künftiges Verhalten beeinflußen? Eagleman, David (2013): Incognito, S. 224-5: „Heute ist es so, dass attraktive Menschen ein milderes Urteil erhalten als hässliche, dass Psychiater nicht vorhersagen können, ob Sexualstraftäter rückfällig werden, und dass unsere Gefängnisse von Drogensüchtigen übervölkert werden, die in einer Rehabilitationseinrichtung besser aufgehoben würden als in einer Strafananstalt.“

[vii]            More newuchim III:12, oder: Mose ben Maimon (1995): Führer der Unschlüssigen, 3. Buch, S. 54

[viii]           Dobelli, Rolf (2012): Die Kunst des klugen Handelns, S. 5ff.

[ix]             z.b. die Gummihand-Illusion, bei der das Gehirn im Spiegel auf die Berührung der nicht eigenen Gummihand reagiert, als ob sie die eigene Hand wäre.  http://www.spektrum.de/news/probanden-glauben-sie-haetten-dritten-arm/1064783

[x]             Das wäre nach Maimonides die dritte Quelle des Übels, dass Menschen sich selbst zufügen (zusätzlich zum anthropologischen Übel und Naturübel). More newuchim III: 12

[xi]             Kushner, Harold (2006): Wenn guten Menschen  Böses widerfährt, S. 19

[xii]            Der Begriff stammt vom britischen Dichter John Keats (1795-1821). Im 20. Jahrhundert führte ihn der  britische Psychoanalytiker Wilfred Bion (1897-1979) in die psychoanalytische Theoriebildung ein. Der brazilianische Philosoph Roberto Unger (geb. 1947) benutzt diesen Begriff für die Ablehnung der aufgezwungenen Wahl zwischen Routine und Rebellion.

[xiii]           Kushner, Harold (2006): Wenn guten Menschen  Böses widerfährt, S. 27

[xiv]           Kushner, Harold (2006): Wenn guten Menschen  Böses widerfährt, S. 33

[xv]            Kushner, Harold (2006): Wenn guten Menschen  Böses widerfährt, S. 49-53