Albert Speer, der „Edelnazi mit Reuegarantie“

0
37
Albert Speer vor Journalisten auf der Pressekonferenz nach seiner Haftentlassung, 1. Oktober 1966.

Ausstellung über eine selbstinszenierte Legende…

„Es war möglich, der Quelle der Macht so nah zu sein wie Speer, ohne mit dieser Vernichtung direkt konfrontiert zu werden“, schrieb der jüdische Schriftsteller Elias Canetti über die „Erinnerungen“ von Hitlers Architekten. Der Literaturnobelpreisträger ließ sich blenden und fiel – wie auch Simon Wiesenthal, der Speers „Spandauer Tagebuch“ als „besonders wertvoll“ lobte – auf das Märchen vom unpolitischen NS-Technokraten rein. Und mit ihm Millionen Deutsche. Insbesondere sie waren für Speers Legende vom unbeteiligten und ahnungslosen Volksgenossen mehr als empfänglich. Denn: Wenn schon der Minister nichts wusste, wie soll dann der einfache Bürger Kenntnis von den NS-Verbrechen gehabt haben?

Zusammen mit der NS-Führungsriege wurde Albert Speer vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschheit der Prozess gemacht. Schon da gelang es ihm, seine wahre Rolle im NS-System erfolgreich zu verschleiern – er erhielt lediglich 20 Jahre Haft! Als er am 1. Oktober 1966 das Spandauer Gefängnis verließ, strickte er zielführend an seiner Saubermannlegende weiter. Renommierte Publizisten, wie etwa Jobst Siedler und Joachim Fest, standen ihm dabei mit Rat und Tat zur Seite. Seine Bücher „Erinnerungen“ und „Spandauer Tagebücher“ wurden Bestseller und machten Speer zu einem wohlhabenden Mann. In den Medien wurde der „sympathische Zeitzeuge“ gefeiert, seine Geschichte als unschuldig Verstrickter, Unwissender oder sogar Widerständler unkritisch übernommen.

Doch Speer war einer der Hauptverbrecher im NS-System. Er war an der Vertreibung Tausender Berliner Juden aus ihren Wohnungen beteiligt. Zusammen mit der SS brachte er die Eröffnung von Konzentrationslagern in der Nähe von Steinbrüchen auf den Weg, so etwa in Natzweiler, Groß-Rosen oder Mauthausen. Dort mussten Zwangsarbeiter Granit brechen für Speers monströse Bauprojekte, darunter das Reichsparteitagsgelände. Auch an den Planungen zur Vergrößerung des Vernichtungslagers Auschwitz hatte Speer mitgewirkt. Sogar bei der berüchtigten Posener Rede, in der Heinrich Himmler den Massenmord an den Juden skizzierte, war Hitlers Architekt im Saal anwesend. Speer stritt später die Teilnahme ab und ließ sich von Zeugen ein Alibi geben – wofür er selbst die Formulierungen vorschlug.

Schon früh haben Historiker versucht, Speers geschickt inszeniertes Lügengebäude zum Einsturz zu bringen. Doch lange Zeit vergeblich. Die deutsche Öffentlichkeit hatte Gefallen an den alternativen Fakten gefunden.

Doch mit diesen liebgewonnen „fake facts“ räumt die aktuelle Ausstellung „Albert Speer in der Bundesrepublik ­– Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände nun gründlich auf. „Unser Ziel war es, eine Ausstellung über Speer ohne Speer zu machen: Also nicht erneut seine Angaben wiederzugeben, sondern die Fakten zu präsentieren“, erklärt Kurator Alexander Schmidt. Zu sehen sind zahlreiche Archivalien, die das Ende des Speer-Mythos eindrücklich dokumentieren. Zudem werden die neuesten Forschungsergebnisse von neun Historikern präsentiert. Der Besucher der Ausstellung kann quasi direkt in Kontakt mit den Wissenschaftlern treten. An Schreibtischen, auf denen die entsprechenden Dokumente liegen, kann der Besucher ein Video starten und sich die Erklärungen der Historiker, die einem als personengroße Pappfiguren gegenübersitzen, anhören.

Eine äußerst gelungene und längst überfällige Ausstellung. Hätten die Richter im Nürnberger Prozess Einblick in die „Fälscherwerkstatt“ Speers gehabt, der Architekt Hitlers wäre sicherlich nicht mit dem milden Urteil von 20 Jahren Haft davon gekommen. Der Journalist Hermann Gremliza brachte Speers kriminelle Bilanz und seine Beteiligung an den NS-Verbrechen schon 1975 auf den Punkt. „Aktiva: 40 Millionen Tote, unzählige Millionen Verstümmelte. Passiva: 20 Jahre Spandau. Saldo: Zwei Bestseller.“ – (jgt)

Zur Ausstellung ist ein vorzüglicher Katalog erschienen, der für 9,80 € im Buchhandel oder an der Museumskasse erhältlich ist. Bestellen?

Die Schau ist bis zum 26. November 2017 montags bis freitags von 9.00 – 18.00 Uhr und samstags und sonntags von 10.00 bis 18.00 Uhr zu besichtigen. Der Eintritt ist frei!

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Bayernstraße 110, 90478 Nürnberg

Bild oben: Albert Speer vor Journalisten auf der Pressekonferenz nach seiner Haftentlassung, 1. Oktober 1966. Foto: © Pressebild-Verlag Schirner/ Deutsches Historisches Museum, Berlin